KINO DER GEHEIMDIENSTE
„Es war wohl weltweit einmalig, den Nachrichtendienst einer Diktatur aufzulösen und jedem zugänglich zu machen“, erinnert sich Hansjörg Geiger, der erste Direktor der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU). Diese Chance nutzend, gibt die Filmreihe KINO DER GEHEIMDIENSTE erstmalig einen umfangreichen Einblick in das geheimdienstliche Filmen der drei ex-sozialistischen Länder DDR, (Tschecho-)Slowakei und Ungarn. Dabei geht es nicht um die Geschichte der Geheimdienste des Ostblocks, sondern um deren Bildpolitik. Die Reihe stellt Genres und filmische Mittel in den Vordergrund, hinterfragt den Umgang mit Bild, Wort und Schrift, mit Fiktion und Dokument. Wie inszenierte die „Firma“ sich selbst und wie ihre „Feinde“? Was wurde aufgezeichnet? Mittels welcher Verfahren wurden Narrative und Argumente generiert? Gibt es für die offen brutalen bis versteckt perfiden Vorgehensweisen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) eine Entsprechung in ihrem Umgang mit den Medien Film und Video?
In der BStU sind 2055 filmische Hinterlassenschaften des MfS erschlossen und archiviert, über die Hälfte davon sind Aufzeichnungen des Westfernsehens. Mit seinem Bestand an Lehr- und Propagandafilmen, Observationsmaterialien, Arbeitsfassungen und Restmaterialien stellt das Medienarchiv der BStU wohl ein Film- und Videoarchiv mit „Alleinstellungsmerkmal“ dar. Die filmischen Fundstücke wirken roh und oft unfertig. Sie offenbaren ein naiv anmutendes Verständnis des Mediums, doch hinter ihrer vermeintlichen Banalität verbirgt sich nicht selten eine unheimliche Bedrohung. Übergangslos und in bizarren Formen vermischen sich in den Filmen des MfS Aspekte der Spionageabwehr mit dem Selbstauftrag der geheimen Staatspolizei gegen das eigene Volk.
In der Slowakei und in Ungarn sind im wesentlichen Lehr- und Propagandafilme überliefert. Sie entstanden im jeweiligen Ministerium des Inneren, gelegentlich auch in Filmstudios der Polizei oder der Armee, und sind vor allem in den 1960er und 1970er Jahren produziert worden. In vorwiegend inszenierten Szenen demonstrieren sie die Arbeitsweise und das Selbstverständnis der Sicherheitsorgane. Auffällig ist das Bemühen, den trockenen Stoff mit flotter Musik und manchem Klischee zum Agenten-Thriller aufzuwerten.
Die Programme der Reihe KINO DER GEHEIMDIENSTE werden von den Kuratoren und von Vertretern der leihgebenden Archive eingeführt. Nach den Filmvorführungen finden jeweils Publikumsgespräche statt, zu denen unter anderem Mitarbeiter der BStU und Filmhistoriker eingeladen worden sind. Am Ende der Filmreihe bietet eine Podiums- und Publikumsdiskussion die Gelegenheit, das Kino der Geheimdienste ausführlicher zu erörtern. Die Vorbereitung und Organisation der Filmreihe wäre ohne das außergewöhnliche Engagement vieler Kolleginnen und Kollegen nicht möglich gewesen. Ein ganz besonderer Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der BStU, insbesondere an Renate Hedli und Christian Schwack.
Das Videomaterial, das im Rahmen der Reihe KINO DER GEHEIMDIENSTE zum Einsatz kommt, weist mitunter deutliche Qualitätsmängel auf, die aber im Interesse einer originalgetreuen Präsentation unvermeidbar sind. Wir bitten, die mitunter schlechte Bild- und Tonqualität der Filme, die alle im Beta SP-Format vorliegen, zu entschuldigen. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen der Reihe KINO DER GEHEIMDIENSTE ist frei.
KINO DER GEHEIMDIENSTE ist ein Projekt von Karin Fritzsche, kuratiert und moderiert von Barbara Wurm, Dietmar Kammerer und Karin Fritzsche, veranstaltet vom Zeughauskino in Kooperation mit der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), dem Collegium Hungaricum Berlin und dem Slowakischen Institut Berlin.
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Geheimdienste im internationalen Vergleich
Begrüßung
Austausch von ehemaligen Agenten auf der Glienicker Brücke am 11.2.1986 aufgrund einer Vereinbarung zwischen USA, BRD, ČSSR, Polen, DDR und UdSSR
DDR 1986, P: Filmstudio Agitation des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), 9’
Luzifers Ordonnanz – eine nicht alltägliche Geschichte für Tschekisten
DDR 1986, Herkunft: MfS, 30’
Titkos őrizetbevétel
Konspirative Zuführung
H o.D., P: Filmstudio des Innenministeriums der VR Ungarn, 9’
Návod k použití operatívnej techniky
Anleitung zur Anwendung der Operativtechnik – eine Montage aus Lehrfilmen
ČSSR o.D./2001, P: Amt für Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus, Innenministerium der Tschechischen Republik, 19’
Wer ist wer?
DDR 1987, P: Filmstudio der HA II des MfS, 28’
Mit einer internationalen Mischung aus Highlights aller zehn Programme eröffnet die Reihe KINO DER GEHEIMDIENSTE. Die Begrüßung übernehmen Agenten mehrerer Länder, die auf der Glienicker Brücke zwischen Westberlin und Potsdam in familiärer Stimmung die Fronten wechseln – ein Agentenaustausch aus dem Jahr 1986. Luzifers Ordonnanz (1986) erzählt vom „Verrat“ eines eifersüchtigen Ehemannes, der mit einem fingierten Kontakt zu westlichen Botschaften seinen Nebenbuhler ausschalten wollte und dabei selbst ins Visier geriet. Um die moralische Verwerflichkeit der Handlungen ihres (nun ehemaligen) Genossen zu unterstreichen, scheuten sich die Filmemacher nicht, Sex-Szenen und eine Teufelsmaske zu inszenieren. Der Film Titkos őrizetbevétel (Konspirative Zuführung) schildert, wie in Ungarn ein Mann als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) geworben und zu diesem Zweck „zugeführt“ werden soll. Von der Legende, die seine Abwesenheit erklärt, bis hin zur Verhaftungschoreografie ist jeder Schritt detailliert inszeniert. Wie die Sicherheitsdienste von den sowjetischen Genossen siegen lernen wollten, demonstriert der tschechische Film Návod k použitiu operatívnej techniky (Anleitung zur Anwendung der Operativtechnik, 2001). Nach einem selbst produzierten Kapitel zur Observationstechnik schließen sich Spielszenen aus verschiedenen KGB-Filmen an. Für Action sorgt ein von den Sowjetgenossen ins Auto eingebauter Spezial-Observationsmonitor. Der Film Wer ist wer (1987) schließlich erzählt vom Werdegang und der Verhaftung „Evas“, einer weiblichen IM, der Fluchtabsichten vorgeworfen wurden – ein Paradebeispiel für die eigenartige „Found-Footage-Methodik“ des MfS.
Zur Eröffnung der Filmreihe spricht Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), in Anwesenheit weiterer hochrangiger Gäste aller beteiligten Länder.
In das Filmprogramm führen ein: Karin Fritzsche, Dietmar Kammerer und Barbara Wurm.
Der Eintritt ist frei.
am 24.11.2009 um 20.00 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Von Spionen und Kundschaftern
Greif – Vom anerkannten Reisekader der DDR zum Spion des BND der BRD
DDR 1988, P: Filmstudio der HA II des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), 33’, Ausschnitt: 3’
Vertrauensbeweis – DDR-Wissenschaftler im Visier imperialistischer Geheimdienste
DDR 1987, P: Filmstudio Agitation des MfS, 45’, Ausschnitt: 15’
Bekämpfung und Entlarvung der Reisespionage durch BRD-Bürger
Rekonstruktion der Spionagehandlungen einer BRD-Bürgerin, Deckname „Ecke“, an militärischen Objekten der NVA, Volkspolizei und der GSSD
DDR 1973-77, Herkunft: MfS, 33’
Spione – Die drei westlichen Militärverbindungsmissionen
DDR 1985, Herkunft: MfS, 35’
Begrüßung
Austausch von ehemaligen Agenten auf der Glienicker Brücke am 11.2.1986 aufgrund einer Vereinbarung zwischen USA, BRD, ČSSR, Polen, DDR und UdSSR
DDR 1986, P: Filmstudio Agitation des MfS, 9’
Die DDR sah sich umzingelt und unterwandert von feindlichen „Spionen“, die eigenen Kräfte im Auslandseinsatz nannte man lieber „Kundschafter“. Da „Spione“ die Verkleidung lieben, stellte ihre Entlarvung eine besondere Aufgabe dar. In Vertrauensbeweis (1987) kommen Wissenschaftler zu Wort, die auf Tagungsreisen in den Westen nach eigenen Angaben von „imperialistischen“ Geheimdiensten „abgeschöpft“ oder angeworben werden sollten. Wie in einem Krimi wird der Versuch des „Feindes“, den Wissenschaftler in einem Londoner Park anzusprechen, vom Filmstudio Agitation im Auftrag des MfS als die genau choreografierte Begegnung mehrerer Hosenbeine nachgestellt. In Bekämpfung und Entlarvung der Reisespionage durch BRD-Bürger (1973-77) wird das Problem, dass auf einer Leinwand jede Behauptung durch ein Bild gestützt werden muss, noch radikaler gelöst: Ein Geheimdienstler, der trotz Perücke, Kopftuch und falschen Brüsten deutlich als Mann erkennbar ist, spielt die Handlungen und Gesten der weiblichen Zielperson „Ecke“ in einer paranoiden Travestiedetailliert nach, konspiratives Kopf-Drehen inklusive. Der Film Spione – Die drei westlichen Militärverbindungsmissionen (1985) liegt im Archiv der BStU in mehreren Schnittfassungen vor. Die Beharrlichkeit, mit der das Thema von den Propagandaabteilungen des MfS immer und immer wieder aufgenommen und variiert wurde, steht in direkter Relation zur weitgehenden Machtlosigkeit der DDR-Führung in dieser Sache. Denn Moskau war aus Eigeninteresse nicht gewillt, am Status der Militärverbindungsmissionen zu rütteln. Umso freudiger feierte man am 2.11.1986 nach einem Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke die Heimkehr der eigenen „Kundschafter“ als Familienfeier und Wiedersehen unter alten Freunden, wie dies in Begrüßung zu sehen ist.
In Anwesenheit von Georg Herbstritt, BStU
Einführung: Dietmar Kammerer
Der Eintritt ist frei.
am 28.11.2009 um 18.30 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
„Genossen, Ihr werdet nicht oft besungen…“
20 Jahre MfS
DDR 1970, Herkunft: Ministerium für Staatssicherheit (MfS), 22’, Ausschnitt: 5’
30 Jahre MfS
DDR 1980, Herkunft: MfS, 50’, Ausschnitt: 5’
Auszeichnung von MfS-Mitarbeitern bei einer internen Veranstaltung
DDR ca. 1978, Herkunft: MfS, 9’
Auftrag erfüllt
DDR 1982, Herkunft: MfS, 88’, Ausschnitt: 26’
Immer lebe die Sonne
Ein Film über die Feriengestaltung des MfS
DDR 1977, Herkunft: MfS, 20’
Ausbildung von Soldaten eines Pionierbataillons
DDR o.D., Herkunft: MfS, 5’
Praktisches Sicherheitstraining. Sicherheitstraining III / Winterbedingungen
DDR ca. 1979, P: Filmstudio Agitation des MfS, 15’
Wenn das Ministerium für Staatssicherheit seine Objektive ausnahmsweise einmal nicht auf „feindlich-negative Kräfte“, sondern auf sich selbst richtete, war der Anlass meist ein stolzer. Im Archiv der BStU finden sich Filmdokumente offizieller, halboffizieller und privater Feierstunden. Schier endlos ist die Abfolge der Gratulanten, die 1970 zum 20. Jahrestag der Stasi-Gründung im Festsaal der Normannenstraße antreten, um Erich Mielke die Hand zu schütteln. Der Chef der „Firma“ wird mit Glückwünschen, Urkunden und Präsenten überschüttet, als hätte nicht sein Ministerium, sondern er selbst Geburtstag. Zehn Jahre später sind die Bilder farbig und die Gesichter deutlich älter, das Ritual der Geschenkübergabe bleibt dasselbe.
„Genossen, ihr werdet nicht oft besungen …“, singt der Chor zu Ehren des berühmtesten Spionage-Ehepaares der DDR. Der Propagandafilm Auftrag erfüllt (1982), der die Biografie von Günter und Christel Guillaume erzählt, entstand in enger Zusammenarbeit zwischen MfS und Deutschem Fernsehfunk. Die beteiligten Produzenten wurden mit der Verdienstmedaille der NVA in Gold ausgezeichnet. Immer lebe die Sonne (1977) zeigt die Feriengestaltung des MfS-Nachwuchses: Zwischen Sackhüpfen, Atomkraftwerk-Baustellenreinigung und militärischen Übungen im Mini-Panzer ist immer noch genügend Zeit, sich von alten „Tschekisten“ Geschichten von damals erzählen zu lassen. Wie lyrisches direct cinema muten die 8mm-Amateuraufnahmen der Ausbildung von Soldaten eines Pionierbataillons an, ein stumm-rauer Alltag aus Klimmzügen und Hindernisläufen. Zum Ausklang des Programms dann ein buntes, durchchoreografiertes Abschiedsballett, dargeboten von Volvos und Trabis in der Katapultieranlage: Praktisches Sicherheitstraining (ca. 1979) ist eine instruktive Fahrschule zu Technoklängen. Synchronwenden als surreale Personenschutzmaßnahme.
In Anwesenheit von Silvia Oberhack bzw. Katrin Rübenstrunk, BStU
Einführung: Dietmar Kammerer, Barbara Wurm
Der Eintritt ist frei.
am 28.11.2009 um 21.00 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Observationen & Rekonstruktionen
Einrichten einer Beobachtungskamera
DDR 1975, Herkunft: Ministerium für Staatssicherheit (MfS), 3’
Beobachtungsauftrag des Objektes „Husar“ und der Verbindung „Rolle“
DDR 1966, Herkunft: MfS, 9’
Männliche Person beim Durchsuchen eines Müllplatzes auf dem NVA-Gelände bei Marxwalde am 5.11. und 9.11.66
DDR 1966, Herkunft: MfS, 8’
Beobachtungen eines westdeutschen Fahrzeuges
DDR o.D., Herkunft: MfS, 7’
Zusammenschnitt verschiedener Observationen
DDR o.D., Herkunft: MfS, 18’, Ausschnitt: 5’
Personen vor dem Eingang einer Kirche
DDR o.D., Herkunft: MfS, 12’, Ausschnitt: 2’
Rekonstruktion FIAT
Dokumentation über den Missbrauch des Transitabkommens durch eine Menschenhändlerbande
DDR 1973, Herkunft: MfS, 18’, Ausschnitt: 8’
FIAT II
Rekonstruktion mehrerer Schleusungsvorgänge
DDR 1974, Herkunft: MfS, 20’, Ausschnitt: 6’
Menschenhandel, Staatsgrenze Nord – Rekonstruktion einer Schleusungsaktion unter Missbrauch des Transitabkommens
DDR 1976, Herkunft: MfS, 16’
Brandanschlag im Rundfunkhaus Berlin
Rekonstruktion des Tathergangs durch den Täter Arno Bade
DDR 1955, Herkunft: MfS, 2’
Brand im Röntgeninstitut des Städtischen Krankenhauses Berlin-Pankow
Rekonstruktion vom 8.1.88
DDR 1988, Herkunft: MfS, 24’, Ausschnitt: 10’
Sirene
DDR 1984, Herkunft: MfS, 6’
In der Sprache des MfS sind Personen „Objekte“, Namen werden hinter Decknamen verborgen. Schließlich lautete das oberste Gebot: Konspiration. Wie man in der Observation verdeckt vorgeht, führt der Film Beobachtungsauftrag des Objektes „Husar“ (1966) wie in einem Lehrbuch vor. Strebsam und akribisch vermerkt der Off-Kommentar die Standorte und Brennweiten der eingesetzten Kameras. Observationen verlaufen allerdings nicht immer so „vorbildlich“. Der Stasi-Mitarbeiter, der eine Männliche Person beim Durchsuchen eines Müllplatzes (1966) filmen sollte, scheint mehr am Bild des ruhenden Waldes interessiert gewesen zu sein als an den Aktionen der Person, deren Aufnahme selten mehr als einen unbestimmten Fleck am unteren Bildrand zeigt. Frustriert fluchen die Überwacher, die mit der Beobachtung eines westdeutschen Fahrzeuges beauftragt worden sind: Ständig verdeckt das Fensterkreuz ihre Sicht. Der Schutzvorhang zwischen Objektiv und den Personen vor dem Eingang einer Kirche scheint dagegen durchaus beabsichtigt.
So genannte Rekonstruktionen stellen einen weiteren Genre-Schwerpunkt im Stasi-Filmspektrum dar. Im Grenzbereich von Dokument und Fiktion werden hier jene Spielarten des „Authentischen“ und „Evidenten“ sichtbar, an die man mit oft aberwitziger Naivität glaubte. Meist sind es die Verhafteten selbst, die ihre Straftat nachstellen müssen, wie in Brand im Röntgeninstitut (1988), der einem skurrilen Typen zu einer veritablen CSI-Performance verhilft. Während der Wochenschaubeitrag Brandanschlag im Rundfunkhaus Berlin (1955) auf Wort und Demonstration setzt, führt das MfS in Sirene (1984) das Ineinander von Telefonüberwachung, Texttafeln und Rasterung vor. Insbesondere das Thema Menschenhandel bietet jedoch Material für vielfältige Ausgestaltungen: Rekonstruktion FIAT (1973) als Kombination von Nachspiel und Verhör, FIAT II (1974) mit halbprofessionellen, aber vollmaskierten Stasi-Akteuren, Menschenhandel (1976) im perfekten Spielfilm-Schwarzweiß mit elektronischem Sounddesign.
In Anwesenheit von Angela Schmole, BstU
Einführung: Dietmar Kammerer, Barbara Wurm
Der Eintritt ist frei.
am 29.11.2009 um 18.30 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Kühler Kopf, heißes Herz, saubere Hände
DDR 1967, P: Ministerium für Staatssicherheit, 100’
Einer der wenigen überlieferten abendfüllenden Propagandafilme des MfS ist Kühler Kopf, heißes Herz, saubere Hände. Der Film beginnt mit einem Feueralarm – lodernde Flammen, heulende Sirenen und die helfenden Hände sowjetischer Soldaten. Das will sagen: Seht, wie bedroht wir sind und wie tüchtig im gemeinsamen Kampf gegen den Feind! Und der Filmanfang kündigt einen aktionsreichen Film an. Dann erst wird das Thema genannt: die Arbeit des MfS und „das unzerstörbare Kampfbündnis der sowjetischen und deutschen Tschekisten“. Es folgt ein historischer Rückblick, wie man ihn aus manchem DEFA-Dokumentarfilm der frühen Jahre zu kennen meint: Kriegsende und Neuaufbau, DDR-Gründung und sozialistisches Leben, plakativ kommentiert. Die Sowjets und wir, das sind die Guten, suggeriert der Text. Die Schlechten kämen in Westberlin „wieder aus den Löchern hervor“, und General Clay habe „die deutsche Militaristenbestie wieder aufgepäppelt und scharfgemacht“. Hier also beginnt die Arbeit des MfS – die Front ist eröffnet und der Kampf kann losgehen. Nun reihen sich echte und unechte Attentate und ihre Aufklärung aneinander, zum „Beweis“ mit inszenierten Szenen illustriert und begleitet von deutlichen Worten des Selbstlobes. Unverkennbar ist das Ziel des MfS, die Notwendigkeit und Nützlichkeit der eigenen Existenz zu betonen: „300, ja 400 solcher Anschläge wurden allmonatlich von uns aufgeklärt“. Vom Kampfbündnis mit den Sowjets ist längst keine Rede mehr. Jetzt geht es darum, selbst der Held zu sein. Interessant ist die Nähe des Films zur DEFA, ca. 80 Prozent der verwendeten Bilder stammen aus dem Archiv des DEFA-Studios für Dokumentarfilme.
In Anwesenheit von Katrin Rübenstrunk bzw. Silvia Oberhack, BStU
Einführung: Karin Fritzsche, Ralf Schenk
Der Eintritt ist frei.
am 29.11.2009 um 21.00 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Lehrfilme der tschechoslowakischen Sicherheitsdienste
Domová prehliadka
Hausdurchsuchung
ČSSR 1982, P: Armeefilmstudio, 38’
Skrytá hliadka
Getarnte Grenzpatrouille
ČSSR o.D., P: Polizeiakademie der Slowakischen Republik, 16’
August 1968, Prešov
ČSSR 1968, 7’
August 1968, Rožňava
ČSSR 1968, 3’
Návod k použitiu operatívnej techniky
Anleitung zur Anwendung der Operativtechnik – eine Montage aus Lehrfilmen
ČSSR o.D./2001, Amt für Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus, Innenministerium der Tschechischen Republik, 19’
Das Slowakische Institut Berlin gibt in Kooperation mit dem vor sechs Jahren gegründeten Ústav pamäti národi / Nation’s Memory Institute (Bratislava) einen ersten Einblick in die Überlieferungen sicherheitsdienstlichen Filmens in der damaligen ČSSR. Da die Aufgaben der inneren Sicherheit dezentral von Abteilungen des Ministeriums des Inneren, der Polizei, der Armee und anderen Institutionen wahrgenommen wurden, stammen thematisch relevante Filme aus verschiedenen Quellen. Der Film Domováprehliadka (Hausdurchsuchung, 1982) wurde vom Armeefilmstudio produziert und demonstriert im üblichen Schwarzweiß die Suche nach Waffen und anderen die Sicherheit destabilisierenden Gegenständen. In zwei 8mm-Filmen aus dem Jahr 1968, gedreht auf beiden Seiten der „Front“, fahren russische Panzer zur Niederschlagung des Prager Frühlings auf: Die Kameraleute der Sicherheit filmten in Prešov, schwarz-weiß und häufig mit Unterbelichtung. Das Farbmaterial eines Bürgers aus Rožňava hingegen wurde von den Organen konfisziert. Inhaltlich unterscheiden sich die Bilder nicht, allerdings beherrschte der Filmamateur in Rožňava seine Kamera besser. Der Film Návod k použitiu operatívnej techniky (Anleitung zur Anwendung der Operativtechnik) montiert Szenen aus Lehrfilmen verschiedener Herkunft. Nach einem eigenen Kapitel zur Observationstechnik schließen sich Spielszenen aus verschiedenen KGB-Filmen an, für Action sorgt hier ein von den Sowjetgenossen ins Auto eingebauter Live-Observationsmonitor, mit dessen Hilfe Agentinnen mit radioaktivem Material in der Handtasche entlarvt werden.
In Anwesenheit von Ivan A. Petranský (Ústav pamäti národa / Nation’s Memory Institute, Bratislava)
Einführung: Marián Gula (Ústav pamäti národa / Nation’s Memory Institute, Bratislava)
Der Eintritt ist frei.
am 1.12.2009 um 20.00 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Lehrfilme der ungarischen Sicherheitsdienste
Titokvédelem
Geheimnisschutz
H o.D., P: Filmstudio des Innenministeriums der VR Ungarn, 38’
Diplomata
Diplomat
H o.D., P: Filmstudio des Innenministeriums der VR Ungarn, 8’
Titkos őrizetbevétel
Konspirative Zuführung
H o.D., P: Filmstudio des Innenministeriums der VR Ungarn, 9’
Titkos házkutatás
Konspirative Hausdurchsuchung
H 1962, P: Filmstudio des Innenministeriums der VR Ungarn, 27’
Röpcédulák
Flugblätter
H 1969, P: Polizeifilmstudio der VR Ungarn, 17’
Das Collegium Hungaricum Berlin zeigt in Kooperation mit dem ABTL (Állombiztonsági Szolgálatok Történeti Levéltára / Historisches Archiv der Sicherheitsdienste, Budapest) eine Auswahl der vom ungarischen Ministerium des Inneren überlieferten Lehrfilme. In stilistischer Hinsicht gleichen sich die Filme.
Inszenierte Szenen, gespielt von eigenen Mitarbeitern und Schauspielern, führen vor, wie in bestimmten Situationen zu agieren ist. Auffällig ist das Bemühen, den Nimbus des Agentenlebens auch intern zu bewahren und möglichst viele spannungsgeladene Elemente einzubauen, von peppiger Musik bis zu Martinshorn und Verfolgungsjagd. Männer mit verspiegelten Sonnenbrillen stempeln Stapel von Dokumenten in Titokvédelem (Geheimnisschutz) und Musik im Stile eines Thrillers begleitet die Titkos házkutatás (Konspirative Hausdurchsuchung, 1962). Wenn die „Zielpersonen“ die Wohnung verlassen haben, beginnt ein spannend inszenierter Krimi. Seine Spielfilm-Dramaturgie assoziiert „Kino“ und damit Un-Wirklichkeit. Sie macht es dem Lernenden leicht zu vergessen, dass es hier um ein staatlich sanktioniertes, unberechtigtes Eindringen in die Privatsphäre realer Personen geht. Ähnliche dramaturgische Mittel und wilde Trommelschläge werden eingesetzt, wenn in der Titkos őrizetbevétel (Konspirativen Zuführung) zukünftige IM (Inoffizielle Mitarbeiter) für ein Sondierungsgespräch verhaftet werden. Röpcédulák (Flugblätter, 1969) beschreibt den Großeinsatz mehrerer kriminalistischer Abteilungen, um den Autor einer politischen Flugblattaktion ausfindig zu machen – sozialistische Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Einführung: Miklós Tamási (Open Society Archives and Research Center, Budapest)
Der Eintritt ist frei.
Am 8.12.2009 um 20.00 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Illusionen
Interview im August 1989 mit Rückkehrern über ihre Erfahrungen in der BRD und ihre Beweggründe zur Rückkehr
DDR 1989, Herkunft: Ministerium für Staatssicherheit (MfS), 55’
Zurückgekehrt – Interview mit Enttäuschten
DDR 1986, Herkunft: MfS, 56’, Ausschnitt: 12’
Illusionen
DDR 1989, P: Filmstudio Agitation des MfS, 25’, Ausschnitt: 13’
Ein Fall für die Diskursanalyse. Menschen, die mit bestimmten Erwartungen in den achtziger Jahren die DDR verlassen haben, um „drüben“ zu leben, kehren – aus welchen Gründen auch immer – zurück und sprechen darüber vor der Kamera. Klar, könnte man meinen, was sollen sie schon anderes sagen, als dass die BRD ein Reinfall, der Kapitalismus auf Ausbeutung aus und der Mensch dort der letzte Dreck ist. Auf Geständnis folgen Einsicht und Reue. Aber ganz so einfach ist es nicht. Was diese Menschen erzählen, wie sie formulieren, mit wem sie reden und unter welchen Umständen sie sich dabei aufnehmen lassen, ist denkbar verschieden. Das Interview im August 1989 mit Rückkehrern, dessen Entstehungshintergrund im Dunkeln bleibt, versammelt vier Positionen – einen Herrn, der wie gedruckt spricht und sich von der Suggestivfragekunst des distinguierten und ganz offenbar fürsorglichen Herrn vom MfS nicht beirren lässt; eine Arbeiterfamilienmutter, der man die Enttäuschung über die fehlende Solidarität „im Westen“ gerne abnimmt; eine junge, völlig unpolitische und doch räsonierende Frau und schließlich ein Mann, dem zuzuhören schwer fällt, so quälend ist der Abgrund, der sich hinter dem Interviewer aufzutun scheint. Was erzählen? Worüber lieber schweigen?
Zurückhaltend bis eingeschüchtert wirken auch die Erzählerinnen in Zurückgekehrt – Interview mit Enttäuschten (1986), einer Produktion der Abteilung Propaganda des DDR-Fernsehens unter der Leitung des wortgewaltigen Ulrich Makosch (wenig später für CNN tätig…). Die Frustration der Frauen beherrscht augenscheinlich auch ihr Dasein in der DDR. Anders die beiden Wirtschaftsfachleute aus Illusionen (1989): Versiert und reflektiert beantworten sie die Fragen der geschulten Lady mit der roten Lederkrawatte. Lupenreine „MfS-TV“-Produktion, Marke Filmstudio Agitation.
In Anwesenheit von Tobias Wunschik, BstU
Einführung: Barbara Wurm
Der Eintritt ist frei.
am 11.12.2009 um 21.00 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Mit der Kamera gegen die Wende
Überwachung der Besucher des Magdeburger Doms und des Begegnungszentrums der evangelischen Studentengemeinde vom 8.-11.10.88, Aktion Konzil 88/2
DDR 1988, Herkunft: Ministerium für Staatssicherheit (MfS), 30’, Ausschnitt: 11’
Der verfassungsfeindliche Verfassungsschutz
DDR 1988, P: Filmstudio der HA II des MfS, 72’, Ausschnitt: 10’
Dienstversammlung anläßl. des 38. Jahrestages des MfS
DDR 1988, Herkunft: MfS, 80’, Ausschnitt: 13’
Protesthandlungen an der GÜST Friedrich-/Zimmerstraße und auf der Besuchertribüne in Westberlin am 12. und 13.8.89
DDR 1989, Herkunft: MfS, 360’, Ausschnitt: 7’
Alexanderplatz in Ostberlin, Aufnahme vom 7.9.89
DDR 1989, Herkunft: MfS, 61’, Ausschnitt: 9’
Personenbeobachtung auf dem Alexanderplatz in Ostberlin am 7.9.89, verschiedene Blickrichtungen
DDR 1989, Herkunft: MfS, 348’, Ausschnitt: 8’
Ereignisse am 4.10.89 und die entstandenen Schäden im Hauptbahnhof Dresden
DDR 1989, Herkunft: MfS, 27’, Ausschnitt: 11’
Personenbeobachtungen am Palast der Republik in Ostberlin während einer Demonstration der Kunst- und Kulturschaffenden am 4.11.89
DDR 1989, Herkunft: MfS, 58’, Ausschnitt: 6’
Erst vom Ende der achtziger Jahre sind gehäuft Filme und Observationsvideos des MfS überliefert, die sich offen gegen die innere Opposition richten. In Der verfassungsfeindliche Verfassungsschutz (1988) verändert sich der Sprachgebrauch von „Spionageverdacht“ zu „feindlicher Kontaktaufnahme“ – kein Verdacht mehr, sondern ein direkter Straftatbestand, der zum Eingreifen ermächtigt. Bei der Dienstversammlung anläßl. des 38. Jahrestages des MfS (1988) droht Mielke aktionsbereiten Oppositionellen ganz direkt und verweist auf Verhaftungen von (Gegen)Demonstranten, die am 17. Januar 1988 mit dem bekannten Luxemburg-Zitat „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ an der offiziellen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration teilnehmen wollten. Massiv richtet sich 1989 das Objektiv auf jedes unerwünschte Auftreten Einzelner, als könnten diese Bilder die Hilflosigkeit der kontrollwütigen Stasi wettmachen. Was nützt die Überwachung der Besucher des Magdeburger Doms (1988), wenn man sie auf den Videobildern nicht erkennen kann? Oder Bilder von Verhaftungen, wenn man die Verhafteten ja sowieso erkennungsdienstlich behandelt? Mehr als sechs Stasikameras sind anlässlich der Personenbeobachtung auf dem Alexanderplatz in Ostberlin am 7.9.89 im Einsatz. Konkrete Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen im Mai sieht man in den Videos dennoch nicht, die Eingreiftrupps waren schneller als der Fokus der Kamera.
Das Observationsmaterial des MfS von 1989 wird ungewollt zur Dokumentation zunehmenden Widerstandes, sei dies am Checkpoint Charlie im August (Protesthandlungen an der GÜST) oder bei den Ereignissen vom 4.10.1989 im Hauptbahnhof Dresden.Noch zur Massendemonstration am 4. November (Personenbeobachtungen am Palast der Republik…)befleißigten sich die Genossen, jedes Ausrollen eines Transparentes akribisch auf Video festzuhalten.
In Anwesenheit eines Mitarbeiters der BstU
Einführung: Karin Fritzsche
Der Eintritt ist frei.
am 12.12.2009 um 19.00 Uhr
KINO DER GEHEIMDIENSTE
Der Stasi-Film zwischen Archiv-Dokument und Kino
Kurzfilmprogramm und Podiumsdiskussion
Luzifers Ordonnanz – eine nicht alltägliche Geschichte für Tschekisten
DDR 1986, Herkunft: Ministerium für Staatssicherheit (MfS), 30’
Vernehmung einer männlichen Person am 24.4.87 wegen Kontaktaufnahme zur Botschaft der BRD in Budapest
DDR 1987, Herkunft: MfS, 180’, Ausschnitt: 15’
Die Podiumsdiskussion zum Abschluss der Reihe KINO DER GEHEIMDIENSTE wird eingeleitet von einem kurzen Filmprogramm. Zwei auf ihre Weise herausragende Vertreter des „DDR-Stasi-Films“ markieren gleichzeitig zwei Extrem-Pole des breiten Spektrums dieser Spezies: auf der einen Seite ein Highlight an Doku-Fiction-Potpourri und filmischem Gestaltungswillen, Luzifers Ordonnanz – eine nicht alltägliche Geschichte für Tschekisten (1986) über einen aufrechten Genossen, der aus Liebesgründen vom rechten Weg abkommt und nun buchstäblich und filmbildlich zum Teufel abgestempelt wird; auf der anderen Seite ein Ausschnitt aus einer 180 Minuten langen Vernehmung einer männlichen Person am 24.4.87 wegen Kontaktaufnahme zur Botschaft der BRD in Budapest, die – versteckt und aus der Perspektive einer Überwachungskamera aufgenommen – die quälenden Abgründe der medialen und rhetorischen Praktiken der Staatssicherheit demonstriert. Die Analyse dieser Machttechnik Sprache, in der sich Verwaltungsgeist und Akribie, Verstellungskunst und Perfidie vermischen, sowie die Problematisierung der entsprechenden Bilder bilden den Ausgangspunkt der Diskussion. Inwieweit „entsprechen“ diese Bilder überhaupt den Intentionen des MfS? Wieso werden sie oft von eintönigen Kommentaren begleitet und mit Schrift-Inserts überfrachtet? Welchen Zweck verfolgen diese vielfachen „Übersetzungen“ von einem Medium ins andere? Die Filme dienen vorwiegend der Selbstversicherung oder der Illustration, der Akten-Dokumentierung oder der schlichten Aufzeichnung von „Vorkommnissen“ (Leerlauf und Nicht-Ereignis inklusive). Wir wollen danach fragen, was passiert, wenn diese im eigentlichen Sinn Archiv-Dokumente auf die Leinwand kommen. Kann hier eine „ursprüngliche“ Intention rekonstruierbar werden? Welches Seh- und Sichtungsverhalten verlangen diese Filme? Und wie sehr hat sich das „Filmstudio Agitation“ des MfS überhaupt mit der Rezeptionsfrage beschäftigt?
Die Podiumsdiskussion wird gestaltet von den Kuratoren der Reihe, Vertretern der BStU und des Zeughauskinos. Zu Gast ist Holger Kulick, Regisseur des Dokumentarfilms Feindbilder – Die Fotos und Videos der Stasi.
Der Eintritt ist frei.
am 17.12. 2009 um 20.00 Uhr
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