Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Die Inszenierung des Monologs “Ichs Apokalyptus” wird bei einem Auftritt im Leipziger Klubhaus NaTo sogar zum legendären Ereignis. Der Vortrag gerät zum ausufernden Happening, bei dem nach Angaben Roslers 15 Jazzmusiker, zwei Opernsängerinnen, ein gackerndes Huhn, ein laufender Außenbordmotor, ein Maschinist, zwei Maler und die Jazztänzerin Fine Kwiatkowski beteiligt sind. Während der Aktion thront der literarische Taktgeber im Abendanzug auf der Malerleiter und liest seinen Text von einer meterlangen Papierfahne ab – ein Spektakel, dessen historische Grundierung ihm damals nicht bekannt ist. Erst später im Westen erfährt Roesler, daß “dieses Thema Mr. Arno Schmidt bereits Jahrzehnte zuvor erledigt hat”(11). Dennoch ist das Leipziger Happening keine schlaffe Kopie – die enorme Wirkung rechtfertigt noch im Nachhinein den unbewußten Griff in die Traditionskiste. “Meine Stoßrichtung war immer, die Menschen zu verführen”, räumt Thomas Roesler ein, der sich in der DDR-Zeit das Pseudonym Tohm di Roes zulegt, “im Sinne von führen, auf einen anderen Weg bringen. Wenn man Verhaltensmuster ändern will, muß man den Leuten etwas wegnehmen – nämlich das erbärmliche Behagen und dieses Bauchkrabbeln mit der Wärmflasche. Deshalb war ich relativ radikal, nicht nur in den Texten, sondern auch in der Art und Weise, wie ich sie vorgetragen habe. Es war ein totaler Reflex auf eine totale Umwelt, der das Ich, die Individualität in einer Radikalität postulierte, daß einigen Leuten im wahrsten Sinne des Wortes schwarz vor Augen wurde. Aber das war die einzige Möglichkeit, diesem Druck, den ich empfand, etwas entgegenzusetzen.”(12)

Irgendwann hat es Wolfram Adalbert Scheffler satt, sich in seinen wechselnden Ateliers im Winter die Hände über einem Toaster zu wärmen. Da kommt das Angebot von Sascha Anderson, in der Keramikwerkstatt von Wilfriede Maaß auf der Couch zu schlafen. Scheffler willigt ein und so wohnt er fortan in der Schönfließer Straße. Um halb sieben steht der Maler auf, frühstückt mit der Tochter von Wilfriede Maaß und macht sich dann auf den Weg ins Atelier. So kommt es zu einem engen Kontakt mit Anderson, in dessen Dichter-Fangemeinde sich der skeptische Künstler allerdings nicht einreihen will. Aber es ist durchaus eine produktive Zeit: Gemeinsam stellen sie Künstlerbücher her, etwa die Abschiedsnummer des “Poesieallbums” und zwei Siebdruckbücher einer neuen Edition. Daneben bemalt Scheffler intensiv Keramik und stellt auch Plakate für Andersons Band Factory her. Im Atelier entstehen wichtige Bilder, mit der schnell trocknenden Acrylfarbe mitunter auf Hartfaserplatten gemalt. Etwa das Bild “Verwandlungskünste eines Zirkusdirektors”, in der sich Scheffler mit den prägenden Kindheitserinnerungen auseinandersetzt. Oder das dreiteilige Werk “Englische Erinnerungen”, auf denen der Künstler in mehreren Rollen gastiert. Aber bald ist dem Maler klar, daß seine Tage im Prenzlauer Berg gezählt sind. “Ich wollte die DDR als Lebensinhalt nicht herunterreißen bis zum Schluß.”(13)

Bereits 1984 stellt er einen Ausreiseantrag, die Wartezeit bis zur Übersiedelung nach Westberlin dauert indes über zwei Jahre. Ein Werk entsteht, von dem der Kunsthistoriker Eckhart Gillen schreibt: “Schefflers Bilder sind ironisch, ernst, elegant, übermütig, heiter und meancholisch. ‘Scherz, Satire und tiefere Bedeutung’ sind nicht auseinanderzudividieren. Der Künstler reflektiert die Möglichkeiten und Grenzen seiner Kunst. Er ist sich des artifiziellen Charakter seines Tuns bewußt. Im optischen Täuschungsspiel maskiert er sich ... Der Künstler als melancholischer Dandy auf der Suche nach Extravaganz istz die eleganteste, sublimste Form des Protestes (Elisabeth Lenk) gegen die Normalität des Zynismus.”(14)

Die große Chance als tragischer Zyniker zu enden, ist auch für Thomas Roesler einer der Gründe, die DDR zu verlassen. Auslöser ist allerdings eine heute kurios anmutenden Geschichte, die dem Dichter und Filmemacher, er dreht 1983 einen 17 Minuten langen Schmalfilm über die “7x7 Tatsachen aus dem Leben des Dichters Tohm die Roes” fast eine mehrjährige Haftstrafe eingebracht hätte. Dabei denkt sich Thomas Roesler nichts Schlimmeres, als zwei Polizisten bei ihm vor der Wohnungstür in der Schreinerstraße stehen. Sie ermitteln wegen Graffities im Hausflur. Dort haben Unbekannte Sprüche wie “Lindenberg lebt” und “SS-20 no!” mit der Spraydose hinterlassen. Da diese Textproduktion nicht das intellektuelle Kaliber Thomas Roeslers hat, empfängt er die Polizisten arglos in seiner Wohnraum. Dort liegt auf dem Schreibtisch als Briefbeschwerer ein funktionstüchtiger Taschenrevolver, den Roesler bereits als 16jähriger gegen eine Sonnenbrille eingetauscht hat. Den beiden entgeht der Sachverhalt nicht. Als sie noch Kleinkaliber-Munition im Haushalt finden, die Roesler bei einem Schießtraining in der Gesellschaft für Sport und Technik gestohlen hat, wird Roesler verhaftet. Die Anklage lautet auf illegalen Waffenbesitz. Im Verhör lassen die Ermittler durchblicken, daß Roesler mit fünf bis sieben Jahre Gefängnis zu rechnen habe. In der Nacht fällt sein Entschluß, die DDR zu verlassen – eine Entscheidung, die wenig später der eingeschaltete Rechtsanwalt Gregor Gysi möglich macht. Die Anklage wird fallengelassen, und wenig später verläßt Thomas Roesler das Land. “In dieser Nacht habe ich kein Auge zugemacht. Es war der Punkt, wo ich merkte, es geht weder als Untergrundkünstler noch als anerkannter Staatskünstler noch als Proteskundgebungsorganisator oder Flugblattdrucker. Der Preis war einfach zu hoch. Dieser beschissene Gartenzwergstaat mit seinen verlogenen unästhetischen Propaganda, das war er mir nicht wert.”(15)


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