Plakatmotiv "Migrationen 1500-2005"

 

Zuwanderungsland Deutschland: Migrationen 1500-2005 - Die Hugenotten, Deutsches Historisches Museum
22. Oktober bis 12. Februar 2006, Ausstellungshalle von I.M. Pei - Logo DHM

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Wandernde Handwerksgesellen und Gesinde

 

Handwerker gehörten im deutschen Sprachraum bis ins 19. Jahrhundert hinein zu den mobilsten Bevölkerungsgruppen. In mitteleuropäischen Städten waren rund drei Viertel der Gesellen zugewandert.
Bereits im späten Mittelalter war die Gesellenwanderung weit verbreitet, doch erst im 16. Jahrhundert wurde sie zur Pflicht. Ausgenommen waren nur Mitglieder „gesperrter Handwerke“ wie die böhmischen Glashersteller, die um ihre Produktionsgeheimnisse fürchteten. Während der Wanderjahre hatten die Gesellen die Möglichkeit, ihre Kenntnisse fernab der Heimat zu vertiefen und neue Fertigungsmethoden zu erlernen.

Die Schriften sind Teile der Autobiographie des elsässischen Kannengießers Augustin Güntzer.
Der beistehende Button ermöglicht es Ihnen, Auszüge aus der Lebensbeschreibung Güntzers anzuhören.

Auszüge aus der Autobiographie von Augustin Güntzer
Aus: Augustin Güntzer, Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert, hg. von Fabian Brändle und Dominik Sieber, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2002, S. 125-152

.mp3, 2.840 KB

Augustin Güntzer hatte eine im wahrsten Sinne des Wortes bewegte Lebensgeschichte. Als Geselle unternahm er zwei mehrjährige Wanderungen, die ihn in südlicher Richtung bis nach Rom, in nördlicher bis nach Riga führten. In der Folge des Dreißigjährigen Krieges und aufgrund seines Festhaltens am Calvinismus war der inzwischen recht wohlhabende Handwerksmeister mehrmals zur Emigration gezwungen. Dabei war sein sozialer Abstieg unvermeidlich. Güntzer endete als verarmter Zuckerbäcker und Wanderhändler. Der Text ist eine der wenigen Autobiographien aus den unteren Schichten in der Frühen Neuzeit.

 

  Darstellung des kranken Augustin und Memento-mori-Texte
 


Darstellung des kranken Augustin und Memento-mori-Texte


Aus: „Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben“
Augustin Güntzer (Oberehnheim 1596 – nach 1657 wohl Basel)
Wohl 1657, Federzeichnung; handschriftlich, 15,0 cm x 18,8 cm
Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität Basel,
Mscr H V 165, an Bl. 24

 

Diese Zeichnung zeigt den 14jährigen, an Tuberkulose und Hepatitis erkrankten Augustin Güntzer auf dem Sterbebett im Kreis seiner Familie. Verschiedene Symbole der Vergänglichkeit, wie eine Sanduhr, und memento-mori-Texte, die den Leser an die eigene Sterblichkeit erinnern sollten, ergänzen das Bild. Mit Hilfe eines jüdischen Arztes konnte Güntzer jedoch geheilt werden.

 

  Szenen aus der Wanderschaft Augustin Güntzers
 




Begegnung Güntzers mit den Räubern im Stettiner Wald, Begegnung mit dem Mäher, der Güntzer Speise und Trank spendiert
Aus: „Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben“
Augustin Güntzer (Oberehnheim 1596 – nach 1657 wohl Basel)
Wohl 1657, Federzeichnung; handschriftlich
15,0 cm x 18,8 cm, Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität Basel,
Mscr H V 165, nach Bl. 89

Diese Zeichnung zeigt Szenen aus der Gesellenwanderung Augustin Güntzers. Links trifft er im Stettiner Wald auf einige Räuber. Rechts ist seine Begegnung mit einem Mäher zu sehen, der ihm Speis und Trank anbietet.

 

Die Obrigkeiten reglementierten die Mobilität: Eine Fülle von Ordnungen und Erlassen zielte auf bessere Kontrolle der Wandernden und regelte ihren Aufenthalt.
Ein Reichspatent von 1731 schrieb den Zünften vor, jedem aus dem Dienst scheidenden Handwerksgesellen ein spezielles Ausweisdokument, die sogenannte ‚Kundschaft’, auszustellen. Dieses hatte der Geselle unterwegs immer bei sich zu führen.

  'Kundschaft’ für den Gesellen Johann Daniel Weber
 


‚Kundschaft’ für den Gesellen Johann Daniel Weber



Augsburg, 12. September 1773
Typendruck, handschriftlich, Kupferstich 34,0 x 43,9
Berlin, Deutsches Historisches Museum, Do 2001/44

 

In dieser 'Kundschaft’ von 1773 attestiert die Augsburger Meisterinnung der Knopfmacher dem Gesellen Johann Daniel Weber, dass er „bey uns allhier ein Jahr in Arbeit gestanden, und sich solche Zeit über treu, fleißig, still, frid=sam und ehrlich, wie einem ieglichen Handwerks-Pursch gebühret verhalten hat.“ Das Blatt ziert eine Ansicht der freien Reichsstadt Augsburg, über der der Reichsadler schwebt.

Ähnlich wie die Handwerksgesellen gehörte das Gesinde zu den mobilsten Gruppen der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft. Da die Arbeitsverträge auf ein Jahr beschränkt waren, wechselten die Hausangestellten häufig ihre Stellung. Doch anders als die Gesellen stammten Knechte und Mägde meist aus der näheren Umgebung: Zwischen Herkunftsort und Arbeitsplatz lagen selten mehr als 20 Kilometer.
Rechtlich unterstand das Gesinde der Befehls- und Strafgewalt des Hausherrn. Knechte und Mägde waren ihm gegenüber zu Treue, Gehorsam und uneingeschränkter Arbeitsamkeit verpflichtet. Widerrechtliches Verhalten konnte mit körperlicher Züchtigung seitens des Hausherrn geahndet werden.

  Gesindeordnung
 





„Ihrer / Chur = Fürstl. Durchl. / zu Sachßen, / u.u. / neu = erläuterte und verbeßerte / Gesinde = / Ordnung.“
Dresden, 16. November 1769
Typendruck, 34,7 cm x 21,2
Berlin, Deutsches Historisches Museum
Do 57/158

 

 

Dies schlägt sich auch in der vorliegenden Gesindeordnung nieder. Sie regelte die Modalitäten des Gesindedienstes, wie Vertragsabschluss und -ende, Lohn, Verpflegung und Unterkunft. Zugleich diente sie der Disziplinierung des Gesindes.

 

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