KUNST  DES DOKUMENTS - FAMILIENGESCHICHTEN 
                              
                              Geschichte als Verdrängung, Heimsuchung, offene  Wunde und unüberbrückbarer Spalt. Die Auseinandersetzung mit der Zeit des  Nationalsozialismus und Holocaust ist seit geraumer Zeit im dokumentarischen  Kino ein Ringen um Wahrheit und Ehrlichkeit, in das Familien, Freundeskreise  und Schulklassen involviert sein können. Filme erzählen von einem Leben, das  mit einem lebenslangen Schmerz, wenn nicht gar Trauma bezahlt worden ist und  das Spuren auch noch in jenen hinterlässt, die während des „Dritten Reichs“  noch gar nicht geboren waren. Die Begegnungen der Tochter mit ihren Eltern, des  Sohnes mit seinen Geschwistern, der Cousinen mit ihrer Tante – sie setzen  Prozesse der Annäherung und Entfremdung in Gang, die – so hat es oft den  Anschein – nicht zu einem Abschluss werden kommen können. KUNST DES DOKUMENTS –  FAMILIENGESCHICHTEN versammelt acht Dokumentarfilme aus den vergangenen beiden  Jahrzehnten, die diesen Erfahrungen Bilder und Töne geben 
                              
                                
                              KUNST DES DOKUMENTS – FAMILIENGESCHICHTEN 
                                Kinderland ist abgebrannt  
                                D 1998, R/B: Sibylle Tiedemann, Ute Badura, 94’ 16 mm 
                              Jüdische und nicht-jüdische Einzelschicksale der Jahrgänge  1934 bis 1942 in einer Ulmer Mädchenoberschule. 60 Jahre später kommen einige  der damaligen Schülerinnen zum „Klassentreffen“ zusammen und erinnern sich an  Kindheit und Jugend. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten gehen  die Erlebnisse der acht christlichen und vier jüdischen Frauen immer stärker  auseinander. Die einen treten begeistert in die Jungmädelgruppe ein; ihr  Vorbild wird die BDM-Führerin Sophie Scholl, die auf dieselbe Schule geht und  deren Entwicklung zum Widerstand der Weißen Rose sie nicht verstehen. Dann  bestimmt der Kriegsalltag ihr Leben. Die anderen werden schrittweise entrechtet  und ausgegrenzt, schließlich vom Unterricht ausgeschlossen. Sie dürfen sich nur  noch in jüdischen Vereinen organisieren. Während ihre Großeltern deportiert  werden, können sie sich in die Emigration retten. Amateurfilme und persönliche  Dokumente ergänzen die Erinnerungen der Frauen, die unkommentiert wiedergegeben  werden. „Sibylle Tiedemann und Ute Badura haben in ihrem Dokumentarfilm stille,  schlichte Stimmen eingefangen, in denen das Dritte Reich unterschiedlich  nachhallt. (...) Durch die einfache Dokumentation der authentischen Erzählungen  stellen die Autorinnen die Frage nach Schuld und Unschuld am eindringlichsten.“  (taz, 5.11.1999). 
                              am 3.6.2010 um 20.00  Uhr 
                                
                                
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                                Habehira Vehagoral 
                                Choice and  Destiny 
                                IL 1993,  R/B: Tsipi Reibenbach, 118’ 16 mm, OmU 
                              „Die Protagonisten des Films sind das Ehepaar Yitshak und  Fruma. Er ist 80, sie ist 72. Es sind meine Eltern. Sie sind Überlebende des  Holocaust und leben heute in Israel. Mit dem Wunsch, sie zu verstehen, fuhr ich  an die Orte, wo sie geboren wurden und wo ihnen während des Zweiten Weltkriegs  die Freiheit versagt wurde. Sie wollten mich nicht begleiten. Auf der Reise  nach Polen, Österreich und in die Tschechoslowakei stellte ich fest, daß dort  nichts für mich zu finden war. Ich begriff: Wenn es eine Chance gibt, etwas zu  verstehen oder zu fühlen, mußte ich die Menschen suchen, die noch unter uns  sind. Mein Vater war bereit, mitzuarbeiten. Er erzählt, wie er die Vernichtung  des Ghettos von Miechow überlebte und dann die Arbeits- und Todeslager  Auschwitz-Birkenau und Mauthausen. Mutter wollte und konnte nicht darüber  sprechen. Unter dem Einfluß der Kamera aber öffnete sie sich und sprach vom  Hunger und der Erniedrigung im Arbeitslager, von ihrer Familie, die zu Hause  geblieben war und nicht mehr existiert. Es ist ein Film über das Ende des  Lebens, über das Älterwerden, über Menschen, die einer aussterbenden Generation  angehören, mit der auch die speziell jüdischen Mahlzeiten und die Zeugnisse aus  erster Hand aussterben.“ (Tsipi Reibenbach, Jüdische Filmtage 1999, Oldenburg). 
                              am 10.6.2010 um 20.00 Uhr 
                                
                                
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                                Was bleibt  
                                D 2008, R: Gesa Knolle, Birthe Templin, 58’ Beta SP 
                              Die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte und dem  Holocaust sowohl in einer Opfer- als auch einer Täterfamilie, die über das  Konzentrationslager Ravensbrück miteinander verbunden sind. In Ravensbrück  sieht die 17jährige Erna de Vries ihre Mutter zum letzten Mal. Sie verspricht  ihr, von dem erlebten Grauen zu erzählen und tut das bis heute. Sowohl Tochter  Ruth wie Enkelin Rebecca sehen es als Aufgabe ihrer jüdisch-deutschen Familie  an, die Geschichte weiter zu tragen. Die Österreicherin Dietlinde erfährt erst  durch Nachforschungen, dass ihre bereits 1945 gestorbene Mutter KZ-Aufseherin  in Ravensbrück war. Seitdem versucht sie, sich ein Bild der ihr unbekannten  Mutter zu machen. Ihre Tochter Eva reagiert mit Abgrenzung und Distanz auf  diesen Teil der Familiengeschichte. – Was  bleibt konzentriert sich auf die weiblichen Mitglieder der zwei Familien;  erst die Interviewmontage führt ihre unterschiedlichen Geschichten zusammen.  „Die Verzahnung von Vergangenheit und Gegenwart wird allein durch die  Erzählungen deutlich. Bewusst haben die Filmemacherinnen sich gegen die Montage  von Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Lagers oder Dokumentarmaterial entschieden. Die  Klarheit, die daraus entsteht, wirkt wohltuend.“ (Ulrike Schneider, Jüdische Zeitung, Mai 2008). 
                              In Anwesenheit von Gesa Knolle 
                              am 17.6.2010 um 20.00 Uhr 
                                
                                
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                                A Letter  Without Words  
                                USA 1998, R/B:  Lisa Lewenz, 64’ 16 mm, OmU 
                              Dutzende 16mm-Farbfilme, von Ella Arnhold-Lewenz bis zu  ihrer Emigration 1937 in Berlin aufgenommen, bilden die Grundlage dieser Suche  nach einer jüdischen Identität. Ella Arnhold-Lewenz stirbt 1954 und ihre  Aufnahmen geraten in Vergessenheit. 1981 entdeckt Lisa Lewenz die Amateurfilme  ihrer Großmutter und damit auch einen bisher kaum bekannten Teil der  Familiengeschichte. Die Filmaufnahmen dokumentieren das gesellschaftliche Leben  einer großbürgerlichen deutsch-jüdischen Familie, aber auch die äußeren Zeichen  des Nazi-Regimes wie marschierende SS-Truppen, Straßen voller Hakenkreuzfahnen  und „Juden nicht erwünscht“-Schilder. „Es war, als hätte ich die Büchse der  Pandora geöffnet“, sagt Lisa Lewenz zu diesen Filmen. Ihr Vater war bereits  1932 in die USA ausgewandert, hatte sich taufen lassen und eine evangelische  Frau geheiratet. Mit den Filmen im Gepäck reist Lisa Lewenz nach Berlin, um die  Aufnahmen der Großmutter durch Interviews mit Verwandten und Zeitzeugen sowie  mit Bildern von heute zu ergänzen. Es wird eine Reise zu den Wurzeln ihrer  Familie und ein sehr persönlicher Dialog mit ihrer Großmutter, die sie nicht  mehr kennengelernt hat. 
                              am 24.6.2010 um 20.00 Uhr 
                                
                                
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                                2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß  
                                D 2005, R/B: Malte Ludin, 89’ 35 mm 
                              Am 9. Dezember 1947 wird der überzeugte Nationalsozialist  und SA-Führer der ersten Stunde Hanns Ludin in Bratislava als Kriegsverbrecher  gehängt. Adolf Hitler hatte ihn 1941 als Gesandten und Bevollmächtigten  Minister in die Slowakei geschickt, wo er für die Deportation der dort lebenden  Juden verantwortlich war. Sein jüngster Sohn Malte, geboren 1942, wagt sich an  die Aufarbeitung der im Kreis der Familie verdrängten, aber dennoch  omnipräsenten Rolle des Vaters im „Dritten Reich“. Der Regisseur konfrontiert  drei Generationen der Familie mit den historischen Fakten: nicht als  Außenstehender, sondern als gleichermaßen unmittelbar Betroffener. Es sind  schmerzhafte, konfliktgeladene Prozesse für alle Beteiligten, zumal dort, wo es  zu direkten Begegnungen mit früheren Opfern des Vaters, wie dem Schriftsteller  Tuvia Rübner, kommt... – „Ich glaube, das Schweigen über eine wesentliche Zeit  ihres Lebens ist bei vielen Eltern meiner Generation weit verbreitet. Diese  biographischen und historischen Aussparungen haben immer noch Folgen und eine  unkontrollierte, bis heute aktive Dynamik. Mit diesem Film habe ich zwar ein  sehr persönliches Projekt verfolgt, aber die Geschichte geht weit über das bloß  Private – also meine Familie – hinaus. Was ich erzähle, findet sich, vielleicht  nicht so zugespitzt, in sehr vielen anderen, ganz normalen deutschen Familien  auch.“ (Malte Ludin). 
                              am 8.7.2010 um 20.00 Uhr 
                                
                                
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                                Kaddisch  
                                CH 1997, R: Beatrice Michel, Hans Stürm, 90’ 35 mm 
                              Die zentralen Figuren dieses Dokumentarfilms über die Erinnerungen  einer jüdischen Familie an den Holocaust sind mit Schauspielern besetzt; die  übrigen Mitwirkenden aber sind „reale“ Personen. Hannah (dargestellt von Serene  Wey) wächst bei ihrer Großmutter in der Schweiz auf; die Eltern hat sie kaum  gekannt. Ihr aus Ungarn stammender Vater (gespielt von Ferenc Bács) hat als  Kind Auschwitz überlebt und sich in der Schweiz niedergelassen. Jetzt reist  Hannah zu seiner Beerdigung. An seinem Grab spricht sie das Kaddisch, das  jüdische Gebet, das von den Kindern für ihre verstorbenen Eltern gesprochen  wird. Damit eröffnet sie die Schiwa, die siebentägige Trauerzeit der Familie –  Zeit auch, um zusammenzusitzen und Geschichten auszutauschen. Denn die jüdische  Familie nimmt die Schauspielerin wie eine reale Tochter auf... „‚Als Hannah  durfte sie Fragen stellen, die man sonst Überlebenden des Holocaust nicht  stellt. Diese Fiktion im Rahmen der realen Interviews gehöre zum Konzept,  Dokumentarisches mit Poetischem zu verbinden’, sagt Beatrice Michel und räumt  ein, dass dieses Vorgehen durchaus ‚gefährlich’ sei, da das Publikum Fiktion  und Realität vermischen könnte.“ (Karin Müller, mybasel.ch). 
                              am 15.7.2010 um 20.00 Uhr 
                                
                                
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                                Voices from  the Attic  
                                USA 1988, R: Debbie Goodstein, 60’ 16 mm, OmU 
                              Zusammen mit fünf Cousinen und ihrer Tante reist die  amerikanische Filmemacherin Debbie Goodstein nach Polen. Sie wollen sich jenen  Dachboden ansehen, auf dem sich ihre Familie während des Krieges zwei Jahre  lang verstecken konnte. Sie treffen die Bäuerin Maria Gorocholski wieder, die  die Familie vor dem Zugriff der Nazis rettete – ein Überleben um den Preis  eines lebenslangen Traumas, das sich auch auf jene auswirkt, die damals noch  nicht geboren waren: „Solange ich mich erinnern kann, hatte ich Alpträume und  erlebte Dinge, die vor meiner Geburt an einem Ort, den ich noch nie gesehen  hatte, passiert waren. Ich wurde von Geschichten heimgesucht, die ich noch nie  gehört hatte“. (Debbie Goodstein). Der Dachboden: 15 Quadratmeter, nur 1,63 m  hoch, ohne fließendes Wasser, ohne Licht. 15 Menschen auf engstem Raum, und  nicht alle überleben Hunger, Hitze, Kälte und Verzweiflung. Später, in  Brooklyn, können und wollen sich die Geretteten nur mit vielen Auslassungen  erinnern, und nur allmählich entschlüsselt Debbie Goodstein die Geschichte  ihrer Familie. 
                              am 22.7.2010 um 20.00 Uhr 
                                
                                
                              KUNST DES DOKUMENTS – FAMILIENGESCHICHTEN 
                                Will My  Mother Go Back to Berlin? 
                                USA 1992, R:  Micha X. Peled, 53’ Beta SP, OmeU 
                              Micha X. Peled lebt in San Francisco, seine in Berlin  geborene Mutter Nora in Tel Aviv. Seit ihrer Emigration 1937 weigert sie sich,  jemals wieder deutschen Boden zu betreten. Auf der Suche nach ihrer Geschichte  reist Peled nach Berlin. Zusammen mit einer alten Freundin seiner Mutter  überlegt er, wie er sie zu einer Reise in ihre alte Heimatstadt bewegen könnte.  Mit einer offiziellen Einladung des Regierenden Bürgermeisters fährt er nach  Israel. Die langen Gespräche zwischen Mutter und Sohn kreisen vor allem um die  Familiengeschichte und ihre jeweiligen unerfüllten Sehnsüchte: die des  unehelichen Sohnes nach einem Vater, die der Mutter nach Enkelkindern.  Schließlich zeigt ihr Peled die Einladung und das Flugticket nach Berlin...  
                              am 29.7.2010 um 20.00 Uhr 
                                
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