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Mit den erdnahen Problemen eines Kellers wie Inge Thiess-Böttner braucht sich die 38 Jahre jüngere Kollegin Claudia Reichardt nicht mehr herumschlagen. Die Zeiten ändern sich, selbst in der DDR. Ihr selbstgewähltes Refugium ist kein leerstehendes Untergeschoß in einem verfallenen Mietshaus aus der Gründerzeit, sondern eine Millionärsvilla im noblen Dresdner Stadtteil Blasewitz. Nur der marode Bauzustand ist vergleichbar. Die Villa Marie, um 1860 in italienischem Stil erbaut, steht in herausragender Elbuferlage im unmittelbarer Nähe des Blauen Wunders. In der DDR verfällt das einstige Schmuckstück, nachdem der letzte Besitzer enteignet und das Haus an die ohnehin hoffnungslos überforderte Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) übertragen wird. Somit steht die Villa Marie, Anfang der 80er Jahre von der Bauaufsicht für unbewohnbar erklärt, größtenteils leer und dient nur gelegentlich der Defa als Filmkulisse. Diese Chance nutzt die blutjunge, aber couragierte Claudia Reichardt. Nach einem bereits nach zwei Semestern abgebrochenem Binnenhandels-Studium in Leipzig besetzt sie ohne viel Aufhebens 1982 den idyllisch gelegenen zweistöckigen Architektensitz, deren prägnanter Turm fortan als Wahrzeichen geglückter Landnahme in die Elblandschaft ragt. Zusammen mit einer Handvoll Dresdner Künstler, darunter auch Konrad Maaß, etabliert Wanda, wie Claudia Reichardt in der kulturellen Szene bald heißt, einen nonkonformen Lebensstil. Mit ein eingen Tricks gelingt es ihr, sich die einstmals vornehme Adresse Fährgäßchen 1 als Hauptwohnsitz in den Personalausweis stempeln zu lassen. Damit gilt sie als rechtmäßige Mieterin, die man nicht einfach wieder vor die Tür setzen kann. Toleriert wird die Hausbesetzung wohl auch deshalb, weil die KWV keine Handwerker für die nötigen Reparaturen hat und die Künstler selbst Hand anlegen. Man bietet der energischen und mit organisatorischem Talent agierenden Ex-Studentin sogar den Kauf der lästigen Villa an für den Spottpreis von 2.000 Mark. Wenn ich daran denke, könnte ich mich im Nachhinein noch schwarz ärgern, damals diesen Schritt nicht gewagt zu haben, erzählt Claudia Reichardt, jetzt bei der künstlerischen Profilierung des Hellerauer Festspielhauses aktiv beteiligt. Aber die Summe war für mich kein Pappenstiel. Zudem wollte man nicht unbedingt ein Klotz am Bein haben.(10) Heute ist die Villa Marie, unter anderem von dem Münchener Immobilienmakler und Kunstsammlerr Otto Bantele erworben, sauber saniert und wohl mindestens das 1.200fache des damaligen Angebotes wert. Ein im Haus untergekommenes italienisches Nobelrestaurant verwendet zur Imagewerbung Fotos, die in den wilden 80er Jahren im und um das Künstlerhaus entstanden sind: Künstlerfeste, Atelierblicke, Interieurs, Stilleben von seltener Poesie wie etwa eine verlassene Tafel im Garten, auf der vom Griebenschmalz bis zum Obstwein noch alle Zutaten des Künstlermahls stehen. Es sind spinnwebenverhangene Momente aus der jüngsten Vergangenheit, die auf den perfekten Baryt-Abzügen bereits sechzig Jahre älter erscheinen. Bantele will zu all der Pracht und Noblesse auch noch eine Schiffsanlegestelle bauen lassen, verspricht ein lokalgeschichtlicher Stadtteil-Führer, damit künftige Besucher stromabwärts der Elbe ohne Stau mit dem Wassertaxi herüberkommen können.(11) Zehn Jahre zuvor hätte solches Szenario bestenfalls als verlogener Kitsch-Entwurf im Stile eines Was-würde-im-Westen-alles-anders-sein gewirkt. Statt um illuminierte Pendelboote sorgen sich die Hausbewohner eher um die defekten Stromleitungen, statt hochglänzender Marketingbroschüren ist die Galeristin Wanda schon froh, in illegaler Aktion einige Aufkleber und Einladungen gedruckt zu bekommen. Seit Mai 1986 führt Wanda in der Villa Marie Ausstellungen und Aktionen durch, erst in einem Teil ihrer Wohnung, später dient eine leergezogene Etage als Ausstellungsraum. Für die Feste und Performances greift man auf den Garten zurück. Ihre Galerie nennt sie wegen der anfänglichen Ausrichtung auf künstlerische Fotografie fotogen. Das Konzept hat sich dann schnell als zu eng erwiesen, gibt sie zu Protokoll. Der Name blieb, weil er sich eingefahren hatte.(12) Anders als Thiess-Böttner verfolgt Wanda den Anspruch einer professionellen Galeristenlaufbahn. Das in der DDR zu erlangende Rüstzeug holt sie sich in wechselnden Jobs bei staatlichen Dresdner Galerien. Ihre ersten Ausstellungen bieten mit Thomas Floerschuetz, Micha Brendel und Boris Ogrissek führende Fotokünstler auf. Später beginnt Wanda mit einer Gemeinschaftsausstellung dreier Bildhauer-Absolventen, die als Gruppe Meyer in Erscheinung treten, auch andere Genres ins Programm zu nehmen. Ähnlich wie Gerd Harry Lybke bemüht sich auch Wanda frühzeitig um eine professionelle Dokumentation, kann allerdings mit dem gesetzten Standard des Leipziger Eigen+Art-Betreibers nicht mithalten. Dafür fehlen Zeit und die nötige Mitarbeiter-Crew. Zumindest aber werden alle Ausstellungen fotografisch dokumentiert, ab der fünften Exposition erscheint neben der obligaten Einladungskarte auch ein druckgrafisches Künstlerplakat. Zum aufwendigen Moosrose-Projekt, ein gestalteter Kunst-Tag anläßlich des letzten Laufes des Rennpferdes Moosrose, erscheint erstmals ein Katalog. Im OV Skulptur versucht die Staatssicherheit, den Überblick über die vielfältigen Aktivitäten Wandas nicht zu verlieren. Ihre republikweite Ausstrahlung und ihr bis in den Westen reichender Bekanntheitsgrad sichern allerdings eine gewisse Kontinuität: Ausgehend davon, daß die R. (Reichardt, d.A.) eine Vielzahl Kontakte zu opertaiv-bekannten Personen des politischen Untergrundes unterhält und auch bereits in der BRD und Westberlin mit ihrer galerie fotogen bekannt ist, sind nur solche Maßnahmen einzuleiten, die unanfechtbar sind und in Übereinstimmung mit den gegegwärtigen Grenzen des kulturpolitischen Spielraumes stehen. Ziel muß es sein, die R. mit ihrer Ausstellungstätigkeit stärker staatlich zu binden und sie somit dem Untergrund zu entziehen.(13)
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