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Tschekisten im Untergrund.
Die Boheme im Visier der Staatssicherheit
Jeder wußte, daß die Stasi zuschaut, und in
der Machtfrage gab es keine ernsthaften Zweifel, allenfalls Blauäugigkeit.
Das inszenierte Spektakel zog das Instrumentarium der Staatsmacht meist
unbewußt oder bewußt ins Kalkül. Spiel in den Kulissen,
Reibung als Reiz.
Manfred Wiemer
Unser Prinzip war das Alles-Öffentlich-Machen. Ich
wußte selbstverständlich, daß die Staatssicherheit viel
von mir weiß, aber im Grunde genommen war das ein offenes System
von Kommunikation. Wir haben alles öffentlich gemacht, ganz Erfurt
wußte immer Bescheid, wenn unsere Gruppe ewas Neues plante.
Gabriele Stötzer
Es war Teil der Strategie, davon auszugehen, daß
sich zwischen den oft über Hundert Teilnehmern einer Eröffnung
bzw. Veranstaltung immer Angehörige der Firma befanden,
um schnellstmöglich zum rapüport zu erscheinen und ihren Bericht
abzugeben. Es genügte, dies anzunehmen und entsprechend zu reagieren,
statt mit schlotternden Knien in jedem Gesicht zu forschen, jedes Wort
auf die Goldwaage zu legen oder rote Wimpel zur Tarnung ins Fenster zu
stellen.
Jürgen Schweinebraden
Der Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für
Staatssicherheit spielte in der eingangs kurz skizzierten Diskussion um
den
wert der künstlerischen DDR-Boheme eine wichtige Rolle. Unterstellt
wurde darin nicht nur eine fast lückenlose Überwachung, sondern
auch eine strategische Einflußnahme des MfS eine Hypothese,
die sich vor allem auf die Enttarnung von Sascha Anderson
und Reiner Schedlinski, beide Protagonisten der literarischen Prenzlauer-Berg-Szene,
stützte. Manche Disputanten gingen nach den spektakulären Enthüllungen
über die Stasi-Mitarbeit einstiger Schlüsselpersonen soweit,
daß sie von einer Simulation der intellektuellen Subkultur durch
die Staatssicherheit sprachen. Die vorliegenden Fakten sprechen allerdings
eine andere Sprache: So sollen nach wissenschaftlichen Erhebungen unter
den Mitgliedern der subkulturelle Szene etwa zwischen fünf und zehn
Prozent inoffizielle Staatssicherheits-Mitarbeiter gewesen sein; ein Überwachungsnetz,
das im Vergleich zur weitaus höheren IM-Dichte in offiziellen Kulturinstitutionen
noch als durchlässig gelten kann. Auch wenn solche Zahlenspiele nur
einen bedingten Aussagewert besitzen, weil eine dafür notwendige
Quantifizierung der subkulturellen Milieus aus heutiger Sicht ohne einen
spekulativen Charakter der Untersuchung kaum noch durchführbar scheint,
so spiegeln solche Erhebungen doch zumindest die politische Relevanz jener
vom Ministerium für Staatssicherheit observierten, feindbearbeiteten
und zum Teil auch zersetzten Gruppen, Zirkel und Kreise. Die
Dichte des IM-Einsatzes war regional unterschiedlich und punktuell enorm
allein im näheren Umfeld der Karl-Marx-Städter Künstlergruppe
Clara Mosch waren 121 private Stasi-Berichterstatter aktiv. Der Cottbuser
Performancekünstler und Maler Hans Scheuerecker, dessen Akten aus
dem letzten DDR-Jahrzehnt noch nicht vorliegen, hatte in der 70er Jahren
allein etwa 80 persönliche Geheimdienst-Berichterstatter, und der
Ostberliner Privatgalerist Jürgen Schweinebraden konnte in den 18
Bänden seines Operativen Vorgangs Arkade mehr als 110
offizielle und 70 inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit
entdecken, die sich mit seinem Fall befaßt zeigten.
Abgesehen von diesem hypertrophen und kostenintensiven Überwachungsapparat
stellt sich jedoch die weitaus entscheidendere Frage, ob es dem MfS durch
seine Präsenz wirklich gelang, jenes kulturelle Spaltprodukt nicht
nur mit Spitzeln zu durchdringen, sondern mithilfe eingeschleuster Mitarbeiter
auf deren Wirkrichtung und Binnenstruktur einen entscheidenden Einfluß
auzuüben. Diese Annahme kann nach Sichtung der SED- und Stasi-Akten,
dem kritischen Befragen von Zeitzeugen (aus der Alternativkultur und aus
der Staatssicherheit) und nach einer Durchsicht der ästhetischen
und politischen Statements dieser Jahre nicht aufrechterhalten werden(54),
konstatiert Klaus Michael in seinem Bericht vor der Enquete-Kommission.
In der Tat avancierten nur wenige Leitfiguren oder Protagonisten der Boheme
zu inoffiziellen Mitarbeitern des MfS. Neben Anderson und Schedlinski
seien hier einige Beispiele kurz genannt: Im Falle der Künstlergruppe
Clara Mosch gelang es dem MfS über Jahre hinweg, ein kooptiertes
Mitglied der Gruppe, den unter dem Decknamen Frank Körner
arbeitenden Fotografen Ralf-Rainer Wasse, als erstrangige Informationsquelle
zu postieren. Auf die Aktionen und Programmatik der Gruppe hatte er nach
Angaben der Mosch-Künstler keinen entscheidenden Einfluß, auch
wenn die Staatssicherheit ihre perfiden Maßnahmepläne durch
seine Informationen, die mitunter denunziatorischen Charakter trugen,
noch spezifizieren konnte. In der bereits 1982 gegründeten Punkband
Die Firma, die in der DDR-Subkultur der 80er Jahre Kultstatus erlangte,
arbeiteten gleich zwei wesentliche Akteure als Inoffizielle Mitarbeiter
des MfS: die Baßgitarristin und Sängerin Tajana Galler sowie
der Keyboarder Frank Tröger.
Daneben gab es auch eine Reihe von Fällen, in denen IMs auftragsgemäß
eine andere Öffentlichkeit inszenierten, um ihre herausragende
Rolle zu festigen oder dem MfS belastendes Material für eine Kriminalisierung
bestimmter Personen zuzuspielen, die in jenen Kreisen verkehrten. Hier
gab es vor allem in Dresden einige regelrechte Subkultur-Fallen:
In der in der Neustadt gelgenen Förstereistraße betrieb etwa
Sören Egon Naumann alias IMB Michael Müller
eine inoffizielle Privatgalerie, wo neben Ausstellungen auch Lesungen
und Parties stattfanden, über deren Verlauf und Hintergründe
er später minutiös berichtete. Der in zahlreiche Boheme-Kreisen
eingeführte Manfred Kiste Rinke alias IMB Raffelt
veranstaltete tagelange Feten in seiner Wohnung und bekochte diverse Boheme-Feste
im ganzen Land. Als hochrangiger Berichterstatter erhielt er von der Staatssicherheit
zusätzlich zum Monatslohn von zirka 1000 Mark auch ein Spesensalär,
mit dem er seine zahllosen Taxifahrten und den aufwendigen Lebensstil
finanzierte. Die Berichte aus den inneren Kreisen in Halle, Berlin und
Dresden, wo Kiste auch Zugang zu kirchlichen und politisch-oppositionelllen
Gruppen fand, waren dem MfS die sonst in dieser Höhe höchst
unübliche Investion offensichtlich wert.
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