Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
Übersicht

So kommt es auch: Knapp 10.000 Besucher reisen aus der gesamten DDR zum einzigartigen Herbstereignis an, das klimatisch eher ein kulturelles Tauwetter suggeriert. Zudem findet der Herbstsalon, ein Teil des Kalküls, zeitgleich mit der internationalen Dokumentarfilmwoche statt. Im grauen Leipzig übersehen die zahlreichen Korrespondenten das farbkräftige Ereignis nicht. So dringt die Aktion ungefiltert in den Westen: Heinz Klunker etwa berichtet im Deutschlandfunk vom verweigerten Gehorsam einer kühn auftrumpfenden Künstlergruppe(9). Euphorische Feuilleton-Berichte in den meinungsführenden Blättern zitieren programmatisch den Titel einer Bildfolge von Günther Firit, die in der Ausstellung zu sehen ist: “Vier Versuche, sich mit einer Situation nicht abzufinden.” Die Journalisten halten sich an die Verabredung, ihre Beiträge erst nach dem Ende des Salons unterzubringen. So führt die Publizität zu keiner Kurzschlußreaktion. Für seine Kritiker, allen voran Ursula Ragwitz(10), die graue Eminenz der DDR-Kulturpolitik, bleibt der 1. Leipziger Herbstsalon trotz Duldung ein konterrevolutionäres Machwerk, und das nicht vorrangig wegen der gezeigten Werke. Mit denen hätte und hat man sich auf kurz oder lang arrangiert, auch wenn der Formenkanon der Salonisten im Widerspruch zum ästhetischen Repertoire der als Leipziger Schule bekannten Vorzeige-Realisten steht. “Wir hatten als einzelne Künstler durchaus Möglichkeiten auszustellen”, räumt Günther Huniat ein. “Aber wir waren einfach mit der Situation unzufrieden, daß hier eine ganze Generation in Vergessenheit geriet.”(11)

Nicht die künstlerische Revolte ist die Lunte am Pulverfaß. Der Skandal entbrennt vielmehr, weil die forsch operierende Truppe das Ausstellungsmonopol des Staates bricht, fast beiläufig in großem Stil – zudem in einer formvollendeten Inszenierung, die man im Nachhinein als herausragendes Konzeptkunst-Beispiel rezipieren kann. Für seine Bewunderer ist der Leipziger Herbstsalon gerade wegen dieses clever umgesetzten Szenarios ein bahnbrechendes Kunstereignis: ein offensiver Schlagabtausch zwischen dem Apparat und einer an den Rand gedrängten Künstlergeneration.

Nach jahrelangen, meist vergeblichen Kämpfen um Aufträge, Westreisen und neuartige Ausstellungskonzepte kündigt das Leipziger Sextett mit dieser frontalen Attacke den bislang bindenden Konsens auf. In einer vom VBK-Zentralvorstand angeforderten Sofortinformation stellt denn auch Dietmar Moosdorf, Vorsitzender des Bezirksverbandes, den Herbstsalon als Höhepunkt einer bereits seit langem von der Künstlergruppe verfolgten Strategie hin. “Die Aktivität ‘Herbstsalon’ muß m. E. im Zusammenhang mit allen früheren Aktionen ähnlich gelagerter Art gesehen werden, bei denen die Autoren des ‘Herbstsalons’ u.a. Verbandskollegen in wechselnden und einander tangierenden Zusammensetzungen auftauchen (...) Alle Aktivitäten zielen mehr oder weniger (...) darauf hin, die angeblich ‘verkrusteten Verbandsstrukturen’ aufzuweichen, die gewählten Leitungsgremien personell mehr oder weniger oder gar total umzuwerfen, die Leitungebenen zu unterlaufen bzw. ‘eroberte’ Leitungsfunktionen zu mißbrauchen, die im Statut festgelegte kultur- und kunstpolitische Linie zu durchbrechen und von einer Aktivität zur anderen die ‘Grenzen’ auszuloten, auszunutzen und weitergehende Möglichkeiten zu testen.”(12)

Die hier ziemlich präzise beschriebene Taktik der Gruppe beginnt schon Mitte der 70er Jahre. Bereits 1977 haben die späteren Herbstsalonisten ein gemeinsames “intermediales Projekt” geplant. Tangente I soll es heißen und verschiedene Künste experimentell zusammenführen. Im Leipziger Informationszentrum am Sachsenplatz sind bereits die Räume gebucht. Selbst der Rat des Bezirkes hat Gelder versprochen. Doch die Aktion wird in letzter Minute abgeblasen, aus einer urplötzlichen Angst vor der ungewohnten Kollektiv-Courage der jungen Hochschulabsolventen und neuen Verbandsmitglieder heraus. Gefunden haben sich die Freunde zuvor in Günter Huniats großzügigem Gartenatelier im Arbeiterbezirk Stötteritz. Der “Garten”, so heißt das Areal an der Holzhäuser Straße im Szenejargon, funktioniert bis über das Ende der DDR hinaus als kommunikative Schnittstelle zwischen den unangepaßten Künstler-Milieus. Ab 1980 dient ein vorgelagerter Teil zugleich als Freiluftgalerie(13). Vom zuständigen Rat des Stadtbezirks finanziell unterstützt, finden hier zweimal im Jahr bisweilen spektakuläre Ausstellungen statt, die Huniat anfangs mit seinem zeitweiligen Atelierpartner Frieder Heinze in Eigenregie konzipiert.

Zugleich dient die rustikale zweistöckige Laube als Hauptquartier der Künstlergruppe. Trotz unterschiedlichem Naturell und künstlerisch weit auseinanderliegenden Positionen formt sich in der Mitte der 70er Jahre hier ein Künstlerbund, der “seinen Gegner”, so formuliert es Grimmling, vorrangig “in den von den Leipziger Malerkönigen dominierten Machtstrukturen sieht.”(14)

Diese festgefügte Hierachie gilt es zu erschüttern. Seit Beginn der 80er Jahre registriert die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit den verstärkten Versuch der Gruppe, “unsere Auffassung von Weite und Vielfalt des Realismus ‘uferlos’ auszudehnen und durch die Konzeption vom Pluralismus der Stile, Formen, Gestaltungsweisen und weltanschaulichen Haltungen zu ersetzen.”(15) Die Maler lassen sich gezielt in Leitungsfunktionen wählen und nutzen dann die gewonnenen Freiräume. Geschützt von ihren Funktionen geben sie eine zeitlang das verbandsinterne Faltblatt Fliegende Blätter heraus, in der bisherige Tabuthemen unverblümt zur Sprache kommen. In den Diskussionsrunden im Coffeebaum geht es noch eine Spur härter zur Sache. Vor allem die leidige Westreisenregelung ist eines der feurig diskutierten Hauptthemen. Wenige Monate vor der Herbstsalon kommt es bereits zu einer offenen Provokation. Hans Hendrik Grimmling und Günter Huniat starten eine Unterschriftenaktion, mit der sie gegen die bislang geübten “Praktiken der Reiseantragsbearbeitung” protestieren. Immerhin 46 Unterzeichner finden sich. Sie fordern, daß künftig “auf schriftliche Anträge verbindliche schriftliche Antworten erteilt werden” und daß “klare Kriterien der Antragsgewährungen fixiert und im Mitteilungsblatt des ZV (Zentralvorstandes des Verbands Bildender Künstler, d.A.) bekanntgegeben werden.”(16) Ein forscher Ton, der nicht gerade auf das Verständnis der Partei-Kulturbürokratie stößt. Die lange gehegte Hoffnung auf interne Wandlungsprozeße trägt für die Gruppe nicht mehr.


Vorherige Seite           Seitenanfang           Nächste Seite