EICHSTETTEN: ARCHÄOLOGISCHE DENKMALPFLEGE IM WETTLAUF MIT DEM BAGGER
 
Deutung der Funde

Der Friedhof bei Eichstetten, eine fast vollständig erhaltene, bei der modernen Ausgrabung gut dokumentierte Fundstelle, zeigt uns exemplarisch welche Erkenntnisse durch die systematische Erforschung von Reihengräberfriedhöfen gewonnen werden können. Hierin liegt seine Bedeutung - nicht in der Besonderheit seiner Funde. Ganz im Gegenteil: Es handelt sich um einen "Durchschnittsfriedhof" wie er für die Region typisch ist. Hier bestattete eine kleine, durchschnittlich wohlhabende Bevölkerungsgruppe ihre Toten und stattete diese mit den Gegenständen aus, die sie entsprechend ihrem Lebensalter auch zu Lebzeiten bei sich getragen hatten - die Frauen den Schmuck und kleines Gerät, die Männer Waffen und kleinere Werkzeuge - die Dinge des täglichen Lebens.
Früher versuchte man, Grabausstattungen aus Reihengräberfriedhöfen direkt rechtlichen Kategorien zuzuordnen, die aus schriftlichen Quellen, vor allem den Leges, bekannt sind: Freien, Halbfreien und Unfreien. Forschungen der letzten Jahrzehnte haben jedoch bewiesen, dass sich die rechtliche Stellung des Toten in den Grabausstattungen nur mittelbar widerspiegelt. Vergleiche zwischen Gräbern machten es aber möglich, Kriterien herauszuarbeiten, um den Reichtum der Bestatteten - und teilweise auch ihre Funktion - zu beurteilen. Ein wichtiger Faktor hierbei ist der Luxus der Ausstattungen: Massenware und lokale Produktion auf der einen, der ärmeren Seite, Import und exklusive Anfertigung auf der anderen. Die besser ausgestatteten Gräber des Friedhofs bei Eichstetten besitzen eine mittlere Qualität, wobei vereinzelt jedoch auch wertvollere Stücke begegnen können. Seltene Fernhandelsgegenstände und kostbare Sonderanfertigungen von Schmuck und Waffen, wie sie für die Gräber der Oberschicht - z. B. in Pfahlheim - typisch sind, finden sich in Eichstetten nicht. Wie hoch das Verhältnis von gut ausgestatteten Gräbern zu den ärmeren oder ganz armen Bestattungen hier ursprünglich war, lässt sich nicht mehr klar ermitteln. Von den Männern besaßen etwa 60 Prozent der gleichzeitig Lebenden Waffen - abhängig von Lebensalter, Gesundheit und sozialer Stellung. Der Prozentsatz von Frauengräbern mit wertvollerem Schmuck ist niedriger und liegt bei etwa 20%, doch ist der Schmuck ebenfalls altersbedingt. Neben einigen reicheren Gräbern des 6. Jahrhunderts fällt am Beginn des 7. Jahrhunderts eine Gruppe von Gräbern mit relativ großen Grabgruben auf, die einen leeren Raum oder einen Kreisgraben um sich haben. Die Verteilung dieser Gräber, ausschließlich Männergräber mit z.T. reicher Bewaffnung, die vielleicht von Grabhügeln überdeckt waren, zeigt am besten, dass der Friedhof von im wesentlichen gleichgestellten Familien belegt wurde. Verschieden reiche Ausstattungen sprechen jedoch dafür, dass es unter diesen Familien auch Unterschiede gab.
Ursache für das teilweise enge Beieinanderliegen der Männergräber mit Waffen könnte die Verwandtschaft der Bestatteten untereinander oder auch eine funktionelle Bindung, z.B. durch eine Gefolgschaft von Kriegern sein. Etwas hervorgehoben sind unter ihnen die Gräber mit Spathen und Schilden. Man wird hier an die Bestattung der Familienoberhäupter denken können. Wenn auch die Männer zu einem großen Teil Waffen trugen, so dürfte die Ernährungsgrundlage jedoch die Landwirtschaft, vielleicht sogar schon der Weinbau gewesen sein. Die Skelette weisen z. T. Spuren starker Beanspruchung auf und deuten auf harte Arbeit: Krieger, darunter auch Reiter, und Bauern.
Leider kennen wir aus dem 6. und 7. Jahrhundert viele Friedhöfe, aber kaum Siedlungen. Auch in Eichstetten können wir über den Siedlungsplatz der Leute, die auf dem Friedhof bestattet worden sind, nur Vermutungen anstellen. Erschwerend wirkt, dass die Friedhöfe damals in einem gewissen Abstand zum Wohnort der Lebenden angelegt wurden; die etwa 60 Personen verteilten sich auf vielleicht 10 Höfe. Ob diese Siedlung der unmittelbare Vorgängerort des heutigen Eichstetten war, ist nicht zu entscheiden. Der Name Eichstetten wird erstmals 1052 erwähnt - 350 Jahre nach Aufgabe des Friedhofs.
Der Friedhof fügt sich durch seine Lage zu einer Gruppe von Friedhöfen, zu denen leider nur im Fall von Sasbach eine gleichzeitige Siedlung archäologisch nachgewiesen ist. Die Fundstellen umgeben den Kaiserstuhl kranzartig am Rande seiner Täler. Die meisten von ihnen beginnen im 6. Jahrhundert und enden um 700. Die größte Funddichte ergibt sich im Norden im Verlauf einer alten Römerstraße, die von West nach 0st führte, und zeigt die Abhängigkeit von der römischen Infrastruktur in diesem Gebiet, das noch bis ins 5. Jahrhundert Grenzgebiet des Römischen Reiches war. Hier liegt bei Sasbach auch einer der vermutlich größten merowingerzeitlichen Fried- höfe Südwestdeutschlands. Der nördliche Kaiserstuhl, darunter auch Sasbach, war im 8. und 9. Jahr- hundert zumindest teilweise Königsqut. Aufgrund der Sasbacher Funde und Befunde vermutet man hier einen fränkischen Stützpunkt, dem dann bei der Eingliederung des Raumes in das fränkische Reich in machtpolitischer Hinsicht eine wichtige Rolle zugefallen sein müsste. Muss man sich die auf dem Friedhof bei Eichstetten bestatteten Familien als Gefolgsleute der Herren in Sasbach vorstellen?
Die große Geschichte der Zeit spiegelt sich auch in den Gegenständen, von denen die Kaiserstühler Krie- ger und Bauern umgeben waren. Am Beginn des 6. Jahrhunderts, der Zeit, in der die Alamannen teilweise noch im Einflussbereich des Ostgotenkönigs Theoderich standen, sind es Stücke, die aus dem Donaugebiet und Italien stammen. Noch vor der Mitte des 6. Jahrhunderts macht sich auch in Eichstetten der fränkische Einfluss bemerkbar. In dieser Zeit lässt sich ein anhaltender wirtschaftlicher Aufschwung spüren. Unterschiede zu den Pfahlheimer Funden ergeben sich nicht nur im sozialen Bereich, sondern auch in einer größeren Westorientierung: Awarische Einflüsse sind hier nicht zu erkennen. Die Reihengräbersitte, die uns so viele Einzelheiten über die Menschen in der Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter überliefert, währte etwa 200 Jahre vom Ende des 5. bis zum ausgehenden 7. Jahrhundert. Sie kennzeichnet in einem weiten Grenzgürtel des Römischen Reiches den Übergang vom Heidentum zum Christentum. Die Aufgabe der Reihengräberfriedhöfe um 700 führte vielfach für einige Zeit zu Unsicherheiten im Bestattungsbrauch, bevor sich die Bestattung auf dem Kirchfriedhof allgemein durchsetzte. Diese Phase können wir meist nur schlecht fassen. Die Lücke, die sehr oft, wie in dem gezeigten Beispiel von Eichstetten, zwischen dem Reihengräberfriedhof und der Ersterwähnung der Siedlung klafft, macht es uns schwer, die Entwicklung unserer heutigen Siedlungen in ihren Anfängen zu begreifen. Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass die Reihengräber oft am Beginn dieser Entwicklung stehen.

Barbara Sasse

 
 
 
Literaturangaben
                         
 
Übersicht
 
Ausstellung
 
Katalog
 
Impressum
 
Gästebuch
 
DHM
 
                         

   
zur vorherigen Seite
  zum Seitenanfang  
zur nächsten Seite