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  KUNST DES DOKUMENTS - FILMGESCHICHTE(N)

 

KUNST DES DOKUMENTS - FILMGESCHICHTE(N)

Filme schreiben Geschichte, darunter manche die Geschichte des Films. KUNST DES DOKUMENTS – FILMGESCHICHTE(N) präsentiert sieben Dokumentarfilme, die auf eine avancierte Art und Weise Geschichten vom Film erzählen. Es sind weniger Filmgeschichten im klassischen Sinn, logische Erzählungen einer fortlaufenden, zielgerichteten Geschichte des Films. Stattdessen interessieren sich die ausgewählten Filme für einzelne Motive, Grenzfälle der Filmrezeption, Seitenstränge der Film- und Kinogeschichte. Sie folgen Leidenschaften, Assoziationen und fixen Ideen; sind reflexiv, essayistisch und experimentell. Faszinierende Beispiele einer ambitionierten Historiographie des Films.

 

KUNST DES DOKUMENTS – FILMGESCHICHTE(N)
Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte
D 2008, R: Michael Althen, Hans Helmut Prinzler, 106'

"Dies ist nicht DIE Geschichte des deutschen Kinos, sondern EINE Geschichte des deutschen Kinos", schreiben die beiden Regisseure, der Filmkritiker Michael Althen und der Filmhistoriker Hans Helmut Prinzler in den Kommentar ihres Dokumentarfilms hinein, "auf jeden Film, der hier erwähnt wird, kommen hundert andere, die im Dunkeln bleiben". Althen und Prinzler erzählen Geschichten von Leidenschaften, ungerecht und detailversessen wie jede Liebe dieses Ranges, und sie entwerfen dabei auch eine fragmentarische Schule des Sehens. Zehn deutsche Filmschaffende - Michael Ballhaus und Dominik Graf, Tom Tykwer, Christian Petzold und Caroline Link, Wim Wenders, Doris Dörrie und Andreas Dresen, Wolfgang Kohlhaase und Hanns Zischler erzählen von jenen deutschen Filmen, die in ihrer eigenen Geschichte eine tiefe Spur hinterlassen haben: Was sie sehen, ist nicht nur von schöner analytischer Klarheit, sondern spricht auch beredt von ihrer eigenen Arbeit. So tragen Althen und Prinzler gleichsam Material für zweierlei Filmgeschichten zusammen und ergänzen diese durch eine fulminante Inszenierung eines filmhistorischen Blickes: Motivgeschichten - die Blicke der Männer und die Blicke der Frauen, Berlin, der Kuss oder die Kunst des Rauchens etwa - reihen unzähige Gesten und Sichtbarkeiten des deutschen Films auf, Gegengewichte einer anderen Frage, die den Film ebenfalls umtreibt: was das Deutsche am deutschen Film sei.

am 6.11.2008 um 20.00 Uhr

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – FILMGESCHICHTE(N)
Cinéma Vérité: Defining the Moment
CA 1999, R: Peter Wintonick, 103' OmU

Die Geschichte des Cinéma Vérité, jener Befreiungsbewegung des Dokumentarfilms zu Begin der 60er Jahre, erzählt Peter Wintonick als Geschichte seiner Akteure, ihrer Impulse und Motive, ihrer Haltung zum Dokumentarfilm, ihrer ästhetischen Reflexion, ihrer Erlebnisse und Erfahrungen. Wintonick ist ein verspielter Sammler, kein Chronist, er lässt sich selbst filmen, während er seine Interviews vorbereitet, er rahmt sein Material mit Schnipseln aus alten Kulturfilmen, er schreibt Kommentare zu seinen Gesprächen, bebildert die Begegnungen des fünfjährigen Jean Rouch mit Flahertys Nanook of the North ebenso wie seine eigene Frage, ob zwei junge Filmemacher mit ihrem Blair Witch Project den Formenkanon von Free Cinema, Direct Cinema und Cinéma Vérité beerbt haben. Wintonick reist. Er trifft Jean Rouch und D. A. Pennebaker, Richard Leacock und Albert Maysles, Roman Kroitor und Wolf Koenig, Robert Drew und Barbara Kopple, Karel Reisz, Michel Brault, William Greaves und Frederick Wiseman, neben anderen. Und zeigt spektakuläre Sequenzen aus jenen Filmen, die das kinematographische Verhältnis zur Wirklichkeit neu vermessen haben.
 
am 13.11.2008 um 20.00 Uhr

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – FILMGESCHICHTE(N)
The Celluloid Closet
Gefangen in der Traumfabrik
USA 1995, R: Rob Ebstein, Jeffrey Friedman, 102’ OmU

Rob Epstein und Jeffrey Friedman verfilmen 1995 Vito Russos 1981 erschienenes, bahnbrechendes Buch über Homosexualität im Film und schreiben damit selbst schwul-lesbische Filmgeschichte: als Geschichte der homosexuellen Bilder. Hundert Jahre Filmgeschichte erzählen sie mithilfe von Ausschnitten aus über hundert Filmen und der Frage, wie Schwule und Lesben im populären Kino repräsentiert wurden. Welche Bilder sich Hollywood von Schwulen und Lesben machte. Welche es produzierte, welche es favorisierte, welche es wie und wie lange von vorneherein unterband. Welche es zensierte, welche es übersah, welche sich hineinschmuggeln ließen. Und welche hineingerettet worden sind von einem hingebungsvoll cinephilen, homosexuellen Publikum, um manchmal mehr als ein halbes Jahrhundert lang Sehnsüchte nach angemessener Darstellung homophiler Lust zu nähren. Epstein und Friedman spannen nicht nur einen gewaltigen Bogen, der Typen und Stoffe, Handlungen und Erzähllogiken zu einer Geschichte von Diffamierung, Dämonisierung und wachsendem Selbstbewusstsein zusammenrafft. Sie erzählen auch und vor allem eine Geschichte der Wahrnehmung dieser Bilder. Wie ein einziger Auftritt von Marlene Dietrich in Marokko eine ganze sexuelle Identität stiftete. Wie man zu der Überzeugung gelangen konnte, als Schwuler nicht nur im Kino ein böses Ende nehmen zu müssen. Wie man manchmal nicht verstand, was man als Schauspieler tat, wie man manchmal nicht darüber redete, wie man als Drehbuchautor das System unterwanden konnte. Zwei Dutzend Filmschaffende fragen sich, was das Kino an homosexuellen Bildern verloren oder gewonnen hat.

am 20.11.2008 um 20.00 Uhr

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – FILMGESCHICHTE(N)
Histoire(s) du cinéma - Toutes les histoires
F 1989, R: Jean-Luc Godard, 51’ OmeU, Beta SP

Histoire(s) du cinéma - Une histoire seule
F 1989, R: Jean-Luc Godard, 42’ OmeU, Beta SP

Histoire(s) du cinéma - Seul le cinéma
F/CH 1993, R: Jean-Luc Godard, 26’ OmeU, Beta SP

Histoire(s) du cinéma - Fatale beauté
F 1993, R: Jean-Luc Godard, 28’ OmeU, Beta SP

Histoire(s) du cinéma - La monnaie de l'absolu
F 1994, R: Jean-Luc Godard, 27’ OmeU, Beta SP

Histoire(s) du cinéma - Une vague nouvelle
F 1994, R: Jean-Luc Godard, 27’ OmeU, Beta SP

Histoire(s) du cinéma - Le contrôle de l'univers
F 1994, R: Jean-Luc Godard, 27’ OmeU, Beta SP

Histoire(s) du cinéma - Les signes parmi nous
F 1994, R: Jean-Luc Godard, 38’ OmeU, Beta SP

Man hat Lumière nicht verstanden, als er sagte, dass das Kino keine Zukunft hätte: eine Kunst ohne Zukunft ist eine gegenwärtige, sagt Jean-Luc Godard, oder er brennt Buchstaben dafür in diesen Film ein, Texttafeln, in dem Sog, der von seiner elektrischen Schreibmaschine ausgeht, die wie ein Maschinengewehr Zeilen schreibt und in ihrem Rhythmus Bilder in den Bewusstseinsstrom dieses Filmes pumpt, fällt es einem schwer, sich zu erinnern, wie der Gedanke dahergekommen ist. Sie sind aber kein Delirium, keine Assoziationskette, die Histoire(s) du cinéma verfügen über die Präzision von Geschichtsphilosophie, "wir haben die Geschichte, diejenige Ihres schrecklichen Hegel, wenn Sie wollen, oder diejenige Ihres sanften Benjamin", sagt Godard 1995 in einer Frankfurter Dankesrede, die eng an dem Filmessay der Histoire(s) du cinéma entlang argumentiert, "keine gesprochene, sondern eine gesehene Geschichte. Spricht Marx vom 'Stottern' der Geschichte - und seine Worte haben Gewicht - dann ist dies schon ein Bild, und die ersten Bildplatten von Nièpce und Nadar sind bereits belichtet." Godards Reflexion in den Histoire(s) du cinéma ist umfassend, die Aktualität von Geschichte, die Einsamkeit der Geschichte sind große Themen, und das größte, in den Worten des Frankfurter Vortrages, dass das Kino verschwunden sei, "es verschwand, weil es die Konzentrationslager vorhergesehen hatte". Es käme Godard gar nicht in den Sinn, die Geschichte des Kinos anders zu erzählen denn als unsere Geschichte und als Geschichte des Jahrhunderts. Eine feine Dialektik treibt diesen Gedanken an und keine Verallgemeinerung. Das Kino dabei: keine Kunst, keine Technik. Ein Geheimnis, aber ein kommunizierbares, im Stillgestellten und im Schweigen. Die Histoire(s) du cinéma konzentrieren ihre Erzählungen auf die ersten fünfzig Jahre des Kinos. Danach, sagt Godard, habe sich die Wirklichkeit gerächt an das Dunkel dieses Saales.
Vielleicht sind nie schönere Sätze über das Kino gesagt worden als hier. "Die Kamera, gefallen unter der Guillotine des Sinns" heißt es einmal und Godard selbst stößt wenige Bilder später einen ungelenken Schrei aus, den Schrei des Proustschen Romans: Albertine!

am 27.11.2008 um 20.00 Uhr (Teil 1-3)
am 28.11.2008 um 21.00 Uhr (Teil 4-8)

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – FILMGESCHICHTE(N)
Der Schauplatz des Krieges. Das Kino von John Ford
BRD 1976, R: Hartmut Bitomsky, 91' Beta SP

Als der WDR 1976 fünfzehn Filme von John Ford ausstrahlt, stellt Hartmut Bitomsky in seinem Auftrag einen Dokumentarfilm her, der – ausgehend von The Searchers – das Kino John Fords als einen "Sturz der Fabel" entwickelt: "Die Untersuchung, die wir begonnen haben", schreibt Hartmut Bitomsky 1978 in Der Sturz der Fabel, der Mythos des Autors für die Zeitschrift "Filmkritik", "ist inspiriert vor allem durch jenes Auseinanderklaffen von Vergnügen und Bewertung der Ford-Filme. Das Vergnügen, das die Filme zu sehen bereitet, und die Bewertung, die sie erlitten haben. (...) Es geht also vordringlich um eine andere Weise, die Filme von Ford zu verstehen, ohne sie zu liquidieren. Es geht nicht darum, sie auf Formeln zu reduzieren, ihre Quintessenz herauszupräparieren. Es geht darum: theoretische Werkzeuge zu entwickeln, die mehr Sinn bei den Filmen zu erzeugen vermögen; mehr Sinn, als sowohl die Beweihräucherung wie auch die Ideologiekritik hineinlegen können. (...) Ford macht den Hollywood-Film zur Mimikry eines Mythos. Man kann ihn wiedererkennen: trotz der Verstümmelungen, trotz des Mediums, trotz der Synchron-Fassung, trotz seiner Prostitution im Show-business, trotz der Begleitung der bürgerlichen Ideologie. Man erkennt ihn wieder: denn er ist eine Sprache in einer anderen Sprache und mit einer anderen Sprache."

am 4.12.2008 um 20.00 Uhr

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – FILMGESCHICHTE(N)
synthetischer film oder wie das monster King Kong von fantasie & präzision gezeugt wurde
BRD 1975, R: Helmut Herbst, 67'

"Als die Kamera von Méliès streikte, tat sich in der normalen dokumentarischen Kinowelt ein kleiner Riß auf, der den Durchblick auf eine dahinter verborgene synthetische Welt freigab." Als in Helmut Herbsts Filmessay dieser Satz fällt, hat der Filmemacher mithilfe seines Sohnes den Stoptrick als eines der "sechs Prinzipien der Manipulation" bereits vorgeführt, neben der Einzelbildaufnahme, der Blende und der Mehrfachbelichtung, nebst jener mithilfe von Masken und des Zeitraffers. Da es aber nicht nur Effekte, sondern die Grammatik einer Sprache des mechanischen Auges zu erlernen gilt, entwirft Herbst auch eine historische Entwicklung eines jeden dieser filmischen Mittel. Da hat einer einen Begriff von Dialektik und materialistische Zusammenhänge im Blick, und auch ein an der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts geschultes Selbstverständnis, wenn er mit Hans Richter für den synthetischen, also gemachten und nicht-dokumentarischen Film das Eigenleben der Dinge als einen möglichen Wahrheitsgehalt postuliert. Für Helmut Herbst müssen Filmgeschichten geschrieben werden, die die Visionen eines Trickfilmtechnikers wie Willis O'Brien nicht unterschlagen, und solche, die die Techniken der Herstellung von Illusionen entmystifizieren. In dieser kritischen und aufklärerischen Geste wird die Welt für Helmut Herbst nicht ärmer, sondern reicher: hinter jeder synthetischen Illusion verbirgt sich der utopische Gehalt einer phantastischen Möglichkeit, die Phantasie und Präzisionsarbeit ins Leben riefen.

am 11.12.2008 um 20.00 Uhr

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – FILMGESCHICHTE(N)
Midnight Movies: From the Margin to the Mainstream
USA/CA 2005, R: Stuart Samuels, 86’  OmU, Beta SP

Midnight Movies sind ein Grenzfall der Filmbetrachtung und ein Glücksfall des Kinos: als Genre fast paradox, weil kein anderes Gesetz die Filme eint als die mitternächtlichen Umstände ihrer Rezeption, als Ereignis jedoch ein Phänomen ohnegleichen. Stuart Samuels schreibt dem Phänomen eine Zeit zu, die 1970 beginnt und 1977 endet, und einen Kanon: Alejandro Jodorowskys El Topo folgen George Romeros Night of the Living Dead und Perry Henzels The Harder They Come und John Waters Pink Flamingos und Jim Sharmans The Rocky Horror Picture Show, David Lynchs Eraserhead beschließt die Epoche. In Lynchs Debut mit seiner mächtigen ästhetischen Abgeschlossenheit kulminieren auch der Eigensinn und die Beharrlichkeit von Kinobesitzern und Verleihern, die die neuen Vertriebswege für die unerkannte Kunst und damit die Möglichkeit ihrer Existenz schlechthin ersannen. Mit Lynchs Debut endet – so ein anderer von Stuart Samuels schönen Gedanken – eine Epoche des einenden Drogenkonsums vor und auf der Leinwand in unendlich gesteigerter Einsamkeit. Es ist John Waters, der mit untrüglichem Gespür für die Abgründe der Utopien ein Zeittableau zeichnet, in dem Hippies fast schlagartig drogensüchtig wurden und LSD die kollektiven Rauchschwaden zerbarst. Waters beginnt die Arbeit an Pink Flamingos zeitgleich mit der Eröffnung des Prozesses gegen Charles Manson. Als Romeros Night of the Living Dead um Mitternacht anlief, hatten die Zuschauer auch den gewaltsamen Tod Martin Luther Kings vor Augen. Politische Revolten mündeten in ästhetische Haltungen. Samuels schreibt mit seinen Interviews und Filmausschnitten ein Kapitel Filmgeschichte, das einen enormen Einfluss auf die Populärkultur hatte. Und dabei hatten alle Midnight Movies, deren Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte Samuels umreißt, an den regulären Kinokassen keine Chance.  

am 18.12.2008 um 20.00 Uhr

 

 

 
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