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Angst vor dem Atomkrieg
Aber nicht nur die Jugend sollte im Sinne der Friedenspolitik der
SED zum Mitmachen bewegt werden, auch andere gesellschaftlich relevante
Gruppen sind in der Agitation gegen den "Generalvertrag" angesprochen worden.
Bauern und Frauen sowie, allen voran, die Arbeiter sollten in Landwirtschaft,
Schwerindustrie und im Städtebau ihre sinnerfüllte, "friedenstiftende" Aufgabe
wahrnehmen. Deswegen könnte man in Betrachtung der Summe der Bildsujets,
die 1952 für den "Friedensvertrag" warben, den Eindruck gewinnen, daß weniger
konkrete Schritte zur Entspannung der deutsch-deutschen Beziehungen in Szene
gesetzt, als vielmehr ein allgemeines Bekenntnis zum neuen Staat und dessen
Regierung evoziert werden sollte. Friedenspolitische Symbolik wurde demnach
für die Staatspropaganda funktionalisiert.08
Neben der bekannten Friedenswerbung begann ab 1960 die Angst vor
einem Atomkrieg die Motivik der Antikriegsbilder zu bestimmen. "Atomkrieg
nein" von Hans Erni für die schweizerische Friedensbewegung
machte 1954 den Anfang der Atompilz-Ikonographie. Wie eine Art Montage
aus Ernis Entwurf und der Heartfieldschen KPD-Hand von 1928 ("Fünf
Finger hat die Hand") wirkt das Plakat von Heinz Wagner
"Schluß damit! Wählt die Kandidaten des Friedens!",
wobei die Hand die mit dem Totenkopf versehene Feuersäule zu stoppen
versucht.
Heartfield
selbst allerdings griff zu diesem Anlaß auf archaische Motive zurück, die
überzeitliche Gültigkeit besaßen. Der Globus, von der Atomkriegsschlange
umringelt, wird von einem das Tier der Sünde und des Todes im Würgegriff
haltenden Proletarierarm geschützt.09
Die gespaltene Zunge des Reptils formt ein Dollarzeichen und personifiziert
damit die kapitalistische Atommacht Amerika. Ursprünglich einmal war diese
Montage als Reproduktionsvorlage für die ab 1936 im Prager Exil erscheinende
"Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" (dort "Volksillustrierte" genannt) entstanden,
ebenso wie die bekannte Photomontage der von einem Bajonett aufgespießten
Taube, die 1960 ohne den Genfer Völkerbundpalast im Hintergrund mit der
Unterschrift "Niemals wieder" zu neuen Plakatehren gelangte.
Mit der Besonderheit des Ortes wurde die Bebilderung der Berliner
U-Bahn mit 73 Großplakaten zum Thema "Frieden der Welt" 1958 erklärt: "Zum
ersten Mal in der Geschichte der Berliner U-Bahn wurden Künstlern Reklameflächen
freigegeben für die Popularisierung der großen Idee des Friedens; der rechte
Ort für diesen Zweck, denn in den Untergrundbahnhöfen der Berliner U- und
S-Bahn suchten im zweiten Weltkrieg die Menschen Schutz vor den Bomben,
hier auch fanden Tausende einen qualvollen Tod, als im Jahre 1945 ›fünf
Minuten nach zwölf‹ SS-Massenmörder die Tunnel unter Wasser setzten …"10
Eine zweite Ausstellung folgte 1960, diesmal mit internationaler
Beteiligung. Wie schon 1958 dominierten Motive, die die Atomkriegsbedrohung
thematisierten. Das Plakat von Franz Kosseck ist ein Beispiel für die erste
Ausstellung; er setzte den Schriftzug "Ihr
könnt es verhindern!" über die Photographie eines kleinen Mädchens in
den nachtschwarzen Bildraum. Die Dunkelheit wird nur durch das Licht der
Atombombenexplosion gespenstisch durchbrochen. Im Kleinformat diente das
Plakat außerdem zum Wahlaufruf für die Volkskammerwahl in der DDR am 16.
November 1958.
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08 |
Vgl. H. Stoecker: "›Stalin, das
ist der Frieden!‹ - Die Stalin-Note vom 10. März 1952 und die
friedenspolitische Propaganda in der DDR", in: Parteiauftrag
…, 1996, S. 398. |
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09 |
Die Barockemblematik sieht in der
die Schlange im Würgegriff haltenden Gestik ein Symbol für
"entschlossenes Zupacken" im Sinne von "das eigene
Schicksal in die Hand nehmen", vgl. Henkel/Schöne: Emblemata
…, 1996, S. 642. |
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10 |
SAdK, Nachlaß Wittkugel, o.
Nr. |
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