EMBEDDED ART - KUNST IM NAMEN DER SICHERHEIT
Das Thema Sicherheit betrifft längst nicht mehr nur den Schutz vor natürlichen Gefahren, Unfällen oder militärischen Angriffen, sondern ist zu einem Lebensstil, zu einer Wachstumsbranche geworden. Kommerzielle Sicherheitsdienste und staatliche Exekutivorgane profitieren von einer gesellschaftlichen Situation, in der sich die vorrangig nukleare Bedrohung des Kalten Krieges hin zur Angst vor terroristischen Anschlägen verschoben hat. Deren Unkalkulierbarkeit wird mit neuen Überwachungstechnologien und der schrittweisen Beschränkung von Bürgerrechten und Privatsphäre begegnet. Doch ebenso wie Sicherheit und Kontrolle einen zentralen Gegenstand nationaler und internationaler Politik bilden, lassen sie sich als Grundformeln der Moderne begreifen: das Leben zu standardisieren, planbar, effizient, frei und sicher zu machen. Die Reihe EMBEDDED ART – KUNST IM NAMEN DER SICHERHEIT kombiniert genreübergreifende Kurz-, Dokumentar- und Spielfilme, um auf diese Weise die aktuelle Brisanz der Debatte um Innere Sicherheit, Angst und Terror, Protestkultur und Ausgrenzung historisch zu kontextualisieren und Fragen nach psychologischen wie sozialen Implikationen zu stellen. Die sechs Filmprogramme hat Florian Wüst kuratiert.
Eine Filmreihe im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz (24.1. – 22.3.2009). Weitere Informationen: www.adk.de/embeddedart
Défense 58-24
BRD 1958, R: Harry Kramer, 9'
Zeitlupe vom 19.7.1963 – Hamburg: Einweihung der modernsten Polizeizentrale Europas
BRD 1963, P: Deutsche Wochenschau GmbH, 3’ Video
Aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste – Nr.1
BRD 1984, R: Helke Sander, 11'
N.N.
BRD 1969, R: Ottomar Domnick, 76'
Der anonyme, in der »verwalteten Welt« gefangene Mensch ist ein wiederkehrendes Motiv in den Filmen des Stuttgarter Filmemachers und Nervenfacharztes Ottomar Domnick. Während Jonas (1957) trotz Verwendung surrealistischer Stilmittel einer Spielhandlung folgt, beschränkt sich Domnicks späterer Film N.N. auf eine serielle, sich paranoisch entwickelnde Bildcollage, ohne die Figur eines Darstellers, lediglich unterlegt mit einer monologisierenden männlichen Stimme: die Reflexionen eines Architekten, der über die zunächst begeisternde Planung eines „perfekten Gefängnisses“ in Zweifel und Verzweiflung an Recht und Unrecht gerät. Diese existentielle Verunsicherung, das Gefühl von Kälte und Bedrohung in der neuen Freiheit der jungen Bundesrepublik wird im Programm durch Harry Kramers experimentellen Animationsfilm Défense 58-24 eingeführt. Objekte aus gefundenen Materialien bewegen sich durch eine karge Modelllandschaft, die wie eine Traumschleife komponierten Bilder schneiden wiederholt auf übergroße Augen und rufen so ein Szenario der Überwachung hervor. Was hier noch Teile von Drahtskulpturen sind, entspricht in einem Wochenschau-Ausschnitt von 1963 den „elektronischen Fernaugen“ der Hamburger Polizei, von deren Inbetriebnahme an den Verkehrsknotenpunkten der Stadt berichtet wird. Ebenfalls in Hamburg spielt Helke Sanders Aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste – Nr.1, die filmische Rekonstruktion einer Zeitungsmeldung über eine junge Frau in Wohnungsnot, die auf spektakuläre Weise ihr Problem und Anliegen publik macht.
Einführung: Olaf Arndt, Florian Wüst
am 3.2.2009 um 20.00 Uhr
Der schwarze Kasten
D 1992, R: Johann Feindt, Tamara Trampe, 97'
Oberstleutnant Jochen Girke lehrte das Fach »Operative Psychologie« an der Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit, in seinen Vorlesungen saßen zukünftige Ermittlungsbeamte und Führungsoffiziere informeller Mitarbeiter. In der alltäglichen Lebenspraxis der DDR-Bürger hatte die Anwendung dieses Wissens oftmals verheerende Folgen. Johann Feindts und Tamara Trampes Film dringt in die verschlossene Welt eines Mannes ein, der von sich selbst sagt, dass er ein »Schreibtischtäter« gewesen sei. Die Autoren versuchen mit filmischen Mitteln ein Psychogramm Girkes zu erstellen, seine sozialen Interessen zu ergründen sowie seiner Denkweise auf die Spur zu kommen. Sie interviewen Menschen aus seinem damaligen Umfeld, die ihn beeinflusst und geprägt haben. Die für beide Seiten quälenden Fragen und Gespräche legen die Persönlichkeit des Jochen Gierke in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit frei. Der Schwarze Kasten ist ein einzigartiges Dokument, wie es nur in den wenigen, spannungsreichen Monaten der Wendezeit 1989/90 entstehen konnte, als sich die DDR in Auflösung befand und für kurze Zeit Trauerarbeit möglich war. Erst später stellte sich heraus, dass Girkes Gesprächsbereitschaft auf einen Auftrag der noch operierenden Stasi zurückging.
Einführung: Florian Wüst
am 4.2.2009 um 20.00 Uhr
Fünf Meilen westlich
BRD 1958, R: Konstantin Kalser, A: Volkswagen AG, 13' Beta SP
The House in the Middle
USA 1954, P: Federal Civil Defense Administration, 7' OF
Auch wir helfen
BRD ca. 1955, A: Bundesluftschutzverband, 2'
Scannex Man
CA 1981, R: John Watt, 6' OF, Beta SP
Neue Heimat
BRD 1982, R: Ebba Jahn, 15'
Protect and Survive – Casualties
GB 1976, P: Central Office of Information, 2' OF
In Order Not to Be Here
USA 2002, R: Deborah Stratman, 33' OmfU
Während des Kalten Krieges wurden die Bevölkerungen in Ost und West in unzähligen Aufklärungsfilmen daran erinnert, auf einen nuklearen Erstschlag vorbereitet zu sein. Dennoch schien über jeder Maßnahme der scheußliche Verdacht zu schweben, niemand könne einen Atomkrieg überleben. Betrachet man Filme wie The House in the Middle, die englische Zivilschutz-Serie Protect and Survive oder frühe Werbefilme des Bundesluftschutzverbandes, so wirken sie auf lächerliche Weise unzulänglich und propagandistisch. Statt der möglichen Katastrophe rückt der Aspekt der sozialen Kontrolle in den Vordergrund und entpuppt sich als das wahre Sujet. Neue Heimat, Ebba Jahns Beitrag zu dem vom SFB und dem Literarischen Colloquium ko-produzierten Episodenfilm Aus heiterem Himmel (1982), wendet sich gegen das atomare Wettrüsten der 1980er Jahre. Die Kamera folgt der Protagonistin in den U-Bahnhof Pankstraße, der als multifunktionaler Schutzbunker gebaut worden war und auch heute noch als solcher besteht. Das Programm verbindet diese Filmdokumente einer vermeintlich längst vergangenen Zeit mit dem Bild einer Gesellschaft, die dem Glauben an den technischen Fortschritt verfallen ist – von der Autostadt Wolfsburg als Symbol des westdeutschen Wirtschaftswunders in Fünf Meilen westlich über die düster inszenierte Vermarktung häuslicher Überwachungssysteme in Scannex Man bis zur leblosen Hermetik amerikanischer Vorstädte in Deborah Stratmans In Order Not to Be Here.
Einführung: Florian Wüst
am 24.2.2009 um 20.00 Uhr
Leben – BRD
BRD 1990, R: Harun Farocki, 83'
Harun Farocki montiert ein Sittenbild der Bundesrepublik mit dokumentarischen Aufnahmen von Szenen, in denen Leben geübt wird. Wohin man sieht, treten Menschen als Schauspieler ihrer selbst auf, nehmen Rollen ein. Ein Spiel im Lebenstheater aus Schulungskursen, Tauglichkeitstests von Dingen und Menschen. Sei es im Geburtsvorbereitungskurs für künftige Eltern, beim Trainieren von Verkaufsgesprächen oder auf dem militärischen Übungsplatz, überall ist das unentwegte Bemühen zu verspüren, auf die Gefahren des Alltags vorbereitet zu sein. „Man könnte Farockis filmischen Reflexionen den Baudrillardschen Gedanken zuordnen, dass heute nicht mehr, wie noch in einer Erzählung von Borges, eine Landkarte an ein bestimmtes Gebiet angeglichen wird, sondern dass jene der Wirklichkeit als Simulakrum vorausgeht. Dies veranschaulicht Farocki insbesondere in Leben – BRD. Menschenkörper agieren dort wie Maschinen oder schließen sich an Maschinen an, während Puppen und Gestelle anstelle von Menschen proben. Ob Autoschlüssel, Waschmaschinen, Hebammen, Fahrschüler oder Versicherungsvertreter, alle fügen sich in die moderne und absurde Welt einer ‚Risikogesellschaft’: ein einziges Proben für den Ernstfall, den Notfall, den Unfall in allen Sektoren des wirtschaftlichen und sozialen Lebens.“ (Christa Blümlinger)
Einführung: Florian Wüst
am 25.2.2009 um 20.00 Uhr
World Trade Center
D 1997, R: Korpys/Löffler, 7' Beta SP
Chic Point
IL 2003, R: Sharif Waked, 7' OF, Beta SP
Sa Nule
NL 1996, R: Marjoleine Boonstra, 9' OmeU, Video
Limes – Aktion Limes
A 2002, R: Erwin Wagenhofer, 27' Beta SP
Tongues of Vipers
CA 2002, R: John Orentlicher, 6' OF, Beta SP
Bollhagen
D 2008, R: Markus Bertuch, 9' Beta SP
All Right
CA 2003, R: Aleesa Cohene, 7' OF, Beta SP
Eine Gruppe junger Leute in einer Brachlandschaft. Sie bauen ein Camp, üben Sitzblockaden, das Bilden einer Menschenkette, die Festnahme durch die Polizei. Herausgelöst aus der lauten Umgebung der Straße untersucht Markus Bertuchs Video Bollhagen die Mechanismen und Choreografien innerhalb des sozialen Aktionsfeldes der Anti-Globalisierungsbewegung. Eine ähnliche Form der Inszenierung liegt Chic Point von Sharif Waked zugrunde: palästinensische Männer führen Modeentwürfe vor, die auf die Kontrollpraktiken und Leibesvisitationen an israelischen Checkpoints abgestimmt sind. Um die Auswirkungen einer vielfach geteilten Welt auf Körper und Sprache dreht sich diese internationale Auswahl zeitgenössischer künstlerischer wie dokumentarischer Videos. Der Fokus liegt einerseits auf dem historischen Moment des 11. September 2001, von dessen unterschwelliger Erahnung in World Trade Center bis zur seitherigen medialen Zuspitzung religiöser Fundamentalismen, aufgezeigt in Tongues of Vipers. Andererseits zeigt das Programm die alltägliche Wirklichkeit von Grenz- und Immigrationspolitiken. Aleesa Cohenes Found-Footage-Collage setzt Kanadas restriktive Einwanderungspraxis in Beziehung zu kollektiven Angstvorstellungen, Limes – Aktion Limes begleitet österreichische Grenzsoldaten an der seinerzeitigen EU-Außengrenze zu Ungarn. Marjoleine Boonstra konfrontiert schließlich den Betrachter mit den Lebensbedingungen in einem Flüchtlingslager in Ex-Jugoslawien und den gebrochenen Identitäten der dort untergebrachten Menschen, die von der Filmemacherin gebeten werden, ihr eigenes Spiegelbild zu kommentieren.
Einführung: Florian Wüst
am 17.3.2009 um 20.00 Uhr
Punishment Park
USA 1971, R: Peter Watkins, 89' OF
Im Hinblick auf das Verhältnis von Dokumentation und Fiktion, Vergangenheit und Gegenwart ist Peter Watkins einer der wichtigsten und dennoch selten gezeigten Filmemacher der letzten 40 Jahre. Nachdem Watkins mit der BBC-Produktion The War Game (1967) einen Skandal ausgelöst hatte, verließ er England und arbeitete fortan in Skandinavien, Frankreich oder den USA. Kurz nach dem Kent-State-Massaker im Mai 1970 und zu einem Zeitpunkt, als der Vietnamkrieg eskalierte, drehte Watkins mit Punishment Park eine pseudo-dokumentarische Allegorie auf die repressive Politik Richard Nixons. Der Film entwirft ein einfaches und doch schockierend glaubhaftes Szenario: Im Klima des Protests gegen die amerikanische Politik in Südostasien werden Hunderte von Menschen arrestiert und in Schnellgerichten wegen Anstachelung politischer Unruhen verurteilt. Sie haben die Wahl zwischen langen Gefängnisstrafen oder drei Tagen im sogenannten Punishment Park, einem unwegsamen Streifen kalifornischer Wüste. Dort werden die Gefangenen freigesetzt und gezwungen, eine viele Meilen entfernte amerikanische Flagge zu Fuß zu erreichen. Wem das nicht gelingt, der wandert ins Gefängnis. Allerdings gibt es mehr Hindernisse als die unwirtlichen klimatischen Bedingungen: Punishment Park wird als Trainingsgelände für Polizeioffiziere genutzt, deren Aufgabe darin besteht, den Flüchtenden nachzusetzen und sie gegebenenfalls zu erschießen.
Einführung: Florian Wüst
am 18.3.2009 um 21.00 Uhr
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