Zu den wichtigsten Veränderungen der Monarchie unter Victorias Herrschaft gehörte das Auftreten der neuen Dimension der Öffentlichkeit. Nur wenige Untertanen hatten die Königin je mit eigenen Augen gesehen. Dennoch stand sie im Brennpunkt der Berichterstattung von Zeitungen und Zeitschriften. 1901 war der Thron von einer "Aura der Ehrerbietung" umgeben. Dieser denkwürdige Ausspruch stammte vom anonymen Autor eines bemerkenswert nüchternen Nachrufs auf die Königin, der unmittelbar nach ihrem Tod im Frühjahr 1901 im Quarterly Review erschien. Der Verfasser, in dem man später den Bibliothekar des Oberhauses und Autor von Father and Son, Edmund Gosse, erkannte, erwähnte außerdem die "halb religiöse Bewunderung", die der Königin entgegengebracht wurde, hielt jedoch gleichzeitig fest, daß man "den Charakter Ihrer Majestät im wesentlichen aus dem Kaffeesatz las; denn man kann wirklich nicht behaupten, daß man Genaueres darüber gewußt hätte". Selbst heute fällt es immer noch schwer, die Persönlichkeit der Königin von ihrem Bild in der Öffentlichkeit zu trennen. Die Unterscheidung ist jedoch unverzichtbar, will man die veränderliche Rolle einer Regierungsform verstehen, die sich in den letzten Jahrzehnten unseres eigenen Jahrhunderts, das immer lautstärker nach einer "modernen Monarchie" verlangt, noch einmal grundlegend gewandelt hat.Doch schon unter Victorias Herrschaft gab es Momente, in denen das Überleben der Monarchie mehr als fragwürdig schien. Laut ihrer Tochter Prinzessin Alice, Großherzogin von Hessen, äußerte die Königin selbst im Jahre 1872 zwar die Überzeugung, daß die Monarchie sie selbst überleben werde, dennoch sah sie am Horizont bereits eine "Kalamität heraufziehen": "Es nützt nichts, sich über das Danach Gedanken zu machen, solange die Hauptperson [ihr ältester Sohn und späterer Nachfolger Edward VII.] dies nicht tut." Ein vielgelesenes Buch mit dem Titel The Queen's Resolve, das zur Zeit ihres ersten, goldenen Thronjubiläums im Jahre 1887 erschien, begann mit den zuversichtlichen Worten: "Die Königin und ihre Untertanen sind eines Herzens und einer Seele. ... Die Feier des Jubiläumsjahres ist daher fürwahr ein ebenso persönliches wie nationales Ereignis. Unser aller Herzen sind tief bewegt von der Erinnerung an die gewaltigen religiösen, geistigen, moralischen, politischen und materiellen Veränderungen, die sich während der letzten 50 Jahre in den Geschicken des Empire ergeben haben; doch die Seele der Nation beschäftigt und interessiert sich vornehmlich für das Leben ihrer Königin."
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