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Vorwort
Stefan Reinecke
Die Geschichte eines Lächelns. Die Wittstock-Filme von Volker Koepp
Margit Voss
Drehort Golzow. Auf den Spuren einer Chronik
Heinz Klunker
Ein Jegliches hat seine Zeit. Die Chronik der »Kinder von Golzow«
Impressum
 
Lebensstationen, das sind Gliederungselemente des individuellen Lebens. Über große Zeiträume hinweg erfuhren sie – innerhalb gleichbleibender Schichten und Klassen – wenig Änderungen. In diesem Jahrhundert aber haben sich diese Stationen einschneidend gewandelt, bis zu einem Punkt, wo früher obligate Einschnitte, die sozusagen Markierungen auf dem Lebensweg abgaben, verschwinden.

  Einmal auf der anderen Seite: die »Kinder von Golzow« zu Besuch im DEFA-Dokumentarfilmstudio
Die historischen und gesellschaftlichen Prägungen der Lebensstationen, gleichbleibende Muster in den verschiedenen Lebensläufen, lassen sich in den Filmen Winfried Junges, der die umfassendste und bekannteste Langzeitbeobachtung der Filmgeschichte mit seinen Filmen über die »Kinder von Golzow« vorgelegt hat (und noch weiter an ihr arbeitet), besonders gut erkennen. Seine ersten Filme nehmen solche »Stationen« wie Einschulung, Jugendweihe oder Prüfung zum Anlaß, die Veränderungen an diesen Punkten faßlich zu machen. Nicht so strikt auf die Biographie eines »ganzen Lebens« festgelegt sind die »Wittstock-Filme« Volker Koepps, die in den Jahren 1974 bis 1992 entstanden. Doch von der Eigendynamik einer Langzeitbeobachtung sind auch seine Filme beeinflußt; sie richten den Blick nicht so sehr auf die Stationen selbst, aber deren Auswirkungen auf die Lebensläufe dokumentieren auch sie. Beide Regisseure haben ihr Thema und ihre Protagonisten neu interpretiert, als sich mit dem Ende der DDR auch die Verbindlichkeit ihrer definierten Lebensstationen auflöste: Junge, indem er in einer Art Selbstreflexion die Bedingungen seiner früheren Filme aufgriff und die Fortschreibung unter den veränderten Umständen anpeilt; Koepp, indem er neue Chancen (und Gefahren) für seine Protagonisten untersucht, die schon fast in einer resignativen Haltung befangen schienen – als sei der Elan und das Kämpferische der Mädchen in Wittstock für eine Zeit kanalisiert worden und nun neu gefordert, neu bedroht.

Dokumentarfilme, wie sie Koepp und Junge gemacht haben, können die Anwesenheit der Kamera nie verstecken, nie so tun, als handle es sich um Beobachtungen, die ohne Wissen der Beobachteten zustande gekommen sind. Das gibt ihren Filmen die Besonderheit der dokumentarischen Wahrheit, die nur in der Zusammenarbeit aller Beteiligten entsteht. Daher sind die Menschen, die beide beobachtet haben, auch die Stars der Filme. Sie werden in eine Konstruktion eingebunden, die sie zugleich durch ihr Auftreten, ihre Präsenz, mitbestimmen.

Eine Konstruktion anderer Art sind die beiden Fernsehprojekte von Edgar Reitz – »Heimat« und »Die zweite Heimat«, die unabhängig von der Auftragssituation auch als Filme konzipiert wurden. Eine Fiktion, die sich um die »Lebensstationen« und deren Wandel rankt, eine Story über die historischen Veränderungen in Deutschland seit 1919, in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Ihr Ideal ist nicht dokumentarisch – sei es die Arbeit des Chronisten, wie bei Junge, sei es eine poetisch aufgefaßte wie bei Koepp. Reitz' Ideal heißt Authentizität, die entsteht, wenn die fiktionalen Erzählungen so angereichert mit historischen Details, mit »stimmigen« Ausstattungen erscheinen, daß sie auch als Geschichts-Erzählungen überzeugen.

Die Autoren dieses »Magazins« fragen, welche Wirklichkeit diese verschiedenen Filme behandeln, welcher Identität sie Ausdruck geben wollen. Damit untersuchen sie exemplarisch filmische Formen, in denen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der DDR und der Bundesrepublik artikuliert wurden.

Rainer Rother