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Pogo unterm Kruzifix, Diplomatie als Geleitschutz.
Die Schutzräume der Boheme
Das ist einfach ein Etikettenschwindel gewesen. Wir haben
eingeladen und so getan, als sei es ein diplomatischer Empfang. Aber im
Grund war es nur eine Vernissage. Das haben auch alle so verstanden.
Georg Girardet
Das hat sich dann zahlenmäßig so sehr ausgewachsen,
daß da 8.000, 9.000, 10.000 Menschen zu uns gekommen sind. Zunächst
noch in die Samariterkirche, und später, aus Platzgründen, in
die Erlöserkirche in Lichtenberg. Sie kamen aus der ganzen DDR, und
wir benötigten nachher 40 bis 60 freiwillige ehrenamtliche Mitarbeiter,
um das überhaupt aushalten zu können.
Rainer Eppelmann
Joseph Beuys bekam am 23. Oktober 1981 im Objekt 499, wie die Staatssicherheit
intern die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin an
der Hannoverschen Straße nannte, nicht nur Elogen zu hören.
Bis Mitternacht stand er stoisch auf einer Filzmatte im Gartensaal der
Vertretung, wo gerade eine Ausstellung seiner Werke aus der Sammlung Ulbricht
unter dem Titel Multiplizierte Kunst 1965 1981 eröffnet
wurde, und schrieb unermüdlich Widmungen in die Kataloge der zu einer
Warteschlange aufgereihten Besucher. Zu diesem erstrangigen Kunstereignis,
es sollte der erste und letzte Besuch von Beuys in der DDR bleiben, waren
mehr als 400 Intellektuelle und Kunstschaffende angereist, darunter auch
viele unangepaßte Künstler. Joseph Beuys hat dann sechs
Stunden gestanden und diskutiert, erinnert sich Georg Girardet,
damals Kulturreferent bei der Ständigen Vertretung und Initiator
der Exposition, es war eine spannende Aktion. Er ist auch mächtig
beschimpft worden von vielen Leuten, die ihn als Scharlatan bezeichneten.
Aber das hat ihn nicht gestört, es war ja seine Lebenserfahrung,
daß er die Leute polarisierte.(58)
Eigentlich hätte diese für die künstlerische Entwicklung in
der DDR äußerst wichtige Ausstellung gar nicht stattfinden
dürfen. Die Ständige Vertretung, 1974 in Ostberlin eröffnet,
hatte keineswegs den Status eines offiziellen Kulturinstitutes, in dem
öffentliche Veranstaltungen problemlos durchführbar waren. Deshalb
wurden die Ausstellungen in der StäV, so das interne Kürzel,
als Empfänge deklariert ein nötiger Etikettenschwindel,
basierend vor allem auf dem Engagement wechselnder Kukturreferenten, die
es trotz des spärlichen Jahresbudgets von 30.000 Mark ermöglichten,
in der Zweckarchitektur der Laube Kunst zu zeigen, die sonst
nirgendwo in der DDR zu sehen war.
Daher zog die Beuys-Präsentation erhebliche Kreise, insbeondere
unter freiberuflichen Künstlern, die sich von Verbandsfunktionären
den Besuch im Gartenhaus nicht verbieten ließen. Durch eine Unachtsamkeit
hatte zudem der RIAS über das Ereignis berichtet und in einem Kommentar
die nicht-öffentliche Ausstellung als eine öffentliche deklariert.
Das hatte zur Folge, daß in den nächsten Tagen etliche Busse
mit sächsischen Kunstinteressierten vor der Ständigen Vertretung
parkten, um sich die Beuys-Ausstellung anzuschauen. Ein nicht gerade ungefährliches
Vabanque-Spiel, wie Georg Girardet heute einschätzt, das aber, nachdem
der RIAS seine Meldung widerrufen hatte, glücklicherweise folgenlos
blieb. Wir wollten nicht die Kulisse für Diplomatenempfänge
abgeben, erinnert sich Rainer Haarmann, sondern haben die
Empfänge für unsere Intentionen genutzt.(59)
Dabei waren die Intentionen Rainer Haarmanns, von 1976 bis 1981 in der
Vertretung tätig, und seines Nachfolgers Georg Girardet, der von
1977 bis 1985 im diplomatischen Dienst stand, nicht vorrangig auf die
Hochkultur gerichtet. Frühzeitig interessierten sich beide Kulturreferenten,
angesiedelt im Referat 13 der Politik-Abteilung, für die intellektuelle
Subkultur. Aus persönlichem Interesse für die differenzierte
DDR-Kultur, so Girardet, kamen sie schnell in Kontakt mit den künstlerischen
Boheme-Kreisen etwa mit der Karl-Marx-Städter Künstlergruppe
Clara Mosch, dem Kreis um die Dresdner Obergrabenpresse sowie den Malern
und Dichtern, die in der Ostberliner Keramikwerkstatt von Wilfried Maaß
verkehrten. Am Anfang war es relativ kompliziert, diese Kontakte
aufzubauen und zu pflegen, berichtet Georg Girardet, weil
wir objektiv für diese Leute eine Gefährdung darstellten. Wo
wir auftauchten, wurden die Leute hinterher vernommen, befragt. Ab 1982
wurde das lockerer.(60)
Vor allem Rainer Haarmann knüpfte trotz dieser beschwerlichen Kommuniaktionsbedingungen
eine Vielzahl von Kontakten und Freundschaften mit zahlreichen unangepaßten
Künstlern, die in der Ständigen Vertretung bald mehr als eine
Möglichkeit sahen, interessante Westkunst sehen zu können. Dabei
war allein das Ausstellungprogramm von hohem Anspruch: Neben der ersten
Beuys-Präsentation in der DDR folgte im November 1982 eine Ausstellung
der jungen Wilden, an der unter anderem Rainer Fetting und Salomé
beteiligt waren und die für die neo-expressionistischen Tendenzen
in der DDR-Malerei durchaus anregend wurde. Zuvor hatten bereits Ausstellungen
mit Werken von Horst Janssen, August Sander sowie Bernd und Hilla Becher
stattgefunden. Daneben organisierten die Kulturreferenten der Ständigen
Vertretung Filmvorführungen und Jazzkonzerte eine Tradition,
die Rainer Haarmann bereits im April 1976 mit einem Konzert des Manfred-Schoof-Quintetts
begründet hatte. Damals kamen eine Vielzahl der wichtigsten DDR-Jazzer
und mehr als 400 Gäste in das kleine Gartenhaus, und die Veranstaltung
wurde anschließend mit der ersten deutsch-deutschen Jazz-Session
im Kinosaal des Künstlerklubs Möwe bis in die Morgenstunden
fortgesetzt. Die Ständige Vertretung wirkte für die Jazz-Szene
in dieser Zeit auch in anderer Hinsicht produktiv. Mitarbeiter wie Rainer
Haarmann organisierten Konzerteinladungen für ostdeutsche Jazz-Musiker
in den Westen und erzeugten durch ihr beharrliches Nachhaken bei den zuständigen
Staatsorganen, sofern diese Einladungen negativ beschieden wurden, für
eine Aufwertung der Szene. Wir haben die Aktenlage geschaffen,
urteilt Rainer Haarmann, daß diese Kunstform in den entscheidenden
Gremien präsent war.(61)
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