Venusberg
Venusberg
BRD 1963, R/B: Rolf Thiele, K: Wolf Wirth, M: Rolf Wilhelm, D: Marisa Mell, Nicole Badal, Monica Flodquist, Christine Granberg, Ina Duscha, Claudia Marus, Jane Axell, 88’ · 35mm
DO 25.10. um 20 Uhr + SA 03.11. um 21 Uhr · Eröffnung der Retrospektive
Rolf Thiele (1918-1994) war einer der prominentesten, eigenwilligsten, aber auch umstrittensten Filmemacher in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre. Seine Versuche, Sittenbilder der Wirtschaftswundergesellschaft zu zeichnen, aber auch die psychischen Nöte und Befindlichkeiten vor allem der „besseren“ Kreise zu analysieren, krankten am steten Widerspruch zwischen Wollen und Können. Nichtsdestoweniger konnte Thiele um 1960, als sich die Sitten (und auch die Filmzensur) erst allmählich lockerten, mit seinen Filmen über Sex and Crime und süßes Leben Aufmerksamkeit und Kassenerfolge erzielen. Denn, so konstatierten viele Kritiker: „Er stellt die Unmoral an den Pranger, auf daß sie dort desto ausgiebiger betrachtet werden kann, und macht auf diese Weise Geld aus der Sensationslust der Masse, die er zu ironisieren behauptet.“ (Wk., Evangelischer Filmbeobachter Nr. 35/1963)
Wolf Wirth hatte schon bei Thieles Frühwerk Sie (1954) zum ersten Mal als Kameraassistent gearbeitet. Es war daher für den Regisseur nur konsequent, Wirth als Chefkameramann zu verpflichten, nachdem dieser sich zu einem der prominentesten und profiliertesten Vertreter seiner Zunft entwickelt hatte. Ihre erste Zusammenarbeit sollte dabei sogleich den Höhepunkt darstellen.
In Venusberg versammeln sich sieben junge, stark aufgebrezelte, psychisch mehr oder minder angeschlagene Frauen in einer schicken Villa. In einsamer Schneelandschaft warten sie dort auf den Herrn des Hauses (sinnigerweise ein Frauenarzt), dessen Geliebte sie sind, es waren, oder sie wollen sich von ihm mal wieder schnell ein Kind wegmachen lassen. „Ohne Mann ist die Frau nur eine Notexistenz“, erklärte Thiele und zeigte hier, was er sich so alles über das Denken, Fühlen und Handeln von Frauen (insbesondere wenn diese unter sich sind) zusammenreimte. Das Ergebnis ist die deutsche Antwort auf George Cukors Frauenfilmklassiker The Women (1939) – und zwar eine durchgedrehte, mit ganz viel unverdautem Antonioni, Bergman, Resnais und anderen stilbildenden Filmkunstgrößen der damaligen Zeit. Eine unglaubliche Ansammlung an schrägen Posen, plumpen Provokationen, Stilblüten, unfreiwillig komischen Dialogen, unmotivierten Handlungen, unvermittelt abbrechenden Szenen, unbeholfenen Ausflügen in die Hochkultur und völlig ungetrübtem Chauvinismus, mit elektronischen Klängen dekoriert und von Wolf Wirth kongenial fotografiert mit einer kaum enden wollenden Abfolge ausgefeilter Bildkompositionen und ausgefallener Lichteffekte, erlesen, einfallsreich, stilisiert, cool. Man kann auch sagen: Die Fotografie ist ebenso gespreizt und überkandidelt wie das Geschehen, die Dialoge und das Styling von Räumen und Figuren.
Seinerzeit bei Kritik wie Publikum völlig durchgefallen, geriet die außerhalb eines Ateliers gedrehte Low-Budget-Produktion in Vergessenheit. Heute ist der männerlose Film zeithistorisches Dokument ebenso wie ästhetisches Erlebnis und vorzügliches Camp-Vergnügen. (gym)