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Museumspädagogik |
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Politische Bildung
Anmerkungen zur Thematisierung des Kennedy-Besuchs
in Berlin durch den Rahmenlehrplan "Politische
Weltkunde" und Quelleninterpretation der beiden
Berliner Kennedy-Reden.
Inhalt:
Didaktische
Analyse
Quelle I: Rede am Rathaus Schöneberg
Quelle II: Rede an der Freien Universität
Quelleninterpretation und Einbettung
in den Unterricht
Didaktische
Analyse
Die Thematisierung des Kennedy-Besuchs in Berlin ist
durch den Rahmenplan für Berliner Gymnasien abgedeckt.
Für das zweite Semester im Kurs "Politische
Weltkunde" fordert der Rahmenplan Kenntnisse im
Bereich der "Konfrontations- und Kooperationsfelder
nach 1945", z.B. der Berlin-Krisen. Der Rahmenplan
für Klasse 10 sieht die Behandlung des Themas "Kalter
Krieg" in einem Zeitrahmen von fünfzehn Stunden
vor. Als Ergänzung wird die Behandlung des sogenannten
"Berlin-Problems" vorgeschlagen. Gerade für
Berliner Schüler ist diese Thematik von besonderer
Relevanz und sollte in den Unterricht eingebracht werden:
Ihre Stadt war als Frontstadt des Kalten Krieges einer
ständigen Bedrohung ausgesetzt; was hier geschah,
wurde in Washington und Moskau genauestens registriert.
Aber auch aus allgemein historischer und aktueller Sicht
ist der Berlin-Besuch Kennedys ein für die Schüler
lohnender Unterrichtsgegenstand: Welche Relevanz der
Besuch für die Bewertung der Präsidentschaft
hat, zeigt die Aufmerksamkeit, die dem 40. Jahrestag
dieses Ereignisses zukommt. So sind neben der Ausstellung
des DHM und neuer wissenschaftlicher Literatur auch
eine Konferenz mit diesem Thema in Berlin zu verzeichnen.
Daran wird deutlich, dass Kennedys hochgradig inszenierter
Auftritt in Berlin als exemplarisch für seinen
Politikstil gesehen werden kann und sich dadurch insbesondere
zur Analyse anbietet.
Der Symbolwert dieses Besuches, der in der "Ich
bin ein Berliner"- Rede Kennedys vor dem Schöneberger
Rathaus gipfelte, ist extrem hoch - er gab den Berlinern
knapp zwei Jahre nach dem Mauerbau das Gefühl,
nicht ihrem Schicksal überlassen zu werden, sondern
den Rückhalt der Supermacht zu besitzen. Die West-Berliner
hatten seit dem Mauerbau auf einen Besuch Kennedys gewartet
und versprachen sich von ihm Schutz gegenüber weitere
Übergriffe der UdSSR. Außerdem neigten vermutlich
auch sie zu der weit verbreiteten Überhöhung
der Person Kennedys und wollten ihr Idol live sehen
und hören.
Kennedy kam im Rahmen seiner Europareise nach Deutschland,
um die Deutschen für sich zu gewinnen. Die USA
befürchteten nach de Gaulles Deutschlandbesuch
und dem Ellysee-Vertrag eine starke Anlehnung Deutschlands
an Frankreich. Wie die Presse analysierte, konnte Kennedy
nun gerade durch seine unerwartete Emotionalität
die Meinungsführerschaft über die Deutschen
gewinnen. Den Symbolwert der Stadt Berlin nutzte Kennedy
gleichzeitig für deutliche Kritik am politischen
Gegner bei gleichzeitiger Bestätigung des Status
quo: Er provozierte die UdSSR ohne eine wirkliche Gefahr
einzugehen. Kennedy nahm etwas von der Brisanz dieser
spontan eingefügten Kalten-Kriegs-Rhetorik vor
dem Schöneberger Rathaus, indem er am Nachmittag
vor Mitgliedern der Freien Universität versöhnlichere
Töne anschlug und u.a. zur Rüstungsbegrenzung
aufrief.
Es bietet sich an, die Schöneberg-Rede mit einer
zehnten Klasse zu thematisieren und die Rede vor der
FU vergleichend oder auch gesondert mit einem PW-Kurs
zu untersuchen. Dabei könnte für Klasse zehn
der Stundenschwerpunkt auf dem Verhältnis Berlin
- USA liegen. Kennedys Einschätzung der Zukunft
der Blockbildung in Europa und der Welt bietet sich
hingegen als Analyseschwerpunkt für einen PW-Kurs
an. Beide Themen laden zu einer Problematisierung ein.
Die Komplexität des Themen der zeitliche Umfang
der beiden Reden machen eine Inhaltsreduktion nötig.
Die Schöneberg-Rede lässt sich kürzen,
ohne wesentliche Aspekte auszublenden. Dies liegt in
der Struktur der Rede begründet, die Wiederholungen
aufweist, um einzelne Punkte plastischer zu machen.
Als entbehrlich zeigen sich auch politische Hintergründe,
die nicht Stundenthema sind. Dies gilt für die
Motivation Kennedys nach Deutschland zu kommen - die
Furcht vor einem Entstehen eines politischen Gegengewicht
ins Europa durch die Annäherung der wirtschaftlichen
Führungsmächte Deutschland und Frankreich.
Die deutsch-französischen Beziehungen sind bei
der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Berlin
den USA zu vernachlässigen, ohne die Aussage der
Rede zu verfälschen.
Die Rede vor der FU wurde bereits gekürzt. Für
die Verwendung im Unterricht ist eine weitere Kürzung
angemessen. Je nach den Unterrichtserwartungen können
z.B. die Ausführungen zur Entkolonialisierung,
zur amerikanischen Innenpolitik oder zu der Verpflichtung
des Gelehrten, für die Gesellschaft zu wirken,
gestrichen werden. Gerade der letzte Punkt jedoch birgt
die Chance, einen Bezug zur Lebenswelt der Schüler
herzustellen: Viele von ihnen werden in naher Zukunft
studieren und/oder auf die Gestaltung der Welt von morgen
einwirken. Sie können sich deswegen in besonderem
Maße mit der Zuhörerschaft Kennedys identifizieren.
Eine kurze Interpretation der beiden Quellen und Ideen
für einen Stundenablauf folgen weiter
unten.
Rede des Präsidenten John F.
Kennedy
vor dem Rathaus Schöneberg
am 26. Juni 1963
Meine Berliner und Berlinerinnen,
ich bin stolz, heute in Ihre Stadt zu kommen als Gast
Ihres hervorragenden Regierenden
Bürgermeisters, der in allen Teilen der Welt als
Symbol für den Kampf- und Widerstandsgeist West-Berlins
gilt. Ich bin stolz, auf dieser Reise die Bundesrepublik
Deutschland zusammen mit ihrem hervorragenden Herrn
Bundeskanzler besucht zu haben, der während so
langer Jahre die Politik der Bundesregierung bestimmt
hat nach den Richtlinien der Demokratie, der Freiheit
und des Fortschritts.
Ich bin stolz darauf, heute in Ihre Stadt in der Gesellschaft
eines amerikanischen Mitbürgers
gekommen zu sein, General Clays, der hier in der Zeit
der schwersten Krise tätig war, durch die diese
Stadt gegangen ist, und der wieder nach Berlin kommen
wird, wenn es notwendig werden sollte. Vor zweitausend
Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen
konnte, der: Ich bin ein Bürger Roms. Heute ist
der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen
kann: Ich bin ein Berliner. Ich bin dem Dolmetscher
dankbar, daß er mein Deutsch noch besser übersetzt
hat.
Wenn es in der Welt Menschen geben sollte, die nicht
verstehen oder nicht zu verstehen vorgeben, worum es
heute in der Auseinandersetzung zwischen der freien
Welt und dem Kommunismus geht, dann können wir
ihnen nur sagen, sie sollen nach Berlin kommen.
Es gibt Leute, die sagen, dem Kommunismus gehöre
die Zukunft. Sie sollen nach Berlin kommen. Und es gibt
wieder andere in Europa und in anderen Teilen der Welt,
die behaupten, man könne mit dem Kommunismus zusammenarbeiten.
Auch sie sollen nach Berlin kommen. Und es gibt auch
einige wenige, die sagen, es treffe zwar zu, daß
der Kommunismus ein böses und ein schlechtes System
sei, aber er gestatte es ihnen, wirtschaftlichen Fortschritt
zu erreichen. Aber laßt auch sie nach Berlin kommen.
Ein Leben in Freiheit ist nicht leicht, und die Demokratie
ist nicht vollkommen. Aber wir hatten es nie nötig,
eine Mauer aufzubauen, um unsere Leute bei uns zu halten
und sie daran zu hindern, woanders hinzugehen.
Ich möchte Ihnen im Namen der Bevölkerung
der Vereinigten Staaten, die viele tausend Kilometer
von Ihnen entfernt lebt, auf der anderen Seite des Atlantiks,
sagen, daß meine amerikanischen Mitbürger
stolz, sehr stolz darauf sind, mit Ihnen zusammen selbst
aus der Entfernung die Geschichte der letzten 18 Jahre
teilen zu können. Denn ich weiß nicht, daß
jemals eine Stadt 18 Jahre lang belagert wurde und dennoch
lebt in ungebrochener Vitalität, mit unerschütterlicher
Hoffnung, mit der gleichen Stärke und mit der gleichen
Entschlossenheit wie heute West-Berlin.
Die Mauer ist die abscheulichste und stärkste
Demonstration für das Versagen des
kommunistischen Systems. Die ganze Welt sieht dieses
Eingeständnis des Versagens. Wir sind darüber
keineswegs glücklich; denn, wie Ihr Regierender
Bürgermeister gesagt hat, die Mauer schlägt
nicht nur der Geschichte ins Gesicht, sie schlägt
der Menschlichkeit ins Gesicht. Durch die Mauer werden
Familien getrennt, der Mann von der Frau, der Bruder
von der Schwester, und Menschen werden mit Gewalt auseinandergehalten,
die zusammen leben wollen.
Was von Berlin gilt, gilt von Deutschland: Ein echter
Friede in Europa kann nicht gewährleistet werden,
solange jedem vierten Deutschen das Grundrecht einer
freien Wahl vorenthalten wird. In 18 Jahren Frieden
und der erprobten Verläßlichkeit hat diese
Generation der Deutschen sich das Recht verdient, frei
zu sein, einschließlich des Rechtes, die Familien
und die Nation in dauerhaftem Frieden wiedervereinigt
zu sehen, in gutem Willen gegen jedermann.
Sie leben auf einer verteidigten Insel der Freiheit.
Aber Ihr Leben ist mit dem des Festlandes verbunden,
und deshalb fordere ich Sie zum Schluß auf, den
Blick über die Gefahren des Heute hinweg auf die
Hoffnung des Morgen zu richten, über die Freiheit
dieser Stadt Berlin und über die Freiheit Ihres
Landes hinweg auf den Vormarsch der Freiheit überall
in der Welt, über die Mauer hinweg auf den Tag
des Friedens mit Gerechtigkeit. Die Freiheit ist unteilbar,
und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind nicht
alle frei. Aber wenn der Tag gekommen sein wird, an
dem alle die Freiheit haben und Ihre Stadt und Ihr Land
wieder vereint sind, wenn Europa geeint ist und Bestandteil
eines friedvollen und zu höchsten Hoffnungen berechtigten
Erdteiles, dann, wenn dieser
Tag gekommen sein wird, können Sie mit Befriedigung
von sich sagen, daß die Berliner und diese Stadt
Berlin 20 Jahre die Front gehalten haben.
Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen,
sind Bürger dieser Stadt Berlin, und deshalb bin
ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können:
Ich bin ein Berliner.
Quelle: Amerika Dienst, June 27, 1963.
Rede an der Freien Universität
Berlin (Auszug)
am 26. Juni 1963
Herr Bürgermeister, Herr Bundeskanzler, meine
Herren Minister, Mitglieder der Fakultät und Studenten
dieser Universität:
[...]
Da Bismarck einmal sagte, dass ein Drittel der Studenten
an den deutschen Universitäten vor Überarbeitung
zusammenbräche, ein weiteres Drittel an den Folgen
ihres lustigen Studentenlebens zu leiden hätten,
und dass das letzte Drittel Deutschland regiere, weiß
ich nicht, welches Drittel der Studenten sich heute
hier versammelt hat, aber ich spreche ohne Zweifel zu
den Männern, die in Zukunft die Geschicke dieses
Landes leiten werden [...].
In den 15 stürmischen Jahren seit Gründung
dieses der Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit verschriebenen
Instituts hat sich vieles geändert. [...] Aber
diese Universität hat jenen drei Idealen ihre Treue
bewahrt Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit.
In einer Situation des Wandels und der Herausforderung,
in einer Ära dieser Art hat jeder Bewohner West
Berlins die Pflicht, seinen Standpunkt zu überdenken
und zu überlegen, welches Ziel die Stadt ansteuert
und wie sie am besten dorthin gelangt. Der Gelehrte,
der Lehrer und der Intellektuelle haben eine höhere
Verpflichtung als alle anderen, denn die Gesellschaft
hat sie zur Führung ausgebildet, im Denken sowohl
als auch im Handeln. Diese Gemeinschaft hat sich diesem
Ziel verschrieben und Sie haben die besondere Verpflichtung,
zu denken und die Zukunft dieser Stadt mitzugestalten
- und zwar im Sinne von Wahrheit, Gerechtigkeit und
Freiheit.
Erstens nun, was erfordert die Wahrheit? Sie verlangt
von uns, dass wir den Tatsachen ins Auge sehen, dass
wir uns von Selbsttäuschung frei machen, dass wir
uns weigern, in bloßen Schlagworten zu denken.
Wenn wir für die Zukunft dieser Stadt arbeiten
wollen, dann lassen Sie uns mit den Gegebenheiten fertig
werden, so wie sie wirklich sind, nicht so, wie sie
hätten sein können und wir sie uns gewünscht
hätten. Die Wiedervereinigung wird, wie ich glaube,
eines Tages Wirklichkeit werden. Die Lehren der Geschichte
stützen diese Annahme, ganz besonders die der Geschichte
der letzten 18 Jahre. Die stärkste Kraft in der
heutigen Welt ist die Kraft des Staates, der Gedanke
des Nationalismus eines Volkes, und in Afrika, Lateinamerika
und Asien - auf der ganzen Erde sind neue Staaten geboren
worden, die entschlossen sind, ihre Freiheit zu verteidigen.
Das ist eine der stärksten Kräfte auf seiten
der Freiheit, und es ist mir eine große Befriedigung,
dass so viele Länder Westeuropas dies erkannt und
sich entschlossen haben, mit diesem Strom zu gehen.
Und so hat dieser Strom uns und nicht unseren Feinden
gedient.
Aber wir alle wissen, dass dem Osten dieser Stadt und
dieses Landes ein Polizeistaatsregime aufoktroyiert
worden ist. Die friedliche Wiedervereinigung Berlins
und Deutschlands wird daher weder rasch erfolgen noch
leicht sein. [...]
Und zweitens, was erfordert die Gerechtigkeit? Letzten
Endes erfordert sie Freiheit, und darauf komme ich noch
zu sprechen. Aber in der Zwischenzeit verlangt die Gerechtigkeit,
dass wir tun, was wir können, um in dieser Übergangsperiode
das Schicksal der Menschen auf der anderen Seite zu
erleichtern und ihre Hoffnung am Leben zu erhalten.
Es ist wichtig, dass für die Menschen in den stillen
Straßen östlich von uns die Verbindung mit
der westlichen Gesellschaft aufrechterhalten wird -
mittels aller Berührungspunkte und Verbindungsmöglichkeiten,
die geschaffen werden können, durch das Höchstmaß
von Handelsbeziehungen, das unsere Sicherheit erlaubt.
Vor allem aber, ob diese Menschen nun vom Westen viel
oder wenig sehen - was sie sehen, muss so hell sein,
dass es die Verzerrungen Lügen straft, die tagaus,
tagein vom Osten losgelassen werden. Es gibt daher für
Sie keine schönere Möglichkeit, als hier in
West Berlin zu bleiben, als Ihre Begabung und Ihre Fähigkeiten
in den Dienst dieser Stadt zu stellen und Ihren Nachbarn
die lebendige Wirksamkeit der Demokratie zu zeigen,
eine blühende Stadt voll Schaffenskraft, die all
ihren Bewohnern Freiheit und ein besseres Leben für
alle bietet. Schon jetzt tragen Sie dazu Ihr Teil bei
- durch Ihre Studiumsarbeit und durch Ihre Hingabe an
die Sache der Freiheit, und so erwerben Sie sich die
Bewunderung Ihrer Kommilitonen, wo immer diese auch
herkommen.
Schließlich, was erfordert die Freiheit? Die
Antwort liegt auf der Hand: ein geeintes Berlin in einem
geeinten Deutschland - geeint durch freie Selbstbestimmung
- und in Frieden lebend. Dieses Recht, nach freiem Ermessen
zu wählen, ist kein Sondervorrecht, das nur die
Deutschen beanspruchen. Es ist ein Grunderfordernis
menschlicher Gerechtigkeit. Es ist deshalb ein Ziel,
das wir nie aufgeben werden, und es ist ein Ziel, das
sehr wohl am besten im Rahmen einer Wiederherstellung
des größeren Europa erreicht werden könnte
- zu beiden Seiten der harten Trennungslinie, die es
jetzt in zwei Teile teilt. [...]
Diese Idee ist im Westen der Nachkriegszeit nicht neu.
Außenminister Marshall wurde kurz nach seiner
berühmten Rede an der Harvard Universität,
in der er auf Hilfe für den europäischen Wiederaufbau
drang, gefragt, welches Gebiet sein Vorschlag umfassen
solle, und er antwortete ich zitiere ihn wörtlich
er bediene sich der "allgemein akzeptierten geographischen
Definition Europas westlich von Asien". Die von
ihm angebotene Hilfe und Freundschaft wurden zurückgewiesen
aber es ist nicht zu spät, um noch einmal in gesamt
europäischen Begriffen zu denken. Der Wind der
Änderung weht über den eisernen Vorhang und
die übrige Welt hinweg. Die Sache der Menschenrechte
und Menschenwürde gibt noch 200 Jahre nach ihrer
Geburt in Europa und den Vereinigten Staaten Menschen
und Nationen zunehmenden Auftrieb. Die farbigen Bürger
meines eigenen Landes haben ihre Forderung nach Gleichheit
verstärkt - und das amerikanische Volk und die
amerikanische Regierung sind dabei, ihre Forderung zu
erfüllen. Das Tempo der Entkolonialisierung in
Afrika hat sich beschleunigt. Die Völker der sich
entwickelnden Länder haben ihr Streben nach sozialer
und wirtschaftlicher Gerechtigkeit verstärkt. Nach
18 Jahren der Unterdrückung sind selbst die Völker
Osteuropas für eine Änderung nicht unempfänglich.
Die Wahrheit stirbt nicht. Das Verlangen nach Freiheit
lässt sich niemals gänzlich ersticken. Noch
nach 45 Jahren Parteidiktatur spürt das Volk der
Sowjetunion die Kraft der historischen Evolution. Die
strengen Regeln des Stalinismus gelten offiziell als
bankrott. Wirtschaftliche und politische Variationen
und Abweichungen zeigen sich z. B. in Polen, in Rumänien
und der Sowjetunion selbst. Die Betonung wissenschaftlicher
und industrieller Errungenschaften war von zunehmender
Bildung und geistigen Gärungsprozessen begleitet.
Tatsächlich erfordert die Natur der modernen technisierten
Gesellschaft menschliche Initiative und Verschiedenheit
freien menschlichen Geistes. Die Geschichte selbst steht
dem marxistischen Dogma entgegen und geht nicht mit
ihm. [...]
Kurz gesagt, diese dogmatischen Polizeistaaten sind
ein Anachronismus ebenso wie die Teilung Deutschlands
und Europas dem Strom der Geschichte entgegengesetzt
ist. Das neue Europa des Westens - ein dynamisches,
vielfältiges und demokratisches Europa - muss auf
die Völker im Osten eine stetig wachsende Anziehungs
kraft ausüben. Und wenn die Möglichkeiten
einer gütlichen Einigung in Erscheinung treten,
dann werden wir im Westen es klar machen, dass wir keinem
Volk und keinem System feindlich gegenüberstehen,
solange diese ihr eigenes Schicksal bestimmen, ohne
andere an ihrer freien Wahl zu hindern. Auf beiden Seiten
werden Wunden zu heilen sein, wird Misstrauen beseitigt
werden müssen. Die Unterschiede des Lebensstandards
müssen ausgeglichen werden, aber nach oben, nicht
nach unten. Faire und wirksame Abkommen, um dem Wettrüsten
ein Ende zumachen, müssen erreicht werden. Diese
Änderungen werden nicht heute oder morgen kommen,
aber wir müssen in unseren Bemühungen um eine
wirkliche Lösung unablässig fortfahren.
Dieser Prozess lässt sich nur durch die wachsende
Einheit des Westens fördern, und wir müssen
alle auf dieses Ziel hinarbeiten. Einigkeit macht stark,
und das ist der Grund, warum ich auf diesen Kontinent
komme - die Einigkeit dieses Kontinents. Jegliche Uneinigkeit
oder Schwäche erschwert nur unsere Aufgabe. Und
der Westen kann nicht aus einer Situation der Uneinigkeit
und Ungewissheit und des Wettstreits heraus über
die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln.
Kurz gesagt, nur wenn sie eine angemessene Zeit lang
sehen können, dass wir stark und einig, dass wir
wachsam und entschlossen sind, nur dann ist es wahrscheinlich,
dass die anderen von ihrem Kurs der bewaffneten Aggression
oder der Unterwühlung ablassen werden. Nur dann
werden ernstgemeinte für beide Teile annehmbare
Vorschläge zur Verminderung der feindseligen Gegensätze
eine Erfolgschance haben.
Es ist kein leichter Kurs. Es gibt keinen leichten
Kurs zur Wiedervereinigung Deutschlands und Wiederherstellung
Europas. Aber das Leben ist niemals leicht. Es gibt
Arbeit, die getan werden muss, und Verpflichtungen,
die erfüllt werden müssen - Verpflichtungen
der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Freiheit.
Quelle: Sonderdruck aus dem Bulletin des Presse und
Informationsamtes der Bundesregierung Nrn. 108 109 110,
111, 112, 113/1963.
Quelleninterpretation und Einbettung
in den Unterricht
Kennedys Reden sind als politische Reden streng zweckgebunden.
Ihre Analyse sollte die Frage "Wer teilt wem wann
zu welchem Zweck was wie mit?" beantworten. Das
"wie" kann jedoch im Geschichtsunterricht,
ganz im Gegensatz zum Deutschunterricht, nicht primär
über die Analyse der rhetorischen Mittel, mit denen
der Inhalt der Rede verknüpft ist, beantwortet
werden. Es ist hingegen anzustreben, die Wirkung und
Bedeutung der Rede aus anderen Faktoren heraus zu erklären:
Dem speziellen historischen Kontext, den politischen
Absichten des Sprechers und den Erwartungen des Publikums
und ihrer Haltung zum Redner. Dieses ist mit dem methodischem
Instrumentarium des Geschichtsunterrichts zu leisten:
Die Schüler können Kernpunkte der Rede nennen
und erläutern. Das Medium CD/Tonbandaufzeichnung
ermöglich es ihnen (im Fall der Schöneberg-Rede),
die Wirkung der Rede zu bewerten; die Diskussion kann
sie dazu veranlassen, die Redeabsicht und -wirkung kritisch
zu hinterfragen.
Zu untersuchen ist zuerst die Redesituation. Die Rede
vor dem Schöneberger Rathaus wurde vor einer nicht
gezählten, dichten Menschenmenge per Lautsprecher
übertragen. Die Berliner kamen somit unmittelbar
mit dem populären amerikanischen Präsidenten
zusammen und konnten direkt auf seine Rede reagieren.
An denen vom Sprecher erwarteten Stellen wurde gejubelt
oder auch gelacht, was erstens die positive Wirkung
seiner Rede demonstriert, und zweitens aber auch schlicht
die Tatsache, dass die Berliner die Rede verstanden
haben. Waren so viele Zuhörer des Amerikanischen
mächtig? Die Antwort ist zweigeteilt. Zum einen
wurde die Rede simultan ins Deutsche übersetzt,
was aber aus den Tonbandaufzeichnungen später herausgeschnitten
wurde. Das ist auch der Grund dafür, dass Kennedy
viele Sprechpausen macht. Zum anderen konnte ein Teil
des Publikums Kennedys Rede auch ohne Übersetzung
folgen, wie Zeitzeugen berichten. Dies erklärt
auch den gestaffelten Applaus. Wenn im Unterricht diese
Tonbandaufnahme verwendet wird, sollte der Hinweis auf
die Übersetzung nicht fehlen, um den historischen
Kontext nicht zu verfälschen.
Der Inhalt der Rede gibt der engen Verbindung zwischen
den USA und den Berlinern eine stark emotionale Komponente.
Kennedy erreicht dies durch die Beschwörung gemeinsamer
Erlebnisse (Luftbrücke) und dem Einsatz diverser
rhetorischer Mittel. Besonders wirksam waren die deutschen
Sätze, welche die Verbundenheit zu den Berlinern
unterstreichen sollen ("Ich bin ein Berliner."
"Lasst sie nach Berlin kommen."). Kennedy
hatte sie erst kurz vor der Rede eingeflochten, um die
Wirkung der Rede zu erhöhen.
Die Struktur der Rede spiegelt die Entwicklung der Stadt
Berlin seit dem Zweiten Weltkrieg wider. Kennedy verweist
auf die erste und zweite Berlin-Krise (Luftbrücke
und Mauerbau, und geht dann auf die Gegenwart (Berlin
als Frontstadt des Kalten Krieges) ein. Am Beispiel
dieser Stadt zeigt er "das Versagen des kommunistischen
Systems" auf. Er bestärkt die Berliner, der
Belagerung auch weiter standzuhalten. Am Schluss seiner
Rede zeichnet er ein Bild von einer friedlichen Zukunft
- die Berliner leben in einem wiedervereinigten Deutschland,
Europa ist nicht mehr zweigeteilt; das westlichen System
hat den Kommunismus überwunden. Kennedy benennt
weder Zeitpunkt noch Mittel, um diesen Zustand zu erreichen.
Mit Blick auf diese Zukunft beschwört er die Berliner
mit Stolz in dieser geschichtsträchtigen Stadt
zu leben und identifiziert sich schließlich mit
ihrem Schicksal: "Ich bin ein Berliner". Kennedy
unterstreicht somit noch einmal die Schutzgarantie für
Berlin, unternimmt jedoch keine konkreten Schritte,
um die Teilung der Stadt und Europas aufzuheben.
Kennedys Rede vor der FU bietet sich in zweifacher Weise
für den Einsatz im Unterricht an: Zum einen verweist
sie auf internationale politische Entwicklungen der
Nachkriegszeit, welche die Schüler erläutern
sollten. Zum anderen bietet sich die Struktur der Rede
zum Vergleich mit der Schöneberg-Rede an.
Die Rede in der Freien Universität wurde vor Studenten,
Mitarbeitern und Professoren der Universität gehalten.
Kennedy richtete seine Rede wiederum stark auf sein
Publikum aus. Er verwendet die Leitwerte der FU "Wahrheit,
Gerechtigkeit und Freiheit" als Strukturelemente
für seine Rede und rät den Studenten, ihr
Handeln nach ihnen auszurichten. Er bettet seine Ratschläge
in die Geschichte und eine Analyse der aktuellen weltpolitischen
Lage ein. Um diese zu verstehen, ist eine umfassende
Allgemeinbildung und Kenntnis der internationalen Politikfelder
nötig.
Kennedy verweist auf die Staatsbildungen in Afrika,
Südamerika und Asien, um das Voranschreiten der
Freiheit zu belegen, welches seiner Ansicht nach eines
Tages auch Deutschland erfassen wird. Bis dahin fordert
er jedoch, die Gegebenheiten zu akzeptieren und damit
dem Leitwert "Wahrheit" gerecht zu werden.
"Gerechtigkeit" sieht er verwirklicht, wenn
die innerdeutschen Beziehungen erhalten und intensiviert
werden, um das "Schicksal der Menschen auf der
anderen Seite zu erleichtern".
"Freiheit" wird sich schließlich ihren
Weg bahnen. Kennedy belegt dies mit den bereits existenten
Bewegungen in den USA (Bürgerrechte) und in Afrika
(Entkolonialisierung) sowie mit den Ermüdungserscheinungen
in den sozialistischen Ländern Osteuropas.
Diese Bestandsaufnahme ist für Kennedy Grund zur
Annahme, dass Westeuropa auf die "Völker im
Osten" eine "stetig wachsende Anziehungskraft
ausüben kann und muss. Er fordert die Führer
der Sowjetunion auf, sich um eine "wirkliche Lösung"
zu bemühen und lädt sie zu Gesprächen
zur Rüstungsbegrenzung ein.
Auch in dieser Rede gibt Kennedy keine weitergehenden
politischen Versprechungen, sondern setzt auf die Überlegenheit
des westlichen Systems. Er fordert die Studenten auf,
ihr Schaffen in den Dienst der Demokratie zu stellen,
um den "Nachbarn die lebendige Wirksamkeit der
Demokratie zu zeigen" und beschwört abschließend
die Einigkeit Westeuropas, um die Aggressionen der Gegenseite
abzuwehren.
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