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Frühstück im Freien.
Die Festkultur der DDR-Boheme
Unausbleiblich kommt die Frage nach dem Fest am Wochenende,
der Insel in Langeweile und Alleinsein, von einigen fast zwanghaft angesteuert.
Also gibt es meist auch ein Fest. Und spätestens mit den Stones beginnt
das Tanzen. Es ist einfacher als Reden, trinken sowieso. Für kürzere
oder längere Zeit fühlt man sich so wohl, so jung und auch den
anderen so nahe. Stichworte genügen, wenn man sich zehn Jahre kennt.
Das Bezugssystem ist klar eine sichere emotionale Basis, nichts
Böses kann passieren in dieser Nacht. Es gilt sich zu wehren gegen
das übermächtige, expandierende Grau jedes einzelnen Tages.
Barbara Berthold
Die sich neu und mit fortschreitender Zeit nur noch mithilfe
negativer Auslese etablierende Führungsschicht hat außer disziplinierenden,
also entweder korrumpierenden oder frustrierenden Machtdemonstrationen
nichts Festähnliches zu bieten. Durch keine Tradition zu Verantwortung,
Rechenschaftslegung, Ertragen von spöttischen Infragestellen erzogen,
ist sie unfähig, auch nur Ansätze einer zweiten, einer Lachkultur
zu ertragen. Bernd Wagner
Die zahlreichen Feste der ostdeutschen Boheme waren Manifestationen eines
anderen Lebensstils und zugleich Lichter im Alltag, wie der
Dresdner Bohemien und erwiesene Festeausrichter Matthias Griebel meint.
Sie waren zugleich öffentlich wahrnehmbare Gegenentwürfe zur
verordneten Feiertagskultur im Realsozialismus, die mit ihren Aufmärschen,
1.-Mai-Feiern und genormten Stadtbezirksfesten in der späten DDR
zunehmend zur Pflichtübung und üblen Farce gerann. Ein früher
Protest gegen die sinnentleerte offizielle Kultur des Festes waren bereits
die zahlreichen Wandergemeinschaften, die sich am Feiertag der Arbeiterklasse
lieber demonstrativ auf den Weg aus der Stadt in die unpolitische Natur
machten, anstatt auf den abgesperrten Straßen an den winkenden SED-Provinzchargen
vorbeizudedefilieren: Es war eine Gegenbewegung, die beispielsweise im
Freundes- und Hauskreis von Stephanie und Rolf Lindner in Erfurt eine
eigene Tradition ausbilden konnte. Ernst Hirsch, Filmemacher und Fotograf
in Dresden, kann sich sogar an nonkonforme 1.-Mai-Wanderungen erinnern,
die mit dem Hissen der in der DDR aus dem Stadtbild und Unterricht verdrängten
Sachsen-Fahne endeten.
Dieser Impuls verstärkte sich in den meist mehrtägigen Festen
der Boheme, an denen mitunter Hunderte von Gäste teilnahmen. Allein
bei den legendären Kinder- und Künstlerfesten in Dresden, die
von 1974 bis 1978 stattfanden, waren Teilnehmerzahlen um die 300 Besucher
keine Seltenheit. Bei den später vom Orgelbauer Kristian Wegscheider
als Gesamtkunstwerke organisierten Elbdampferfahrten waren sogar bis zu
500 Personen an Bord. Anlässe zum Feiern fanden sich schnell: Einmal
gab der 8. Geburtstag eines Künstlerkindes den Rahmen vor, ein anderes
Mal berief sich der Veranstalter auf ein vorgegebenes Thema, das vom Tropen-Fest
in einer für diese Zwecke über Gebühr aufgeheizten Drei-Zimmer-Altbauwohnung
bis zum jährlichen Fest des Heiligen Ernstes reichte. Die deftigeren
Anlässe hießen Ateliergelage, Tee-Fete,
Hippiefest, Kellersechziger am Elb-Ruß oder
arteten, wie die Dichterin Gabriele Stötzer beschreibt, in Thüringen
gar zu Freßfesten aus, deren Ziel darin bestand, möglichst
viel Blumenkohl zu konsumieren. Daneben gab es auch bürgerlich geprägte
Festtraditionen vom jährlichen Fest der Collage
im offenen Salon der Lindners in Erfurt, wo jeder Gast eine selbstgestaltete
Collage mitbringen mußte, bis zu den Notwehrfesten im Hause von
Christine und Steffen Heitmann in Dresden-Blasewitz. Eine überregionale
Bedeutung erlangten zwei von Dresdner Künstler veranstaltete Malerfeste,
zu denen unangepaßte Künstler aus dem ganzen Land anreisten.
Das erste fand am 29. Mai 1976 an der Dresdner Keppmühle statt, das
zweite wurde am 8. und 9. Oktober 1977 auf einem Grundstück des Pfarrers
Frieder Burghard im sächsischen Pfaffroda zelebriert. Das Keppmühl-Fest,
erinnert sich Michael Morgner, Mitbegründer der Künstlergruppe
Clara Mosch, war das wichtigste und schönste Künstlerfest
der DDR.(32)
Die Feste waren Vergewisserung eigener Stärke und immer auch eine
Melange aus künstlerischem Aktionismus, exzentrischen Selbstzinszenierungen
und einer gemeinschaftlich transzendierten heilen Welt. In
der intellektuellen Subkultur der DDR ist seit Anfang der 70er Jahre eine
regelrechte Renaissance von Festen zu konstatieren, deren Dimension weit
über das Maß des normalen Feierns hinausreichte. Vor allem
im südlichen Raum bildete sich eine eigenständige und faszinierende
Festkultur heraus.
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