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Es sind die schmerzhaften Geburtswehen einer künstlerischen Profilierung, die Lybkes Projekt seitdem auf die internationalen Pfade des Kunstmarktes führt. Weit weg von sächsischer Bierseligkeit und verklärter Jugendemphase, fernab vom geschlossenen System Leipziger Kunstfertigkeit. Lybke knüpft und erweitert sein Netzwerk — vorerst durch Kontakte zu westlichen Kunsthistorikern, Publizisten und Kuratoren. Später stellt er auch westliche Künstler aus. Ein Teil seines Leipziger Freundeskreises reagiert auf die Konzepterweiterung hilflos oder mit Unverstand, vor allem als das Programm der Eigen+Art in offiziellen DDR-Ausstellungsführern auftaucht und die ersten Besprechungen in der Presse erscheinen. "Was war von der Aura des 'Untergrundes', der 'Gemeinschaft Gleichgesinnter' oder (auch oppositioneller) Verweigerung zu halten", faßt Frank Eckart den subkulturellen Sinnstreit um die Eigen+Art zusammen, "wenn das Ausstellungsprogramm in offiziellen Ausstellungskalendern aufgenommen und besprochen wurde? Institution, Vereinnahmung und Anpassung sprachen einzelne Disputanten gelegentlich als synonyme Begriffe an. Kollektive Gegenbilder und gemeinsames Engagement, das zeigte die Diskussion deutlich, wirkten nicht mehr als Grundlagen der Arbeit. 'Utopia, die Insel im staatlichen Meer: Das kann E+A nicht leisten.'" (21) Gerd Harry Lybke steuert sein Galerieschiff unbeirrt aus dem Süßwassertümpel in die offene See. Was nützt die moralisch legitimierte Selbstbescheidung, wenn der Wind längst aus anderer Richtung weht? Was sollen ihm noch die Rituale der Provinz-Boheme, wenn er auch mit international einflußreichen Kulturförderern wie Arend Oetker und Bernhard Freiherr von Loeffelholz Pläne schmieden kann? Doch Judy hebt nicht ab. Mit fast stoischer Heiterkeit erträgt er die Hahnenkämpfe an der bröckelnden Heimatfront. Das Projekt "Allez! Arrest" wird im März 1988 nochmals zur avantgardistisch gefärbten Aktion. Else Gabriel, Micha Brendel und Rainer Görß — die zusammen mit Via Lewandowsky als Autoperforationsartisten bereits vor der Wende zu einigem Ruhm kommen — schließen sich für zehn Tage in der Eigen+Art ein. Kunst gegen Lebensmittel heißt ihr Konzept. Die während des freiwilligen Exils geschaffenen Werke werden zur abendlichen "Sprechstunde" gegen Thüringer Salami und Unmengen von Butter getauscht, die wiederum Bestandteil fetthaltiger Kunstwerke werden. Mit solchen Aktionen wird die Galerie Eigen+Art nicht nur zum tonangebende Kunstort in der Spät-DDR, sondern auch zum obskuren Objekt der Begierde für eine nachwachsende Funktionärsgeneration, die sich mit der vitalen Kraft ehemaliger Underdogs in die 90er Jahre retten will. So kommt es zu Avancen, denen sich Lybke nicht grundsätzlich verschließt: Im November 1988 wird er Kandidat des Künstlerverbandes. Ohne Studium und ohne Parteibuch — ein Zeichen des kulturpolitischen Umschwunges, der in der VBK-Bürokratie etwa von Jürgen Kuttner forciert wird. Noch kurz vor Toresschluß plant der in der Sektion Kunstwissenschaft arbeitende Jungkader mit der Integration der Eigen+Art ein " kulturpolitisches Pilotprojekt". Lybkes Galerie soll zum Aushängeschild eines kulturellen Kurswechsels aufgebaut werden. "Für eine solche Möglichkeit", argumentiert Kuttner in einem Thesenpapier, "spricht Lybkes Realismus. So hat er zum Beispiel keinerlei Interesse an Westpropaganda, weist jedem Westkorrespondenten die Tür und begreift als sein Ziel- und Arbeitsfeld die DDR. Vor dem Hintergrund relativ hoher Ausreisezahlen von Bildenden Künstlern, hat Lybke eine nicht zu unterschätzende Pufferfunktion, zwischen der 'militanten Szene' und relativ zurückgebliebenen Kulturfunktionären."(22) Planspiele ohne Relevanz, bei denen der toughe Regisseur Kuttner, nach der Wende kultiger ORB-Moderator, schon wenig später zur traurigen Figur avanciert. Die Dynamik des Umbruchs geht mit Macht über diese Wachablösungsszenarien hinweg. Der Implosion der DDR geht das Ende der spätstalinistischen Kuluturpolitik voraus. Performances und Aktionskunst-Wochen sind nun auch in staatlichen Galerien und Kulturhäusern möglich. Eine völlig neue Situation entsteht, in der sich Gerd Harry Lybke eher abwartend verhält. Noch bevor er in die weit geöffneten Arme des Kulturestablishments sinkt, fällt die Mauer und platzen die bunten Seifenblasen der DDR-Reformer. "Kein Grund zur Überheblichkeit" wirft er im Rückblick selbstkritisch-schmunzelnd ein, "wir haben eben nur keine Chance gekriegt, korrupt zu werden."(23)
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