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Mauerbau und Bildersturm

Kampf um einen Hinterhof: Die "Jenaer Hofvernissagen" von 1986 - 1988 zwischen trickreicher Selbstbehauptung und spätsozialistischer Willkür

Der Multicar mit dem polizeilichen Kennzeichen NF 62-00 transportiert am 29. Juli 1988 eine brisante Last. Die stämmigen Fahrer, beide im Blaumann der städtischen Gebäudewirtschaft, ahnen nicht, daß die metergroßen Gips-stücke und bemalten Holzplatten, die auf der offenen Lade-fläche ihres rumänischen Kleinlastwagens mit ohrenbetäubendem Lärm hin- und herscheppern, mehr sind als wertloser Müll, den sie auftragsgemäß "der Vernichtung zuführen" (1) sollen. Nur ein wenig wundern sie sich schon über die kurzhaarigen Typen im weißen Lada, der ihnen im Zuckeltempo folgt. Auf der gesamten Fahrt von der Jenaer Innenstadt bis zur Mülldeponie Großlöbichau, wo die Männer ihre Fuhre schließlich abkippen und kurze Zeit spä-ter irgendwie erleichtert in die Betriebskantine zu Schweinskotelett mit Mischgemüse entschwinden.

Was die beiden Multicar-Fahrer nicht wissen können oder wollen - sie befördern keinen lästigen Spermüll. Vielmehr die verräterischen Reste nonkonformer Kunst, die im wahrsten Sinne des Wortes unter den Vorschlaghammer spätstalinistischer Kulturpolitik geraten war. Bei den Kunstwerken, die an diesem Sommervormittag von Arbeitern des VEB Gebäudewirtschaft mit einer Schrotsäge und dröhnenden Hammerschlägen auf einem Jenaer Hinterhof zerstört und anschließend von ihren Kollegen zur städtischen Müllkippe gefahren werden, handelt es sich um zwei überlebensgroße Gips-Plastiken der Bildhauerin Eva Anderson, sowie um ein auf Preßspanplatten gemaltes Ölbild Detlef Schweigers, das vor der Zerstörung fünf mal anderthalb Meter mißt.

Beide Künstler leben in Dresden und sind im staatlichen Künstlerverband integriert. Das schützt allerdings nicht vor dem Zugriff der Jenaer Brachialhandwerker, die auf Weisung des stellvertretenden Jenaer Oberbürgermeisters Krause handeln, der wiederum die Anordnungen der SED-Kreisleitung in die Tat umsetzt. In einer eilig angesetzten Dienstberatung hatten die Verantwortlichen zwei Tage vorher "zur Herstellung der äußeren und inneren Sicherheit" (2) die prompte Entfernung der "künstlerischen Machwerke" (3) entschieden. Geschützt durch mehrere VoPo-Mannschaftswagen und ein zivil gekleidetes Kommando der MfS-Kreisdienststelle Jena gehen die beauftragten Arbeiter an ihr bilderstürmerisches Werk. "Wir waren total geschockt", erinnert sich Eva Anderson an die Nachricht über die Zerstörung ihrer zweieinhalb Meter hohen Figuren, "weil wir nicht geglaubt hätten, das so etwas in dieser Zeit überhaupt noch möglich ist." (4)

Was trieb die Jenaer Lokalpolitiker zu solch einer maßlosen Überreaktion, die in der liberaleren Agonie der Spät-DDR einzigartig bleibt? Bevor die staatlich sanktionierten Kunst-zerstörer ihre banausische Arbeit tun, sind die großforma-tigen Plastiken und Gemälde krönendes Beiwerk der "Jenaer Hofvernissage". Einer eintägigen Ausstellung mit flankierenden Veranstaltungen unter freiem Himmel, die fünf Wochen vorher, am 25. Juni 1988, über die Bühne geht. Bereits zum elften Mal (5). Wie immer unangemeldet, das heißt: illegal. Die "Jenaer Hofvernissagen" sind zu dieser Zeit längst kein subversives Novum mehr - in vielen Städten der DDR existieren solche inoffiziellen Ver-anstaltungsreihen in Ateliers, Werkstätten oder besetzten Häusern. Subkulturelle Treffs, die ab Mitte der 80er Jahre zunehmend geduldet werden.

In Jena ticken die Uhren jedoch anders. Die überzogene Reaktion der Funktionäre hat vor allem mit der Tradition einer politisierten Kulturopposition zu tun, die Anfang der 70er Jahre in der Stadt erheblichen Wirbel entfacht, der via West-Medien selbst hinter den gepolsterten Funktionärstüren im Ostberliner SED-Politbüro zu ver-nehmen ist. Getragen von Protagonisten wie Lutz Rathenow und Jürgen Fuchs, die eine verschlüsselte Kritik als Form der Auseinandersetzung ablehnen, formiert sich in der Universitätsstadt eine Form von kulturellem Widerspruch, der radikaler an die Wurzeln des Systems geht als irgend sonst im Land. (6) "Jena war zu einem Zentrum Andersdenkender im Land geworden", so Udo Scheer, einer der Beteiligten von damals, die spezifische Situation in der thüringischen Universitätsstadt, "der hier entstandene Freiraum hatte sich herumgesprochen und Sogwirkung erzeugt." (7)

Nach der Relegierung, Inhaftierung oder gar Ausbürgerung der Wortführer herrscht in Jena über Jahre hinweg allerdings eher eine dröge Friedhofsstille, in der man mit harter Hand jedes noch so kleine Widerstands-Pflänzchen wie Unkraut auszupft. Erst in den 80er Jahren regt sich wieder vernehmbar Gegenwehr. Unter anderem bei den "Hofvernissagen", die bei Funktionären sofort Alarmstufe Rot und administrative Parallelen zu den Vorgängen in den frühen 70ern auslösen. Das stört die zahlreichen Besucher der "Hofvernissage" an diesem Junitag 1988 allerdings kaum: Im geräumigen Innenhof zwischen der Michaelisstraße 16 und der Jenergasse 7, mitten im historischen Teil des Jenaer Stadtzentrums gelegen, gibt es neben weiteren Werken der beiden Dresdner Künstler Eva Anderson und Detlef Schweiger bereits seit elf Uhr ein ambitioniertes Programm. Der angesagte Leipziger Lyriker Bernd Igel stellt Texte vor, der Ostberliner Filmemacher Gino Hahnemann zeigt bei Anbruch der Dunkelheit seine neuesten 8mm-Produktionen und die aus Dresdner Künstlern um Andreas Hegewald bestehende Rennbahn-Band bläst die disharmonische Begleitmusik zum subkulturellen Hinterhof-Treiben.

Die Künstler treten wie immer bei den "Hofvernissagen" ohne Gage auf. Anfallende Getränkekosten werden möglichst durch den Verkauf von Grafiken finanziert. Über hundert junge Leute aus der ganzen DDR sind diesmal angereist. Mit Schlafsäcken unterm Arm und etlichen Flaschen "Cabernet" oder "Stierblut" im Rucksack kommen sie bei Gleichgesinnten für ein, zwei Nächte problemlos unter. Selbstverständliche Dienstleistung in der Jenaer Szene, die bei Besuchen in Berlin oder Dresden auf ebensolche unkomplizierte Hilfe angewiesen ist. Die erfolgreiche Veranstaltung endet wie immer kurz vor 22 Uhr. Zu früh für eine Anzeige wegen "ruhestörendem Lärms". Doch spät genug, um das Tagesprogramm zu einem tradi-tionsbildenden Ereignis in der Zeiss-Stadt zu machen, "das von begeisterten Beteiligten und Publikum als anregendes Erlebnis aufgenommen wurde." (8)

Begonnen hat alles mit Gerd Wandrer. Nach einer elfjährigen Arbeit als Steinmetz studiert der begabte Thüringer zunächst an der Kunstabteilung der idyllisch gelegenen Hochschule für industrielle Formgestaltung in Halle-Giebichenstein. Unter dem Vorwand einer verpatzten Prüfung in Marxismus-Leninismus wird der mißliebige Student dort nach drei Jahren allerdings exmatrikuliert.

Eine Rolle spielt dabei wohl auch die mit Hilfe eines Krankenscheins verweigerte Teilnahme am sechswöchigen Studenten-Wehrdienst, obligate Disziplinierungsmaßnahme für jedes 2. Studienjahr in der DDR. Dennoch avanciert Wandrer 1982 zum Meisterschüler des Dresdner Kunsthochschul-Rektors und Zeichners Gerhard Kettner an der Akademie der Künste in Berlin. Dort arbeitet er mit festem Gehalt und gehörig Stacheldraht im Blickfeld in einem unmittelbar im Sperrgebiet vorm Brandenburger Tor gelegenen Atelierhaus. 1985 kehrt er in seine Heimatstadt Jena zurück und eckt dort schnell mit den Behörden an.

Seine Ausstellung in der Jenaer Stadtgalerie gerät im selben Jahr zum subversiven Ereignis, obwohl der Künstler einer vordergründigen Politisierung eher ablehnend gegenübersteht. Doch nach nervenden Querelen mit den Bezirksfunktionären des Künstlerverbandes und demonstrativ zur Eröffnung erscheinenden Stasi-Leuten wird die Ausstellung des jungen Grafikpreisträgers bereits nach einer Woche dicht gemacht. "Zuvor haben sie bereits Bilder zugehangen", erzählt Gerd Wandrer, der heute abwechselnd in Berlin-Neukölln und in der Toskana lebt, an seine damaligen Erfahrungen mit den Jenaer Behörden: "Sie haben mir gesagt, ich würde ohnehin nie wieder eine Ausstellung bekommen." (9) Für eine Woche wird die Galerie mit Wandrers Arbeiten jedoch zu einem wichtigen Treffpunkt in der Stadt. Die kleine Bilderschau in der staatlichen Galerie gerät zum Zeichen des Aufruhrs - nicht nur für zahlreiche ÜSE, Übersiedlungsersuchende, wie die Antragsteller auf ständige Ausreise im Staatsvokabular heißen.

Das Verbot ist für Gerd Wandrer nicht hinzunehmen - auch er stellt einen Ausreiseantrag, für ihn wie so viele in diesen Jahren die konsequenteste Art Nein zu sagen. Die Staatsmacht reagiert mit totalem Entzug von künstlerischer Öffentlichkeit: Wandrer und seiner Ehefrau Annette, einer ebenfalls im Künstlerverband organisierten Kunsthandwerkerin, werden acht fest eingeplante Personalausstellungen und Projektbeteiligungen in der DDR verboten.

Gerd Wandrer orientiert sich fortan notgedrungen in nicht-offiziellen Räumen. Er entrümpelt einen alten studentischen Paukboden in der Johannisstraße, den er illegal bezieht und kurzerhand zu seinem Atelier erklärt. "ich fand einen geeigneten raum", schreibt er, "vermutlich puff. überflüssiger müll. dachaufriß. alles raus. abfuhr. eine wunderbare räumlichkeit war entstanden. akzeptabler hinterhof. damit ergab sich eine ungeahnte möglichkeit für anstehende aktivitäten, die einfach in galerien versagen müssen". (10) Die Kommunale Wohnungsverwaltung, der das Gebäude gehört, ist schon lange nicht mehr Herr der Lage und läßt gewähren, wenn man nur pünktlich die geringfügige Miete zahlt. Ein Umstand, den viele Wohnungsbesetzer in den 80er Jahren erfolgreich nutzen. Der großräumige Hof inspiriert Wandrer im November 1986 zu einer ersten spontanen Freiluftausstellung. "Ich wollte nicht in den Mief der Wohnungsgalerien", benennt er sein Motiv, "sondern im Hof mit anderen Künstler eine Ausstellung machen. Aber die meisten hatten noch Angst. Man wußte ja nicht, was passiert." (11)

Deshalb hängt er in den ersten beiden Ausstellungen nur eigene Bilder an die vorher weiß getünchten Backsteinwände. Im Mai 1987 kommen auch andere Jenaer Künstler dazu, die zunächst eher unanstößige Arbeiten zum Thema "Akt und Figur" präsentieren. Später folgen eine Exposition von Porträts und Selbstbildnissen sowie eine Fotografie-Ausstellung. Bis zu Wandrers Ausreise im Herbst 1987 finden insgesamt sieben Vernissagen statt - das Begleitprogramm reicht von Lyrik-Lesungen, sensitiver Satie-Musik aus der Konserve bis zu dadaistischen Aktionen, in denen sich zynischer Galgenhumor und symbolische Provokanz zu einer für die DDR-Bohème typischen Mischung brauen. Inzwischen hat sich das Jenaer Ereignis in der Szene republikweit herumgesprochen, der Anteil auswärtiger Besucher, die wegen der Veranstaltung extra nach Jena kommen, wächst stetig. Manchmal finden bereits mehrere hundert Besucher den Weg in den Hof. Dabei dürfen die Initiatoren keine öffentliche Werbung machen. Sobald irgendwo ein handgefertigtes Plakat auftaucht, wird es innerhalb kürzester Zeit entfernt. So effizient funktioniert das Sicherheitssystem im Lande, das nicht nur von hauptamtlichen Funktionären, sondern vor allem von den vielen freiwilligen Zuträgern, renitenten Hausbuchverantwortlichen und eifrigen Hilfspolizisten am Leben gehalten wird. Gerd Wandrer und seine Leute greifen deshalb auf weniger anfällige Methoden der Öffentlichkeitsarbeit zurück - etwa auf Wurfzettel in Hausbriefkästen oder simplen Kohlrabidruck. Der Berliner Dichter und Mitherausgeber der Untergrundzeitschrift "Schaden" (12), Egmont Hesse, wundert sich bei einem Besuch, warum in Jena so viele Leute kommen, obwohl die Hofvernissagen-Veranstalter keine Einladungen verschicken wie das bei ähnlichen Projekten im Prenzlauer Berg gang und gäbe ist. Prompt demonstriert ihm Wandrer sein effizientes Werbeprinzip: "Da habe ich einen Kohlrabi genommen und einen Stempel mit den wichtigsten Infos draus geschnitzt", erinnert er sich: "Dann bin ich durch die Stadt und habe das überall draufgestempelt. Am nächsten Tag waren über 300 Leute zur Lesung von Egmont Hesse da." (13)

Ein harter Kern von Enthusiasten bildet sich, der sich um die Vorbereitung und Durchführung kümmert. Neben Wandrer und seiner Ehefrau sind das vor allem Volker Hoffmann, Stephan Reich und der Fotograf Bertram Hesse. Natürlich versuchen die Sicherheitsorgane, dieser freien und spontanen Kommunikationsform, in der auch unange-kündigte Künstler ein Podium finden, beizeiten einen Riegel vorzuschieben. Doch Gerd Wandrer zieht sich nicht zurück - trotz Schikanen und zeitweiliger Festnahmen, mit denen er bis zu seiner Ausreise ständig konfrontiert ist. "Ich wurde oft einfach ohne Angabe von Gründen in Gewahrsam genommen" (14), berichtet Wandrer. In der Zeit bis zu seiner Ausreise nach Westberlin erhält er statt des Personalausweises nur einen "PM 12" - ein unscheinbares Legitimationspapier, das den Besitzer bei den in der DDR häufigen Ausweiskontrollen sofort zum kriminell ver-dächtigen Element stempelt, mit dem selbst die untersten Chargen der Volkspolizei fast nach Belieben umspringen können. "Eine Gruppe ziviler Ordnungshüter greift ihn", beschreibt Ibrahim Böhme (15), er trägt als Spitzen-IM der Staatssicherheit vier Decknamen, eine erlebte Festnahme Wandrers, "ohne die zahlreichen Zeugen zu beachten, aus der Gruppe heraus, verrenkt ihm in Nahkampfmanier Arme und Handgelenke und ´bewegt´ ihn so 350 Meter zu einem nahen VP-Revier, wo er über die Zeit der Veranstaltungseröffnung vernommen und ´unterhalten´ wird." (16) Neben solchen "Verunsicherungsmaßnahmen", wie die Staatssicherheit diese Taktik unverhohlener Repression zynisch bezeichnet, bekommt er saftige Ordnungsstrafen, die den selbstbewußten Künstler mürbe und zahlungs-unfähig machen sollen. Wegen der Veranstaltung der "Hofvernissagen" erhält er etwa am 17.07.1987 eine für DDR-Finanzverhältnisse mehr als empfindliche Zahlungs-aufforderung in einer Höhe von 1000 Mark. Eine neue Taktik der Kulturwächter, die sich in dieser Zeit darauf verlegen, nonkonformen Aktivitäten nicht mehr durch aufsehenerregende Strafverfahren, sondern mit saftigen Ordnungsgeldern (17) zu begegnen. Doch Wandrer läßt sich nicht irritieren und klagt bei mehreren Instanzen sein Recht ein. Da die "Hofvernissagen" bei den Bewohnern zu keiner Anzeige führen und die Veranstaltungen bereits vor 22 Uhr enden, muß das zuständige Volkspolizeikreisamt die mit Hinweis auf Ruhestörung verhängten Verfügungen mit knirschenden Zähnen schließlich stornieren. "Wir haben das aber nicht aus politischen Gründen gemacht", erklärt Gerd Wandrer, "wir wollten unseren Freiraum erhalten und nicht vorrangig provozieren." (18)

Für Genosse Dervenich ist das freilich eine faustdicke Lüge. Der 2. Sekretär der Jenaer SED-Kreisleitung zieht alle Register, um eine härtere Gangart gegen die Organisatoren durchzusetzen. "Nachweislich", so sprüht der Funktionär in einem Bericht an seine Vorgesetzten Gift und Galle, "handelt es sich hierbei um bewußt gesteuerte Angriffe negativer und feindlicher Kräfte." (19) Vor allem der junge Assistenzzahnarzt Volker Hoffmann, der die mißliebige Veranstaltungsreihe nach Wandres Ausreise unbeirrt weiterführt, gerät zunehmend ins Visier der Staatssicherheit. (20) Es gelingt ihm jedoch, noch weitere vier Vernissagen durchzuführen, bevor die unter Druck geratene Stadträtin Niemann zu Säge und Vorschlaghammer greifen läßt. Das "Podium negativ-feindlicher Kräfte unterschiedlichster künstlerischer Genres" (21), so die Stasi-Diagnose, wird vorher aber noch intensiv genutzt: Die freie Theatergruppe "Zinnober" (22) spielt im Hof "Das Moskauer Bett", das künstlerische Allround-Talent Ronald Lippok von der Berliner Indie-Band "Ornament und Verbrechen" zeigt Malerei und die im Land verbliebene Avantgarde der Dichterszene vom Prenzlauer Berg um Bert Papenfuß-Gorek zelebriert ihre sinnver-weigernden Wortkaskaden.

Mit der Ausstellung von Detlef Schweiger und Eva Anderson ist allerdings vorerst Schluß. Nicht nur wegen der Zerstörung der Exponate. Die auf-geschreckte Kulturbürokratie hat zudem eine Maßnahme ausgeheckt, die "Hofvernissagen" künftig endgültig verhindern soll. Ihre Methode ist von altstalinistischen Kadern bereits in praxi erprobt - am 11.07.1988 befiehlt der stellvertretende Oberbürgermeister Krause das "Hochziehen einer Mauer." (24) Der kleine anti-imperialistische Schutzwall, solide gemauert, gut zwei Meter hoch und mit einem weißen Schutzanstrich versehen, wird kurze Zeit später mitten auf dem Jenaer Hinterhof zwischen der Johannisstraße 16 und der Jenergasse 7 errichtet, genau dort, wo sonst die Hofvernissagen stattfinden. Mit der Mauer und der Zerstörung der "künstlerischen Mach-werke" ist nach Meinung der Jenaer Parteibürokratie das Thema zu den Akten gelegt. Doch die realsozialistischen Zeiten gehen dem Ende entgegen. Mit Gorbatschows neuem Politstil hat sich auch im zentralen Kulturapparat eine liberalere Haltung durchgesetzt, die eher auf Einbindung und Kanalisierung kritischer Kräfte statt auf offene Konfrontation setzt. Ein Kurswechsel, welcher in den Kreis- und Bezirksverwaltungen allerdings mit enormen Zeitverzug zur Kenntnis genommen und mit Vorliebe von rückwärtsgewandten Provinzkadern erfolgreich boykottiert wird.

So ist es kein Wunder, daß die Beschwerdebriefe, die Joachim Hoffmann und die beiden betroffenen Künstler unter anderem an den stellvertretenden Kulturminister Dietmar Keller aufsetzen, auch in den parteiinternen Strukturen enormen Staub aufwirbeln. Unterstützt durch die Tatsache, daß die in Berlin produzierte Untergrundzeitschrift "Verwendung"(25) ein Protestschreiben vervielfältigt. "es ist den jenaer leuten gelungen", heißt es im fotokopierten Flugblatt, das auch in westlichen Redaktionen kursiert, "zu beweisen, daß der gesellschaftlich verwahrloste hinterhof johannisstr. 16 durch wenige, geistig präzise entscheidungen zum terrain für eine unabhängige stadtkultur wurde. so entstand ein raum, der es sich leisten konnte auf vordergründige politische konfrontation zu verzichten. wie so oft wurde gerade diese klar beanspruchte freiheit von den staatlichen organen nicht verstanden und mit unverhohlener feind-schaft beantwortet...wir fordern den sofortigen abriß dieser mauer, eine umfassende aufdeckung der verwaltungsinternen umstände, die zu diesem kulturfeindlichen übergriff geführt haben, sowie maßnahmen, die die autonome verantwortung für den hof johannisstr. 16 weiterhin garantieren." (26) Eine in der Szene am Prenzlauer Berg eher seltene Form politischer Stellungnahme.

Der stellvertretende Kulturminister Keller ordnet unverzüglich "eine Klärung der Sachlage" (27) an, die letztlich mit einigem Zeitverzug zur Ablösung der Jenaer Kulturstadträtin Gudrun Niemann führt. Ein Bauernopfer, das die generellen Spielregeln in Jena allerdings nicht ändert. Die Weiterführung der "Hofvernissagen" an einem anderen Ort und mit Duldung staatlicher Stellen wird vorgeschlagen. Doch mit dem vermauerten Hinterhof ist die Geschichte der ungewöhnlichen Hofausstellungen endgültig vorbei - bis auf eine Abschiedsveranstaltung. Die plötzliche Kulanz der von oben abgemahnten Jenaer Funktionsträger ist für die "Hofvernissagen"-Macher allzuschnell als taktisches Manöver zu dechiffrieren. Detlef Schweiger und Eva Anderson gehen stattdessen juristisch gegen die Zerstörung ihrer Kunstwerke vor. Das Verfahren, bei dem Volker Hoffmann als Zeuge aussagt, endet schließlich mit einer außergerichtlichen Einigung und einer nach monatelangem Hickhack von den Künstlern schließlich akzeptierten Entschädigungszahlung. (28) Ein Teilerfolg, der öffentlich die Schuld der spätstalinistischen Kunstzerstörer einräumt und nicht nur in Thüringen als spätes Zeichen kulturpolitischen Klimawechsels gedeutet wird. Der Kreis um die "Jenaer Hofvernissage" demonstriert hier ein weiteres Mal Zivilcourage als offensives Einfordern gesetzlich eingeräumter Freiräume. Eine Form der Gegenwehr, die in einem Land, in dem Rechtssicherheit nur auf dem Papier besteht, bis zum Ende der DDR jedoch eher die Ausnahme bleibt.


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