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Handwerker gehörten im deutschen
Sprachraum bis ins 19. Jahrhundert hinein zu den mobilsten
Bevölkerungsgruppen. In mitteleuropäischen Städten
waren rund drei Viertel der Gesellen zugewandert.
Bereits im späten Mittelalter war die Gesellenwanderung
weit verbreitet, doch erst im 16. Jahrhundert wurde sie zur
Pflicht. Ausgenommen waren nur Mitglieder „gesperrter
Handwerke“ wie die böhmischen Glashersteller, die
um ihre Produktionsgeheimnisse fürchteten. Während
der Wanderjahre hatten die Gesellen die Möglichkeit,
ihre Kenntnisse fernab der Heimat zu vertiefen und neue Fertigungsmethoden
zu erlernen.
Die Schriften sind Teile der Autobiographie des elsässischen
Kannengießers Augustin Güntzer.
Der beistehende Button ermöglicht es Ihnen, Auszüge
aus der Lebensbeschreibung Güntzers anzuhören.
Auszüge
aus der Autobiographie von Augustin Güntzer
Aus: Augustin Güntzer, Kleines Biechlin von meinem
gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässer
Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert, hg. von Fabian
Brändle und Dominik Sieber, Köln/Weimar/Wien:
Böhlau 2002, S. 125-152 |
.mp3, 2.840 KB |
Augustin Güntzer hatte eine im wahrsten Sinne des Wortes
bewegte Lebensgeschichte. Als Geselle unternahm er zwei mehrjährige
Wanderungen, die ihn in südlicher Richtung bis nach Rom,
in nördlicher bis nach Riga führten. In der Folge
des Dreißigjährigen Krieges und aufgrund seines
Festhaltens am Calvinismus war der inzwischen recht wohlhabende
Handwerksmeister mehrmals zur Emigration gezwungen. Dabei
war sein sozialer Abstieg unvermeidlich. Güntzer endete
als verarmter Zuckerbäcker und Wanderhändler. Der
Text ist eine der wenigen Autobiographien aus den unteren
Schichten in der Frühen Neuzeit.
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Darstellung
des kranken Augustin und Memento-mori-Texte |
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Aus: „Kleines
Biechlin von meinem gantzen Leben“
Augustin Güntzer (Oberehnheim 1596 – nach
1657 wohl Basel)
Wohl 1657, Federzeichnung; handschriftlich, 15,0 cm
x 18,8 cm
Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität
Basel,
Mscr H V 165, an Bl. 24
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Diese Zeichnung zeigt den 14jährigen, an Tuberkulose
und Hepatitis erkrankten Augustin Güntzer auf dem Sterbebett
im Kreis seiner Familie. Verschiedene Symbole der Vergänglichkeit,
wie eine Sanduhr, und memento-mori-Texte, die den Leser an
die eigene Sterblichkeit erinnern sollten, ergänzen das
Bild. Mit Hilfe eines jüdischen Arztes konnte Güntzer
jedoch geheilt werden.
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Szenen aus der Wanderschaft
Augustin Güntzers |
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Begegnung Güntzers
mit den Räubern im Stettiner Wald, Begegnung
mit dem Mäher, der Güntzer Speise und Trank
spendiert
Aus: „Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben“
Augustin Güntzer (Oberehnheim 1596 – nach
1657 wohl Basel)
Wohl 1657, Federzeichnung; handschriftlich
15,0 cm x 18,8 cm, Basel, Öffentliche Bibliothek
der Universität Basel,
Mscr H V 165, nach Bl. 89
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Diese Zeichnung zeigt Szenen aus der Gesellenwanderung Augustin
Güntzers. Links trifft er im Stettiner Wald auf einige
Räuber. Rechts ist seine Begegnung mit einem Mäher
zu sehen, der ihm Speis und Trank anbietet.
Die Obrigkeiten reglementierten die Mobilität: Eine
Fülle von Ordnungen und Erlassen zielte auf bessere Kontrolle
der Wandernden und regelte ihren Aufenthalt.
Ein Reichspatent von 1731 schrieb den Zünften vor, jedem
aus dem Dienst scheidenden Handwerksgesellen ein spezielles
Ausweisdokument, die sogenannte ‚Kundschaft’,
auszustellen. Dieses hatte der Geselle unterwegs immer bei
sich zu führen.
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'Kundschaft’ für
den Gesellen Johann Daniel Weber |
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Augsburg, 12. September 1773
Typendruck, handschriftlich, Kupferstich 34,0 x
43,9
Berlin, Deutsches Historisches Museum, Do 2001/44
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In dieser 'Kundschaft’ von 1773 attestiert die Augsburger
Meisterinnung der Knopfmacher dem Gesellen Johann Daniel Weber,
dass er „bey uns allhier ein Jahr in Arbeit gestanden,
und sich solche Zeit über treu, fleißig, still,
frid=sam und ehrlich, wie einem ieglichen Handwerks-Pursch
gebühret verhalten hat.“ Das Blatt ziert eine Ansicht
der freien Reichsstadt Augsburg, über der der Reichsadler
schwebt.
Ähnlich wie die Handwerksgesellen gehörte das Gesinde
zu den mobilsten Gruppen der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft.
Da die Arbeitsverträge auf ein Jahr beschränkt waren,
wechselten die Hausangestellten häufig ihre Stellung.
Doch anders als die Gesellen stammten Knechte und Mägde
meist aus der näheren Umgebung: Zwischen Herkunftsort
und Arbeitsplatz lagen selten mehr als 20 Kilometer.
Rechtlich unterstand das Gesinde der Befehls- und Strafgewalt
des Hausherrn. Knechte und Mägde waren ihm gegenüber
zu Treue, Gehorsam und uneingeschränkter Arbeitsamkeit
verpflichtet. Widerrechtliches Verhalten konnte mit körperlicher
Züchtigung seitens des Hausherrn geahndet werden.
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Gesindeordnung |
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„Ihrer / Chur = Fürstl. Durchl. / zu Sachßen,
/ u.u. / neu = erläuterte und verbeßerte
/ Gesinde = / Ordnung.“
Dresden, 16. November 1769
Typendruck, 34,7 cm x 21,2
Berlin, Deutsches Historisches Museum
Do 57/158
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Dies schlägt sich auch in der vorliegenden
Gesindeordnung nieder. Sie regelte die Modalitäten des
Gesindedienstes, wie Vertragsabschluss und -ende, Lohn, Verpflegung
und Unterkunft. Zugleich diente sie der Disziplinierung des
Gesindes.
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