Religion
und geistige Vorstellungswelt
|
Schon der Versuch,
den Sinngehalt bestimmter Ornamente zu ergründen, gibt gewisse Aufschlüsse
über die geistige Vorstellungswelt. Einige Fundstücke erlauben jedoch
etwas differenziertere Aussagen. Sie führen in eine Welt im Umbruch, die
geprägt war von:
- dem Römischen Reich, dessen Westteil zwar 476 durch den Staatsstreich
des Germanen Odoaker seinen eigenen Kaiser verloren hatte und sich in
wenig stabile, germanische Königreiche aufgelöst hatte, deren Könige sich
jedoch teilweise noch als Beamte des oströmischen Kaisers verstanden;
- den alten, germanischen Stammesgesellschaften der Völkerwanderungszeit,
die sich in Auseinandersetzung mit dem Römischen Weltreich gebildet hatten;
- dem katholischen Christentum, der Staatsreligion des Römischen Reiches,
die gleichzeitig die römische, überlegene Zivilisation und herrschaftliche
Organisation vermittelte;
- dem Arianismus,
einer von der Reichskirche abgelehnten Form des Christentums, die vor
allem bei den Goten Eingang gefunden hatte;
- dem Heidentum. Neben christlichen Symbolen begegnen uns merkwürdige
Bräuche, die mit magischen, heidnischen Vorstellungen zusammenhängen können.
Die Frauen trugen am Gürtelgehänge nutzlose Gegenstände oder wahrscheinlich
symbolische Schmuckausführungen von Gebrauchsgegenständen oder sogar Miniaturwaffen.
Da immer wieder die gleichen merkwürdigen Dinge ausgewählt wurden, müssen
sie eine besondere Bedeutung gehabt haben. Vielleicht sprach man ihnen
eine besondere Kraft zu oder erhoffte sich Schutz vor Krankheit oder Unfruchtbarkeit.
Oft sind es jung verstorbene Frauen des 6. Jahrhunderts, die solche merkwürdigen
Dinge im Grab hatten. Ob dies auch zu Lebzeiten getragen wurden, wissen
wir allerdings nicht sicher. Die Bitte um Schutz und der Glaube an magische
Kräfte - seien sie christlich oder heidnisch - spiegeln die vielfache
Bedrohung des damaligen Menschenlebens wieder, dem der Tod in jedem Lebensalter
fühlbarer drohte als uns heute, die wir mit einer relativ sicheren, langen
Lebenszeit rechnen.
Scheibenfibel (Anfang 7. Jahrhundert)
Die runde Gewandspange besteht aus vier Teilen: einer über einem Model
gepressten, dünnen Bildplatte, einer Rückplatte mit Resten der Eisenspirale,
einem bandförmigen Außenring und einer tonartigen Füllmasse von 4 Millimeter
Stärke, die den Hohlraum zwischen Bildplatte, Ring und Rückplatte ausfüllte.
Die Bildplatte stellt die sitzende Göttin Roma dar. Sie hält in der linken
Hand eine Lanze, in der rechten eine Kugel, auf der die Göttin Viktoria
steht, die ihr einen Kranz überreicht. Die unleserliche Inschrift am Rand
kann man rekonstruieren als "INVICTA ROMA UTERE FELIX" - "Rom ist unbesiegt
- benutze dies glücklich". Das X von FELIX am unteren rechten Rand ist
so geschrieben, dass es wie ein Kreuzzeichen wirkt. Die Viktoria mit Kranz
wurde - vielleicht mit Absicht - im Gegensatz zu der Gestalt der Roma
nur undeutlich durchgedrückt. Füße und Hände wirken prankenartig. Auf
der Rückseite der Rückplatte findet sich eine missglückte Flechtband-
oder Schlaufenverzierung eingraviert. Die Fibel gehört zur großen Gruppe
von Pressblechfibeln, deren Bildplatten über Modeln geschlagen wurden
und so auch vervielfältigt werden konnten. Diese Art wurde im 7. Jahrhundert
beliebt und mit den verschiedensten Motiven ausgestattet. Häufig sind
Tier- und Menschendarstellungen, wobei man auch - wie hier - auf antike
Vorbilder zurückgriff. Man bediente sich spätrömischer Münzen und Medaillons
mit der Darstellung der Stadtgöttin Roma in der auf Münzbildern üblichen
Position des Kaisers, die häufig auch die Aufschrift "ROMA AETERNA" -
ewiges Rom - tragen. Wir kennen eine ganze Gruppe von Fibeln mit diesem
Bild.
Welcher Sinngehalt ihm beigemessen wurde, kann man nur ahnen. Sicher wurde
verstanden, dass es sich um die Darstellung eines römischen Herrschers
oder einer Herrscherin handelte, denn römische Münzen waren, wie wir auch
aus dem Friedhof selbst wissen, in dieser Zeit wohlbekannt. Dass diese
Darstellung auch christlich gedeutet wurde, ist sehr wahrscheinlich und
durch das christliche spätrömische Weltreich gegeben. Die Fibeln zeigen,
dass auch im 7. Jahrhundert die Idee des römischen Reiches nicht erloschen
war, eine Idee, die zumindest seit der Zeit Karls des Großen als Herrschaftslegitimation
die gesamte mittelalterliche Geschichte durchzieht.
Scheidenmundblech - Spatha mit Scheidenmundblech von der Spathascheide
(1. Hälfte/Mitte 6. Jahrhundert)
Das Mundblech der Scheide des zweischneidigen Langschwertes, die aus organischem
Material - Holz oder Leder - war und sich nicht erhalten hat, ist unverziert,
trägt aber eine Runeninschrift. Die Inschrift enthält neben Zeichen des
aus 24 Buchstaben bestehenden älteren germanischen Alphabets, des sogenannten
älteren Futhark, zwei Christuszeichen (Zeichen 3 und 5). Unter den ersten
fünf Zeichen finden sich zwei weitere Symbolzeichen, A für *A-nsuz (Wotan
bzw. Odin) und I für *I-saz, bzw. I-esus. Im zweiten Teil lässt sich die
Buchstabenfolge erkennen:
M
|
U
|
N
|
T
|
|
W
|
I
|
|
W
|
O
|
L
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
6
|
7
|
8
|
9
|
|
10
|
11
|
|
12
|
13
|
14
|
Die Inschrift wurde
deshalb folgendermaßen gedeutet: "Unter dem Zeichen von Wotan und Jesus
soll mir mit dieser Waffe Schutz zuteil werden." Stimmt diese Lesung,
so versicherte man sich des Wohlwollens der heidnischen wie der christlichen
Gottheit.
Bärenzahn - Gürtelgehänge (1. Hälfte 6. Jahrhundert)
Das Gürtelgehänge stammt von einer im Alter von 18 bis 23 Jahren gestorbenen
Frau. Die Stücke hingen in der hier angegebenen Reihenfolge an einem oder
mehreren Bändern, die nicht erhalten sind, vom Gürtel herab. Es handelt
sich um eine Mischung von vermutlich symbolischen Gegenständen mit Unheil
abwehrender Wirkung und einem Gebrauchsgegenstand, dem Messer. Bärenzähne
finden sich besonders häufig auf Friedhöfen beiderseits des Schwarzwaldes.
Man schrieb ihnen vermutlich Kraft und Unheil abwehrende Wirkung zu.
Gürtelgehänge (2. Hälfte 6. Jahrhundert):
Zierscheibe und Meeresschnecke (Cypraea) mit Ring
Das Gürtelgehänge eines im Alter von 16 bis 20 Jahren verstorbenen Mädchens
war vielleicht ursprünglich reichhaltiger, denn das Grab ist gestört.
Zum Gehänge gehörte wahrscheinlich auch ein flaches Bronzeschälchen mit
einer Scherbe aus farblosem, durchsichtigem Glas. Die einreihig verzierte,
gegossene Scheibe besteht in der Mitte aus einem nicht vollständig gelungenen
Kreuz, das durch vier Winkel verstärkt wird. Das Kreuz ist vermutlich
christlich zu deuten. Der Stoffabdruck in Leinenbindung spricht dafür,
daß die Scheibe aufgenäht war. Cypraeen sind Importstücke aus dem Mittelmeerraum
oder dem Roten Meer. Man nimmt eine symbolische Bedeutung im weiblich-sexuellen
Bereich an. Häufig sind sie, wie hier, mit einer Zierscheibe kombiniert.
Spinnwirtel (2. Hälfte 6. Jahrhundert)
Der besonders kunstfertig hergestellte schwarzgrüne Rosettenwirtel mit
weißen Schlieren besaß vielleicht ebenso wie die anderen Glaswirtel, Prunkperlen
und der Bergkristall eine symbolische Bedeutung. Er gehört jedoch zu den
Gegenständen, die auch als Gerät verwendet werden konnten. Solche Stücke
finden sich eher in den Gräbern etwas älterer Frauen.
|