VORWORT
 
"Tief ist der Brunnen der Vergangenheit"
Wer hineinzublicken versucht etwa in die "dunkle" Zeit des frühen Mittelalters, bedarf der Hilfe hochspezialisierter Wissenschaften, will er mehr sehen als verschwommene Konturen. Diese Ausstellung zeigt Geschichtszeugnisse des sechsten und siebten Jahrhunderts nach Christus, einer Zeit also, die durch schriftliche Quellen kaum erhellt wird. Was uns vom damaligen Leben erzählt, sind stumme Dinge, die aus Gräbern stammen und durch die Kunst der Archäologie zu reden beginnen. In weiten Teilen Mitteleuropas war es in jener fernen Zeit üblich, die Toten für ihre letzte Reise mit Waffen, Schmuck und Alltagsgegenständen auszustatten. Seit dem 19. Jahrhundert hat man manche dieser Friedhöfe geborgen und sich aus den Funden ein Bild der "germanischen" Zeit rekonstruiert. Die systematische Grabungswissenschaft unserer Gegenwart ist zu wesentlich differenzierteren historischen Erkenntnissen fähig als die zutiefst mit der deutschen Nationalbewequng verknüpfte Archäologie des 19. Jahrhunderts. Der Fortschritt bedeutet freilich oft genug auch Schwinden von Gewissheit und Mehrung des Zweifels. Was also erzählen die historischen Relikte eigentlich wirklich? Diese Kernfrage der Archäologie schriftarmer Epochen ist, mutatis mutandis immer auch die Fragezeichen-Achse eines historischen Museums. Wer nicht bloß bekannte historische Daten mit "passenden" Objekten illustrieren will, sondern darauf beharrt, dass das historische Museum der Sprache der Dinge zuhören muss, wird die archäologische Diskussion aus methodischer Nachbarschaft immer spannend finden. Als das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und das Museum für Ur- und Frühgeschichte in Freiburg 1989 die Ausgrabung eines merowingischen Friedhofs am Kaiserstuhl ausstellten, baten wir, die Objekte auch in Berlin zeigen zu dürfen. Während der ersten Vorbereitungen öffnete sich die Mauer, und wir begannen unseren Dialog mit dem Museum für Deutsche Geschichte der DDR über Themen für eine Zusammenarbeit.
Es traf sich, dass dort an eine Präsentation der berühmten Fürstengräber von Sackrau (Archäologisches Museum Wroclaw/Breslau) gedacht wurde. Die beiden Grabungen zu kombinieren, dabei aber auch nach dem Einfluss von Politik und Ideologie auf die historische Interpretation zu fragen, schien beiden Seiten reizvoll. Dass dieser Dialog, kaum begonnen, abrupt beendet wurde, lag an der Schließung des Museums für Deutsche Geschichte durch die Regierung der DDR noch vor der Wiedervereinigung. Das Projekt in seiner jetzigen Fassung stellt eine systematische Ausgrabung des 20. Jahrhunderts Funden des 19. Jahrhunderts gegenüber. Wir streifen dabei das Thema von Ideologie und Wirklichkeit der "germanischen" Vergangenheit - freilich nur skizzenhaft: in Zusammen-arbeit mit Museen der nordischen Länder soll dies in Zukunft einmal im großen Maßstab ausgebreitet werden. Nicht zuletzt geht es um das Erproben neuer Ausstellungsmethoden, die das Publikum auch für vordergründig Sprödes geneigt stimmen sollen. All dies wird möglich durch eine von allen Partnern in schöner Selbstverständlichkeit praktizierte Zusammenarbeit. Das Deutsche Historische Museum ist seinem Ideal, auch Ort der Selbstdarstellung anderer historischer Institutionen zu sein, einen Schritt näher gekommen. Professor Dr. Wilfried Menghin (Museum für Vor- und Frühgeschichte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz) stellte seine Forschungsergebnisse über das Ende des 19. Jahrhunderts ausgegrabene alamannische Gräberfeld in Pfahlheim (Baden-Württemberg) zur Verfügung. Dazu kommen Pfahlheimer Funde aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und dem Württembergischen Landesmuseum Stuttgart. Bedankt seien alle Leihgeber und Mithelfer: Prof. Dr. Dieter Planck, der baden-württembergische Landeskonservator, der auch die Präsentation der anthropologischen Funde ermöglichte, Dr. Hilde Hiller (Museum für Ur- und Frühgeschichte Freiburg) und Dr. Gerhard Fingerlin (Außenstelle Freiburg der Archäologischen Denkmalpflege), ohne deren Hilfe unser Vorhaben nicht seine runde Gestalt hätte gewinnen können. Der Gestalter der Ausstellung, Michael Hoffer (München/Wien) ist vor sieben Jahren schlagartig bekannt geworden, mit seinem Erstlingswerk, der dem Tod gewidmeten Münchner Ausstellung "Die letzte Reise" anlässlich des Deutschen Katholikentags. Damals wagte er es, ein offenes Grab in aller Realität ins Museum zu bringen. Hoffers zu Drastik und Diskretion gleichermaßen fähige Ausstellungskunst ist seitdem in vielen schönen Projekten fruchtbar geworden - zum Nutzen der historischen Wissenschaften, die dank Hoffers Begabung zur sinnlichen Interpretation die Fenster zum Publikum weit öffnen konnten. Die Gestaltung von Ausstellungen wird, obwohl mindestens so wichtig fürs Gelingen wie das Bühnenbild im Theater, erstaunlicherweise immer viel weniger rezensiert als Katalog und Objekte. Darum sei an dieser Stelle besonders Michael Hoffer gedankt, nicht zuletzt für die seltene Gabe des geduldigen Zuhörens.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
 
Christoph Stölzl
 
 
                         
 
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