GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
1989 wurde auf einmal alles anders: In Diktaturen versammelten sich Menschenmassen zum Protest auf der Straße und forderten gewaltlos Freiheit, Selbstbestimmung und Veränderung. Ordnungssysteme brachen innerhalb kürzester Zeit zusammen. Die Folgen dieser Auf- und Umbrüche reichten so weit, dass große Teile der Gesellschaft noch immer mit ihrer Neuordnung beschäftigt sind. Das „Geschichtsforum 1989 | 2009“, das vom 28. bis 31. Mai am Deutschen Historischen Museum, am Maxim Gorki Theater und an der Humboldt-Universität stattfindet, schafft einen Raum für eine vielfältige und intensive Auseinandersetzung mit der Zeitenwende 1989.
Scheiden tut weh
Im Rahmen des viertägigen Geschichtsfestivals präsentiert das Zeughauskino eine Filmreihe, die der Frage nachgeht, wie der deutsche, vor allem ostdeutsche Film die Umbrüche in der DDR und ihre Folgen begleitet hat. Die ausgewählten Spiel- und Dokumentarfilme, die in den Jahren zwischen 1989 und 1992 entstanden sind, entscheiden sich für Protagonisten aus den Randgruppen, sie thematisieren in bis dahin ungewohnter Weise gesellschaftliche Probleme und Wünsche nach Veränderung, Kamera und Mikrofon werden zu Instrumenten der Selbstverortung und Neuorientierung. Unter dem Titel SCHEIDEN TUT WEH versammelt das Programm Filme, die selbst Teil der gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche waren und die das revolutionäre Fluidum der Zeit in sich tragen. Zu zahlreichen Veranstaltungen sind Gäste eingeladen. Publikumsgespräche finden im Anschluss an die Vorführungen statt.
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Die Mauer
DDR/D 1990, R: Jürgen Böttcher, K: Thomas Plenert, 99’
Im Winter 1989/90 ist die Mauer ein Schauplatz regen Treibens. Jugendliche mit Meißeln sind am Werk, um sich den einen oder anderen Brocken zu sichern, Spaziergänger schlüpfen durch das durchlöcherte Bauwerk von Ost nach West und umgekehrt, japanische Touristen knipsen, während Kamerateams aus aller Welt die pittoreske Kulisse ablichten. Es ist ein Ort für Gaukler, Feuerschlucker oder auch eine Tänzerin, die ihre Kunst vor porösem Beton erprobt. Und zugleich bietet die Grenze den Blick auf seltsame Landschaften: etwa die weiten, öden Flächen des Potsdamer Platzes. In langsamen Schwenks und ruhigen Einstellungen beobachten Jürgen Böttcher und sein Kameramann Thomas Plenert die Metamorphosen des einstigen „antifaschistischen Schutzwalls“ und führen den Zuschauer in die Unterwelt der stillgelegten U-Bahnhöfe. Hier, so scheint es, ist die Zeit seit 30 Jahren stehen geblieben. Kommentiert werden die Bilder nicht, es sei denn wiederum durch Bilder. Wiederholt wird die Mauer zur Projektionsfläche historischer Aufnahmen. Auf rissigem Beton flackert deutsche Geschichte: die Panzer der Roten Armee im Jahre des Mauerbaus 1961, aber auch Kaiser Wilhelm, Aufnahmen aus der Weimarer Republik, nationalsozialistische Aufmärsche, Hitler, Goebbels und – in einer letzten Serie – Honecker und die Menschenmassen, die am 9. November von Ost nach West strömen. Die Mauer erzählt von einer Zwischenzeit: Die bröckelnde Mauer wird zum transitorischen Ort deutscher Geschichte.
Einführung: Jörg Frieß
Im Anschluss Publikumsgespräch mit Jürgen Böttcher
Eintritt frei
am 28.5.2009 um 20.00 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Verlorene Landschaft
D 1991, R: Andreas Kleinert, D: Roland Schäfer, Friederike Kammer, Sylvester Groth, 103’
Zum ersten Mal seit seiner Flucht aus der DDR sucht Elias, ein 47-jähriger Politiker, das Haus seiner Eltern auf, nachdem er die Nachricht von deren Tod erhalten hat. Doch wird er ihnen auf dem kleinen, heruntergewirtschafteten Hof wieder begegnen: in einer Art imaginierten Realität, die beständig von Erinnerungsschichten durchsetzt wird. In solcher Verschachtelung aus Realität, Imagination und Erinnerung werden Elias’ Kindheit und Jugend lebendig. Aufgewachsen in der streng abgeschirmten Enklave des elterlichen Anwesens, das als Telefonzentrale zugleich die Schaltstelle zur Außenwelt bildet, stößt das Kind immer wieder auf Grenzen, deren Überwindung es magisch anzieht: der Zaun, der das Anwesen umgibt, und dahinter der Fluss, der das Ende des Staatsgebietes der DDR markiert. Dahin ziehen in der Nacht immer wieder Flüchtlingsströme, dort wird die Landschaft zuweilen von Signalraketen illuminiert, manchmal fallen Schüsse. Die Realität der DDR, so sie in die behütete Kinderwelt einbricht, bleibt fremd und gewalttätig. Der Vater wird von der Stasi verhaftet, Bücher landen auf dem Scheiterhaufen, mit einem übergroßen Stalin-Plakat ziehen regimetreue Bürger durch den Wald. Zwischen Traum und Erinnerung entsteht eine melancholische Landschaft der Vergangenheit, die in mancher Hinsicht die Gegenwart des Politikers einholen wird. Verstanden als Wendefilm, bleibt die Aussage von Kleinerts Debütfilm in der Schwebe. Aus der Gegenwart wird die Sehnsucht nach einer behüteten Vergangenheit entworfen, aus der Vergangenheit taucht die Sehnsucht nach einem Land anderer Möglichkeiten auf.
Einführung: Manuel Köppen
Eintritt frei
am 28.5.2009 um 22.30 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Komm in den Garten
DDR/D 1990, R: Heinz Brinkmann, Jochen Wisotzki, K: Michael Lösche, 93’
Der Titel des Films zitiert ein Gedicht Max Goldts. In einem Hinterhof am Prenzlauer Berg sagen zwei Mädchen daraus eine Passage auf, als handele es sich um einen Abzählreim: „Komm in den Garten / Lass uns hier spielen / Komm in den Garten / Da liegt mein Bruder / Ich schlug ihm den Kopf ab / Ich wollt’ ihn nicht haben / Ich konnt’ ihn nicht leiden / Ich schlug ihm den Kopf ab“. Der Film, mit eindrücklichen Bildern des heruntergekommenen Kiezes an der Schönhauser Allee in der Nachwendezeit, porträtiert drei Freunde, deren Lebenswege gescheitert sind: Dieter, einen Maler, der sich mit den Anforderungen der sozialistischen Gesellschaft nicht arrangieren konnte und als „Arbeitsscheuer“ zur Umerziehung immer wieder ins Gefängnis wanderte; Alfred, einen stellvertretenden Chefredakteur des Berlin Verlags, der nach dem Verlust seines Jobs und vergeblicher Arbeitssuche in den Kreislauf von Alkoholismus, Gefängnis und Psychiatrie geriet; Michael, einen ehemaligen Studenten der Wirtschaftswissenschaften, der nach einem Parteiverfahren seine Stelle an der Akademie der Wissenschaften verlor und nun vom Verkauf selbstgebastelter Lampenschirme lebt. Es sind keine Rebellen, aber Unangepasste, die im System der DDR ausgegrenzt und kriminalisiert wurden. So ist der Film, der seinen Protagonisten erstaunlich nahe kommt, auch ein Film über das Scheitern des real existierenden Sozialismus.
Einführung: Jörg Frieß
Im Anschluss Publikumsgespräch mit Jochen Wisotzki
Eintritt frei
am 29.5.2009 um 14.00 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Letztes aus der DaDaeR
DDR/D 1990, R: Jörg Foth, D: Steffen Mensching, Hans-Eckhardt Wenzel, Irm Hermann, 86’
Es beginnt in einem Gefängnis. Allen Ausbruchsversuchen zum Trotz, die die Helden in eine Endzeitlandschaft der DDR führt, will die endgültige Befreiung nicht gelingen. Steffen Mensching und Hans-Eckhardt Wenzel, geschminkt und kostümiert als die Clowns Meh und Weh, begeben sich auf eine Reise in die Schattenwelt, mit deutlichen Anspielungen auf Dantes Divina Commedia. Nur gilt es hier, die Schemen des real existierenden Sozialismus zu besichtigen. In einer lockeren Reihung von Sketchen wird die Vergangenheit aufgerufen: die „Epidemie der Künste“ ebenso wie das „Paradies“, in dem Honecker und sein Gefolge ihren eigenen Zoo betrachten. Doch steht die Gegenwart nicht minder gespenstisch auf dem Programm. Statt einer jubelnden Menge am Brandenburger Tor zeigt der Film eine politische Walpurgisnacht auf dem Brocken, bei der die Einheitsemphase bedrohliche Züge annimmt. Die anbrechende „neue Zeit“ wird mit aller Skepsis betrachtet. „Wir wollen weg. Nichts wie raus“, skandiert ein schmaler Zug von Bürgern, die sich zwischen den Grenzanlagen bewegen, abwechselnd mit einem Slogan anderer Aussage: „Wir wollen weg. Weckt sie auf.“ Mit Meh und Weh wird noch einmal die Protestkultur der 80er Jahre lebendig, die alles Andere wollte, als in ein Gesamtdeutschland eingemeindet zu werden.
Einführung: Thomas Beutelschmidt
Im Anschluss Publikumsgespräch mit Jörg Foth
Eintritt frei
Am 29.5.2009 um 17.00 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Das Land hinter dem Regenbogen
D 1992, R: Herwig Kipping, D: Franciszek Pieczka, Winfried Glatzeder, Swetlana Schönfeld, Axel Werner, 89’
„Als ich ein Kind war, stand ich in Flammen. Alles, was ich tat, tat ich aus Liebe…“: Das „Land hinter dem Regenbogen“ meint einen Kindheitstraum, die heile Welt märchenhafter Verzauberung und mythischer Versprechen. Konfrontiert wird solche Kinderwelt mit der düsteren Gegenwart des Dorfes „Stalina“ im Jahre 1953, ein grauer Ort zwischen giftig rauchenden Fabrikschloten, der eher einer Trümmerlandschaft aus Landwirtschaftsgebäuden ähnelt als einem sozialistisch prosperierenden Gemeinwesen. Nichts ist intakt – weder die Gebäude noch die Sozialbeziehungen. Während sozialistische Spruchbänder allerorten prangen und Stalin als Ikone des neuen Heilsbringers allgegenwärtig ist, lebt die nationalsozialistische Vergangenheit fort. So ist der Aufbruch in die sozialistische Planwirtschaft von Anfang an dem Untergang geweiht. Am Ende wird das Dorf in einem apokalyptischen Szenario vernichtet sein. Nur ein Häuflein Unverzagter formiert sich zu einem letzten Demonstrationszug in der wüsten Landschaft des Braunkohlereviers. Das Jahr 1953 in Stalina, erzählt durch das Mädchen Marie, wird zur Parabel auf die Geschichte der DDR. Sarkastisch rechnet diese von szenischen Einfällen und Anspielungen überbordende Geschichte mit der Vergangenheit ab, sucht aber zugleich die Balance zu halten zwischen der Groteske und der Welt der Kinderträume und Verzauberung. 1992 ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis in Silber, schieden sich an diesem Film die Geister. Derart mit sozialistischer Vergangenheit umzugehen, war für manche Zuschauer damals schlicht unerträglich.
Einführung: Manuel Köppen
Eintritt frei
Am 30.5.2009 um 14.00 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Sperrmüll
D 1991, R: Helke Misselwitz, K: Thomas Plenert, 79’
„Sie trommeln ihre Unlust auf Gegenstände, die andere wegwerfen“: Was als Porträt einer Gruppe jugendlicher Musikanten im Frühsommer 1989 begonnen hatte, entwickelte sich in der dokumentarischen Beobachtung unversehens zu einem Porträt der Wende: fokussiert auf Enrico, einen der Jugendlichen jener Gruppe „Sperrmüll“, die ihre Unlust lustvoll instrumentiert, und seiner Mutter Erika. Und die ist, das gibt dem Plot einen gewissen Reiz, mit einem Westberliner Rohrleger liiert, dem sie – der Ausreiseantrag ist gestellt – in den Westen folgen will. Der Abschied von Mutter und Sohn an der „Grenzübergangsstelle“ Friedrichstraße folgt noch zu Mauerzeiten. Doch dann interferiert die Wende. Enrico engagiert sich in der Protestkultur, während sich seine Mutter mit den neuen Lebensbedingungen im Westen zu arrangieren sucht. Nach dem Fall der Mauer – Enrico will nun Rockstar werden und übt fleißig auf seiner E-Gitarre – erscheint für ihn und seine ehemaligen „Sperrmüll“-Mitstreiter die sich abzeichnende Wiedervereinigung durchaus bedrohlich. Sie beharren auf ihrer kulturellen Identität, sie wollen weiterhin Bürger in einem eigenen Staate sein. Die ersten freien Wahlen zur Volkskammer sind ihre letzte Hoffnung.
Einführung: Thomas Beutelschmidt
Im Anschluss Publikumsgespräch mit Helke Misselwitz
Eintritt frei
am 30.5.2009 um 17.00 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Stilles Land
D 1992, R: Andreas Dresen, D: Thorsten Merten, Jeanette Arndt, Kurt Böwe, 98’
Herbst 1989: Anklam in Mecklenburg-Vorpommern, nahe der Ostsee und mitten im Sendeloch des West-Fernsehens. Tristesse zwischen bröckelnden Fassaden und Nebelschwaden. Doch Kultur gibt es auch in der Provinz. Anklam verfügt über eine Bühne. Ein 26-jähriger Absolvent der Schauspielschule tritt sein erstes Engagement als Regisseur an. Er will Neues wagen und Samuel Becketts Warten auf Godot inszenieren. Doch die politischen Ereignisse überholen beständig die Inszenierungsentwürfe. Die Mauer ist längst gefallen, als endlich die Premiere stattfindet. Warten auf Godot wird so zur Metapher der Ereignisse, die woanders stattfinden: in Berlin etwa, wo die Mauer fällt. Der Theaterbus, der die Truppe zu den Ereignissen bringen soll, versagt kläglich. Und selbst die Antenne, die ein Ensemblemitglied unter abenteuerlichen Umständen aus Berlin organisiert hat, vermag nur ein Rauschen ferner Ereignisse zu vermitteln. Schon das Bühnenbild der Godot-Inszenierung nimmt das Thema der Immobilität auf. Becketts „Trauerweide“ ragt als Holzlattenskelett aus dem Motorraum eines Wartburg, der in der finalen Inszenierung auch noch schwarz lackiert wird. Dresens Debütfilm hält einen tragikomischen Ton. Die stillgestellte Zeit in Becketts Stück wird als Kontrapunkt zu bewegten Zeiten entworfen, aber durchaus mit liebevollem Blick für jene, an denen die Zeit vorbeizugehen scheint. Die Ankunft im Westen wird vorerst nur wenigen gelingen.
Einführung: Manuel Köppen
Eintritt frei
am 30.5.2009 um 22.30 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Kehraus
DDR/D 1990, R: Gerd Kroske, K: Sebastian Richter, 16’
Imbiß Spezial
DDR/D 1990, R: Thomas Heise, K: Sebastian Richter, 27’
Leipzig im Herbst
DDR 1989, R: Andreas Voigt, Gerd Kroske, K: Sebastian Richter, 54’
Kehraus. „Deutschland, einig Vaterland!“ – Nach einer Wahlveranstaltung mit Helmut Kohl kehren Arbeiter der Stadtreinigung im nächtlichen Leipzig den Müll zusammen. Sie erzählen von ihrer Vergangenheit; bei allen Versprechungen zeichnen sich für sie Perspektiven zu Anfang des Jahres 1990 kaum ab.
Imbiß Spezial. Eine Imbissbude auf dem Lichtenberger Bahnhof in Berlin. Es ist die Nacht zum 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR. Die Nachrichtensendungen des Staatsfunks verkünden Erfolgsmeldungen. Unterdessen kommen und gehen die Gäste. Gesprächsfetzen und Interviews aus dem Off mischen sich mit den O-Tönen zu einem Zeitbild zwischen Untergang und Aufbruch.
Leipzig im Herbst. „16.10. – 7.11.1989 – Ein Material“, lautet der Untertitel. Stimmen und Stimmungen auf den Montagsdemonstrationen in Leipzig werden lebendig; gezeigt werden aber auch Arbeiter der Stadtreinigung, die in der Nacht Transparente und Spruchbänder einsammeln. „Aus Überzeugung habe ich sie nicht abgemacht“, so einer der Straßenfeger. Viele werden zur Lage der Dinge befragt: ein Stadtrat ebenso wie Arbeiter eines VEB, Mitglieder des Neuen Forums oder der Superintendent. Standbilder von Polizeieinsätzen leiten eine zweite Interviewserie ein. Hier geht es vor allem um die Rekonstruktion der Ereignisse am 9. Oktober, als die Konfrontation zwischen Demonstranten und den Einsatzkräften der Volkspolizei zu eskalieren drohte. Im Gespräch mit Wehrpflichtigen der Volkspolizei, andererseits „Zugeführten“, die 20 Stunden in einem Pferdestall festgehalten wurden, aber auch den verantwortlichen Polizeikommandeuren entsteht das Bild einer möglicher Weise im letzten Moment verhinderten Katastrophe.
Einführung: Manuel Köppen
Im Anschluss Publikumsgespräch mit Gerd Kroske, Thomas Heise und Andreas Voigt
Eintritt frei
am 31.5.2009 um 14.00 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Im Glanze dieses Glückes
D 1990, R: Johann Feindt, Helga Reidemeister, Tamara Trampe, Jeanine Meerapfel, Dieter Schumann, K: Johann Feindt, Peter van den Reek, 85’
„Blüh’ im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland!“ – Bei dieser Kompilation von Stimmen und Interviews geht es keineswegs um jubelnde Einheitsemphase. Entstanden im Februar und März, also kurz vor und nach den ersten freien Wahlen in der ehemaligen DDR, entsteht aus Reiseeindrücken und Gesprächen mit Bewohnern Ostdeutschlands ein höchst heterogenes und widersprüchliches Bild der Meinungen und Stimmungen. Hoffnung begegnet ebenso wie Trauer und Ressentiment. Lebensvorstellungen, Utopien und Motive stehen zur Diskussion, wenn etwa Tamara Trampe eine Dorfschullehrerin in Thüringen befragt oder einen Psychologen, der für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Mit Beiträgen von Johann Feindt, Jeanine Meerapfel, Helga Reidemeister, Dieter Schumann und Tamara Trampe handelt es sich um eine Gemeinschaftsproduktion von west- wie ostdeutschen Filmemachern, die den problematischen Seiten der staatlichen Einigung auf der Spur sind.
Einführung: Thomas Beutelschmidt
Im Anschluss Publikumsgespräch mit Gästen
Eintritt frei
am 31.5.2009 um 17.00 Uhr
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Novembertage – Stimmen und Wege
D/CH/GB 1990, R: Marcel Ophüls, K: Peter Boultwood, Pierre Boffety, Annette Metzger, 140’
Den Aufhänger bilden Aufnahmen der BBC vom 9. November 1989. Marcel Ophüls machte sich auf den Weg, um einige der auf diesen Bildern Jubelnden nachträglich zu befragen. Darüber hinaus interessierten ihn aber auch die Protagonisten des Geschehens hinter den Kulissen: die Entscheidungsträger in der Partei ebenso wie einige der führenden Intellektuellen. Befragt werden etwa die Politbüro-Mitglieder Egon Krenz und Günter Schabowski, der General der Staatssicherheit Markus Wolf, die Literaten Stephan Hermlin und Heiner Müller, die „Mutter der Revolution“ Bärbel Bohley oder auch der protestierende Dirigent Kurt Masur. Dass daraus kein Potpourri der Befindlichkeiten wird, sondern eine investigative und dichte Beschreibung der Wende, dafür sorgt nicht allein der Interviewstil Ophüls, sondern auch die Montage. Sie konfrontiert sowohl die Aussagen der Gesprächspartner, um Unvereinbarkeiten und Widersprüche aufzuzeigen, wie eingespieltes Spielfilmmaterial von Sternbergs Der blaue Engel über Lubitschs To Be or Not to Be bis zu Fosses Cabaret das erinnerte Geschehen sarkastisch kommentiert. „In gewisser Weise“, so Ophüls, schildere der Film „schon eine Komödie. Aber eine schwarze.“
Einführung: Jörg Frieß
Eintritt frei
am 31.5.2009 um 20.00 Uhr
Sonderprogramm
GESCHICHTSFORUM 1989 | 2009
Die Behauptung des Raumes – die Galerie EIGEN+ART 1983 bis 1989
D 2009, R: Claus Löser, B: Claus Löser, Jakobine Motz, ca. 80’
Die Geschichte der Leipziger Galerie EIGEN + ART zwischen 1983 und 1989 kann als Modellfall für zivilgesellschaftliche Courage im letzten DDR-Jahrzehnt betrachtet werden. Hier wurde ein wirksames Refugium geistiger Autonomie geschaffen, in dem sich junge Kreative einen selbst bestimmten Raum des künstlerischen Austausches schufen und sich somit der vorgesehenen staatlichen Kontrolle entzogen. Dieser Freiraum konnte jedoch nur innerhalb eines Prozesses behauptet werden, an dem viele Akteure zuvor als Wegbereiter beteiligt waren. Es waren verschiedene, bis in die 1970er Jahre zurückführende Einzelinitiativen, mit denen die Erosion der staatlichen Kontrolle stückweise vorangetrieben wurde. Die Aktivitäten der Leipziger Galerie EIGEN + ART, die sich schnell zu einem der wichtigsten Zentren der Subkultur entwickelte, stellen sich dadurch als Facetten einer gesellschaftlichen Entwicklung dar, die schließlich in die friedliche Revolution des Herbstes 1989 mündeten. Die bislang noch nicht erschlossenen Videoaufzeichnungen des Archivs der EIGEN + ART von Vernissagen, Performances und Interviews verbindet der Film mit einer aktuellen dokumentarischen Ebene, in der beteiligte Künstler und Persönlichkeiten zu Wort kommen.
In Anwesenheit der Filmemacher und Zeitzeugen
am 30.5.2009 um 20.00 Uhr
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