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Bereits im 8. Jahrhundert lebten
Juden im Reich. Sie bildeten eine religiöse Minderheit, die seit dem 13. Jahrhundert zunehmend ausgegrenzt
und verfolgt wurde. Nach den Vertreibungen des späten Mittelalters
flohen viele deutsche Juden nach Osteuropa. Etwa 20.000 blieben
jedoch und lebten über das Reichsgebiet verstreut.
Ende des 15. Jahrhunderts wurden 150.000 bis 200.000 Juden
aus Spanien und Portugal vertrieben. Nur die, die zum Christentum
übertraten, durften bleiben. Die Inquisition verfolgte
sie trotzdem als ‚Scheinchristen’, weshalb viele von ihnen
aus ihrer Heimat flohen. Die meisten zogen nach Nordafrika,
Südosteuropa oder in die Spanischen Niederlande. Einige
ließen sich in norddeutschen Handelsstädten nieder.
Im Reich waren die Juden stärker als andere von der Gunst
der Obrigkeiten abhängig. Ihr Aufenthaltsrecht war nicht
gesichert. Es musste bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein
als ‚Schutzbrief’ teuer erkauft werden. Das Bürgerrecht
war ihnen als Nichtchristen grundsätzlich verwehrt. Diejenigen,
die kein 'Schutzgeld’ zahlen konnten, fristeten ihr
Dasein als Vaganten und ‚Betteljuden’ auf der
Straße.
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Reglement betr.
die Lebensverhältnisse der Juden in Hamburg |
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„Neue-Reglement Der Judenschafft in Hamburg /
So Portugiesisch- als Hochteutscher Nation“
Hamburg, 7. September 1710
Druck, 30,7 x 19,0
Hamburg, Staatsarchiv Hamburg, Bestand Bibliothek, Mandaten-Sammlung,
X 620/12
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Das „Reglement der Judenschaft in
Hamburg“ von 1710 beendete die Rechtsunsicherheit, die
das Leben der deutschen bzw. aschkenasischen Juden bis dahin
bestimmt hatte. Seit den 1620er Jahren hatten sie sich –
stillschweigend vom Rat der Stadt geduldet – vermehrt
in Hamburg niedergelassen. Ohne verbrieftes Niederlassungsrecht
waren sie jedoch den Angriffen von Bürgerschaft und lutherischer
Geistlichkeit schutzlos ausgeliefert. Sie wurden im Laufe
der Jahre mehrfach ins liberale dänische Altona ausgewiesen.
Das Reglement galt für portugiesische und deutsche Juden
gleichermaßen. Es enthielt Bestimmungen zum Wohnrecht,
zum Handel, zur Besteuerung und zu Fragen der Religionsausübung.
Die Errichtung einer Synagoge blieb den Juden Hamburgs weiterhin
verwehrt. Das Reglement bildete bis ins 19. Jahrhundert die
Grundlage des Hamburger Judenrechts.
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Liedblattverkäufer |
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Martin Dichtl (um 1639/40 – 1710)
1669
Öl auf Leinwand, 98,0 x 76,0
Salenstein/Schweiz, Margit & Hans-Roland Becker
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Das Bild zeigt einen jüdischen Wanderhändler.
Die Darstellung ist frei von den übertriebenen, stereotypen
Gesichtszügen, mit denen Juden meist abgebildet wurden.
Mit klarem, selbstbewusstem Blick begegnet der Mann mittleren
Alters dem Betrachter. Der Porträtierte ist namentlich
nicht bekannt, die breite Mütze mit dem Pelzbesatz legt
aber die Vermutung nahe, dass er aus Osteuropa stammt. Seinen
niedrigen Stand erkennt man unter anderem am Zustand der Kleidung.
Der einfache Umhang ist locker zurückgeschlagen und gibt
den Blick frei auf eine alte, nachlässig geknöpfte
und zerschlissene Jacke. Aus einer Umhängetasche schauen
zwei Liedblätter heraus, weitere hält er in der
rechten Hand. Dem deutlich lesbaren Titel ist zu entnehmen,
dass es sich um „Weltliche Lieder“ handelt. Zu
seinem Warenangebot gehört auch Kinderspielzeug. In der
Linken trägt er einen Stab, an dem ein buntes Papiervögelchen
baumelt. Das Vögelchen brachte der Händler zum Surren
und kündigte damit sein Erscheinen im Ort akustisch an.
Juden waren in ihrer Erwerbstätigkeit bis ins frühe
19. Jahrhundert zahlreichen Beschränkungen unterworfen.
Der Zugang zum traditionellen, in Zünften organisierten
Handwerk war ihnen versperrt. Auch der Zuzug von Juden wurde
streng reglementiert. Wer sich aus Geldmangel keinen festen
Aufenthaltstitel erkaufen konnte, musste aus der Not eine
Tugend machen und als Wanderhändler umherziehen.
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