Arzt- und Gelehrtenporträts aus vier Jahrhunderten. Die Grafiksammlung des Medizinhistorikers Georg Harig

Wolfgang Cortjaens & Annine Wöllner | 7. Mai 2024

Für die grafische Sammlung des Deutschen Historischen Museums (DHM) konnte 2022 ein Konvolut von außerordentlich seltenen Arzt- und Gelehrtenporträts von Georg Harig erworben werden. Mehr über die Objekte und deren Restaurierung berichten Wolfgang Cortjaens, Sammlungsleiter Angewandte Kunst und Grafik, und Annine Wöllner, Papierrestauratorin.

Ankauf

Bei dem 2022 für die Grafiksammlung des DHM erworbenen Konvolut „Sammlung Georg Harig“ handelt es sich um insgesamt 65 gerahmte, teils großformatige historische Porträtstiche des 16. bis späten 19. Jahrhunderts in verschiedenen Drucktechniken (Kupferstich, Mezzotinto, Stahlstich). Neben der außerordentlichen Qualität und Seltenheit der meisten Blätter war auch der Überlieferungskontext ausschlaggebend für den Ankauf durch das DHM: Das Konvolut stammt aus der privaten Sammlung des bekannten Berliner Medizinhistorikers Prof. Dr. Georg Harig (1935–1989), selbst eine prägende Figur der medizingeschichtlichen Forschung in der DDR der 1960er bis 1980er Jahre. Geboren 1935 in Leningrad als Sohn des in Nazi-Deutschland als Kommunist verfolgten und exilierten Physikers und Philosophen Gerhard Harig (1902–1966), kehrte er 1948 mit seiner Mutter in die sowjetische Besatzungszone zurück. 1958 absolvierte er sein Staatsexamen an der Humboldt-Universität, ein Jahr später folgte die Promotion zum Thema „Zur medizinischen Analyse der hippokratischen Schrift De aere locis“. Zunächst internistisch tätig, wandte Harig sich Mitte der 1960er Jahre der Medizingeschichte zu, zunächst als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichte der Medizin, mit dem Erwerb der Lehrbefähigung ab 1970 auch als Hochschuldozent bzw. ab 1985 als ordentlicher Professor. Harigs über Jahrzehnte aufgebaute private Stichsammlung, die in dicht gedrängter Hängung die Wände seiner Berliner Wohnung schmückte (Abb. 1), spiegelt dieses Interesse wieder.

Abb. 1 Blick in die Berliner Wohnung des Medizinhistorikers Prof. Dr. Georg Harig

Die Blätter zeigen ausnahmslos Männer der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte: Pietro Aretino, J. N. Lieberkühn, Carl von Linné, Blaise Pascal, Kopernikus [de facto Johannes Stöffler], Irenaeus Vehr oder Alexander von Humboldt. Es dominieren Mediziner, Physiker, Physiologen und Botaniker, doch sind vereinzelt auch Größen der Geistesgeschichte vertreten, etwa Johann Joachim Winckelmann. Unter den Schöpfern der grafischen Vorlagen bzw. ihrer Umsetzung sind so bedeutende Künstler wie Wenzel Hollar, Gerard Edelinck, Wolfgang Philipp Kilian, Daniel Chodowiecki, Franz Krüger und Georg Friedrich Schmidt. Alle Blätter, teils aus Publikationen stammend, teils Einblattdrucke, sind überaus rar und weltweit in nur wenigen Exemplaren an anderen Bibliotheksstandorten bzw. in anderen Sammlungen verzeichnet.

Abb. 2: Porträt des Humanisten und Naturforschers Conrad Gesner, Conrad Meyer, 1662, Kupferstich nach einer Vorlage von Tobias Stimmer, veröffentlicht in „Ware vnd Lebendige Bildnussen etlicher weitberhümbten vnnd Hochgelehrten Männer in Teutschland“ (Straßburg 1587), DHM, Inv.-Nr. Gr 2022/88.
Abb. 3: Allegorisches Porträt des Mediziners und Optikers Johann Nathanael Lieberkühn, Georg Friedrich Schmidt, 1757, Radierung, DHM, Inv.-Nr. Gr 2022/97.

Das meisterlich radierte Porträt Lieberkühns, ganz der opulenten Bildsprache des späten Rokoko verhaftet, könnte Georg Harig besonders angezogen haben, weil die beiden ovalen Bildnismedaillons links im Hintergrund die antiken Ärzte Hippokrates und Galen zeigen, denen er selbst umfangreiche Forschungsarbeiten gewidmet hat; Galen war 1970 Thema seiner Habilitationsschrift.

Harigs Witwe, die Philologin und Medizinhistorikerin Jutta Harig-Kollesch (*1933), veräußerte das Konvolut vor einigen Jahren an einen befreundeten Mediziner; dieser wiederum bot es der Grafiksammlung des DHM an. Die durch Thematik und Provenienz gleich zweifach gegebene Geschlossenheit der Sammlung und ihr größtenteils zufriedenstellender Erhaltungszustand waren zentrale Argumente für den Ankauf.

Restaurierung

Bei der Sichtung des Konvoluts wurde den Mitarbeiter*innen der grafischen Sammlung, der Papierrestaurierung sowie der Passepartout-Werkstattschnell klar, dass die Sammlung in ihren überwiegend historischen Rahmen belassen werden sollte, um ihren einheitlichen Eindruck zu wahren.

Ein Austausch der Materialien, aus denen Rückwände und Passepartout gefertigt waren, war allerdings unumgänglich. Diese waren sämtlich verbräunt und säurehaltig, was zu einer weiterführenden Schädigung der Originalgrafiken geführt hätte. Durch neue Passepartouts aus säurefreiem und alterungsbeständigem Material konnte nicht nur eine konservatorische Lagerung ermöglicht, sondern auch die einheitliche Ästhetik des Nachlasses unterstrichen werden. Zusätzlich wurde bereits im gerahmten Zustand deutlich, dass eine Reinigung der Originale sowie Rahmen dringend notwendig waren.

Die Ausrahmung aller Porträts erlaubte die Erfassung und Dokumentation von den im gerahmten Zustand nicht erreichbaren Informationen für die Objektdatenbank sowie die Provenienzforschung. Nach einer ausführlichen fotografischen Dokumentation wurden dafür alle Grafiken in kleinen Chargen einzeln ausgerahmt und aus ihren unterschiedlichen Montierungen entnommen.

Abb. 4: Transport einer Bearbeitungs-Charge mit Rahmen verschiedener Größen

Für die Originale selbst wurden die Restaurierungsschritte nach dem Ausrahmen individuell angepasst. Als minimale Maßnahme fand bei allen Grafiken eine Trockenreinigung statt. Mechanische Schäden wie Risse, lose Partien oder Ausdünnungen wurden mit Japanpapier und Weizenstärkekleister gesichert. In wenigen Fällen war die Ergänzung von Fehlstellen notwendig; diese wurden in zum Original passenden Papieren ausgefertigt. Auf den Rückseiten vieler Grafiken fanden sich Rückstände von verschiedenen Selbstklebebändern und Papierstreifen. Diese stammten meist von alten Montierungen oder Reparaturen. Die Entfernung erfolgte soweit möglich mechanisch; wenn nötig wurde etwas Feuchtigkeit zum Anquellen der Klebstoffe verwendet. Einige Blätter wurden auch komplett wässrig im Bad behandelt, wenn diese starke Wasserränder, Verschmutzungen oder Vergilbungen aufwiesen. Anschließend wurden die so behandelten Blätter beschwert im Stapel getrocknet.  

Abb. 5: Gr 2022/100 Beispiel für die Sicherung mit Japanpapier. In Vorbereitung für das Verkleben einer gelösten Partie wurde diese in das Schriftbild passend positioniert.

Bei der Montierung in den neuen säurefreien Passepartouts und der abschließenden Einsetzung in die originalen Rahmen kam die Arbeit der einzelnen Team-Mitglieder dann auch optisch zusammen. Die Montierung erfolgt mit Fälzen aus Japanpapier; bis zu sechs Fälze wurden an den Außenkanten der Grafiken angebracht, um diese so mit den Rückwänden der Passepartouts zu verbinden. 

Sammlung

In Einzelfällen ergaben sich im Zuge der Restaurierungsmaßnahmen auch Revisionen bisheriger Zuschreibungen. So ist ein um 1650 datierter Kupferstich, der den Mathematiker und Astronomen Johannes Stöffler flankiert von einem heliozentrischen Modell und einem nautischen Instrument, dem sog. Jakobsstab, zeigt (Abb.8: Gr 2022/96), in der gedruckten lateinischen Bildlegende fälschlich als Porträt des Nikolaus Kopernikus bezeichnet. Die Neu-Identifizierung gelang auf Basis eines als Vorlage dienenden Holzschnittes aus Jean-Jacques Boissards Publikation „Iconvm Virorvm Illvstrivm“ (Frankfurt am Main 1598), in der sowohl Stöffler als auch Kopernikus dargestellt sind.

Abb. 8: Mathematiker und Astronom Johannes Stöffler, 1650, Kupferstich, DHM, Inv.-Nr. Gr 2022/96

Auch unter manchen Rückwänden kam Interessantes zum Vorschein: Neben Stempeln, handschriftlichen Notizen und sonstigen Hinweisen auf Vorbesitzer*innen fanden sich etwa eine versteckte Druckgrafik sowie ein Scherenschnitt. Den dabei zutage getretenen Hinweisen wird derzeit noch nachgegangen.

Die Sammlung Harig ergänzt sinnvoll den Eigenbestand an historischer Porträtgrafik des DHM, der seit 2021 einer gründlichen Revision unterzogen wird. Gerade das in der Grafiksammlung eher unterrepräsentierte Thema Medizingeschichte der Frühen Neuzeit und der Aufklärung erhielt durch die Neuzugänge eine willkommene Stärkung. Die vielfach originelle Ikonografie und Emblematik der Darstellungen ermöglicht einen Einsatz einzelner Blätter in Wechselausstellungen.

Abb. 9: Lagerung in Sammlung

Dr. Wolfgang Cortjaens

Wolfgang Cortjaens ist Leiter der Sammlung Angewandte Kunst und Grafik am Deutschen Historischen Museum.

Annine Wöllner

Annine Wöllner ist Papierrestauratorin am Deutschen Historischen Museum.