Kino im Zeughaus

 

Kino im Zeughaus | Programm | Programmarchiv

 


  VERSTUMMTE STIMMEN

 

VERSTUMMTE STIMMEN

Am 18. Mai wurde in der Staatsoper Unter den Linden die Ausstellung VERSTUMMTE STIMMEN eröffnet. Sie präsentiert ein bisher kaum untersuchtes und nie dargestelltes Kapitel des „Dritten Reiches“: die Vertreibung der „Juden“ aus der Oper. Das Zeughauskino ergänzt diese sehenswerte Ausstellung mit einer Filmreihe, die daran erinnert, dass zahlreiche an der Berliner Lindenoper und andernorts arbeitende Musiker auch in der Filmbranche engagiert waren, ehe ab 1933 „Säuberungsmaßnahmen“ für eine Ausgrenzung und Vertreibung vor allem der jüdischen Künstler sorgten. Auf dem Spielplan stehen Spiel- und Dokumentarfilme, darunter auch Filme, deren Vorführung im Zeughauskino noch einmal diejenigen Stimmen zu Gehör bringen wird, die Mitte der 1930er Jahre in den deutschen Opernhäusern, Konzerthallen und Kinosälen zum Verstummen gebracht worden waren. Mehrere Programme der Filmreihe werden von Historikern und Filmwissenschaftlern eingeführt. Im Anschluss finden Publikumsgespräche statt.

Eine Filmreihe in Zusammenarbeit mit der Staatsoper Unter den Linden,
der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum und
der Bundeszentrale für politische Bildung

Bundeszentrale für politische Bildung

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Ein Lied geht um die Welt

D 1933, R: Richard Oswald, D: Joseph Schmidt, Charlotte Ander, Victor de Kowa, Fritz Kampers, 96’

Musikfilm um und mit dem „Tenorwunder“ Joseph Schmidt. Der 1904 in der Bukowina geborene Schmidt tritt bereits früh als Wunderkind auf und singt in den 40 Synagogen von Czernowitz (Österreich-Ungarn). Wegen seines kleinen Wuchses bleibt ihm eine Karriere als Bühnenschauspieler verwehrt. Anfang 1929 wird Joseph Schmidt in Berlin für den Rundfunk entdeckt und avanciert rasch zu einem unbestrittenen Publikumsliebling und einem frühen Plattenstar mit an die 130 Aufnahmen. Ein Lied geht um die Welt zeichnet diese beispiellose Karriere in groben Zügen nach. Joseph Schmidt selbst spielt den unbekannten Tenor Ricardo, der sich erfolglos um ein Bühnenengagement bemüht und nun sein Glück beim Rundfunk sucht. Zunächst wird er abgewiesen, doch anstatt zu gehen, beginnt Ricardo zu singen.
Am 9. Mai 1933, nach der Uraufführung des Films im Berliner Ufa-Palast am Zoo, flieht Joseph Schmidt aus Deutschland. In New York wird Ein Lied geht um die Welt später mit „The voice the Nazis could not destroy“ beworben. An dem Film sind mit Ernst Neubach und Heinz Goldberg als Drehbuchautoren, dem Komponisten Hans May und dem Regisseur Richard Oswald weitere jüdische Filmschaffende beteiligt: sie alle flüchten vor den Nationalsozialisten ins Exil.

Einführung am 1.6.: Michael Wedel

am 1.6.2008 um 18.30 Uhr
am 4.6.2008 um 20.00 Uhr

 

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Ball im Savoy
AU/UNG 1935, R: Stefan Székely, M: Paul Abraham, D: Gitta Alpár, Hans Járay, Rose Barsony, Felix Bressart, 84’

Operettenfilm und Verwechslungskomödie aus dem Hotelmilieu. Ball im Savoy wird in deutscher Sprache in den Hunnia-Ateliers in Budapest gedreht. An der österreichisch-ungarischen Gemeinschaftsproduktion sind zahlreiche Emigranten aus Deutschland beteiligt. Die weibliche Hauptrolle spielt die um 1900 als Tochter eines Kantors in Budapest geborene Gitta Alpár, die von 1930 bis 1932 in Tonfilmoperetten Sensationserfolge feierte. Die Musik stammt von dem ebenfalls in Ungarn geborenen Komponisten Paul Abraham, der zwischen 1929 und 1932 mit Operetten und Filmmusiken berühmt wurde. Weitere an diesem Film mitwirkende Emigranten: die Darsteller Hans Járay, Rose Barsony, Felix Bressart, Otto Wallburg, Hermann Blass, der Drehbuchautor Hermann Kosterlitz und Regisseur Stefan Székely. – Ball im Savoy kommt in der Bundesrepublik erst im Dezember 1950 in die Kinos.

Einführung am 1.6.: Michael Wedel

am 1.6.2008 um 21.00 Uhr
am 7.6.2008 um 19.00 Uhr

 

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Das Reichsorchester
D 2007, R: Enrique Sánchez Lansch, 93’

Dokumentarfilm über die Geschichte der Berliner Philharmoniker zwischen 1933 und 1945. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden die Philharmoniker dem Propagandaministerium von Joseph Goebbels unterstellt. Finanziert durch das Deutsche Reich, gelten die Philharmoniker nun als das deutsche Vorzeigeorchester und als Repräsentanten des Regimes. Jüdische Orchestermitglieder werden gezwungen, die Philharmoniker zu verlassen und ins Exil zu gehen. Die Musiker selbst waren zwar weit weniger exponiert als ihr Chefdirigent Wilhelm Furtwängler, sie rückten dennoch in dieser Zeit in eine unmittelbare Nähe der Macht. Noch lebende Zeitzeugen aus der Mitte und dem Umfeld des Orchesters geben in Das Reichsorchester einen Einblick in den besonderen Mikrokosmos der Berliner Philharmoniker. „Wir haben weiter die Musik gemacht, die wir mit Furtwängler gewöhnt waren, mit Höhepunkten, wenn er da war und wir lebten, ja ein bisschen, wie unter einer musikalischen Glasglocke...“ – so Hans Bastiaan, Philharmoniker ab 1934. – Enrique Sánchez Lansch, der 2004 zusammen mit Thomas Grube Rhythm is it! gedreht hatte, über Das Reichsorchester. „Ich wollte einen Film für Zuschauer machen, die selbst in die Materie und ihre Vielschichtigkeit eindringen wollen, und nicht für die Menschen, die einfach nur wissen wollen, was ist weiß und was ist schwarz.“

am 3.6.2008 um 20.00 Uhr
am 7.6.2008 um 21.00 Uhr

 

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Der blaue Engel
D 1930, R: Josef von Sternberg, Musikalische Leitung: Friedrich Hollaender, D: Emil Jannings, Marlene Dietrich, Kurt Gerron, Rosa Valetti, Hans Albers, 108’

Der Film, der Marlene Dietrich berühmt machte, nicht zuletzt durch ihre Lieder: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt und sonst gar nichts; Nimm dich in acht vor blonden Frau’n; Kinder, heut abend, da such ich mir was aus und Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison. Die Melodien hierzu und zum Teil auch die Texte stammen von Friedrich Hollaender. Hollaender, in seiner Jugend Stummfilmpianist, ist eine feste Größe der Berliner Kabarett- und Revueszene der Zwanziger Jahre. 1931 verspottet er den Antisemitismus mit dem Song Die Juden sind an allem schuld auf die Melodie der Habanera aus Bizets Oper Carmen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten flüchtet Friedrich Hollaender nach Paris und Hollywood. Neben Marlene Dietrich verlassen noch viele andere Künstler, die am Blauen Engel mitgewirkt haben, Deutschland: der Produzent Erich Pommer; die Drehbuch- bzw. Liedtextautoren Robert Liebmann und Richard Rillo; der Drehbuchautor Karl Vollmoeller; die Schauspieler Rosa Valetti, Robert Klein-Lörk und Karl Huszar-Puffy sowie die Jazz-Band Weintraubs Syncopators, die nicht nur die Filmmusik einspielte, sondern auch als Kapelle im Film mitwirkte.

Einführung am 10.6.: Renata Helker

am 8.6.2008 um 18.30 Uhr
am 10.6.2008 um 20.00 Uhr

 

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Otto Klemperers lange Reise durch seine Zeit
BRD/AU 1974/84, R: Philo Bregstein, 90’

Filmische Biografie über den Dirigenten und Komponisten Otto Klemperer. Der Film schildert die historischen Ereignisse des frühen 20. Jahrhunderts aus der Sicht dieses bedeutenden Musikers, der diese Zeit als assimilierter Jude und avantgardistischer Künstler erlebte. Im Alter von 88 Jahren, kurz vor seinem Tod im Juli 1973 in Zürich, erzählt Otto Klemperer im Gespräch mit Philo Bregstein vom Deutschland der Kaiserzeit, von dem großen Einfluss, den der Wiener Dirigent Gustav Mahler auf seine Entwicklung ausübte und von den künstlerisch anregenden Jahren der Weimarer Zeit. Als Generalmusikdirektor der Berliner Kroll-Oper bringt Otto Klemperer provozierende Inszenierungen von Hindemith, Krenek, Schönberg und Strawinsky heraus, die bei der kritischen Intelligenz Begeisterung, bei den Rechten aber Empörung hervorrufen; sie beschimpfen die Kroll-Oper als „kulturbolschewistische Experimentierbühne“. Otto Klemperer emigriert 1933 in die USA. Otto Klemperers lange Reise durch seine Zeit präsentiert Aufnahmen des Dirigenten bei Proben mit dem Londoner Philharmonia Orchestra sowie Aussagen seiner Bekannten und Zeitgenossen wie Ernst Bloch, Paul Dessau und Pierre Boulez.

am 8.6.2008 um 21.00 Uhr

 

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Comedian Harmonists
BRD 1976, R: Eberhard Fechner, K: Rainer Schäfer, Teil 1 und 2: jeweils 95’

Dokumentarfilm über die legendäre A-Capella-Gruppe Comedian Harmonists. Die sechs Sänger feierten in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren mit Titeln wie Veronika, der Lenz ist da und Wochenend und Sonnenschein Triumphe. Da drei der Sänger Juden waren, spaltete sich 1935 das Sextett in eine Emigrantengruppe und, als „Meister-Sextett“, in eine Reichssängergruppe. – Für seinen vom Norddeutschen Rundfunk produzierten Dokumentarfilm sprach Eberhard Fechner mit vier der damals noch lebenden Mitgliedern der Comedian Harmonists: dem Tenor Ari Leschnikoff in Sofia, dem Bariton Roman Cycowski in Kalifornien, dem Pianisten Erwin Bootz in Hamburg und dem Bassisten Robert Biberti in Berlin. Ergänzende Interviews, Archivfotos, Filmausschnitte und zahlreiche Musikeinspielungen formen die sechs Lebensläufe der Gruppenmitglieder. „Mein persönlichster Film“, so Eberhard Fechner: „Das Privatleben dieser einstmals so berühmten Menschen unterscheidet sich nicht eine Spur von dem Schicksal eines jeden von uns. Die Comedian Harmonists hatten und haben dieselben Sorgen, dieselben Nöte und dieselben Freuden.“ Am Schneidetisch fügt Fechner die durch die Zeit getrennten Biografien wieder zusammen und lässt die Überlebenden über die Montage in einen virtuellen Dialog miteinander treten.„Exzeptionell,“ so die Stuttgarter Zeitung (2.6.1977) über dieses Fernsehereignis: „Wer es versäumt hat, sollte sich grämen.“

Einführung am 13.6.: Britta Hartmann

1. Teil am 11.6.2008 um 20.00 Uhr, am 13.6.2008 um 19.00 Uhr
2. Teil am 13.6.2008 um 21.00 Uhr, am 15.6.2008 um 19.00 Uhr

 

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Taking Sides – Der Fall Furtwängler
F/D/GB 2002, R: István Szabó, D: Harvey Keitel, Stellan Skarsgård, Moritz Bleibtreu, Birgit Minichmayr, Ulrich Tukur, Hanns Zischler, 110’

Die Rolle des Künstlers im Faschismus – hier durchgespielt am Beispiel von Wilhelm Furtwängler, von 1922 bis 1945 Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Nach Kriegsende muss er sich vor einem amerikanischen Entnazifierungs-Ausschuss verantworten und wird 1947 freigesprochen. – Der amerikanische Major Steve Arnold, im Zivilberuf Versicherungsfachmann (Harvey Keitel), verhört den sensiblen Künstler Wilhelm Furtwängler (Stellan Skarsgård) über seine Karriere während des Nationalsozialismus. Er hat den klaren Auftrag, an dem Kapellmeister ein Exempel zu statuieren. Der Major hat von Musik keine Ahnung und den Namen Furtwängler hat er noch nie gehört: um so mehr verbeißt er sich in seine Aufgabe. Am Verhör nimmt auch der deutsche Exiljude David Wills (Moritz Bleibtreu) teil, ein glühender Verehrer Furtwänglers. Und dann ist da noch eine hübsche Sekretärin (Birgit Minichmayr), die Tochter eines deutschen Widerstandskämpfers.
Taking Sides stellt die über den „Fall Furtwängler“ hinausgehenden Fragen nach der Verführbarkeit des Künstlers und nach dem Verhältnis von Kunst und Politik. Taking sides, das heißt: Stellung beziehen, gerade unter den Bedingungen einer Diktatur. „Wenn der Film aber bei aller Konstruiertheit eine Sache vermeidet, dann ist es eine einfache These, die das Publikum mit nach Hause nehmen könnte.“ (Mathias Heybrock, Frankfurter Rundschau, 6.3.2002).

Einführung: Hannes Heer

am 18.6.2008 um 20.00 Uhr

 

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Das Land des Lächelns
D 1930, R: Max Reichmann, D: Richard Tauber, Hans Mierendorff, Mary Losseff, Bruno Kastner, 72’

Ein Richard-Tauber-Tonfilm. Während eines Europa-Aufenthaltes verliebt sich ein exotischer Fürst (Richard Tauber) in die junge Ministertochter Liesa. Während eines üppigen Gartenfestes macht er ihr einen Heiratsantrag und fordert sie auf, ihm in seine ferne Welt zu folgen. Aber Liesa zögert. Als Höhepunkt des Festes wird die Operette Das Land des Lächelns unter der Leitung ihres Komponisten Franz Lehár aufgeführt: die Hauptrolle des Prinzen Sou Chong spielt wiederum Richard Tauber. Liesa wird von der Handlung der Operette eigenartig berührt: Sie weiß nun, dass sie den Antrag des Fürsten ablehnen muss. Denn da ist ja auch noch Gustl, ihr Vetter und Verehrer...
Richard Tauber, einer der größten lyrischen Tenöre, wird am 9. März 1933 im Berliner Admiralspalast von einem antisemitischen Mob angepöbelt: „Juden runter von der Bühne“. Tauber flüchtet nach Wien, später nach London; Berlin wird er nie wieder sehen. Das Land des Lächelns realisiert der Tenor 1930 für seine eigene Produktionsfirma, die Richard Tauber Tonfilm-Produktion. Weitere spätere Emigranten, die an diesem Film mitwirken, sind Max Reichmann (Regie), Leo Lasko und Anton Kuh (Drehbuch), Paul Dessau (musikalische Gesamtleitung) und Mary Losseff (Darstellerin).

Einführung am 20.6.: Jeanpaul Goergen

am 20.6.2008 um 18.30 Uhr
am 22.6.2008 um 21.00 Uhr

 

 

VERSTUMMTE STIMMEN
Die 3-Groschen-Oper
D 1931, R: G. W. Pabst, M: Kurt Weill, D: Rudolf Forster, Carola Neher, Reinhold Schünzel, Valeska Gert, Lotte Lenia, Ernst Busch, 112’

Kultfilm „frei nach dem Bühnenstück von Bertolt Brecht und Kurt Weill“. Die zu Brechts Bettler-Oper von 1928 komponierte Gebrauchsmusik mit Elementen aus Jazz und Populärmusik erlangt Hitstatus. Die Nationalsozialisten verfolgen Kurt Weill als „Kulturbolschewisten“: am 22. März 1933 flüchtet der Komponist nach Frankreich, 1935 in die USA. Pabsts 3-Groschen-Oper liest sich wie ein Who’s Who der Film- und Theaterkünstler der Weimarer Republik, von denen viele ebenfalls emigrieren mussten: Bert Brecht; der Regisseur G. W. Pabst; die Regie-Assistenten Mark Sorkin und Herbert Rappaport; die Drehbuchautoren Leo Lania, Ladislaus Vajda und Béla Balázs; der Filmarchitekt Andrej Andrejew; der Cutter Hans Oser; der Musiker Lewis Ruth; der Produzent Seymour Nebenzahl sowie die Darsteller Carola Neher, Reinhold Schünzel, Valeska Gert, Lotte Lenia, Ernst Busch, Wladimir Sokoloff und Herbert Grünbaum. – Wir zeigen die 2006 vom Bundesarchiv-Filmarchiv restaurierte Fassung.

Einführung am 21.6.: Jeanpaul Goergen

am 21.6.2008 um 21.00 Uhr
am 22.6.2008 um 18.30 Uhr

 

 

 
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