EICHSTETTEN:
ARCHÄOLOGISCHE DENKMALPFLEGE IM WETTLAUF MIT DEM BAGGER
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Die
Ausgrabung
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Inmitten der Oberrheinischen Tiefebene erhebt sich eine Gebirgsinsel, der
Kaiserstuhl, der die Rheinebene um etwa 360 Meter überragt. Er besitzt einen
vulkanischen Kern, auf dem sich im Laufe der Eiszeiten eine etwa 30 Meter
starke Lößschicht anlagerte, die das Gelände außerordentlich fruchtbar macht.
Zur Fruchtbarkeit trägt das warme, fast mediterrane Klima sein übriges bei.
Neben Obst jeder Art gedeiht hier seit alters auf steilen, erosionsgefährdeten
Hängen der Wein. Schon in der Karolingerzeit, dem 8.
und 9. Jahrhundert n. Chr., baute man wahrscheinlich Terrassen. Die Weingärten
waren nicht nur schwer erreichbar, sondern - zumindest in der Neuzeit -
durch das Realteilungsrecht auch winzig geworden. Ein Ansatzpunkt für die
Flurbereinigung der 60er bis 90er Jahre. Heute sind bereits 3000 ha der 5400 Hektar Rebanbaufläche im Kaiserstuhl großflächig und von Grund auf umgestaltet, eine riesige, tiefgreifende Baufläche über Jahrzehnte, bei der kein Körnchen Erde an alter Stelle blieb. Die enormen Erdbewequngen in der alten Kulturlandschaft des Kaiserstuhls stellten die archäologische Denkmalpflege vor eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Vor den Baggern und Raupen der Flurbereiniger mussten die Archäologen die wertvollen Geschichtsquellen in mühevoller Kleinarbeit aus dem Boden bergen, denn beim Bau der neuen Terrassen wäre sonst alles für immer zerstört worden. 1975 wurde der Wannenberg, ein Weinbaugebiet am östlichen Kaiserstuhlrand unmittelbar nördlich des Ortes Eichstetten, durch die Flurbereinigung vollkommen umgestaltet. Dabei stieß man im März auf Skelette mit Grabbeigaben. Ein Skelett nach dem anderen wurde freigelegt, gezeichnet, vermessen. Aus 272 Gräbern rettete man innerhalb von drei Monaten 281 Skelette und Beigaben vor der Zerstörung. Sie lagen mit den Schädeln ungefähr im Westen in unregelmäßigen Reihen und Gruppen beieinander auf einer Fläche von etwa 50 mal 80 Metern. Um drei Gräber im Westen des Friedhofs wurden Reste von kreisförmigen Gräben, sogenannte Kreisgräben, von sechs bis acht Meter Durchmesser und einem Meter Breite beobachtet. Eine Erdbrücke im Osten ermöglichte bei einem dieser Gräben den Zugang zum Innenkreis, in dem sich die Grabgrube befand. Die anderen Gräben waren sicher ebenso konstruiert. Grableere Flächen um Gräber lassen insgesamt zehn bis zwölf solcher Kreisgräben im Westen des Friedhofs vermuten. Die Grabgruben des Friedhofs waren alle rechteckig, 1,10 bis 3,20 Meter lang und 0,45 bis 1,60 Meter breit. Die Grabtiefe ließ sich nicht mehr feststellen, da die oberen Erdschichten durch die Flurbereinigung schon weggeschoben waren, betrug aber im Durchschnitt mindestens einen Meter. Die Toten lagen vermutlich alle in rechteckigen oder seltener trapezförmigen Holzsärgen, einige wenige vielleicht auch in kleineren Holzkammern. Im trockenen Lößboden des Kaiserstuhls hat sich jedoch Holz nicht mehr erhalten. Lediglich Verfärbungen zeugen manchmal von den ehemaligen Holzbauten. Grab einer 40-50 Jahre alten Frau (Mitte 6. Jh.) Das Grab 53 lag im Nordosten des Friedhofs. Die Grabgrube, deren Rand wahrscheinlich identisch mit dem Sargumriss war, zeichnete sich exakt rechteckig in einer Länge von 2,68 Metern und einer Breite von 0,84 Metern ab. In ihrer Mitte lag das Skelett einer etwa 1,68 Meter großen, 40 - 50 Jahre alten Frau. Schmuck, Gefäße und Gebrauchsgegenstände waren ihr ins Grab gelegt worden: Glasperlen trug sie am Hals und auf der Brust; zwei kleinere Fibeln (Gewandnadeln) schlossen am Hals und inmitten der Taille ihren freilich nicht mehr erhaltenen Umhang; ihr ebenfalls vergangenes Untergewand war in der Mitte von einem schmalen Gürtel geschlossen, von dem heute nur noch die messingverzierte Eisenschnalle zeugt. Die links des Oberschenkels liegenden Gegenstände hingen einst an Riemen vom Gürtel (Gürtelgehänge): ein Messer, das sicher ursprünglich in einer Scheide aus Stoff oder Leder steckte, ein Kamm aus Knochen sowie, am Knie, mehrere kleine Gegenstände, die sich ursprünglich in einer Tasche befanden. Diese ist, wie alle übrigen Dinge aus Stoff, Leder, Holz und anderen organischen Materialien, im Laufe der Zeit verrottet. Oberhalb des Kopfes stand ein grobes Tongefäß, in dem sich ein kleiner Glasbecher befand. Auch der Inhalt dieser Gefäße - wahrscheinlich Nahrungsmittel - ist nicht erhalten. Grab eines 50 bis 60 Jahre alten Mannes (1. Hälfte 7. Jh.) Das Grab 195 lag im Nordwesten des Friedhofs. Die 2,60 Meter lange und 1,30 Meter breite Grabgrube befand sich im Zentrum eines nach Osten geöffneten, kreisförmigen Grabens, der vom Grabungsniveau an noch 0,40 Meter tief und zwischen 0,50 Meter und einem Meter breit war sowie einen Radius von 6 bis 6,50 Metern besaß. Der Tote, auf dem Rücken gelegen mit den Armen an den Seiten, war in Nordostrichtung gebettet. Holzspuren eines Grabeinbaus waren nicht erhalten. Die Lage von Skelett und Grabbeigaben auf der Südseite der Grabgrube und die freie Fläche auf ihrer Nordseite sprechen für die Konstruktion einer Holzkammer, wie sie für reicher ausgestattete, fränkische oder fränkisch beeinflusste Gräber üblich gewesen zu sein scheint. Im freien Teil der Grabgrube könnte man sich weitere Beigaben aus organischem Material vorstellen, wie zum Beispiel Holzmöbel. Die Größe der Grabgrube und der Kreisgraben geben dem Grab innerhalb des Friedhofs eine besondere Stellung, die durch die Waffenausstattung unterstützt wird, wenn diese auch nicht so außerordentlich ist. Kreisgräben um Gräber bedeutender Personen haben vermutlich mit dem Totenkult zu tun. Sie sind in der Zeit um 600 und in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts im ganzen Bereich der Reihengräberkultur zu finden. Impulse für diese Sitte kamen vielleicht vom fränkischen Niederrhein. Der im Alter zwischen 50 und 60 Jahren verstorbene Mann wurde mit seinen Waffen bestattet. Da beide Schwerter nicht umgebunden waren, kann man auch aus der Lage der Gürtelbeschläge nicht auf die Kleidung schließen. An der linken Seite des Mannes lag die Spatha, das zweischneidige Langschwert; neun Bronzebeschläge zeugen von der Lederscheide und dem an ihr befestigten, aus mehreren Riemen bestehenden Gürtel, der um die Scheide gewickelt gewesen sein muss; auf der rechten Seite des Toten lag das einschneidige Hiebschwert, der Sax, dessen Gürtel, nach der Lage der Eisenbeschläge, in einem Bogen über die Oberschenkel gebreitet war. Die Lederscheiden beider Waffen waren sicher einmal verziert. Von der Naht der Saxscheide stammen dekorative Bronzenietköpfe in zwei verschiedenen Größen. In einer Seitentasche der Saxscheide steckte wahrscheinlich auch das Messer, das im Grab unter dem Sax lag. Ein Frauendoppelgrab Beide Gräber lagen unmittelbar nebeneinander, waren gleich orientiert und fast gleichzeitig angelegt worden. Grab 133 entstand jedoch vermutlich etwas später als Grab 132. Die Gräber lagen im Südwesten des Friedhofs. Die Grabgrube des Grabes 132 war 2,70 Meter lang, die des Grabes 133 2,50 Meter. In ihrer Breite gehen die beiden Gruben ineinander und bilden eine große Grube von etwa 2,40 Metern Breite, in der sich zwei schmale, rechteckige Sargverfärbungen von 2,10 Metern mal 0,50 Meter (Grab 132) und 1,98 Metern mal 0,65 Meter (Grab 133) abzeichneten. Der Abstand zwischen beiden Särgen betrug 0,22 Meter. Beide Frauen lagen auf dem Rücken, den Blick nach Osten und die Arme am Körper. Vom Stoff ihrer Kleider hat sich, bis auf geringe Reste an einem der eisernen Kettenglieder, nichts erhalten. Beide Frauen hatten ähnliche Schmuckstücke mit ins Grab bekommen. Am Schädel jeder der beiden Frauen lag ein Ohrring desselben Ohrringpaares; in Grab 132 lagen zahlreiche Glasperlen im Halsbereich verstreut, in Grab 133 waren es weniger, sie stammten aber aus der gleichen Serie - wie von einem Einkauf! Beide Frauen trugen um ihr Kleid in der Taille ovale, schmucklose Eisenschnallen. Nur die Frau des Grabes 132 hatte zusätzlich noch ein Gürtelgehänge, das aus einem Eisenring, einer Reihe eiserner Kettenglieder, einem Nadelbruchstück und einem Messer bestand. Um die Kettenglieder zeichnete sich eine Erdverfärbung von vergangenem organischem Material ab, vielleicht von einer Tasche und ihrem Inhalt, zu dem dann auch das Nadelbruchstück gehört haben könnte. An den Füßen lagen in Grab 132 winzige bronzene Schnallen mit Beschlägen und Gegenbeschlägen sowie Riemenzungen; sie stammen von Schuhriemen. In Grab 133 sind Schnallen und Beschläge aus Eisen und mit Silber- und Messingstreifen tauschiert. |