MORAVIA IM KINO
Am 28. November 2007 wäre Alberto Moravia 100 Jahre alt geworden. Die Romane und Erzählungen des italienischen Schriftstellers, der auch als Drehbuchautor und Filmkritiker gearbeitet hat, sind schon früh verfilmt worden. Sie haben Klassiker der europäischen Filmgeschichte wie Bernardo Bertoluccis Il Conformista und Le Mépris von Jean-Luc Godard inspiriert. Für Luchino Viscontis Ossessione hat Moravia als Drehbuchautor gearbeitet, als Interviewpartner tritt er in Pasolinis Dokumentarfilm Comizi d’amore in Erscheinung. MORAVIA IM KINO präsentiert anlässlich des 100. Geburtstages eine Auswahl der vielfältigen Beziehungen, die Moravias Arbeit und das Kino unterhalten haben. Die Filmreihe findet am 28. November ihren krönenden Abschluss im Rahmen einer Podiumsveranstaltung, an der unter anderem Dacia Maraini, Cristina Benussi und Klaus Wagenbach teilnehmen und die die Rolle Moravias im intellektuellen Leben des 20. Jahrhunderts diskutiert..
Eine Veranstaltungsreihe in Kooperation mit dem Italienischen Kulturinstitut, unterstützt von Mediaset – Cinema Forever, Associazione Fondo Alberto Moravia, Cineteca Nazionale - Centro Sperimentale di Cinematografia und Rai Teche
MORAVIA IM KINO
La Ciociara Two Women ...und dennoch leben sie
I 1960, R: Vittorio de Sica, D: Sophia Loren, Jean-Paul Belmondo, Raf Vallone OmeU, 100'
La Ciociara basiert auf Moravias 1957 erschienenem Roman Cesira, der vom Überlebenskampf einer jungen vitalen Frau in den Wirren der letzten Kriegstage erzählt. Cesira flieht mit ihrer Tochter aus dem vom Krieg bedrohten Rom, um sich auf dem Dorf in Sicherheit zu bringen. Hier verliebt sie sich in einen jungen Lehrer und erlebt mit ihm eine leidenschaftliche Romanze. Doch der Krieg erreicht bald auch die ländliche Idylle. Cesiras Geliebter wird von deutschen Truppen getötet. Zurückgekehrt nach Rom, geraten Mutter und Tochter wiederum mitten hinein in die Schrecken des Krieges. In De Sicas Film (Buch: Cesare Zavattini) wird aus Moravias Roman der Versuch, die bewährten Elemente des Neorealismus mit dem Starkult um Sophia Loren zu verbinden. Sie gibt die Hauptrolle der Cesira an der Seite des gerade durch Godards À bout de Souffle berühmt gewordenen Jean-Paul Belmondo. "Frau Loren, der Regie vermutlich von ihrem coproduzierenden Gatten Carlo Ponti verordnet, wird in einer Weise zum Mittelpunkt des Films, die sein Thema fast vergessen lässt." (Filmkritik 12/1961) Dennoch ist La Ciociara eine spannende Persönlichkeitsstudie über eine vermeintlich unpolitische Frau in politisch hoch aufgeladener Zeit.
Die restaurierte Fassung, die unter Mitwirkung des Centro Sperimentale di Cinematografia und der Titanus and Surf Film entstanden ist, wurde uns dankenswerterweise von MEDIASET - CINEMA FOREVER zur Verfügung gestellt.
am 20.11.2007 um 20.00 Uhr
MORAVIA IM KINO
Ossessione Von Liebe besessen
I 1943, R: Luchino Visconti, D: Clara Calamai, Massimo Girotti, Dhia Christiani OmU, ca. 140'
Der Wanderarbeiter Gino verliebt sich in die Frau eines Tankstelleninhabers und sie sich in ihn. In seinem bedingungslosen Glücksanspruch geht das Paar sogar über Leichen - und verspielt damit die gemeinsame Basis. Das Geschehen mündet in eine Kettenreaktion aus Flucht, Misstrauen und Verzweiflung. Viscontis Ossessione begründete noch vor Ende des italienischen Faschismus die Schule des Neorealismus. Die Handlung des später noch mehrfach verfilmten Romans The Postman Always Rings Twice von James M. Cain wurde von einer Gruppe junger Drehbuchautoren (darunter Alberto Moravia) nach Italien verlegt. "Es sind weniger die Handlungen der Personen, in denen sich die entscheidenden Ereignisse vorbereiten, als hundert Details in ihren Lebensumständen und den Begleiterscheinungen ihrer Beziehungen. Sie sind von Visconti in einer Fülle zusammengetragen worden, die seinen Film zu einem Meisterwerk realistischer Erzählkunst - jenseits aller Gattungen - erhebt." (Enno Patalas, Filmkritik 9/1959) Ossessione wurde unmittelbar nach seiner Fertigstellung nur heimlich gezeigt, übte jedoch einen enormen Einfluss aus. Außenaufnahmen und realistische Dialoge sorgten für ein hohes Maß an Authentizität und, damit verbunden, für scharfe soziale Akzente.
am 21.11.2007 um 20.00 Uhr
MORAVIA IM KINO
Le Mépris Die Verachtung
F/I 1963, R: Jean-Luc Godard, D: Brigitte Bardot, Michel Piccoli, Fritz Lang, Jack Palance OmU, 95'
Drehbuchautor Paul Javal (Michel Piccoli) hat ein Appartement gekauft, kann die Raten nicht bezahlen und dient sich deshalb dem amerikanischen Filmproduzenten Prokosh (Jack Palance) an. Fritz Lang dreht in dessen Auftrag gerade eine eigenwillige, vermutlich völlig unverkäufliche Odyssee-Variante. Durch die Eingriffe Javals ins Drehbuch soll das Projekt doch noch marktgerecht formatiert werden. In dem Moment, da dem Opportunisten ein erster Scheck ausgehändigt wird, verliert er die Achtung seiner Frau Camille (Brigitte Bardot). Sie verweigert fortan den Beischlaf. Zwischen dem Paar steht zudem der destruktive Verdacht, Javal würde es billigend in Kauf nehmen, wenn Prokosh mit Camille eine Affäre einginge. Ob diese Beziehung wirklich stattfindet oder nicht, bleibt offen.
Godard benutzt Moravias Romanvorlage für eine spielerische, dabei ausgesprochen elegant wirkende Versuchsanordnung über die Käuflichkeit des Geistes durch die Industrie. "Es war das einzige Mal, dass ich den Eindruck hatte, einen großen Film mit einem großen Budget zu machen. Als ich Le Mépris begann, fand ich die Situation ein bisschen schematisch und ein bisschen zu sehr Karikatur. Nun hat ausnahmsweise der Film auf das Leben abgefärbt. Alle Punkte der Erzählung wurden, einer nach dem anderen, in der Realität verwirklicht. Der Film war dann ein großer Reinfall." (Jean-Luc Godard, Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos)
am 23.11.2007 um 19.00 Uhr am 25.11.2007 um 21.00 Uhr
MORAVIA IM KINO
La Noia The Empty Canvas
F/I 1963, R: Damiano Damiani, D: Horst Buchholz, Bette Davis, Lea Padovani engl. Fassung, 118'
Horst Buchholz spielt in dieser randständigen Moravia-Verfilmung den verwöhnten Dino, der sich als Maler versucht und gelegentlich seine neureiche Mutter (Bette Davis) in ihrer Villa an der Via Appia besucht. Darüber hinaus hat er kaum Kontakte zur Außenwelt. Er beschließt, die Malerei aufzugeben, und langweilt sich noch mehr. Schon als Kind hatte er sich stets gelangweilt und sich den Zudringlichkeiten seiner Mutter entziehen müssen. Erst nachdem er sich in ein nymphomanisches Mädchen verliebt und ihretwegen einen Selbstmordversuch unternimmt, zeigt er Ansätze, sein Leben zu ändern. Frieda Grafe ließ seinerzeit kein gutes Haar an Roman wie Film: "Aus schlechter Literatur sind gute Filme zu machen, das ist eine Binsenweisheit. Godard hat bewiesen, dass es sogar mit einem Roman von Moravia möglich ist. Damianis Film ist nicht von der senilen Schwatzhaftigkeit, die Moravias Buch so unangenehm macht. Die aufdringliche Seelenerklärerei hat er weggelassen. Der Film ist kühler und entschieden weniger peinlich als das Buch." (Filmkritik 11/1964) Und das Lexikon des internationalen Films vermeldet lakonisch: "Konventionelle Sexgeschichte, sehr frei nach Moravia."
am 23.11.2007 um 21.00 Uhr
MORAVIA IM KINO
Comizi d'amore Gastmahl der Liebe
I 1963, R: Pier Paolo Pasolini OmU, 93'
Zwischen Mamma Roma (1962) und Das 1. Evangelium - Matthäus (1964) drehte Pasolini einige "kleine" Filme, zu denen auch Comizi d'amore gehört. Der Regisseur selbst wird hier zum Reporter vor der Kamera, der zahlreiche bekannte und unbekannte Italiener des Jahres 1963 nach ihrem Verhältnis zur Liebe und Sexualität und möglichst allen damit zusammenhängenden Belangen befragt. Für den Film durchquert er seine Heimat von Norditalien bis nach Sizilien, spricht oft zufällig auf Dorfplätzen oder Straßenecken versammelte Gruppen an, trifft sich aber auch gezielt mit Autoren wie Alberto Moravia und Giuseppe Ungaretti, der Schriftstellerin Oriana Fallaci oder dem Psychoanalytiker Cesare Musatti. Das Ergebnis ist ein kurzweiliges Sittengemälde eines heterogenen Landes im Umbruch zur Moderne. Pasolinis Interviewstil scheint heute wie eine Vorwegnahme aller später in Mode gekommenen TV-Umfragen. "So ist Comizi d'amore eine unvoreingenommene Gegenüberstellung von Tabus, Abweichungen und Vorurteilen, welche die sexuellen Beziehungen und somit den Großteil des gesellschaftlichen Lebens regeln und wird schließlich zur Fotografie eines im Grunde genommen unbekannten Landes, das in gewisser Weise auch erschreckend ist." (Piero Spila, Pier Paolo Pasolini)
am 24.11.2007 um 19.00 Uhr am 27.11.2007 um 20.00 Uhr
MORAVIA IM KINO
Il Conformista The Conformist
I/F/BRD 1970, R: Bernardo Bertolucci, D: Jean-Louis Trintignant, Stefania Sandrelli, Dominique Sanda OmeU, 111'
Rom 1937: Der Philosophieprofessor Marcello Clerici (Jean-Louis Trintignant) dient sich den Faschisten in mehrfacher Hinsicht an - dies nicht aus Überzeugung, sondern aus einer Mischung aus Opportunismus und Desinteresse. Die Geliebte langweilt ihn, sein Lehramt versieht er ohne Ehrgeiz. Nebenher arbeitet er als Informant für die OVRA, die italienische Geheimpolizei. Von ihr bekommt er den Auftrag, einen nach Paris emigrierten Kollegen zu bespitzeln und schließlich zu töten. Clerici zögert nicht, die Tat auszuführen. Doch nach dem Zusammenbruch des faschistischen Italien muss er erkennen, dass sein gesamter Lebensentwurf ein "großer Irrtum" gewesen ist. Denn das Trauma, aus dem heraus er sich selbst seine Charakterschwäche erklärt hat, basiert lediglich auf einem Missverständnis.
Mit der Verfilmung von Moravias 1951 erschienenem, gleichnamigem Roman wurde Bertolucci weltweit bekannt. Bertolucci spitzt die psychoanalytischen Ansätze der Textvorlage dramatisch zu und findet dabei mit seinem Kameramann Vittorio Storaro adäquate bildnerische Lösungen. "Kühl beobachtend, stilistisch ausgefeilt und in komplizierter Rückblendentechnik analysiert Bertoluccis Film die Bewusstseinswelt des italienischen Bürgertums an einem Modellfall." (Lexikon des internationalen Films)
am 24.11.2007 um 21.00 Uhr
MORAVIA IM KINO
Gli Indifferenti Die Gleichgültigen
I/F 1963, R: Francesco Maselli, D: Claudia Cardinale, Rod Steiger, Paulette Goddard OF, deutsch eingesprochen, 90'
Um dem Verfall seines Familienvermögens nicht tatenlos zuzusehen, entscheidet sich der adlige Libertin Leo (Rod Steiger), die wohlhabende Mariagrazia (Paulette Goddard) zu umwerben. Doch die alternde Witwe Mariagrazia wird von dem Aristokraten hintergangen. Leo lässt sich mit der Tochter Carla (Claudia Cardinale) ein und bringt die ebenfalls bankrotte Familie um die Reste ihres Besitzes. Ein Eklat bleibt allerdings aus. Obwohl alle die Schwächen und Intrigen der anderen zu durchschauen scheinen, ist ein Neuanfang unmöglich. Man versinkt in Resignation und Lethargie.
Die 1929 erschienene Romanvorlage Alberto Moravias erzählt detailgetreu vom bourgeoisen Lebensstil des italienischen Großbürgertums. Moravia beschreibt ein Entgleiten von Moral und gemeinschaftlichen Werten. Dieser ,Indifferenz' setzt er eine existenzialistische Vision entgegen. Die üppige, elegante Inszenierung von Masellis Film entfaltet Moravias Geschichte einer am Vorabend des Faschismus verfallenden Bohème in kunstvollen Bildern.
Mit freundlicher Unterstützung der Fondazione Centro Sperimentale di Cinematografia-Cineteca Nazionale
am 25.11.2007 um 19.00 Uhr
MORAVIA IM KINO
Moravia visto da se stesso
I 2007, R: Silvana Palumbieri OF, deutsch eingesprochen, 50', DVD
Anlässlich des 100. Geburtstages von Alberto Moravia produzierte der italienische Fernsehsender RAI mit Moravia visto da se stesso eine Art filmische Autobiografie des Schriftstellers, die dieser nie geschrieben, geschweige denn gedreht hat. Der Film arbeitet sich chronologisch durch das literarische Werk Moravias, zitiert fragmentarisch aus Romanen wie Die Gleichgültigen (1929), Agostino (1944), Die Römerin (1947), Der Konformist (1970) oder Desideria (1978), zeigt daneben aber auch Ausschnitte aus Theaterinszenierungen und Verfilmungen. Moravia visto da se stesso gelingt es, fast sämtliche von Moravia behandelte Themen zu streifen: von Liebe und Sex über die Wechselbeziehung von Theater und Kino bis zu Kommunismus und Atomkrieg. Darüber hinaus ist Moravia im Gespräch mit anderen italienischen Autoren zu erleben, so mit Raffaele La Capria, Indro Montanelli oder Eugenio Scalfari. Einige der im Film verwendeten Archivaufnahmen waren bislang noch nie zu sehen. Schon die Stimme des großen Schriftstellers zu hören, ist beeindruckend; sie ist verhalten, oft etwas rau, dabei immer präzise. Laut erlebt man Moravia nur ein einziges Mal: bei der Beerdigung von Pasolini.
In Anwesenheit von Silvana Palumbieri Mit freundlicher Unterstützung von Rai Teche
am 28.11.2007 um 16.30 Uhr
MORAVIA IM KINO
Moravia 99 + 1
2007, R: Gianni Barcelloni, Alain Elkann OmeU, 58', Beta SP
Alberto Moravia war leidenschaftlich gern in möglichst vielen und exotischen Ländern unterwegs. Aus diesen Reisen schöpfte er Inspiration für sein literarisches Werk, ließ die Erlebnisse später mittelbar oder auch ganz direkt in seine Arbeit einfließen. Oftmals wurde er bei diesen Expeditionen von seinem engen Freund Gianni Barcelloni begleitet, so nach Israel, Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate, die UdSSR, den Irak, den Iran sowie in verschiedene Länder des afrikanischen Kontinents. Auf den Reisen entstanden zahlreiche Foto-, Video-, Film- und Tonaufnahmen, die bislang noch nie in der Öffentlichkeit zu erleben waren. Auf Initiative der Moravia-Stiftung stellte nun Barcelloni das Material zur Verfügung, um gemeinsam mit Alain Elkann, dem Biographen des Schriftstellers (Vita di Moravia), daraus einen Film zu kompilieren. Die pünktlich zum 100. Geburtstag des Literaten fertig gestellte Dokumentation enthält auch neu gedrehte Szenen, entwirft durch seine Fülle von überraschenden Fakten ein plastisches und sehr persönliches Bild von Alberto Moravia.
In Anwesenheit von Alain Elkann Mit freundlicher Unterstützung von Associazione Fondo Alberto Moravia
am 28.11.2007 um 18.00 Uhr
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