Kino im Zeughaus

 

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KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE


 

KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE

Das europäische Kino der 50er Jahre steht in der Filmgeschichtsschreibung unter dem Vorzeichen von Stagnation, Restauration, mediokrer Industrieware und parteipolitisch beeinflusstem sozialistischem Realismus. Seien es der westdeutsche Heimatfilm oder die DEFA nach dem sogenannten ‚Bitterfelder Weg’, seien es der ‚rosa Neorealismus’ oder die als dekadent und formalistisch verschrieenen frühen Filme von Antonioni: Der von der neorealistischen Erneuerung getragene europäische Aufbruch nach den traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs schien in den 50er Jahren verpufft in einem ganz und gar apolitischen oder nur noch parteipolitischen Kino.
Die Reihe KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE hinterfragt diese Etikettierungen und wirft einen neuen Blick auf das westeuropäische Kino Mitte des letzten Jahrhunderts. Wie stellen die Filme der 50er Jahre das Soziale dar? Wie veranschaulichen sie es? Diese Fragen, die gemeinhin an das unmittelbare Nachkriegskino gerichtet werden, lassen sich auch an das vermeintlich apolitische Genrekino der 50er Jahre richten. Denn hier wie dort verhandeln die Gangster- und Heimatfilme, die Thriller und der Horror die Frage nach der Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft. KINO DER 50ER JAHRE konfrontiert Genrefilme mit sonst wenig zugänglichen Filmen des britischen Free Cinema, mit Vorläufern des Oberhausener Manifests und US-amerikanischem Independent Kino.

Eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit dem Projekt „Die Politik des Ästhetischen im westeuropäischen Kino“ des Sonderforschungsbereichs „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ der FU Berlin

 

KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE
Europa ´51
I 1951, R: Roberto Rossellini, D: Ingrid Bergman, Alexander Knox, Ettore Giannini, Giulietta Masina            OmU, 110’

Im Rom der Nachkriegszeit: Der Sohn einer mondänen Amerikanerin und ihres gut situierten Ehemannes fühlt sich von seiner Mutter verraten, stürzt sich von einer Treppe und stirbt. Die sich schuldig fühlende Mutter gerät in eine tiefe Krise. Sie möchte ihrem Leben einen neuen Sinn geben und wird zum ersten Mal mit dem Elend in den Vorstädten konfrontiert. Überall trifft sie auf Menschen, die ihre Hilfe brauchen, und sie beschließt, sich demütig in den Dienst der Unglücklichen zu stellen. Dabei entfernt sie sich immer mehr von ihrem Ehemann, der sie schließlich für geistesgestört erklären und in eine psychiatrische Klinik einweisen lässt. „Europa ´51, dieser scheinbar unpassende Titel wirft auf die Handlung des Filmes ein Licht, das sie symptomatisch erscheinen lässt für einen bestimmten historischen Augenblick: ein Jahr, in dem die Gesellschaften des durch den Krieg erschütterten Kontinents dabei sind, sich wieder zu stabilisieren“ (Peter Nau, Retrospektive-Katalog der Viennale 1997).

Mit Einführung

am 12.06.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE
Les grandes familles
Die großen Familien

F 1958, R: Denys de la Patellière, D: Jean Gabin, Jean Desailly, Pierre Brasseur, Bernard Blier   OmU, 92’

Nach dem gleichnamigen Roman von Maurice Druon inszenierte Denys de la Patellière dieses Familiendrama mit Jean Gabin als autoritärem Familienoberhaupt. Die Romanhandlung spielt eigentlich nach dem Ersten Weltkrieg, im Film wurde sie aber in die Gegenwart, d.h. in das Jahr 1958, verlegt. Noël Schoudler ist ein Großindustrieller, dem eine Zuckerfabrik gehört und der vor allem über den Besitz einer eigenen Zeitung zu Reichtum gelangt ist. Gleich einem Monarchen herrscht er über das familiäre Imperium. Als sein Sohn François in Abwesenheit des Vaters einige Neuerungen bei der Zeitung einführt, kommt es zum großen Krach zwischen den beiden. Schoudler ist schockiert und will seinem Sohn eine Lektion erteilen: Er setzt ihn als Geschäftsführer der Zuckerfabrik ein und möchte ihm beweisen, dass ohne zusätzliches Geld seine neuen Methoden nicht fruchten werden. Der Sohn wird zum Spielball familiärer Interessen, von denen dieser zuvor keine Ahnung hatte...

Mit Einführung

am 19.06.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE
Diary for Timothy
GB 1945, R: Humphrey Jennings            OF, 40’
A Defeated People
GB 1946, R: Humphrey Jennings            OF, 18’
Family Portrait
GB 1950, R: Humphrey Jennings            OF, 24’

Mit dem Namen Humphrey Jennings verbindet sich eine der kreativsten Phasen des britischen Dokumentarfilmschaffens. Während des Krieges drehte der ehemalige Fotograf, Literaturkritiker, Maler und Dichter Jennings eine Reihe von Reportagen und Dokumentationen, die sich durch eine poetische Balance zwischen experimenteller Montage und gesprochenem Kommentar auszeichnen. Zugleich sind sie Ausdruck eines ebenso ungetrübten wie sympathischen Blicks auf das tägliche Leben der einfachen Leute, ihrer Verletzlichkeit und ihres entschlossenen Widerstandswillens. In Form eines Tagebuches, das vom ersten Lebensjahr eines Kindes erzählt, sieht Jennings beispielsweise in A Diary for Timothy auf das letzte Jahr des Krieges zurück. „Es scheint, als hätte Jennings den Krieg nötig gehabt, um sein Talent entfalten zu können. Indessen war er weit davon entfernt, den Krieg zu verklären: die einfachen Feuerwehrleute und Tommys in seinen Filmen zwang er zur Verteidigung der eigenen Lebensart. Sie sind alle keine Kämpfernaturen. Jennings verlangte ihnen nie eine heroische Geste ab, vielmehr spürte er in ganz beiläufigen spontanen Äußerungen die Eigenschaften auf, die die Gefahr bei ihnen zum Vorschein gebracht hatte: den Sinn für Solidarität und die Selbstverständlichkeit, mit der einmal für richtig erkannte Dinge getan werden müssen.“ (Ulrich Gregor / Enno Patalas: Geschichte des Films, 1962).

Mit freundlicher Unterstützung von Film Images, London
Mit Einführung

am 26.06.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE
Jonas
BRD 1957, R: Ottomar Domnick, D: Robert Graf, Elisabeth Bohaty, Heinz-Dieter Eppler, Willy Reichmann, 84’

Da Jonas der neue Hut gestohlen wurde, nimmt er in einem Café nun seinerseits den Hut eines Fremden an sich. In dem entwendeten Hut findet er die Initialen M.S., die in ihm eine schuldhafte Erinnerung und das Gefühl von Verfolgung wachrufen. In avantgardistischen Kameraeinstellungen folgt der Zuschauer Jonas durch die angsteinflößend fotografierte Großstadt.
Obwohl Jonas 1957 auf der Berlinale uraufgeführt wurde, zwei Bundesfilmpreise und zahlreiche weitere Preise erhielt, ist der Film weitgehend unbekannt und bleibt selbst bei Experten des deutschen Kinos der fünfziger Jahre oft unerwähnt. Knut Hickethier schreibt über den Film: „Jonas steht für mich aus drei Gründen für filmische Grenzsituationen: Zum einen, weil er eine Außenseiterrolle im bundesdeutschen Film der fünfziger Jahre einnimmt und ein Beispiel dafür ist, den deutschen Film dieses Jahrzehnts heute differenzierter zu sehen. Zum zweiten, weil man durch Jonas etwas von der Bildsprache der Moderne erfährt, wie sie in den fünfziger Jahren sich medienübergreifend etablierte (…). Und zum dritten, weil es in diesem Film um eine psychische Grenzsituation geht, bei der man als Zuschauer nicht weiß, ob sich alles nur als Wahn im Kopf der Titelfigur abgespielt hat, oder ob nicht das, was wir dort sehen, tatsächlich eine Erfahrung ist, die in dieser Zeit Menschen machen konnten“ (in: Guntram Vogt [Hg.], Ottomar Domnicks „Jonas“, 2007).

Mit Einführung

am 03.07.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE
Le diable au corps
Teufel im Leib

F 1946, R: Claude Autant-Lara, D: Micheline Presle, Gérard Philipe, Henri Gaultier, Richard Franceur OmU, 121’

1946 drehte Autant-Lara Le diable au corps, einen Film nach der gleichnamigen erfolgreichen Romanvorlage des 17-jährigen Raymond Radiguet, der bereits mit 20 Jahren an Typhus starb. Der Roman ist eine Anklage gegen den Krieg, die Autant-Lara kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zu verfilmen gereizt hat.
Der 17-jährige Gymnasiast François verliebt sich während des Ersten Weltkriegs in die etwas ältere Krankenschwester Marthe, deren Mann an der Front ist. Anfänglich wehrt sich Marthe gegen die Aufwartungen des jungen Mannes, dann setzt sie sich über alle Schranken hinweg und liebt ihn leidenschaftlich. Als Marthe schwanger wird, schickt ihre Familie sie aufs Land, François wird Marthe nie wieder sehen.
Völlig geschwächt von den Anfeindungen der Familie und Nachbarschaft überlebt Marthe die Geburt ihres Kindes nicht. Am Tag des Waffenstillstands läuten die Glocken bei ihrer Beerdigung.

Mit Einführung

am 10.07.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

KINO DER 50ER JAHRE: REALISMUS UND GENRE
Poveri ma belli
Ich laß mich nicht verführen

I 1956, R: Dino Risi, D: Marisa Allasio, Alessandra Panaro, Lorella de Luca, Maurizio Arena, Renato Salvatori            DF, 95’

1956 war ein Schlüsseljahr für Dino Risi, denn Poveri ma belli, produziert mit einem Budget von umgerechnet nur 100.000 $, wurde zu einem überwältigenden Erfolg und gilt als Scharnier zwischen Neo-Realismus und der commedia all’italiana, zu deren größtem Meister Risi in den sechziger Jahren werden sollte. Für Poveri ma belli arbeitete Risi mit damals völlig unbekannten jungen Schauspielschülern zusammen, darunter Renato Salvatori und Maurizio Arena, deren Figuren sich in Poveri ma belli um die Zuneigung einer durchtriebenen Vorstadt-Schönheit, gespielt von Marisa Allasio, bewerben. Der Erfolg von Poveri ma belli führte auch dazu, dass Risi das dramaturgische Rezept des Films für zwei weitere Komödien verwandt: Belle ma povere (Puppe mit Pfiff, 1957) und Povere milionari (Arme Millionäre, 1959).
Risi fiel später vor allem durch seine Arbeiten mit Sophia Loren und Filme wie Il sorpasso (Verliebt in scharfe Kurven, 1962) oder Fantasma d’amore (Die zwei Gesichter einer Frau, 1980) auf. 2002 wurde Dino Risi in Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Mit freundlicher Genehmigung von Guido Lombardo, Titanus
Mit Einführung

am 17.07.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

 

 
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