Rote Fahnen sieht man besser
BRD 1971, R: Theo Gallehr, Rolf Schübel, 103’ · 16 mm
Ein großer Betrieb wird geschlossen, weil er nicht mehr genügend Gewinn abwirft. Was inzwischen zum leider gewohnten Vorgang geworden ist, war 1970, als die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik bei heute unglaublichen 0,7 Prozent lag, noch neu und erschien vielen Menschen unerhört. Zumal sich zahlreiche Beschäftigte für das Unternehmen buchstäblich aufgeopfert hatten, nicht nur in den schweren Aufbaujahren nach 1945.
In Direct-Cinema-Manier zeigen Theo Gallehr und Rolf Schübel die Schließung des Krefelder Werkes der vor allem Chemiefasern produzierenden Phrix AG am Beispiel von vier der rund 2100 „freigesetzten“ Arbeitskräfte. Mit deutlicher Parteilichkeit schildern sie die Auswirkungen, welche der Verlust des Arbeitsplatzes hat, und dokumentieren die wachsende Erkenntnis der Menschen hinsichtlich ihrer Stellung in einem System, in dem es mit der vielbeschworenen „Sozialpartnerschaft“ und der Verantwortung des Unternehmers ganz schnell vorbei ist, wenn der Profit nicht mehr stimmt. Der Verunsicherung, Verbitterung und sich anbahnenden Verzweiflung gegenübergestellt werden Unverständnis und Selbstgerechtigkeit der Arbeitgeberseite.
Aus heutiger Sicht mag etwas befremden, dass dieser Film aus einer fast ununterbrochenen Aneinanderreihung sprechender Köpfe besteht. Allerdings spiegelt sich darin der enorme Gesprächsbedarf wider, der damals in der bundesdeutschen Gesellschaft herrschte, und der daraus folgende Wunsch von Filmemachern, O-Töne einzufangen, Menschen reden zu lassen.
Auch der Filmtitel ist ein Zitat: Ein DGB-Funktionär rät zum Hissen roter statt schwarzer Fahnen, würden Politiker auf erstere doch rascher reagieren, aus Angst vor einer neuerlichen Radikalisierung der Arbeiterschaft. Der Film wurde vom WDR zunächst nur in einer „entschärften“, stark gekürzten Fassung gesendet, erhielt aber auch so 1972 einen Adolf-Grimme-Preis. (gym)
DI 17.02. um 20 Uhr + FR 20.02. um 21 Uhr