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Wolfram Adalbert Scheffler wächst in der sächsischen Industriestadt Karl-Marx-Stadt auf(4). Über seine frühen biografischen Hintergründe schweigt er beredt, nur die kindliche Faszination über einen nahen Verwandten dringt in Interviews manchmal in einem Nebensatz am Rande heraus. Der Großvater ist Zirkusdirektor in einem sächsischen Kleinzirkus, seine Livree bekommt einen Ehrenplatz in den Reisekoffern des verwandlungssüchtigen Enkels. Das nomadische Artisten-Prinzip nimmt Scheffler auf, auch heute noch wird er sagen, wenn man ihn danach fragt, daß er am liebsten in der Fremde lebt. Die verordnete Bodenhaftung des sozialistischen Systems hält ihn noch drei Jahre als Hilfsarbeiter in der Evangelischen Buchhandlung Max Müller, wo er halbtags mit dem Bleistift die Preise in die antiquarischen Bücher schreibt. Zusammen mit Rainer Klis, aus dem ein Prosaautor wird, und dem späteren Siebdrucker Andreas Boa Boa Bochmann, lebt er von 1977 bis 1979 ein vergnügtes, sich selbst tragendes Bohemeleben mitten in der Hauptstadt des DDR-Industrieproletariats. Von den wenigen originären Quellen im tristen Bezirksstadt-Ambiente hat Scheffler beizeiten gekostet. Die Arbeit mit dem Aktionskünstler und Zeichner Klaus Hähner-Springmühl(5) im gemeinsamen Atelier in der Richterstraße bleibt wohl der folgenreichste Lokalkontakt. Ein Jahr später ist Scheffler schon Student in Leipzig. Den Unterricht an der Hochschule für Bildende Künstler hält er nur kurz aus, bevor es ihn nach einer kurzzeitigen Rückkehr in die Heimatstadt endgültig nach Berlin verschlägt. Die Aufnahme in der Künstlerverband gelingt dennoch, auch durch die Unterstützung der in Karl-Marx-Stadt ansässigen Künstlergruppe Clara Mosch(6) und seinen Mentor, den Leipziger Maler Hartwig Ebersbach. Nach drei Monaten habe ich dort wieder abgeheuert, berichtet Wolfram Adalbert Scheffler über die Gründe seines Abschiedes aus der Malklasse der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. In irgendeinem Unterricht ging es darum die Diktatur des Proletariats zu beschreiben. Plötzlich sollte man zur Armee. Ich konnte und wollte das alles nicht mehr.(7) Thomas Roesler trifft bereits 1978 in der DDR-Hauptstadt ein. Zunächst wohnt der 19jährige Puppenspiel-Student in einem Neubau-Internat der Hochschule für Schauspielkunst. Im November 1980 ist aus dem hoffnungsvolen Talent bereits ein Transportarbeiter im Glühlampenwerk Narva geworden, später arbeitet er als Reinigungskraft im Kindergarten der Samariterkirchgemeinde. Zur Exmatrikulation an der Schauspielschule kommt es wegen einer Aktion im Stimmlokal seines Wahlbezirkes, als Thomas Roesler statt einwilligender Kreuzchen lieber einen demonstrativen Strich über den gesamten Wahlzettel macht. Zudem ist sein reich gefülltes Archiv provozierender Gesten selbst für Dozenten einer Schauspielschule zuviel. Es war den Leuten ein bißchen zu heftig, beschreibt Thomas Roesler die Gründe der Konfrontation. Daß ich das Jackett linksherum angezog und zuknöpfte, haben sie noch hingenommen. Auch daß ich im Hochsommer einen Schlitten durch die Straßen zog und mit einer Klobürste als König regierte. Aber das mit der Wahl war eine andere Kategorie. Dabei war das keine bewußte Aktion. Sondern ich habe diese Aschegesichter gesehen, diese Schamecke als Wählerkabine, und habe instinktiv gespürt, das geht nicht, das kannst du nicht machen.(8) Wolfram Adalbert Scheffler kommt wenig später, im Dezember 1981 nach Berlin. An seinem Abschiedsabend in der Karl-Marx-Städter Richterstraße lädt er die Freunde spontan zu einer Party ein und zertrümmert Möbel und bindende Hinterlassenschaften. Nur seine Bilder knallt der 25jährige Maler bei einem dienstleistungswilligen Karl-Marx-Städter Schrotthändler auf die LKW-Ladefläche und bezieht ein paar kalte Stunden später ein leerstehendes Atelier in der Dunckerstraße. Auch das ist unbeheizt und hat eine defekte Elektroanlage. Seine Kontakte zur Szene am Prenzlauer Berg entwickeln sich schnell. In den einschlägigen Treffpunkten, vom Cafe Mosaik bis zur Gaststätte Fengler in der Lychener Straße, spricht sich der Neuzugang schnell herum, zumal sein unerhörter Ruf als malerisches Vollbluttalent bereits vorausgedrungen ist. Ich fühlte mich sofort wohl. Berlin war neu, Berlin war größer. Sich da einzurichten, Kontakte zu bekommen und ein Leben aufzubauen, das ging übergangslos. Man lernte schnell Leute kennen in Kneipen. Dann gab es Parties. Das fand ich ziemlich wichtig, obwohl mir die eigentlichen Querschläger schon damals näher waren als dieser ganze Künstlerschwamm. Also ich fand die Leute interessanter, die sich selbst rauskatapultierten aus der Gesellschaft.(9) Thomas Roesler stellt seine Texte am 27.6.1982 in der bekannten Lesereihe von Ekkehard Maaß vor, ein Entree in der literarischen Szene. Der mit vorproduzierten Tonbändern bewältigte Vortrag weicht allerdings so stark von den üblichen Mustern ab, daß ein Besucher und gleichzeitiger Zuträger der Staatssicherheit auf einen eindeutig antikommunistischen Charakter(10) seiner Arbeiten schließt. Für die hermetischen Wohnungslesungen, bei denen er die immer gleichen Gesichter sieht, hat Roesler allerdings bald schon kein Interesse mehr. Im Sinne seiner Poetik, einer Poesie der Durchschlagskraft, versucht er dagegen in speziellen Inszenierungen, die Publikumswirkung erheblich zu potenzieren. Seine Texte versteht er weniger als hehre Literatur denn als Basismaterial für dramatische Effekte. Den Literaturdünkel vertreibt er dabei mit einer umgeschnallten Trommel, zu deren rhytmischen Schlägen er beispielsweise sein Manifest der Erinnerung zu Gehör bringt. Auch die Handhabung einer Spritzpistole, das öffentlich zelebrierte Rotweintrinken und Brathähnchen-Essen sowie der Wurf eines lebenden Karpfens ins Publikum tragen zur interaktionalen Bereicherung seiner Lesungen und zum privaten Mythos bei.
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