Zeughauskino

 

Kino im Zeughaus | Programm | Programmarchiv

 


    KUNST DES DOKUMENTS – SELBSTVERSUCHE

 

KUNST DES DOKUMENTS – SELBSTVERSUCHE

In der Regel achtet oder inszeniert der Dokumentarfilm eine Grenzziehung, die zwei Seiten säuberlich voneinander zu trennen trachtet: hier der Dokumentarist, dort der zu dokumentierende Gegenstand (das Ereignis, der Ort, die Person); hier das Subjekt, dort das Objekt – scheinbar unbeeinflusst von den Bedingungen seiner Aufzeichnung. Eine Spezies ungewöhnlicher, oft auch auffallend unterhaltsamer Dokumentarfilme stellt diese Rhetorik auf den Kopf und gewinnt aus ihrer Umkehrung ein Programm der eigenen Arbeit. Dokumentiert wird der Filmschaffende selbst im Rahmen eines Selbstversuchs, etwa einer 30-tägigen Umstellung der Ernährung auf Fastfood (Super Size Me) oder einer Arbeit als türkischer „Gastarbeiter“ undercover (Günter Wallraff - Ganz unten): ein zu Drehbeginn ergebnisoffenes Experiment, das gerade unter den Bedingungen seiner filmischen Dokumentation zustande kommt und das nicht selten auf einen gesellschaftlichen Missstand aufmerksam machen möchte.

 

KUNST DES DOKUMENTS – SELBSTVERSUCHE
Super Size Me
USA 2003, R/B/P: Morgan Spurlock, 100’ OmU

Selbstversuch im Fettwerden. 30 Tage lang ernährt sich der New Yorker Filmemacher Morgan Spurlock nur von Fastfood. Er will herausfinden, warum die Amerikaner so fett sind. In kürzester Zeit steigt sein Gewicht um 25 Pfund; Körperfett-Anteil, Cholesterinspiegel und Leberfettwerte schnellen in die Höhe; er hat Kopfschmerzen und fühlt sich antriebslos. Während seines Experiments reist Spurlock quer durch die USA und versucht, in Gesprächen mit Fastfood-Fans und Fitness-Trainern, mit Ernährungsexperten und Marketing-Profis der Nahrungsindustrie, mit Politikern und Lobbyisten dem Fastfood als gesellschaftlichem Phänomen auf die Spur zu kommen. „Ich frage, wo die Verantwortung der Firmen endet und die Verantwortung jedes einzelnen für seine Gesundheit beginnen sollte. Deshalb ist der Film auch kein Angriff auf McDonald’s, er ist ein Angriff auf die Fastfood-Kultur, die unser Leben im Griff hat. Genauso wie die Schulen, um die es in meinem Film ja auch geht. Ich möchte, dass sich die Leute den Film ansehen und hinterher entrüstet sind.“ (Morgan Spurlock)

am 12.11.2009 um 20.00 Uhr

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – SELBSTVERSUCHE
Günter Wallraff – Ganz unten
BRD 1986, R: Jörg Gförer, 106’

Selbstversuch als türkischer Gastarbeiter. Zwei Jahre lang nimmt der Autor und Journalist Günter Wallraff die Identität eines türkischen Leiharbeiters an und recherchiert undercover die skandalöse Ausbeutung und Diskriminierung der Gastarbeiter. Er arbeitet als Knecht, in einer Fastfood-Kette, auf Baustellen und in der Industrie. Seine Erlebnisse als vermeintlicher Türke Ali Levent veröffentlicht er in dem Buch Ganz Unten. „Sicher, ich war nicht wirklich ein Türke. Aber man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, muss täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden. Ich weiß immer noch nicht, wie ein Ausländer die täglichen Demütigungen, die Feindseligkeiten und den Hass verarbeitet. Aber ich weiß jetzt, was er zu ertragen hat und wie weit die Menschenverachtung in diesem Land gehen kann.“ Ein Jahr nach der Buchveröffentlichung entsteht der Film. Regisseur Jörg Gförer hatte Wallraff als griechischer Leiharbeiter begleitet und versteckt Aufnahmen gemacht. Nachträglich geführte Interviews mit Leiharbeitern sowie Recherchen über unseriöse Vermittler von türkischen Leiharbeitern bestätigten die Existenz eines modernen Sklavenhandels, mitten in Deutschland.

am 19.11.2009 um 20.00 Uhr

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – SELBSTVERSUCHE
Katastrofin aineksia
Recipes for Disaster

FIN 2008, R: John Webster, 85’  OmeU

Selbstversuch in ökologisch korrektem Konsum. Der Filmemacher John Webster reagiert auf die Klimaveränderungen, indem er seiner vierköpfigen Familie eine „Öl-Diät“ verordnet. Ein Jahr lang verzichten sie auf alle Produkte, die aus Erdöl hergestellt worden sind. Sie geben ihr Auto auf und kaufen keine Plastikartikel mehr. Jeder Einkauf im Supermarkt wird zu einer Gewissensentscheidung: für oder gegen Zahnpasta, für oder gegen Toilettenpapier, für oder gegen die Packung Corn Flakes mit dem Gratis-Plastikspielzeug... „Auf überraschende, witzige Weise demonstriert der Film, was der Einzelne alles tun kann, um eine Klimakatastrophe abzuwenden – auch wenn man im Laufe dieses nicht immer ganz einfachen Jahres manchmal den Eindruck hat, dass es John Websters Ehe ist, die an der Katastrophe vorbeischrammt.“ (Nordische Filmtage Lübeck 2008) Schließlich weisen die Kinder ihren Vater darauf hin, dass seine Kamera ja ebenfalls aus Plastik und somit aus Erdöl hergestellt ist...

am 10.12.2009 um 20.00 Uhr

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – SELBSTVERSUCHE
Hans im Glück – Drei Versuche, das Rauchen loszuwerden
CH 2003, R/B/K/P: Peter Liechti, 90’

Selbstversuch von einem, der auszieht, sich das Rauchen abzugewöhnen. Nach zahlreichen gescheiterten Versuchen entwickelt Peter Liechti seine eigene Methode, um von der Nikotin-Sucht loszukommen. Auf wechselnden Wegen wandert er die 150 Kilometer lange Strecke zwischen seinem Wohnort Zürich und seiner Geburtsstadt St. Gallen ab, denn hier hat er mit dem Rauchen angefangen. Durch dieses Ritual, verbunden mit einem strikten Rauchverbot, hofft er, sich von seinem Laster zu befreien, immer wieder gebremst durch eine grundsätzliche Sympathie für Raucher und Raucherinnen. Mit einer kleinen DV-Kamera und einem Reisetagebuch dokumentiert Liechti den Selbstversuch: „Ein Roadmovie für Fußgänger, ein Heimatfilm für Heimatlose. Eine Widmung an alle Raucher und anderen Abhängigen, an alle Pechvögel und (trotzdem) Anständig-Gebliebenen – und natürlich an den Hans im Glück.“ Seine Fußmärsche ins Landesinnere sind aber auch Erkundungen der Schweizer Mentalität. „Ich war ziemlich abgelaufen und verwirrt, als ich nach acht Tagen in St. Gallen angekommen bin; doch im Rucksack hatte ich 10 Stunden Video-Material und 20 Seiten Text – und in der ganzen Zeit hatte ich keine einzige Zigarette geraucht. Dieser Erfolg hat ein paar Monate hingehalten, bis ich Ende 1999 rückfällig geworden bin. Mittlerweile bin ich wieder genauso weit wie zuvor, das heißt: kein Tag ohne 2 Schachteln Zigaretten. Trotzdem könnte ich nicht sagen, dass die Reise sinnlos war.“ (Peter Liechti)

am 15.12.2009 um 20.00 Uhr

 

 

 
  Filmarchiv