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Die Lücke im RaumGegendruck in Dresden: Die 1978 gegründete Obergrabenpresse als Werkstatt, Verlag, Galerie und vitaler FreundeskreisMit Anekdoten schließen sich Kreise. Kurz nach der Wende, im Frühjahr 1990, wird der Dresdner Maler und Grafiker Eberhard Göschel auf der Suche nach einer neuen Kupferdruckpresse fündig. Von einem Kollegen bekommt er den Tip, daß in einem alten Provinz-Kulturhaus eine kolossale Presse ihr einsames und rostendes Dasein friste. Göschel setzt sich sofort ins Auto, gemeinsam mit dem gelernten Druckmaschinenbauer Bernhard Theilmann und dem Grafikdrucker Jochen Lorenz. Der Künstler-Kollege hat recht: In einer Kulturhaus-Kellerecke finden die drei Freunde tatsächlich eine abgestellte und verstaubte Kupferdruckpresse eine Maschine von Format, erheblichem Gewicht und enormer Dimension. Anfang des Jahrhunderts gebaut, vermag sie bis zu 105 mal 180 Zentimeter große Druckplatten fassen. Die drei legen auf der Stelle Hand an und bereiten den Transport vor. Über den Preis kann man reden. Der Betreiber scheint froh, daß die schwere Mitgift aus realsozialistischen Zeiten endlich Platz macht für Billardtische und Spielautomaten. Das war mehr als ein Glückstag, erinnert sich Bernhard Theilmann, heute so eine Maschine bauen zu wollen, wäre viel zu teuer. Da bekommt man zwei Nobel-Mercedes dafür.(1) Der Fundort freilich ist kurios. Die Kupferdruckpresse steht ausgerechnet im Kulturhaus der Chemiewerker in Bitterfeld. Dort wird am 4.4.1959 auf der Bitterfelder Konferenz(2) zum Sturm auf die Höhen der Kultur geblasen Ausgangspunkt und Inititialzündung einer kulturpolitischen Strategie, deren späte Auswirkungen Göschel und Freunde in Dresden über lange Jahre durch Argwohn, Bevormundung und Verboten zu spüren bekommen. Nun aber, ein paar Monate nach den turbulenten Herbstdemonstrationen von Leipzig, Dresden und Berlin, wechselt das gute Stück, das mit radierten Lenin-Porträts und affirmativen Milieustudien aus der sozialistischen Arbeitswelt früher die Ausstellungshallen zu den Arbeiterfestspielen füllen half, vom ehemals staatstragenden Platz in die dissidentische Ritze. So heißt das Domizil der Obergrabenpresse in der Dresdner Ritzenbergstraße 3, ein ehemaliger Nähmaschinenladen in der Neustadt, in der die selbstverwaltete Werkstatt und Galerie gleichzeitig auch unabhängiger Verlag und Treffpunkt eines vitalen Freundeskreises seit 1983 beheimatet ist. Weit über Dresdens Stadtgrenzen hinaus wird dieser Ort zur Metapher eines selbstbestimmten Künstlerlebens. Über mehr als zehn Jahre hinweg hat die Obergrabenpresse unter den Bedingungen der DDR souverän und gelassen, mit höchsten Ansprüchen an die künstlerische Qualität, ein Konzept realisiert, resümiert Detlef Krell, das nach geltenden Gesetzen und postulierter Politik gar nicht hätte denkbar sein sollen.(3) Die Geschichte der Obergrabenpresse beginnt in der kulturpolitischen Eiszeit nach der Biermann-Ausbürgerung. Bereits 1977 kommen die Maler und Grafiker Eberhard Göschel, Peter Herrmann, Ralf Winkler (A.R. Penck) sowie der mit Druckmaschinen vertraute Dichter Bernhard Theilmann auf die wegweisende Idee, gemeinsam Mappen und Text/Grafik-Folgen zu edieren. Im Atelier von Peter Herrmann steht noch eine rund 400 Kilogramm schwere Mailänder Andruckpresse, Baujahr 1908. Leicht lädiert zwar, aber für einen Fachmann wie Theilmann wieder zur reparieren. Mit vereinter Muskelkraft schaffen sie die vorher fachmännisch in transportable Einzelstücke zerlegte Maschine in die Gostritzer Straße 92 am Dresdner Stadtrand. In einem zweigeschossigen Flachbau, im Erdgeschoß ist eine Sanitärtischlerei mit der Herstellung von Toilettendeckeln beschäftigt, lebt und arbeitet A.R. Penck. Der Weg ins Atelier führt über eine kraftraubende Außentreppe. Nach der nötigen Rekonstruktion und ersten vielversprechenden Versuchen wird die museal anmutende, aber wieder gebrauchsfähige Presse 1978 erneut mit gehöriger Kraftaufwand umgesetzt in das ehemalige Atelier von Eberhard Göschel im Obergraben 9. Nun braucht man nur noch einen versierten Mann, der auf der Mailänder Maschine auch Radierungen drucken kann ein hochgestecktes Anforderungsprofil, gibt Theilmann zu: Auf einer Andruckpresse Radierungen drucken, das ist, wie mit einem Trabant eine Weltreise unternehmen.(4) Die Wahl fällt schließlich auf Jochen Lorenz, den Theilmann seit langem kennt. Lorenz hat sich früher im Abendkurs an der Kunsthochschule bereits an Drucktechniken versucht. Im normalen Arbeitsleben ist er als Offsetdrucker bei der Reichsbahn tätig, zuständig für die pünktliche Herstellung der Fahrplan-Aushänge orangefarben für die Abfahrt, weiß für die Ankunft. Es macht keine große Mühe, den angestellten Drucker für das freie Projekt zu gewinnen. Doch Presse und Künstler verlangen viel Aufwand an physischer Kraft und Zeit. Also nimmt Lorenz zunächst öfter Krankentage, später kündigt er ganz und wird mit ein wenig Glück sogar Mitglied des Künstlerverbandes. So ist er juristisch abgesichert und besitzt eine reguläre Steuernummer.
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