MUNDART
Kennen Sie deutschsprachige Filmproduktionen mit deutschen Untertiteln? Stummfilme mit bayerischen oder schwäbischen Zwischentiteln, die deutsch untertitelt sind? Haben Sie schon einmal Greta Garbo deutsch sprechen gehört? Die Reihe MUNDART versammelt filmhistorische Fundstücke, in denen die Sprache Deutsch und ihre zahlreichen regionalen Dialekte eine ungewöhnliche Rolle spielen. Ob als Waffe der Widerständigen, als Inszenierung von Volksgemeinschaft, als komisches Element oder Authentizitätsausweis: der Art und Weise, wie die Sprache Deutsch geschrieben, gesprochen und übersetzt wird, sind im Film keine Grenzen gesetzt. Die Filmreihe MUNDART begleitet die Ausstellung DIE SPRACHE DEUTSCH, die Mitte Januar im Deutschen Historischen Museum eröffnet wird.
o.k.
BRD 1970, R/B: Michael Verhoeven, D: Friedrich von Thun, Hartmut Becker, Gustl Bayrhammer, Eva Mattes, Michael Verhoeven, Rolf Zacher, 79’
Eine kuriose Mischung aus Brecht’schem Lehrstück und bayerischem Passionsspiel: In Anlehnung an den verbürgten Bericht über ein Kriegsverbrechen in Vietnam im Jahr 1966 erzählt o.k. von fünf amerikanischen Soldaten, die in einem Wald sitzen, Karten spielen und Witze reißen. Aus lauter Langeweile machen sie sich über ein fünfzehnjähriges Mädchen her, vergewaltigen und ermorden es. Einer der Soldaten weigert sich mitzumachen und will Anzeige erstatten. Er stößt auf taube Ohren, aber am Ende kommt es doch zu einem Gerichtsverfahren. „Um dieser Geschichte das Exotische, Ferne zu nehmen, verlegte Verhoeven den Schauplatz nach Bayern und ließ die GIs bayrisch sprechen, setzte die einzelnen Szenen voneinander ab durch Zwischentitel, die das Abstrahieren erleichtern sollten, und rahmt schließlich die Szenenfolge mit Aufnahmen von den Dreharbeiten, in der Absicht, die Geschichte selbst noch einmal zu brechen, um so dem Zuschauer eine distanzierte Haltung zu ermöglichen.“ (Süddeutsche Zeitung, 20.7.1970). Bei der Uraufführung auf der Berlinale sorgte o.k. 1970 für einen Eklat, weil der amerikanische Jurypräsident den Film als „antiamerikanisch“ ablehnte. Der Wettbewerb des Festivals wurde daraufhin abgebrochen.
am 16.1.2009 um 21.00 Uhr
Daheim sterben die Leut’
BRD 1985, R/B/P: Klaus Gietinger, Leo Hiemer, D: Walter Nuber, Luise Zodel, Josef Lau, Heribert Weber, 103’
In einem kleinen Dorf im Allgäu widersetzt sich der alte Bauer Allgeier dem Plan des ehrgeizigen Landrats, seinen Hof an die Fernwasserleitung anzuschließen und dafür den Brunnen des Bauern zuschütten zu lassen. Erst wehrt sich dieser Michael Kohlhaas mit einer Mistgabel, dann beauftragt er einen Gesundbeter, der den Landrat verflucht und ihm so eine schlimme Blasenschwäche verschafft. Schließlich aber landet der Bauer „auf Kaufbeuren“, in der Klapsmühle, während sein Sohn sich mit einer jungen Touristin vergnügt. Liebevoller Heimatfilm und bittere Satire, Geschichtspanorama und überschäumende Komödie gehen in Daheim sterben die Leut’ eine umwerfende Verbindung ein, auch weil die beiden aus dem Allgäu stammenden Regisseure vielfach Laiendarstellern vertraut haben. „Die Familie Allgeier, das ist, wenn man nicht nur lachen will, die Heimat im Umbruch der Zeiten, die sich nicht zum Besseren wandeln. Die Geschichte beginnt mit den (schwarzweißen) Erzählungen des Großvaters (...). Wenn er verschmitzt beteuert: „Daheim sterben die Leut’“ – dann meint er nur: Im Wirtshaus ist es schöner. (...) „Daheim sterben die Leut’“, sagt am Schluß auch die naseweise Enkelin. Sie meint etwas anderes als der Großvater, nämlich: Wer nicht weggeht, kommt um. Wenn man so will, die traurige Bilanz eines lustigen Heimatfilms. Wenn man aber nicht will – die ironische Volte nach einer Geschichte, in der gezeigt wird, wie quicklebendig die Leute daheim noch geblieben sind. Man muß nur ein kleines bißchen weggehen, um das feststellen zu können.“ (Siegfried Diehl, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.1.1986)
am 17.1.2009 um 18.30 Uhr
am 23.1.2009 um 21.00 Uhr
Taxichauffeur Bänz
CH 1957, R: Werner Düggelin, D: Schaggi Streuli, Maximilian Schell, Elisabeth Müller, 89’ schwyzerdütsche OF, Digi Beta
Der verwitwete Zürcher Taxifahrer Bänz tut alles, um seiner Tochter Irma das Studium der Medizin zu ermöglichen. Dass Irma sich ausgerechnet in den jungen, unbekümmerten Fußballspieler Toni verliebt, der vom Lande kommt und bei Bänz zur Untermiete wohnt, passt aber nicht in die Pläne des Vaters. Zumal der verträumte Toni schnell den Verlockungen der Großstadt erliegt, Training und Abendkurse versäumt und schließlich seine Arbeit als Autoverkäufer verliert. Auf Irmas Bitte hin verschafft Bänz ihm eine Anstellung als Taxifahrer. Als aber Tonis Eifersucht auf einen Oberarzt erwacht und er auch noch eines Diebstahls verdächtigt wird, zeichnet sich eine unheilvolle Wendung ab.
In der Titelrolle brilliert der Volksschauspieler und Bühnenschriftsteller Schaggi Streuli, von dem auch das Drehbuch stammt. Maximilian Schell, geboren in Wien, aufgewachsen in Basel und Zürich und berühmt geworden in der Bundesrepublik, spielt den Toni. Es ist sein erster Film, den er in der Schweiz dreht: eine sehr sympathische Beschreibung des Schweizer Alltags in den 1950er Jahren, die auch wegen ihres Vertrauens in den Dialekt bemerkenswert ist. Heute gilt Taxichauffeur Bänz als ein Klassiker des Schweizer Kinos.
am 23.1.2009 um 19.00 Uhr
Friedrich Schiller
D 1923, R/B: Curt Goetz, D: Theodor Loos, Hermann Vallentin, Betty Heermann, Ilka Grüning, 101’ schwäbische ZT, Beta SP, viragierte Kopie
Schwungvoll, leicht und mit Sinn für skurrile Situationen rollt der Film die bewegte Jugendzeit Friedrich Schillers auf: In der Schule leidet Schiller unter militärischem Drill und kann seiner großen Passion, dem Dichten, nur heimlich nachgehen. Dabei ist er ein schwäbischer Lausbub, der immer wieder ausbricht, die Menschen mit seinen deftigen Versen zum Rasen bringt und auch die Frauen zu umgarnen versteht. Die Obrigkeit will diesen volkstümlichen Dichter immer wieder disziplinieren und ihm seine Eskapaden austreiben, doch ohne Erfolg: sein Freiheitsdrang ist stärker. Der Kritiker Herbert Ihering lobte den Schiller-Film, der an Originalschauplätzen in Stuttgart gedreht wurde, als einen hervorragenden „humoristisch-anekdotischen Volksfilm“: „Curt Götz versucht gar nicht, Schiller zu pathetisieren. Er verlässt sich auf den Humor. Dieser mag manchmal billig sein – er ist aber meistens leicht und optisch wirksam. Der Film mag in Genrebilder zerfallen – diese sind aber oft mimisch reizend erfunden. [...] Daß Götz hier auch den Versuchen zu gewaltsamen Glorifizierungen auswich, war ebenso erfreulich.“ (Berliner Börsen-Courier, 6.4.1923)
Lange galt das Regiedebüt des großen Komödienautors Curt Goetz als verschollen. Heute liegt es wieder in einer sehr gut restaurierten Fassung vor, eine Besonderheit sind die Zwischentitel in schwäbischer Mundart.
Klavierbegleitung: Peter Gotthardt
am 24.1.2009 um 19.00 Uhr
Hundstage
A 2001, R/B: Ulrich Seidl, D: Maria Hofstätter, Alfred Mrva, Erich Finsches, Gerti Lehner, 121’ OmU
Kein Film für ängstliche Gemüter. In einem Vorort südlich von Wien kochen während der drückend heißen Hundstage im Juli und August Leidenschaften und Aggressionen hoch. Zwischen Autobahnzubringern, Einkaufsmärkten und Neubausiedlungen spielen sich sechs Episoden ab, die Ulrich Seidl auf geradezu schmerzhaft radikale Weise inszeniert. Seidl, der mit Hundstage seinen ersten Spielfilm vorlegt, bleibt seinem dokumentarischen Ansatz treu und schaut dorthin, wo andere nicht hinschauen. Er beobachtet seltsame Gewohnheiten, Spleens und das krankhafte Verhalten von Menschen, die einsam sind und sich in ihrem Privatleben einschließen. Ihre Sehnsüchte nehmen gewaltsame Formen an. Zärtlichkeit und Verletzung, Liebe und Zerstörung, Stille und Lärm liegen unmittelbar nebeneinander, wie die Geschichten einer hörigen Lehrerin, eines gedemütigten Zuhälters, eines kontrollwütigen Rentners und einer furchtbar nervenden Anhalterin zeigen. Dazu Seidl: „Mein ewiges Thema ist die Hölle des Alltags. Diese Hölle sind wir selbst - Menschen, die sich in Verzweiflung oder in unerfüllter Liebe zerfleischen. In meinen Filmen werden ja auch eher Hunde als Menschen gestreichelt. Wir leben nach außen hin in einer ‚kommunikativen’ Welt, doch die Einsamkeit wird immer größer, nur wollen wir uns das nicht eingestehen.“ (Berliner Zeitung, 1.8.2002)
am 24.1.2009 um 21.00 Uhr
Füsilier Wipf
CH 1938, R: Leopold Lindtberg, Hermann Haller, D: Paul Hubschmid, Heinrich Gretler, Lisa della Casa, 117’ schwyzerdütsche OF, Digi Beta
Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, ändert sich auch das Leben des Friseurgehilfen Reinhold Wipf in der neutralen Schweiz. Der schüchterne junge Mann muss von seiner Verlobten, der Tochter des Chefs, Abschied nehmen und wird zum Militärdienst an die Landesgrenze geschickt. In den Jahren des harten Grenzdienstes verwandelt sich Wipf, den Paul Hubschmid spielt: Er wird zu einem verantwortungsbewussten, allseits respektierten Soldaten und lernt seine Heimat, ihre unterschiedlichen Regionen und Sprachen kennen. Auf den Bergen des Wallis, an den Tessiner Seen und in den Wäldern des Jura trifft Wipf Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung, darunter auch das Bauernmädchen Vreneli, seine große Liebe. Nur vorgeblich spielt Füsilier Wipf in den Jahren des Ersten Weltkriegs. Tatsächlich spiegelt er sehr genau den Zeitgeist des Jahres 1938, als sich bereits der nächste große Krieg abzeichnet und die Schweizer erneut um die Neutralität ihres Landes fürchten müssen. Füsilier Wipf propagiert das Bild einer geeinten Schweiz, die trotz aller regionalen Differenzen in der Krise fest zusammensteht. Der vor den Nationalsozialisten geflohene jüdische Regisseur Leopold Lindtberg unterstreicht die Aktualität des Themas noch durch eine dramatische Flüchtlingsszene, in der die Schweizer Soldaten zwei ausgebrochenen Kriegsgefangenen den Grenzübertritt erlauben: sie stehen für bewaffnete Neutralität und humanitäre Hilfsbereitschaft. Beim Publikum war Füsilier Wipf auch wegen der Besetzung mit beliebten Volksschauspielern ungeheuer populär. Bis heute sahen ihn mehr als 1,2 Millionen Besucher und machten ihn zum erfolgreichsten schweizer Film aller Zeiten.
am 25.1.2009 um 18.30 Uhr
Heinz und Fred
D 2007, R/B/P: Mario Schneider, D: Heinz und Fred Reichwald, 80’ Digi Beta
Im Mansfelder Land im Südharz wird nicht nur eine ganz eigene Mundart gesprochen. In dieser abgeschiedenen Gegend leben auch noch wirkliche Originale, zum Beispiel Heinz und Fred, Vater und Sohn, 69 und 25 Jahre alt. Sie sind unzertrennlich und herrschen zusammen über ein seltsames, mit ihren eigenen Händen geschaffenes Reich, das nur für Außenstehende wie ein normaler Schrottplatz aussieht. Hinter einem großen Tor gehen Heinz und Fred ihrer Lebensaufgabe nach und hauchen alten, kaputten Maschinen neues Leben ein. Auch wenn sie niemand dafür bezahlt, sind sie ganz erfüllt von ihrer Arbeit: sie restaurieren Traktoren, Bagger, Flugzeuge und Schiffe. Indem sie gemeinsam sägen, fräsen, schweißen, bohren, schrauben, hämmern, stanzen, schleifen, finden Vater und Sohn einen Weg, miteinander zu kommunizieren und mit ihrer Trauer um die verstorbene Mutter und Ehefrau umzugehen. Heinz und Fred gestaltet das Porträt dieser beiden Außenseiter als ein Märchen voller Verwandlungen, voller Melancholie und reich an Momenten reinen Glücks.
am 25.1.2009 um 21.00 Uhr
am 27.1.2009 um 20.00 Uhr
Wunschkonzert
D 1940, R: Eduard von Borsody, D: Ilse Werner, Carl Raddatz, Heinz Goedecke, 103’
Im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs beschwört Wunschkonzert den unerschütterlichen Zusammenhalt von Front und Heimat und die Treue der wartenden Frau. Während der Olympiade 1936 verliebt sich Inge in den Fliegerleutnant Herbert, der aber kurz vor ihrer Heirat in geheimer Mission zum Einsatz in der Legion Condor nach Spanien abkommandiert wird. Jahrelang empfängt Inge kein Lebenszeichen von Herbert, bis sie in der populären Radiosendung „Wunschkonzert“ ein von ihm gewünschtes Lied hört. So findet das Paar schließlich doch wieder zusammen. Im Zentrum dieser Geschichte über Liebe und Krieg, Pflichterfüllung, Verzicht und glückliche Wiedervereinigung steht das Wunschkonzert, das die Soldaten an den verschiedenen Kriegsfronten und die Zivilisten in Deutschland als Radiohörer miteinander vereint. Eingefügt in die Spielhandlung sind dokumentarische Szenen aus Leni Riefenstahls Olympia-Film und verschiedenen Kriegswochenschauen sowie die Auftritte zahlreicher Unterhaltungskünstler im Rundfunkstudio. Mit 23 Millionen Zuschauern war Wunschkonzert der zweiterfolgreichste Film des „Dritten Reichs“. „Wunschkonzert ist ein Wunder der Integration von Gegensätzen und Polaritäten. Die Waffengattungen werden mit den Künsten versöhnt, die Intelligenzler mit den Beschränkten, die Preußen mit den Bayern. Der Film [...] schließt die Zuhörer und Zuschauer nach innen zusammen. Er mobilisiert eine Front der Gefühle. Die Homogenität des Volkes wird durch die Homogenisierung des Radio-Tons hergestellt.“ (Karsten Witte: Film im Nationalsozialismus, in: Geschichte des deutschen Films, 1993).
Einführung: Philipp Stiasny
am 28.1.2009 um 20.00 Uhr
Anna Christie
USA 1930, R: Jacques Feyder, D: Greta Garbo, Theo Shall, Hans Junkermann, Salka Viertel, 93’ historische deutsche Fassung
Die Göttliche auf St. Pauli. Die junge Anna Christie trifft ihren Vater, einen Seemann, der sie einst als Kind zurückließ. Sie wird herzlich und voller Überschwang begrüßt und lässt ihrem Vater die Überzeugung, sie sei stets tugendhaft geblieben. Tatsächlich hat Anna auf St. Pauli bereits als Prostituierte gearbeitet. Gemeinsam gehen Vater und Tochter an Bord eines Kohlenschiffes, wo sich der Matrose Matt leidenschaftlich in Anna verliebt. Es kommt zu einem gefährlichen Konflikt zwischen beiden Männern, und Annas Vergangenheit droht aufzufliegen.
Für die Zeitgenossen bedeutete der frühe Tonfilm Anna Christie, von dem zunächst eine englischsprachige Version entstand und danach eine deutsche Version mit anderen Schauspielern, eine doppelte Sensation. Nicht nur spielte Garbo hier eine junge Frau, die ganz am Rande der Gesellschaft stand, sondern vor allem: Die Garbo sprach zum ersten Mal im Film. Und zwar deutsch: „Gib mir ’nen Whiskey...“. Während Siegfried Kracauer nur einen Seemannsschmarren sah und mäkelte, Garbos dunkles, rauhes Organ passe gar nicht zu ihrer Figur, ging Rudolf Arnheim vor ihr in die Knie: „Trotz aller Hindernisse bietet Greta Garbo eine Leistung, um derentwillen jedermann gebeten sei, sich diesen Film anzusehen. [...] Ihre herrliche tiefe Stimme (die übrigens frappierend an Elisabeth Bergners erinnert) bereichert das Bild, das wir seit Jahren lieben. Greta Garbo hat, auch wenn sie spricht, das Sparsame, keusch Verhaltene aller großen Schauspieler, die schlichte Intelligenz und auch jene höchst persönliche aber fast unveränderliche Sprachmelodie, die alle Theatertöne auf den Kopf stellt, jeden Satz eigentümlich zurechtbiegt, alle Betonungen selbstherrlich transponiert zu einem nie gehörten bezaubernden Gesang.“ (Die Weltbühne, 7.4.1931)
Einführung: Renata Helker
am 30.1.2009 um 19.00 Uhr
am 31.1.2009 um 21.00 Uhr
Wer früher stirbt, ist länger tot
D 2006, R/B: Marcus H. Rosenmüller, D: Markus Krojer, Fritz Karl, Jule Ronstedt, Jürgen Tonkel, 105’
In einem kleinen bayerischen Dorf lebt der elfjährige Sebastian und fühlt sich schuldig am Tod seiner Mutter, die bei seiner Geburt starb. Er träumt vom jüngsten Gericht und ewiger Qual im Fegefeuer. Um seine „Ursünde“ wieder gutzumachen, probiert Sebastian alles Mögliche aus und findet schließlich den Ausweg: Er sucht eine neue Frau für seinen Vater. Marcus H. Rosenmüller gelang mit seinem Debütfilm Wer früher stirbt, ist länger tot eine turbulente, mitreißende Komödie in bayerischer Mundart, die zu einem außerordentlichen Publikumserfolg wurde. Kraftvoll fließen Bauerntheater und katholische Heilserwartung, Magie und kindliche Höllenängste, liebevolle Figurenzeichnung und Situationskomik ineinander. „Marcus Hausham Rosenmüller beweist nicht nur ein ordentliches Gespür als Regisseur und Koautor, sondern vor allem Mut in seiner kruden Mischung aus krachledernem Komödienstadl und surrealistischen Einsprengseln. Unsterblich wird er mit seinem bayrischen Pendant zum Michel aus Lönneberga zwar nicht gleich werden, aber ein seliger Anfang ist gemacht.“ (Peter Zander, Berliner Morgenpost, 17.8.2006)
am 30.1.2009 um 21.00 Uhr
How Much Wood Would a Woodchuck Chuck. Beobachtungen zu einer neuen Sprache
BRD 1976, R/B/P: Werner Herzog, 44’
Solinger Rudi
D 1990, R/B/Schnitt: Dietmar Klein, D: Hans-Joachim Grubel, Ralf Holzhausen, Christel Harthaus, Detlev Buck, 63’ Beta SP
Die Sprache der Marktschreier: melodisch, verkaufsfördernd, grotesk. Im Rahmen einer riesigen Viehversteigerung findet 1976 in Pennsylvania die Weltmeisterschaft im Schnellsprechen statt. Der Gewinner ist Steve Liptay, der seit der Kindheit den Zungenbrecher herunterrattert: How Much Wood Would a Woodchuck Chuck if a Woodchuck Would Chuck Wood? A Woodchuck Would Chuck as Much Wood as a Wood Chuck Could, if a Woodchuck Could Chuck Wood. Zur Verständigung taugt die dabei entstehende Kunstsprache aufgrund ihres Tempos nicht mehr. Werner Herzog kontrastiert diesen Wettbewerb in seinem Dokumentarfilm mit der ganz getragenen Sprache der Amish People, die vor langer Zeit aus Deutschland und der Schweiz kamen und teilweise noch einen urtümlichen pfälzischen Dialekt sprechen. Zwei Gegensätze prallen aufeinander, zwei Merkwürdigkeiten der amerikanischen Kultur.
In der dokumentarisch anmutenden Tragikomödie Solinger Rudi ist es das größte Kapital des ostdeutschen Marktschreiers Rudi, dass er sein Publikum auf den Straßen Berlins durch die direkte Ansprache nicht nur gut unterhalten, sondern auch zum Kauf animieren kann. Ermuntert durch finanzielle und erotische Erfolge, macht sich Rudi selbständig, verramscht taiwanesische Messer als Solinger Originale und fällt bald auf die Nase. Ein moderner Don Quichote, der in der Zeit nach dem Mauerfall seine Lektion in Sachen Marktwirtschaft erst lernen muss.
am 31.1.2009 um 18.30 Uhr
I Cimbri
Die Zimbern
A 1991, R/K/P/Schnitt: Peter Schreiner, 116’
Im Frühjahr 1988 unternahm der österreichische Experimentalfilmer Peter Schreiner seine erste Reise in das kleine Bergdorf Giazza in Oberitalien, wo unter den 250 Einwohnern noch ein paar alte Leute in einem altdeutschen Dialekt, dem Zimbrischen, miteinander redeten. Seit dem 12. Jahrhundert leben die Zimbern in dieser abgeschiedenen Region: eine kleine deutschsprachige Minderheit, die einst aus Tirol hierher kam und zu der sich später noch Alemannen aus der Ostschweiz gesellten. Heute sterben ihre von tiefer Religiosität geprägte Kultur und ihre Sprache aus. Peter Schreiner kehrte zurück nach Giazza und gewann das Vertrauen der Zimbern. Er hörte den Menschen zu, lernte ihr naturnahes Leben und ihren Glauben kennen und nahm ihre Sprache auf, er beobachtete, wie zugleich die Moderne, wie Industrialisierung, Straßenverkehr und Naturzerstörung Einzug hielten und das Alte begruben. So erscheint Schreiners Dokumentarfilm heute auch als ein Gedächtnis, das sich dem Verlöschen entgegenstemmt, gedreht in etwas unwirklichem Schwarzweiß, versehen mit harten, expressiven Schnitten und Tonmontagen. „Ich habe diesen Film als Fremder in einem fremden Dorf gemacht - doch es ist, glaube ich, eine gegenseitige starke Zuneigung entstanden, die das Filmen erst möglich machte. Jeder Mensch will ja vieles, und die Gedanken in seinem Kopf können ihn sehr bedrängen - doch alles Gewollte würde das Fremdsein, die Unterschiede, die Kluft vergrößern (auch das ist geschehen), aber ich erinnere mich an Augenblicke, Stunden manchmal, in denen ich nur schauen und horchen wollte - und da hatte ich meine Möglichkeit gefunden, mit den Leuten zusammen zu sein. An diese Augenblicke, an diese Möglichkeiten möchte ich vielleicht mit dem Film erinnern.“
am 1.2.2009 um 18.30 Uhr
Le club des chômeurs
Club der Arbeitslosen
L/CH 2002, R/B: Andy Bausch, D: Myriam Muller, Thierry van Werveke, Luc Feit, Camillo Felgen, 98’ OmU
In Luxemburg wurde bis vor kurzer Zeit mit Geld gehandelt und Stahl gekocht. Nach der Schließung ihres Werkes treffen sich sechs Freunde, allesamt standesbewusste Kumpel, jeden Tag in ihrer Stammkneipe, schwadronieren von früher, trinken Bier und lästern über die Wiedereingliederungsmaßnahmen des Staates. Wer zum „Club des Chômeurs – Klub der Arbeitslosen“ gehören will, muss schwören, sich nicht um Arbeit zu bemühen und den Status der Langzeitarbeitslosigkeit unter allen Umständen zu erhalten. Für die Freunde zählen noch Solidarität und echte Männlichkeit, ihre Würde verteidigen sie mit Selbstironie und Augenzwinkern. Andy Bausch, das Urgestein des luxemburgischen Filmschaffens, pflegt mit Le Club des Chômeurs einen weltoffenen Lokalpatriotismus: Seine Komödie, die sich an britischen Arbeiterfilmen orientiert, erzählt vom Leben einfacher Leute, von ihrer Widerspenstigkeit und ihrem Sprachwitz. „Fir mech ass daat en Deel vu Lëtzebuerg dee genee sou stark do ass wéi d’Bankentum. Et gett hei nett nëmme Kirchbierg a Boulevard Royal.“
am 1.2.2009 um 21.00 Uhr
Strähl
CH/D 2004, R: Manuel Flurin Hendry, D: Roeland Wiesnekker, Johanna Bantzer, Nderim Hajrullahu, Mike Müller, 82’ schwyzerdütsche OF
Wer behauptet, man könne auf schwyzerdütsch keinen harten, packenden Polizeifilm drehen? Der Zürcher Drogenfahnder Herbert Strähl, einsam, schlaflos und tablettenabhängig, träumt vom großen Fang und gerät doch in einen Strudel, der ihn ganz nach unten zieht. Als bei einer Hausdurchsuchung ein Verdächtiger aus dem Fenster fällt und Strähl anzeigt, wird er suspendiert, und sein Leben geht entzwei. Er taucht ein ins Milieu der Kleinkriminellen, der Dealer und Zuhälter, und die Grenzen zwischen richtig und falsch, sauber und dreckig verschwimmen. Dieses nächtliche, delirierende Porträt eines Verlierers, der hungrig ist nach Liebe und Bestätigung, inszeniert Manuel Flurin Hendry schnörkellos auf den Straßen von Zürich, unterstützt von großartigen Schauspielern, allen voran Roeland Wiesnekker in der Titelrolle. „Alle Achtung. Wo sonst das Betuliche erblüht, in der Ferne Sehnsüchte gestillt werden oder in die Klamotte abgehoben wird, demonstriert ein Schweizer Film, dass es geht: zeitgemäße Realitätsnähe auf die Leinwand zu bringen, und sogar mit Tempo und Mundwerk. Die häufig benutzte Ausrede, die Schweizer seien halt ein bisschen langsamer und schwerfälliger als ihre Nachbarn, war ohnehin immer eine selbst gemachte Legende.“ (Wolfram Knorr, Die Weltwoche, 25.3.2004)
am 6.2.2009 um 21.00 Uhr
Gräfin Küchenfee
D 1917, R: Rudolf Biebrach, D: Henny Porten, Heinrich Schroth, Reinhold Schünzel, 6’ (Fragment)
Auf Probe gestellt
D 1918, R: Rudolf Biebrach, D: Henny Porten, Heinrich Schroth, Reinhold Schünzel, 4’ (Fragment)
Die Heimkehr des Odysseus
D 1918, R: Rudolf Biebrach, B: Robert Wiene, K: Karl Freund, D: Henny Porten, Bruno Decarli, 53’ bayerische ZT
Die rustikale Komödie Die Heimkehr des Odysseus holt das mythische Thema in die bayerische Gegenwart und macht aus dem antiken Kriegshelden den abenteuerlustigen Bergführer Hans. Dessen so selbstbewusste wie resolute Ehefrau, die Gastwirtin Josepha, wirft ihren Gatten verärgert aus dem Haus, nachdem dieser sie durch gebrochene Versprechen schwer beleidigt hat. Irgendwann gilt der Mann als verschollen, und die Freier im Dorf drängen Josepha, sie solle erneut heiraten. Aber die denkt gar nicht daran und wird am Ende wieder mit Hans vereint. Henny Porten, der deutsche Star der 10er Jahre, bestätigt in der Rolle der Josepha nicht nur ihr komisches Talent. Vielmehr gelingt ihr auch eine humorvolle Version der sonst fast immer tragisch inszenierten Geschichte von Verschollensein, Todeserklärung und unerwarteter Heimkehr des Mannes: eine Geschichte, die vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges, von Trennung, ausbleibenden Nachrichten und massenhafter Kriegsgefangenschaft zu einer bitteren Realität geworden war. Am Schluss des Films wird die alte Geschlechterordnung zwar wieder repariert, doch vorher zeigt die Heldin, dass sie auch ohne Gatten gut zurechtkommt. Es scheint fast, als wolle der Film einen Beitrag zur zeitgenössischen Debatte über die „Vermännlichung der Frau“ im Kriege und deren modegeschichtlichen Implikationen liefern. Josepha stellt nämlich beim Dorfrat den Antrag, ihren Gasthof eigenständig zu führen und selbst „de Hos’n anzuzieh’n“, was ihr schließlich gestattet wird. Als Komödiantin ist Henny Porten auch in den beiden kürzeren Filmen Gräfin Küchenfee und Auf Probe gestellt zu bewundern, von denen heute nur noch Fragmente überliefert sind.
Klavierbegleitung: Eunice Martins
Einführung: Philipp Stiasny
am 7.2.2009 um 19.00 Uhr
How Time Flies
D 2000, R/K/Schnitt: Sigrun Köhler, Wiltrud Baier, 88’ OmU
Was bleibt in Erinnerung von einem hundertjährigen Leben? Carl Köhler, geboren im Jahr 1900, war sein Leben lang Bauer im Hohenloher Land. Die harte Arbeit hat ihn gezeichnet. Jetzt schlägt er die Zeit und Fliegen tot. Mit Sohn und Enkel lebt er auf dem Hof der Familie; seine Schwiegertochter pflegt ihn. Seine Enkelin, die Filmemacherin Sigrun Köhler, möchte mit ihm über die Vergangenheit sprechen, doch für den Großvater zählt nicht die Erinnerung an Krieg, Mondlandungen und die großen Ereignisse des Jahrhunderts. Wichtig sind für ihn der schmerzende Rücken, die Ferkelpreise, das Wetter und die Namen seiner vielen Enkel und Urenkel. Zu Fragen nach Liebe, Ehe und schmerzhaften Erfahrungen schweigt er oder zitiert ein Gedicht. Er ist interessiert und gelassen, scheu und hintergründig, eigenwillig und komisch. „Früher ist es auch nicht anders gewesen, da ist auch ein Tag nach dem anderen herumgegangen.“ In Fahrt kommt Großvater Köhler, wenn er sich mit seinem fast gleichaltrigen Bruder unterhält. Dann spielen sich Szenen ab wie im absurden Theater. Dabei reflektiert der Film auch die Spannungen in der Familie, tyrannisches Gebaren und die Vorhaltungen des alten Mannes, seine filmende Enkelin habe doch gar nichts Richtiges gelernt. Ein Zeitdokumentarfilm über 100 Jahre und einen Tag.
am 7.2.2009 um 21.00 Uhr
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