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Inseln der Unordnung.
Ein Generationswechsel und die Installation einer Infrastruktur
Jene, meine Generation läßt sich übrigens
durch drei Daten eingrenzen: wenig oder kaum Bewußtsein der Zeit
vor dem 13. August 1961; zu jung, 1968 eine Meinung zu haben; gereift
in der letzten Tauwetterperiode der DDR, also zwischen Honeckers Machtantritt
und, etwa, der Biermann-Ausbürgerung 1976. Bis heute tragen viele
ihrer Vertreter Symptome von Mauer-Hospitalismus.
Uwe Kolbe
Ich bin schon in einer frustrierten Gesellschaft aufgewachsen.
Diese Enttäuschung ist für mich kein Erlebnis mehr, sondern
eine Voraussetzung.
Fritz-Hendrik Melle
Vielleicht besteht meine Generation (...) noch aus Aussteigern.
Nach uns kommt eine Generation, und die halte ich für viel wichtiger,
die ist gar nicht erst eingestiegen. Das ist der wirkliche Unterschied
zur Situation Mitte der siebziger Jahre. Wir wissen noch Bescheid. Wir
kennen sogar noch die Sprache der Macht. Wir haben unsere Aversion gegen
die Macht aus der Kenntnis ihrer Sprache, ihres Denkens. Die Generation
nach uns versteht die Sprache der Macht nicht mehr, versteht ihr Denken
nicht mehr und ist noch freier als wir. Wir mußten uns erst befreien.
Sascha Anderson
Der Riß im poststalinistischen Restraum DDR resultierte nicht aus
einem normalen Generationskonflikt, wie er in jeder Gesellschaft irgendwann
vehement die Ablösung eines in die Jahre gekommenen und nur noch
auf Machterhalt fixierten Establishments einfordert. Dieser genetisch
vorprogrammierte Bruch mit den Vätern war nicht entscheidend für
den gravierenden Dissens, der die DDR-Kultur, grob vereinfacht, ab den
frühen 70er Jahren in einen staatsloyal-kollektivistischen und einen
selbstbezüglich-individualistischen Teil trennte. Auch der Auftritt
einer ab Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre neu und vernehmbar
auf der gesellschaftlichen Bühne erscheinenden Generation hatte Ursachen,
die tiefer reichten. Die neue und damit vorletzte DDR-Generation, vom
Lyriker und Mitherausgeber der Untergrundzeitschrift Mikado, Uwe Kolbe,
als eine Generation der Hineingeborenen klassifiziert, wuchs
nicht direkt aus den Kinderschuhen in eine dissidentische Gegenwelt hinein.
Auch sie, betrachtet man sich die Lebensläufe und entscheidenden
Wendepunkte in den Boheme-Biografien, laborierte noch größtenteils
an derselben Krankheit wie ihre Vorgängerin: einem persönlichen
Kampf zwischen dem selbstinfizierten Ausbruchswillen und den gegensteuernden
Bindungskräften sozialistischer Sozialisation. Der entscheidende
Unterschied zu Vorgängergeneration war, daß die Inkubationszeiten
für dieses Leiden am System mit der fortlaufenden DDR-Geschichte
kürzer und die persönlichen Therapieerfolge größer
wurden. Für diese These spricht auch, daß der Rekrutierungsanteil
der Boheme aus den staatstragenden Mittel- und Funktionärsschichten
enorm war ein Umstand, der schon Volker Braun in seinem polemischen
Rimbaud-Essay reizte, den Aufruhr der jungen Künstler als einen biologischen
Befreiungsschlag zu interpretieren, der um so kräftiger erfolgen
mußte, je mehr die Aussteiger körperlich in die Herrschaftswelt
der Nomenklatura verstrickt waren. Auch wenn es, wie Braun anmerkt, längst
nicht nur Kinder der administrativen Beamten waren, die die
Boheme prägten, so ist deren Anteil doch nicht zu unterschätzen.
Die Liste der prominenten Über-Väter ist lang: Der
Stiefvater von Aljoscha Rompe, Bandleader von Feeling B, war ein führender
Kernphyiker und Mitglied des Zentralkomitees der SED; der Vater von Thomas
und Peter Brasch immerhin stellvertretender Kulturminister. Tatsächlich
traf für viele zu, erweitert Manfred Jäger die längst
nicht vollständige Auflistung, daß die Eltern (oder wenigstens
ein Elternteil) SED-Funkitonäre waren, manche sogar in einflußreicher
Position. Bei Katja Lange-Müller, Uwe Kolbe, Bert Papenfuß-Gorek,
Gert Neumann, Wolfgang Hilbig, Kurt Drawert u.a. steckte daher in der
(spielerisch frechen oder existentiell ernsten) Abkehr von der Zumutung
DDR auch die Abstoßung von väterlicher oder mütterlicher
Autorität.(44)
Schon in der Spät-DDR wurde vergeblich versucht, den tieferliegenden
Konflikt zwischen den nachwachsenden Aussteigern und ihren regierenden
Vätern als vorübergehende Sinnkrise zu interpretieren. Eine
Fülle von Podien wurde installiert, um dem signifikanten Problemstau
ein Ventil zu schaffen. So führte die Akademie der Künste Werkstätten
junger Kunst durch, bei denen von den Dresdner Autoperforationsartisten
bis zum theater Zinnober tatsächlich viele Protagonisten der widerständigen
Kultur zum Meinungsaustausch erschienen. Der Theaterverband lud in Zusammenarbeit
mit dem FDJ-Zentralrat zu Werkstätten junger Theaterschaffender ein,
wo man, mit FDJ-Geldern subventioniert, Leander Haußmanns Parchimer
Inszenierung von Alfred Matusches Kap der Unruhe als comicartigen
Abgesang auf die DDR genießen konnte. Auch bei den jährlich
stattfindenen Zentralen Poetenseminaren der FDJ in Schwerin spielte der
Generationskonflikt in zahlreichen Debatten ein Rolle. Diese Veranstaltungen
kitteten nichts, eher zeigten sie die Differenz noch deutlicher auf. Ich
glaube, du machst einen Fehler, warf Michael Apel als Disputant
in der Akademie der Künste ein, indem du einen Generationenkonflikt
beschreibst und damit einen Konflikt biologisierst, (...) ich glaube,
der Konflikt, der hier Generationskonflikt genannt wurde, ist ein ideologischer
Konflikt.(45)
In der Tat ist das genau der Punkt, der den entscheidenden Impulswechsel
markiert: vom kritischen Einverständnis zur beginnenden Total-Verweigerung.
Während sich frühere Generationen an den spürbaren Diskrepanzen
zwischen kommunistischem Ideal und realsozialistischer Misere abarbeiteten,
stiegen die neuen Protagonisten der Subkultur auf diesen für sie
nur noch unproduktiv wirkenden Dauerclinch gar nicht mehr ein. Sie ignorierten
die DDR in den Schranken der DDR(46),
wie es der 1963 geborene Hallenser Grafiker Moritz Götze formuliert.
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