»Voor
een' vryen Staet«
Die Niederlande, das Reich und »Tyrannen«
in den Krisenjahren 1572 und 1672 |
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Joost
van den Vondel, der größte niederländische
Dichter des Goldenen Zeitalters, schrieb während der
ersten statthalterlosen Zeit von 1650 bis 1672 eine Reihe
von Historiendramen und Gedichten um den Kernpunkt der niederländischen
Geschichte, die »Freiheit«. Der Kampf »für
einen freien Staat«1
zog sich für Van den Vondels Publikum erkennbar von
den Ahnherren der Niederländer, den germanischen Batavern,
über den noch nicht so lange zurückliegenden Aufstand
gegen Philipp II. bis in das 17. Jahrhundert hinein. Zu
allen Zeiten seien die Rechte und die Unabhängigkeit
der Niederlande durch »Tyrannen« bedroht gewesen.
Und zur Zeit Van den Vondels schien die Freiheit, »von
alters her der Deutschen eigenes Erbe,// Und allerwertester
Schatz«2,
in größerer Gefahr denn je.
Bereits 100 Jahre früher galt die »Freiheit«
Wilhelm I. von Oranien und seinen Propagandisten als zentrale
Rechtfertigung für den Aufstand gegen Spanien. In seinem
Manifest aus dem Jahre 1568 begründete der Prinz von
Oranien das Ergreifen der Waffen mit der Verletzung der
provinzialen »Freiheiten und Privilegien« und
erklärte sich zum Verteidiger der »Freiheit«
gegen die spanische Sklaverei.
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Vom
Thronverzicht Kaiser Karls V. bis zum niederländischen Aufstand
Seit
den 1540er Jahren und noch mehr in dem darauffolgenden Jahrzehnt
hatten sich die Niederlande im Kampf gegen Frankreich zur militärischen
Hauptbasis Kaiser Karls V. entwickelt. Nicht nur Transport und
Kriegslogistik, sondern auch die Versorgung und kurzfristige Finanzierung
der Truppen waren hier leichter und effizienter zu handhaben als
etwa in Karls spanischem Königreich oder den habsburgischen
Besitzungen in Italien. Die Niederländer lebten in siebzehn
Provinzen, die Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts durch
Heirat oder Kauf an die Habsburger gekommen waren und die sich
mehr oder weniger mit dem Gebiet deckten, das heute Belgien und
den Niederlanden entspricht. In den vielen großen und reichen
Städten des Landes entwickelten sich die Kultur und das Lebensgefühl
der Renaissance. Philosophie, Kunst und Literatur blühten.
»Die Niederlande stehen keinem Land in Europa nach, wenn
es um die Bevölkerungszahl, um den Reichtum, um den Ertrag
des Bodens, um den Vorzug natürlicher Verkehrswege geht,
die durch Seen und das Land durchziehende Flüsse gegeben
sind ... Die Staaten bilden die Schatzkammer des Königs von
Spanien, sie haben während vieler Jahre die Kosten der Kriege
des Kaisers in Italien, Deutschland und Frankreich getragen und
sie haben ihm Ansehen und Anerkennung verschafft.«3
Paris lag nicht weit von der niederländischen Grenze, und
den kaiserlichen Truppen versperrte kein Festungsgürtel den
Weg. Während die Niederlande durch einen natürlichen
Riegel von Flüssen und Kanälen geschützt waren,
konnte der französische König sein Land nur mit Mühe
gegen einen militärischen Vorstoß aus dieser Richtung
verteidigen. Im Ringen um die Vorherrschaft in Europa nutzte Kaiser
Karl V. die Niederlande mit ihren Ressourcen als wichtigste strategische
Bastion langfristig für eine Auseinandersetzung mit der französischen
Dynastie der Valois, an der wohl dem Hause Habsburg gelegen war,
die aber zusehends den Interessen der 17 niederländischen
Provinzen widersprach.
Im
französisch-habsburgischen Krieg
von 1552 bis 1559 wuchs die Unzufriedenheit der Niederländer
mit den schnell steigenden Forderungen nach Geld, Mannschaften
und Verpflegung. Als Karl V. mitten im Krieg seinem Sohn
Philipp 1555 die Herrschaft über die Niederlande übertrug,
vermachte er ihm einen nahezu bankrotten Staat. Zu den Königreichen
von Neapel und Sizilien erhielt Philipp im Januar 1556 noch
die spanische Krone, nachdem sich Karl in ein Kloster zurückgezogen
hatte. Nach dem Frieden von Cateau Cambrésis im April
1559 verließ Philipp ungeachtet der durch den Krieg
verursachten Probleme die Niederlande, um in sein Königreich
Spanien zu ziehen. Als Generalstatthalterin setzte er seine
Halbschwester Margarete von Parma ein. Ihr zur Seite sollte
von Brüssel aus der Staatsrat die Geschäfte der
17 Provinzen führen. Die Ratsherren und Beamten hatten
nach Anzahl und Einfluß merklich zugenommen und galten
schon zur Zeit des Thronverzichts als selbständiger
Machtfaktor in den Niederlanden. Mit der Zentralisierung
wuchs auch die Bedeutung der Monarchie in einem Land, das
sich weder in juristischer noch ökonomischer Hinsicht
als Einheit verstand. Die Niederlande bestanden im 16. Jahrhundert
aus einer großen Zahl von Staaten mit unterschiedlicher
Verwaltung und Rechtssprache. Der Einfluß des Fürsten
endete nach ihrer Ansicht dort, wo die Vorrechte der Bürger
und des Adels begannen. So mußte Philipp, bevor er
die Nachfolge seines Vaters in der Provinz Holland antreten
konnte, schwören, daß er »alle Privilegien
und Freiheiten des Adels, der Städte, Gemeinden und
Untertanen ... gut und getreulich einhalten und erhalten
werde«. 4
Im Gegensatz dazu verstand sich der in Spanien aufgewachsene
und erzogene König als »rex lex animata«
(der König als Verkörperung des Rechts), der ein
gigantisches Weltreich nur durch eine stark zentralisierte
Verwaltung mit absolutistischem Anspruch regieren konnte.
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Kaiser Karl V. mit Kommandostab
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Margarete
von Parma
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Unter
Ausschluß der Mitsprache von Untertanen und
von individuellen und kollektiven Rechten und Vorrechten
bedeutete dies die Allmacht des Staates mit nur einer
Stimme und nur einem Gottesdienst. So wie die meisten
regierenden Fürsten war Philipp der Überzeugung,
daß die Einheit der Religion eine unverzichtbare
Voraussetzung für die Einheit und das Wohl des
Staates sei. Selbst der Gewissensfreiheit mochte er
keinen Platz in seinem Reich einräumen. Jedes
von der römisch-katholischen Glaubensüberzeugung
abweichende Bekenntnis war demnach eine Gefahr für
die öffentliche Ordnung und wurde nach der damals
geläufigen Rechtsauslegung der Majestätsbeleidigung
gleichgestellt. Philipp sah sich selbst als Verteidiger
der ganzen Christenheit und intervenierte diplomatisch
und militärisch in allen Weltteilen gleicherweise
gegen den Islam wie gegen die Protestanten. Bei seinem
Abschied mahnte der König denn auch zur strengen
Anwendung der Ketzererlasse. Nach diesen war schon
der Besitz von verbotener konfessioneller Literatur
seit 1526 mit ewiger Verbannung geahndet worden. Das
sogenannte Blutplakat vom 25. August 1550 verpflichtete
jeden zur Anzeige von Ketzern. Selbst reuevolle männliche
Häretiker wurden enthauptet, Frauen lebendig
begraben, die Unbeirrbaren dem Feuertod übergeben.
Zum Zeitpunkt von Philipps Abreise gab jedoch die
katholische Kirche zu größerer Sorge Anlaß
als die verschwindend kleine Gruppe von Protestanten.
Die Mißachtung des Zölibats, Ämterpatronage
für Priestersöhne, reiche Klöster,
die auf Kosten armer Bauern lebten, und eine verbreitete
Unkenntnis des Evangeliums in weiten Kreisen des Klerus
machten grundlegende Veränderungen innerhalb
der Kirche notwendig. Vor diesem Hintergrund tagte
das gegenreformatorische Konzil von Trient zwischen
1545 und 1563. Um
die dort gefaßten Beschlüsse in den 17
Provinzen wirkungsvoll umzusetzen und damit einer
weiteren Protestantisierung des Landes vorzubeugen,
versprach der Vatikan
im Konkordat von 1559 eine Umstrukturierung der niederländischen
Bistümer, von der sich der König eine einheitsstiftende
Wirkung und eine größere Kontrolle des
Landes erhoffte.
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Margarete
wurde 1522 in Flandern als Kind Kaiser Karls V.
und der bürgerlichen Jeanne van den Gheynst
geboren. Mit 14 Jahren verheiratete Karl seine Tochter
mit Alexander de' Medici. Nur ein Jahr später
übernahm sie nach der Ermordung ihres Gatten
die Regierung in Florenz. Der 1538 geschlossenen
Ehe mit Ottavio Farnese war kein Glück beschieden.
Obwohl Karl seinem Schwiegersohn bei der Erlangung
der Herzogswürde von Parma behilflich war,
verbündete sich dieser später mit dem
französischen König. Von 1556 an wurde
der einzige Sohn Margaretes, Alexander Farnese,
als Geisel für die politische Zuverlässigkeit
seines Vaters am spanischen Hof erzogen. Nach ihrem
Rücktritt als Generalstatthalterin der Niederlande
zog sich Margarete 1567 nach Italien zurück.
Auf Anregung Kardinal Granvelles versuchte Philipp
II., die Herzogin nach der Pazifikation von Gent
1576 erneut mit der Landvogtei über die 17
Provinzen zu beauftragen. Die Zeit ihrer Regierung
war den Niederländern, nicht zuletzt im Vergleich
mit der des eisernen Herzogs, in guter Erinnerung
geblieben. 1580 mußte ihr Sohn die Generalstatthalterschaft
an seine Mutter abtreten, während er weiterhin
den militärischen Oberbefehl ausübte.
Das Problem der Machtaufteilung zwischen Margarete
und Alexander blieb ungelöst und belastete
die Verwaltung der Niederlande. Erst als Margarete
1583 mit Genehmigung von Philipp II. auf ihr Amt
verzichtete, wurde der Dauerkonflikt mit ihrem Sohn
beendet. 1586 verstarb die Herzogin von Parma in
Italien.
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Die vorher den Erzbischöfen
von Köln und Reims unterstellten niederländischen
Gemeinden wurden unter Berücksichtigung der
Sprach und Provinzgrenzen in drei Erzbistümer
und 15 Bistümer unterteilt, während sich
der Monarch die Ernennung des Episkopats vorbehielt.
Mit
der Einsetzung loyaler Bischöfe von meist niederer
Herkunft verfügte Philipp über königstreue
Vasallen mit Stimmrecht in den einzelnen Provinzialvertretungen,
den sogenannten Staatenversammlungen. Über
diese Neuerungen geriet Philipp erstmals in Konflikt
mit dem Schwertadel. Die 10 Familien der Hocharistokratie
sahen sich um die sichere Pfründe einer Kirchenlaufbahn
für zweitgeborene Söhne gebracht. Schwerer
jedoch wog in ihren Augen der wachsende Einfluß,
den ein Teil der neuen Amtsträger ausübte.
Insbesondere die Ritter vom Orden des Goldenen Vlieses
betrachteten traditionell die höchsten Funktionen
in Regierung, Verwaltung und Armee als ausschließlich
von ihnen zu besetzende Positionen. Diese dem König
als Ordensritter formal ebenbürtigen Standesgenossen
fühlten sich bei Abwesenheit des Monarchen
als dessen natürliche Stellvertreter. Während
jedoch ein Teil von ihnen als Statthalter mit Aufgaben
fern von Brüssel betraut war, zog der persönliche
Vertraute des Königs, Antoon Perrenot, Herr
von Granvelle, die Regierungsgeschäfte an sich.
Vor allem nach dessen Berufung zum Erzbischof von
Mechelen und Kardinal im Jahre 1561 wuchs die Verbitterung
unter den »großen Häuptern«,
weil einem »Fremden mehr Kredit als den einheimischen
Land Herren zugestanden wird«, sie sich somit
»der ungehörigen Autorität eines
Fremden«5
gegenübersahen. Noch mehr Unmut erregte Granvelles
Ernennung zum Abt der reichen Abtei Afflighem in
Brabant, wodurch der Kardinal an die Spitze des
ersten Standes der wichtigsten Provinz trat. |
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Nachdem
die immer lauter werdende Forderung nach sofortiger Entlassung
des Kardinals beim König ohne Wirkung blieb, gründeten
die hohen Herren die »Liga der Großen«.
Als einziges Ziel verfolgte diese Vereinigung von lediglich
neun Adligen die Vertreibung Granvelles aus allen Ämtern.
Die Unterzeichner verweigerten jede Mitarbeit im Staatsrat,
allen voran die Grafen von Egmont und Horne sowie der angesehenste
und reichste Aristokrat der Niederlande, Wilhelm von Oranien.
Als selbst Margarete von Parma den unpopulären Kardinal
fallen ließ, fügte sich Philipp 1564 dem Druck
des Adels und betraute Granvelle mit Aufgaben in anderen
Teilen seines Reiches. Und obwohl der Kardinal die Niederlande
nie wieder betreten sollte, erwies er sich in den folgenden
Jahren als ausgezeichnet informierter Korrespondenzpartner
verschiedener lokaler Würdenträger und als einflußreicher
Berater des Königs in allen Angelegenheiten des Landes.
Während sich der hohe Adel wieder an den Regierungsgeschäften
beteiligte und seinen Einfluß auf die Geschicke des
Staates zu vergrößern trachtete, gärte es
allerorten im Land. Ein seit 1563 andauernder Handelskonflikt
mit England und die Störung der wichtigen Ostseeschiffahrt
durch den Dänisch Schwedischen Krieg trugen zum Einbruch
des Binnenmarktes als Folge wachsender Armut bei. Der ökonomische
Rückgang führte selbst zur nominalen Senkung der
Löhne und verurteilte viele zur dauerhaften Arbeitslosigkeit.
Verschiedenen Schätzungen zufolge waren bis zu 40 Prozent
der städtischen Bevölkerung auf öffentliche
oder private Wohltätigkeit angewiesen.6
Die Mißernte des Jahres 1565 und der darauffolgende
strenge Winter verschlimmerten noch die tiefe wirtschaftliche
Krise und zeitigten gesellschaftliche Folgen. Immer breitere
Schichten der Bevölkerung erwiesen sich neuen religiösen
Heilsbotschaften gegenüber als sehr zugänglich.
Neben den bereits vorhandenen kleinen Gruppen von Lutheranern
und Wiedertäufern konnte in den 60er Jahren vor allem
der Kalvinismus Anhänger gewinnen. Bis in die Spitzen
der Stadtmagistrate und in bedeutenden Teilen des niederen
Adels verbreitete sich die Lehre des Johannes Calvin. So
gering auch erst ihre Zahl war, so viel Einfluß hatten
Kalvinisten auf die Meinung vieler Menschen über den
Zustand der Kirche von Rom und über die Todesstrafe
als zweifelhaftes Instrument gegen Anders-gläubige.
Ketzerverbrennungen 1562 in Valenciennes und Doornik (Tournai)
und 1564 in Antwerpen führten zu Tumulten innerhalb
der Bürgerschaft. Verschiedene zum Teil erfolgreiche
Versuche wurden unternommen, Ketzer aus den Gefängnissen
zu befreien. In Amsterdam verbrannte man schon lange keine
Häretiker mehr, in Friesland nur noch selten. In Flandern
nahm der Rat von Brügge sogar den berüchtigten
Inquisitor Pieter Titelurans gefangen. Solange Häretiker
die öffentliche Ruhe nicht störten, sahen sich
die Magistrate außerstande, gegen sie vorzugehen.
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Kardinal
Granvelle
Antoon
Perrenot wurde 1517 in Besançon geboren,
er stammte aus einem in Burgund ansässigen
bürgerlichen Geschlecht. Sein Vater Nicolaas
Perrenot wurde als erster Ratgeber Kaiser
Karls V. in den Adelsstand erhoben. Die Herren
von Granvelle verdrängten als Angehörige
einer neuen Elite juristisch geschulter Männer
die Magnaten am königlichen Hof. Der
auf Tradition und Kriegshandwerk beruhenden
Macht des Adels setzte die neue Führungsschicht
den Glauben an die Wissenschaft und den Stolz
des Gelehrten entgegen. In allen Teilen des
Weltreiches bemühte sich die »Noblesse
de Robe« um eine Zentralisierung der
Verwaltung und um die Stärkung der fürstlichen
Macht. Von 1547 an diente Antoon Perrenot
mehr als 40 Jahre dem Hause Habsburg. An allen
wichtigen Entscheidungen dieser Zeit war er
beteiligt: an den konfessionellen und politischen
Kämpfen in Deutschland, der Heirat Philipps
II. mit der englischen Königin Mary,
den Kriegen gegen Frankreich und die Türken,
dem Aufstand der Niederlande und der Eroberung
von Portugal. Am Ende seines Lebens wurde
er von Philipp nach Spanien zurückgerufen,
um den Vorsitz im Staatsrat zu übernehmen.
Er starb hochgeachtet im Jahre 1586.
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Philipp
Graf von Horne
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Eine
Gesandtschaft des hohen Adels unter Leitung des Grafen
von Egmont reiste im Frühjahr 1565 nach Spanien.
Zwei Anliegen trugen sie dem König vor: eine
Stärkung des Staatsrates unter Mitwirkung des
heimischen Adels und vor allem eine Milderung der
Ketzererlasse. Die Antwort Philipps im berühmten
Brief vom Oktober 1565 aus den Wäldern von Segovia,
in dem er Zugeständnisse in Fragen der Landesadministration
in Aussicht stellte, sich aber für ein kompromißloses
Vorgehen der Inquisition aussprach, hatte weitreichende
Folgen. Eine Welle von Pamphleten und handgeschriebenen
Pasquinaden überschwemmte das Land. Der mittlere
und niedere Adel gründete unter Leitung Hendrik
van Brederodes, Florin Graf von Culemborgs (der wie
Brederode und Oranien eine deutsche Lutheranerin zur
Frau hatte) und des jüngeren Bruders des Prinzen,
des Grafen Ludwig von Nassau, einen Monat später
die berühmte »Liga des Kompromisses«.
Diese Bewegung von offenen und heimlichen Protestanten
suchte die Unterstützung aller, die einen Frieden
zwischen den Konfessionen wünschten. Am 5. April
1566 erzwangen sich 300 Adlige den Zutritt in den
Gouverneurspalast von Brüssel und übergaben
Margarete von Parma eine Petition mit scharfen Angriffen
gegen die Inquisition. Die in Niederländisch,
Deutsch und Französisch publizierte Bittschrift
unterstrich die Forderung nach sofortiger Auflösung
dieser Behörde mit der kaum verhohlenen Drohung
einer bewaffneten Rebellion. |
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300
Adlige ziehen zum Gouverneurspalast in Brüssel und
überreichen
Margarete von Parma ihre Bittschrift
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Lamoraal
Graf von Egmont |
Nach
Ansicht der Beschwerdeführer war die Inquisition nicht
nur unmenschlich, sondern untergrub das Recht und zerstörte
die Gesellschaft. Die Inquisition, sagten sie, würde
den Staaten die freie Rede nehmen, ihnen alle überkommenen
Privilegien, Rechte und Freiheiten rauben, sie würde
nicht nur die Bürger des Landes zu elenden und ewigen
Sklaven der Inquisitoren machen, die nichtswürdige
Menschen seien, sondern auch die Magistrate, Amtsträger
und den Adel von der Gnade oder Ungnade dieser Männer
abhängig machen.7
Die Generalstatthalterin hatte keine andere Wahl, als nachzugeben.
Sie verzögerte die Umsetzung der Ketzererlasse, bis
der König im fernen Spanien eine Entscheidung getroffen
hatte. Philipps Antwort, die eine Milderung verschiedener
Erlasse ankündigte, ließ jedoch so lange auf
sich warten, daß sie keinen Einfluß mehr auf
den Fortgang des Geschehens nehmen konnte. Es war am Brüsseler
Hof, daß der rebellische Adel erstmals »Gueux«
(Bettler) genannt wurde. In den folgenden Wochen und Monaten
unterzeichneten Aristokraten überall in Flandern, Brabant
und Holland die Petition, während in den Straßen
vieler Gemeinden aufgebrachte Menschenmengen den »Bettlern«
ihre Unterstützung zusicherten. Zur gleichen Zeit begannen
Kalvinisten außerhalb der Städte in allen Teilen
des Landes vor Hunderten, oft Tausenden von Menschen sogenannte
Heckenpredigten zu halten.
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Wilhelm
I. von Oranien
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Machtlos
schaute die Regierung zu. Am 10. August 1566 brach
eine Welle von Gewalt über die alte Kirche und
ihre Symbole herein. Nach einer Predigt nahe Steenvoorde
in Westflandern griff die aufgebrachte Menge ein Kloster
an und zerstörte alle Skulpturen und Bilder.
Rasend schnell zog der Bildersturm über das ganze
Land. Auch in den großen Städten wurden
Kirchen von »papistischen Götzenbildern
gesäubert«8,
deren Aufstellung als ein Verstoß gegen das
zweite göttliche Gebot verstanden wurde. Die
Übergriffe erfolgten oft spontan, vielerorts
waren sie jedoch von langer Hand vorbereitet. Eine
große Zahl der Bilderstürmer erhielt Tagelohn.
Die Ausschreitungen in Den Haag und Leiden fanden
unter dem Schutz bewaffneter Adliger statt. Die Grafen
von Culemborg und Batenburg befahlen auf ihrem Land
die Entfernung der Altäre und Bilder aus den
Kirchen. Die meisten Magnaten boten jedoch Margarete
von Parma Hilfe bei der Wiederherstellung der Ordnung
an, wenn die Regierung den Protestanten Gottesdienste
dort zugestand, wo diese bereits praktiziert wurden.
Auf dieser Grundlage wurde am 23. August ein Akkord
geschlossen. Für einige Zeit schien es, als würden
die gemäßigten Adligen unter Führung
Wilhelms von Oranien auf friedlichem Wege die Politik
des Königs beeinflussen und den Frieden zwischen
allen Konfessionen herstellen. Die Mittlerposition
des Prinzen geriet jedoch zusehends unter den Druck
sich verhärtender Fronten zwischen königstreuen
Aristokraten im Süden und denen um Brederode
im Norden, die zum bewaffneten Aufstand bereit waren.
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Wilhelm
von Oranien wurde als ältester Sohn von Wilhelm
dem Reichen und Juliana von Stolberg 1533 auf der
Dillenburg geboren. Mit elf Jahren erbte er von
seinem Cousin René van Chalon das Fürstentum
Oranien und eine große Zahl von Herrschaften
und Gütern in den Niederlanden. Um eine Bündelung
von zuviel Reichtum und Macht in der Hand des protestantischen
Hauses Nassau zu verhindern, forderte Kaiser Karl
V. Wilhelms Übertritt zum Katholizismus und
den Verzicht auf sein väterliches Erbteil.
Selbst die weitere Erziehung des jungen Prinzen
wurde den Eltern entzogen. Der besonderen Gunst
des Kaisers verdankte Wilhelm mit 21 Jahren die
Ernennung zum Kapitän-General. In Karls Armee
lernte er vor allem den Umgang mit schlecht ausgestatteten,
schlecht ernährten und schlecht bezahlten Soldaten.
Bei dieser für sein weiteres Leben wichtigen
Erfahrung zeichnete er sich durch eine besondere
Gabe aus, auf Menschen zuzugehen. Später sollten
Wilhelms Feinde darin einen der wichtigen Gründe
für seinen Erfolg erkennen. Nicht, weil er
schweigsam gewesen wäre, sondern seiner Verschwiegenheit
wegen nannte man ihn Wilhelm den Schweiger. In verschiedenen
Funktionen, die der besonderen Wertschätzung
des Kaisers zu danken waren, diente er viele Jahre
dem Hause Habsburg. Getrübt wurde das gute
Verhältnis zwischen Prinz und Herrscherhaus
erstmals durch die Eheschließung mit Anna
von Sachsen, als Wilhelm der Schwiegersohn des mächtigsten
protestantischen Reichsfürsten und Gegenspielers
des Kaisers wurde. Obwohl diese Ehe bereits 1575
wegen Annas leidenschaftlicher Affäre mit dem
Vater von Peter Paul Rubens annulliert wurde, gebar
die sächsische Prinzessin Wilhelms Erben. Der
nach seinem Großvater benannte Sohn sollte
die Niederlande aus der Verteidigung in die militärische
Offensive gegen Spanien führen - Prinz Mauritz
von Oranien.
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Und
so wenig sich der Kalvinismus auf die Gebiete aus
dem Akkord begrenzen ließ, so wenig fühlte
sich die Generalstatthalterin an die erzwungene Vereinbarung
gebunden. Am Ende des Jahres 1566 gab es nur noch
die Wahl zwischen Rebellion und Unterwerfung. Von
Margarete geworbene deutsche Söldnertruppen begannen
im Dezember, von den Wallonischen Provinzen aus das
Land zu befrieden. Die Entscheidung eines großen
Teils des Adels im Norden, nicht gegen den König
zu kämpfen, ließ jede bewaffnete Gegenwehr
aussichtslos erscheinen. Während Egmont und Horne
den von der Generalstatthalterin geforderten Treueschwur
leisteten, floh Wilhelm von Oranien auf die Dillenburg,
den Stammsitz seiner Familie. Wie er emigrierten Brederode,
Hoogstraten, Culemborg und andere prominente Adlige
nach Deutschland. Die Rebellion schien im Keim erstickt,
die Niederlande unterworfen.
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Bildersturm |
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