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8. Der Untergang des
chinesischen Kaiserreiches
Während der Zeit der Fremdherrschaft in China brach die jahrhundertealte
konfuzianisch geprägte politische Struktur Chinas zusammen: Das Kaiserhaus
als Verkörperung des Universalstaates wurde durch eine Gegenelite
ersetzt, die allerdings die Probleme des Landes unmittelbar auch nicht
lösen konnte. Der ehemalige Gouverneur von Schantung, Yuan Shikai,
wurde im November 1911 von der Provisorischen Nationalversammlung
zum Premierminister gewählt und vom Hof in seinem Amt bestätigt; Sun
Yatsen kurz darauf von den neuen Provinzparlamenten zum Provisorischen
Präsidenten der Republik China. Das Ende des Kaiserreiches hatte sich
allmählich vollzogen: War es der mandschurischen Qing-Dynastie im
Laufe des späten 17. und im 18. Jahrhundert durch enorme Gebietserweiterungen
und Angliederungen Tribut zahlender Randstaaten gelungen, ein großes
Reich der Mitte zu schaffen und eine Zeit kulturellen Reichtums einzuleiten,
sah sich das Kaiserhaus seit den 1840er Jahren immer weniger in der
Lage, die Begehren der imperialistischen Staaten abzuwehren oder das
Land für durchgreifende Reformen zu öffnen. Als der Hof während des
»Boxer«-Krieges aus Peking flüchten mußte, wurde seine
Schwäche ganz offenbar, und sein Ansehen geriet auf einen Tiefpunkt.
Die vom Hof und der Regierung angestoßenen Reformen in den Jahren
danach reichten nicht aus, das Kaiserhaus als Institution zu stärken,
so wie dies in Japan gelungen war. Als der letzte Kaiser von China,
Pu Yi, 1912 abdanken mußte, war aus dem »Sohn des Himmels«
und Zentralherrscher der Welt ein Bürger geworden. Die Zeit der Fremdherrschaft
und der radikalen Schnitte sowie die beigebrachte Demütigung hat in
der chinesischen Gesellschaft ein Trauma ausgelöst, das für viele
Chinesen erst mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der vergangenen Jahre
und mit der Rückgabe Hongkongs 1997 überwunden zu sein scheint. Die
Erfahrungen aus dieser Zeit bestimmten Chinas Politik zum Teil auch
heute.
Aus der Sicht der Fremden ist dies lange Zeit so nicht wahrgenommen
worden. Die Leistung der Deutschen, in China eine moderne, vorbildliche
Stadt und Kolonie entwickelt zu haben, wurde oft einseitig in den
Vordergrund gestellt. Wilhelm II. bezeichnete Tsingtau als Musterstadt
deutscher Kulturarbeit, worin sich die typisch deutsche Variante der
Pachtgebietspolitik spiegelte: Der Transfer von modernster Infrastruktur,
Technologie sowie Kultur- und Versorgungseinrichtungen verlieh der
Musterkolonie den Nimbus eines staatlichen Missionserfolges. Die Handelnden
vor einhundert Jahren setzten die Modernisierung als eine universell
geltende, positiv verstandene Norm voraus, so daß das davon abgeleitete
politische Verhalten gegenüber anderen Völkern als moralisch legitim
galt. Aus heutiger Sicht war es einseitig und ungerecht. |
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