Zeughauskino

 

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  WERKSCHAU – ERROL MORRIS

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS

Unter den zeitgenössischen Dokumentarfilmen nehmen die Arbeiten des US-amerikanischen Filmemachers Errol Morris eine bemerkenswerte Sonderstellung ein. Statt „Tatsachen“ abzubilden, „Wahrheit“ vorzufinden und Stilmittel des „Spielfilms“ auszuschließen, erheben Morris’ radikale Filme den konstruktiven Charakter von Realitäts- und Wahrheitsdiskursen zum Programm. „Wahrheiten“ werden nebeneinandergestellt, verglichen und evaluiert. Nachstellungen visualisieren Zeugenaussagen, und fiktionales Bildmaterial kommt auf eine Weise zum Einsatz, so dass inszenatorisches Konzept und analytischer Ansatz des Films deutlich sicht- und hörbar werden. Dass diese Philosophie und Arbeitsweise nicht widerspruchslos zur Kenntnis genommen wird, hat der am 5. Februar 1948 in Hewlett, New York, geborene Morris bei nahezu all seinen Filmen erfahren. Unter Filmemachern wie auch Journalisten und Wissenschaftlern sind seine Arbeiten umstritten. Das Zeughauskino stellt Errol Morris’ Œuvre in einer umfangreichen Werkschau vor.

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
Mr. Death: The Rise and Fall of Fred A. Leuchter, Jr.
GB/USA 1999, R: Errol Morris, 91’ OmU

Mr. Death porträtiert einen unscheinbar wirkenden Mann, der als „Techniker der Todesstrafe“ in die Geschichte eingegangen ist. Fred A. Leuchter, Sohn eines Gefängniswärters, verfolgt die Idee, die Todesstrafe „humaner“ zu gestalten – wie er es selbst ausdrückt. „Humaner“ gestalten will er zunächst den Elektrischen Stuhl, dann die Todesspritzen und schließlich die Gaskammern. Zu zweifelhafter Berühmtheit gelangt Leuchter weltweit, als er 1988 in Toronto in einem Prozess gegen den Holocaust-Leugner Ernst Zündel als Sachverständiger auftritt und wissenschaftlich zu beweisen glaubt, dass in Auschwitz keine Gaskammern existiert haben können. Leuchters „Beweise“ werden später durch den Historiker Robert Jan van Pelt widerlegt. „Morris lässt ihn (Leuchter) vor einem nüchternen Hintergrund reden, mit dem Stolz und Selbstbewusstsein des Dummen erzählt er von seiner Mission. Den kulturellen Kontext – etwa den berüchtigten Edison-Film von der Exekution eines Elefanten – webt Morris ein, zudem verfremdet er das Material, sucht förmlich nach einer passenden Darstellungsform dieses Sprechens und formt so allmählich ein Schauerstück aus der Realität.“ (Dominik Kamalzadeh, Der Standard, 13./14.1.2001)

am 19.6.2009 um 19.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
The Fog of War. Eleven Lessons from the Life of Robert S. McNamara
USA 2003, R: Errol Morris, 107’ OmU

Wenn man einen unkonventionellen Film über die politische Entwicklung des 20. Jahrhunderts sehen möchte, sollte man in eine Vorstellung von The Fog of War gehen. Errol Morris befragt den ehemaligen Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten, Robert S. McNamara, zu seinen umfassenden Erfahrungen, die vom Ende des Ersten Weltkriegs, über den Verlauf des Zweiten Weltkriegs, das Entstehen des Kalten Krieges, die Kuba-Krise bis zu Vietnam reichen. Thomas Assheuer schreibt in seiner Kritik zum deutschen Kinostart: „Natürlich kann man einwenden, The Fog of War sei nur McNamaras verfilmte Autobiografie In Retrospect. Aber so ist es nicht. Die Sprache des Films ist nicht die Sprache eines Buches; sie ist eher wie ein Partisan, der das bewegliche Heer von Metaphern aus der Deckung lockt. In solchen Momenten wirkt McNamara, als rede er nicht zu Errol Morris, sondern zu seinem moralischen Spiegelbild.“ (Die Zeit, 23.9.2004)

am 20.6.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
Fast, Cheap & Out of Control
USA 1997, R: Errol Morris, 80’ OF

In seinem besonders ungewöhnlich montierten Dokumentarfilme Fast, Cheap & Out of Control erzählt Errol Morris die vorerst zusammenhanglosen Geschichten von vier sehr unterschiedlichen Menschen, deren Verknüpfungen allmählich eine sehr sonderbare Welt entstehen lassen. Zu Wort kommen ein Löwenbändiger; ein Experte für die afrikanische Maulwurfsratte; ein Landschaftsgärtner, der Hecken zu riesigen Tieren schneidet, und ein Wissenschaftler, der insektengleiche Roboter entwirft. Nachdem der Zuschauer in einer Art Filmeinleitung darauf hingewiesen wurde, worauf er sich einlässt, werden die vier Personen zunächst nacheinander kurz vorgestellt. Dann werden die Reihenfolge mehrmals getauscht und die Geschichten miteinander verwoben. Dies geht so weit, bis die Erzählung einer Person beispielsweise mit den Bildern einer anderen Geschichte gekoppelt wird – bis der Zuschauer nach etwa zwei Dritteln des Films meint, sich in einer Art freiem Fall zu befinden.
Seit seinem Film Fast, Cheap & Out of Control wandte Morris ein von ihm entwickeltes Prinzip an, das das Standard-Talking-Head-Interview in eine einfühlsamere Methode verwandelt. Morris erfand das „Interrotron“, ein Gerät, das seine Mitarbeiter als „modifizierten Teleprompter“ beschreiben. Damit kann Morris sein Abbild auf einen Monitor übertragen, der direkt über dem Kameraobjektiv angebracht ist, die Interviewpartner mit Morris’ Bild auf dem Monitor sprechen und dabei unmittelbar in die Kamera sehen, womit zugleich ein direkter Augenkontakt mit dem Zuschauer entsteht.

am 21.6.2009 um 19.00 Uhr
am 26.6.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
A Brief History of Time
Eine kurze Geschichte der Zeit
GB 1991, R: Errol Morris, 80’ OmU

In seinem Buch Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums (1988) setzt sich der englische Mathematiker und Physiker Stephen Hawking mit existentiellen Fragen der Physik und der Philosophie auseinander, wobei allgemeine Relativitätstheorie und Quantenmechanik im Mittelpunk stehen. „Was war zuerst da: das Huhn oder das Ei? Hat das Universum einen Anfang, und wenn ja, was war vor ihm da? Woher kommt das Universum und was wird aus ihm?" – mit diesen Fragestellungen beginnt Errol Morris seinen Dokumentarfilm über Leben und Werk Hawkings. Dieser entdeckte seine Leidenschaft für die Physik erst kurz nach seinem 20. Geburtstag, als bei ihm Amyotrophe Lateralsklerose diagnostiziert wurde, eine Krankheit, die das Nervensystem angreift und bei vollem Erhalt der intellektuellen Fähigkeiten zur Lähmung führt. Aus Interviews mit Hawking, seiner Familie, seinen Kollegen und Freunden entsteht das fesselnde Porträt des Genies im Rollstuhl. Morris über Hawking: „Er ist eine heroische Person. Es ist schwer, mit ihm eine gewisse Zeit zu verbringen, ohne enorm beeindruckt von ihm zu sein, nicht nur als wissenschaftlichem Denker oder als Intellektuellem, sondern als einem Mann, der niemals aufgegeben hat. Er ist sehr stark, trotz enormer Handicaps und Nachteile - außerdem hat er einen starken, perversen und ironischen Sinn für Humor.“ (aus dem österreichischen Verleihkatalog FILMLADEN)

am 21.6.2009 um 21.00 Uhr
am 27.6.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
Standard Operating Procedure
USA 2008, R: Errol Morris, 118’ OmU

Während des Irakkriegs nahmen die US-Streitkräfte das Gefangenenlager Abu Ghraib in Bagdad ein und errichteten dort ein amerikanisches Militärgefängnis. Von diesem Ort gingen im Mai 2004 erschütternde Fotos durch die Medien, die von Soldaten der US-Militärpolizei und anderer US-Militärorganisationen mit Digitalkameras aufgenommen worden waren. Zu sehen sind amerikanische Soldaten, die Gefangene auf bestialische Weise foltern. Errol Morris untersucht in seinem Film Standard Operating Procedure,was 2003 im Gefangenenlager wirklich geschah und wie es dazu kam. Dabei dienen ihm jene Fotos als Ausgangsmaterial für seinen Film. Ohne Kommentar konfrontiert Morris den Zuschauer noch einmal mit den weltbekannten Bildern, zeigt unfassbare Interviews mit den Beteiligten und stellt einige Szenen filmisch nach. Damit hinterfragt er die manipulative Kraft von Bildern. Als Standard Operating Procedure als erster Dokumentarfilm im Wettbewerb der Berlinale 2008 lief, hinterließ er bei vielen Kritikern ein ungutes Gefühl. Harald Martenstein schrieb im Tagesspiegel: „Morris hat den Anspruch, die ‚Wahrheit hinter den Bildern’ zu zeigen, die fast jeder von Abu Ghraib im Kopf trägt. Sein Film hinterlässt, bei all seinen Stärken, einen zwiespältigen Eindruck, weil der Regisseur selbst seine Bilder immer wieder künstlich dramatisiert und zu einer manchmal sogar ärgerlich opernhaften Inszenierung neigt.“ (13.2.2008)

am 27.6.2009 um 18.30 Uhr
am 28.6.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
Gates of Heaven
Pforten des Himmels
USA 1978, R: Errol Morris, 85’ OF

Ende der 1970er Jahre lehrte der Autorenfilmer Werner Herzog an der Universität in Berkeley, Kalifornien als Gastdozent. Errol Morris war einer seiner talentiertesten Studenten, der stets viele Ideen, aber kein Geld für einen Film hatte. Herzog trieb ihn immer wieder an, sich eine Kamera zu borgen und seine Projekte trotzdem zu verwirklichen. Irgendwann schlug Herzog Morris eine Wette vor: wenn Morris endlich seinen ersten Film fertig stellen würde, wäre er bereit, seine Schuhe zu essen… So kam es, dass Herzog 1978 vor der Filmpremiere von Gates of Heaven fünf Stunden lang seine Leder-Boots mit Gemüse und reichlich Gewürzen kochte und einen davon dann vor den Augen der Premierenzuschauer verspeiste.
Auf die Idee zu Gates of Heaven stieß Morris in einem Zeitungsartikel über die Verlegung eines kalifornischen Tierfriedhofes. Er lieh sich etwas Geld und legte los. Schon mit diesem ersten Film entwickelte Morris seine besondere Form von Dokumentarfilm, die auch inszenierte Szenen enthält. Morris benutzt nie eine Handkamera, immer das Stativ, verwendet kein natürliches Licht, sondern setzt stets Kunstlicht und verändert die Drehorte durch Ausstattung der Szenen. Aber ein Ausdruckselement bleibt immer dokumentarisch, und das ist die Sprache. Ihn interessiert, wie Menschen reden, wie sie sich anderen mitteilen. Auch in Gates of Heaven ist die Sprache bemerkenswert – surreal, sonderbar, als wäre sie ein verborgenes Fenster zur geistigen Landschaft der Leute.

am 28.6.2009 um 19.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
The Thin Blue Line
Der Fall Randall Adams
USA 1988, R: Errol Morris, 91’ OF, DigiBeta

Ursprünglich wollte Errol Morris einen Film über den Psychiater Dr. James Grigson aus Dallas machen, der aufgrund seiner Gutachten zwischen 30 und 50 Leute in den Todestrakt gebracht hatte. In diesem Zusammenhang interviewte Morris viele straffällige Personen, die durch Grigson in der Todeszelle saßen. Einer von ihnen war Randall Adams, der wegen eines Polizistenmordes 1976 zum Tode verurteilt worden war. Als Morris diesen Fall recherchierte, kam er mehr und mehr zu dem Urteil, dass hier ein schrecklicher Justizirrtum vorlag. Schlagartig änderte sich seine Motivation – und es wurde ein Film über den Fall Randall Adams. Für The Thin Blue Line hat Morris viele Interviews mit Strafverfolgern, Verteidigern und Augenzeugen von damals geführt und diese dann mit inszenierten Szenen kombiniert. „Für Dokumentarfilmer sind weder ein Oscar noch Besucherrekorde der große Coup. Wichtiger ist ihnen, mit der Arbeit etwas bewegen zu können. Errol Morris gelang das 1988 mit The Thin Blue Line. (…) Der Film sorgte für eine erneute Prüfung des Falls. 1989 wurde Randall Adams freigelassen.“ (Thomas Klein, Berliner Zeitung, 29.12.2005)

am 1.7.2009 um 20.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
Vernon, Florida
Truthahnfieber
USA 1982, R: Errol Morris, 60’ OF, Beta SP

Morris zweiter Dokumentarfilm erzählt von den Einwohnern der Kleinstadt Vernon in Florida: abseits vom Weltgeschehen in den Metropolen der West- und Ostküste der USA liegt das kleine Nest Vernon mit seinen eigentümlichen Bewohnern. Morris hat dort ganz bizarre amerikanische Charaktere ausgemacht, die er in Gespräche über ihre Hobbys verwickeln konnte. Ursprünglich wollte Morris einen ganz anderen Film realisieren. Er hatte von Leuten gehört, die sich selbst Gliedmaßen abtrennen, um Versicherungsprämien zu kassieren. Als er dann aber Morddrohungen erhielt, musste er sein Konzept überdenken. Bei seinen Recherchen stieß Morris auf viele eigenwillige Hobbys und hatte so schnell ein neues Thema gefunden. Vernon, Florida ist ein skurriler Film über ein geruhsames Städtchen mit seinen etwas durchgedrehten Einwohnern. Ein alter Mann erzählt von einem Eselkadaver, Howard Pettis erklärt den Unterschied zwischen dem gemeinen amerikanischen Ringelwurm und dem sogenannten Obstgartenringelwurm, und Henry Shipes kann von nichts anderem reden, als von seinen atemberaubenden Abenteuern bei der Truthahnjagd.

am 4.7.2009 um 19.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU – ERROL MORRIS
The Dark Wind
Canyon Cop
USA 1991, R: Errol Morris, D: Lou Diamond Phillips, Gary Farmer, Fred Ward, Guy Boyd, 105’ OF

Kurz nachdem Errol Morris mit der Arbeit an A Brief History of Time begonnen hatte, kam Robert Redford auf ihn zu und fragte ihn, ob er nicht einen ersten Spielfilm drehen wolle. Redford hatte sich die Filmrechte an dem Kriminalroman The Dark Wind (Der Wind des Bösen) von Tony Hillerman gesichert und schlug vor, dass Morris sich dieses Stoffes annähme. Morris sah darin eine neue Herausforderung und sagte sofort zu.
Der junge Polizei-Sergeant Jim Chee, ein gebürtiger Navajo-Indianer, wird in ein Reservat versetzt, in dem Navajos und Hopis leben. Die Nähe der beiden Stämme schafft viele Probleme. Im Laufe der Zeit ereignen sich mysteriöse Dinge: eine Leiche ohne Handflächen und Fußsohlen wird gefunden, ein Flugzeug stürzt in der Wüste ab, auf eine Windkraftanlage wird ein Anschlag verübt, eine Ladung Kokain verschwindet spurlos. Es entwickelt sich ein Thriller mit ethnologischen Facetten, die jene Probleme anspricht, die entstehen, wenn das archaische Denksystem der Indianer mit dem Rechtsverständnis der herrschenden Weißen kollidiert.
Die Dreharbeiten von The Dark Wind waren schwierig. Auf seinen Ausflug ins Fach Spielfilmregie ist Morris nicht gut zu sprechen: er vergleicht die Situation zwischen den Navajos und Hopis mit den Dreharbeiten zu einem Film mit Palästinensern und Israelis, aufgenommen an der West Bank.

am 4.7.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 
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