Aus dem Fernseharchiv
Donnerstag, 24. August 2017, 19.00 - 00.00 Uhr
Sechs Wochen im Leben der Brüder G.
Sechs Wochen im Leben der Brüder G.
Sechs Wochen im Leben der Brüder G.
BRD 1974, R: Peter Beauvais, B: Daniel Christoff, K: Jost Vacano, D: Jan Kollwitz, Hans-Georg Panczak, Renate Küster, Regine Lutz, 72’ · File
SO 20.08. um 20 Uhr + DO 24.08. um 20 Uhr · Einführung: Jan Gympel
Der Schriftsteller Daniel Christoff (1926-1996) war erst Ende der sechziger Jahre vom Fernsehen als Autor entdeckt worden. Er hatte sich aber mit sozialkritischen TV-Filmen bereits einen Namen gemacht, als er diesen Stoff in einer Zeitungsnotiz fand: Als die Brüder Rolf und Jürgen, zwölf und sechzehn Jahre alt, den Suizid ihrer verwitweten Mutter entdecken, beschließen sie, dies zu verheimlichen. In Rückblenden werden die Gründe dafür gezeigt: Nach dem Tod des Vaters wurde die Mutter alkoholabhängig, was zur zeitweiligen Einweisung der Söhne in verschiedene Heime führte. Dort waren sie vielfältiger Gewalt ausgesetzt, wurden traumatisiert und stigmatisiert. Um nicht endgültig der Verwahrlosung staatlicher „Fürsorge“ ausgeliefert zu werden, versuchen sie nun zunehmend verzweifelt, sich allein durchs Leben zu schlagen, derweil die Leiche der Mutter im Wohnzimmer verwest.
Peter Beauvais (1916-1986), einer der renommiertesten deutschen Fernsehregisseure, inszenierte die drastische Geschichte eindringlich, aber ohne Spekulation oder grelle Effekte. Die zeitgenössische Kritik war von dem Ergebnis tief beeindruckt. So urteilte die Stuttgarter Zeitung vom 13.5.1974: „Nichts an diesem Film war gewollt tendenziös. Aber er war eine einzige Anklage, eine Bloßstellung der menschlichen Gesellschaft und ihres sozialen Verhaltens.“ Birgit Weidinger meinte in der Süddeutschen Zeitung vom gleichen Tag, „hier wurde dem Zuschauer eine bittere Pille verabreicht: Drehbuch, Kamera und Regie enthielten sich der Sensationsmacherei. Es gab weder ausführliche Leichenbeschau noch schwelgte die Kamera in Schlägerszenen jugendlicher Heiminsassen, noch im Elend der Trinkerin. Präzise führten die Bilder auf unaufhaltsame Abläufe hin, ohne die traurigen Höhepunkte optisch breitzutreten. Der Mechanismus der Zerrüttung trat in beklemmender Dichte hervor.“ Und die Frankfurter Rundschau vom 13.5.1974 lobte: „Über lange Passagen hätte man meinen können, eine Dokumentation vor sich zu haben über die Entstehung von Verhaltensstörungen bei Kindern, über mögliche Ursachen der Jugendkriminalität, über die Hilflosigkeit vieler Erziehungsberechtigter und Erwachsener, die Misere unserer Heime und das Desinteresse der Umwelt. (...) An diesem sorgfältig inszenierten Fernsehspiel stimmte alles, von der ‚Heimatlosigkeit’ der Hochhäuser über die Reaktionen der vermeintlich Unbeteiligten bis zur Besetzung vor allem der beiden Jugendlichen-Rollen. Mochte das vorgeführte Beispiel bisweilen zu extrem gewählt erscheinen, so wurde doch am Einzelfall immer wieder das Grundsätzliche sichtbar.“ (gym)