Zeughauskino

 

Kino im Zeughaus | Programm | Programmarchiv

 

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  WEIMARER KINO

 

SCHLACHTFELD, BILDUNGSSTÄTTE, TRAUMFABRIK
TAGUNG UND FILMREIHE ZUM WEIMARER KINO

Die Jahre der Weimarer Republik markieren Deutschlands Aufstieg zu einer der großen Filmnationen der Welt. Heute wird das Weimarer Kino oft mythisch verklärt und gerühmt für seine künstlerische Kreativität, seine Klassiker und großen Regisseure. In der Öffentlichkeit prägen Caligari, Nosferatu und Mabuse, Kriegsversehrte, Dämonen und Verbrecher das Bild des Weimarer Kinos. In diesen Gestalten spiegelt sich ein Land im permanenten Ausnahmezustand. Parallel dazu etabliert sich der deutsche Film nach dem Ersten Weltkrieg als neues Leitmedium. Der Film dient der politischen Propaganda, der Aufklärung und Werbung, der Popularisierung von Wissen und vor allem der Zerstreuung. Das Kino wird zur Arena gesellschaftlicher Debatten, die von der gesundheitlichen Aufklärung über die Vermittlung von Geschlechterrollen bis zur Geschichtspolitik und der umfassenden Deutung der modernen Welt reichen. Indem es der politischen Kultur und der Bildung, der populären Unterhaltung und den Träumen einen Ort gibt, erfüllt das Weimarer Kino zentrale Funktionen in einer krisengeschüttelten, zunehmend polarisierten Gesellschaft.
Wie verändern sich unter den Bedingungen einer massenmedial produzierten Öffentlichkeit die Vorstellungen von Unterhaltung und Erziehung, Moral und Konvention? Wie bedingen sich Filmtechnik, Wahrnehmung und Erkenntnis? Welche Rolle spielt das Kino als sozialer Ort, an dem die Zuschauer keineswegs stumm vor der Leinwand verharren? Wie fügen sich Film und Kino in eine populäre Kultur ein, die auf der Ebene von Produktion, Distribution und Rezeption vor Landesgrenzen nicht Halt macht, die exportorientiert ist und äußere Einflüsse aufnimmt? Wie wirken sich diese internationalen Verflechtungen auf die Definition von Identität und nationalem Selbstverständnis aus? Diesen Fragen widmet sich die Tagung „Schlachtfeld, Bildungsstätte, Traumfabrik. Film und Kino in der Weimarer Republik“, die am 5. und 6. Juni im Auditorium des Deutschen Historischen Museums stattfindet. Eine internationale Gruppe von Forschern präsentiert ihre Arbeiten und stellt sie zur Diskussion. Die Tagung ist öffentlich, der Eintritt ist frei. Da nur eine begrenzte Sitzplatzkapazität besteht, bitten wir um eine vorherige Anmeldung unter der Telefonnummer 030 / 20 30 44 21 oder per E-mail: schupke@dhm.de. Die von Brigitte Braun, Kai Nowak und Philipp Stiasny organisierte Tagung wird von einer Filmreihe im Zeughauskino begleitet.

Link: Tagungsprogramm (.pdf)

Eine Veranstaltungsreihe des Zeughauskinos in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Medien und Interaktivität der Justus-Liebig-Universität Gießen und dem Fachbereich Medienwissenschaft der Universität Trier

 

WEIMARER KINO
Ein Probespiel
D 1918, R: Fred Sauer, D: Editha Seidel, 11’

Anna Müller-Lincke kandidiert
D 1919, R: Werner Sinn, D: Anna Müller-Lincke, Herbert Paulmüller, 14’

Der letzte Untertan
D 1919, R: Max Maschke, D: Hermann Vallentin, Helga Molander, Leonhard Haskel, 63’ viragiert, niederländische Zwischentitel (deutsch eingesprochen)

Die Revolution als Farce. Der kaisertreue Verleger Lehmann ist ein herrschsüchtiger Patriarch, er tritt nach unten und buckelt nach oben. Als ein Baron um die Hand seiner Tochter Elsa anhält, ist Lehmann sofort einverstanden. Doch er hat die Rechnung ohne die selbstbewusste junge Frau gemacht. Elsa liebt heimlich einen Demokraten und vergrätzt deshalb den Baron mit frivolen Anspielungen. Das Ende des Kaiserreichs und die Revolution vom November 1918 treffen Lehmann wie ein Schlag. Als Opportunist erster Güte stellt er sich aber rasch auf die neue Lage ein, paktiert mit finsteren Spartakisten und interessiert sich plötzlich für die freie Liebe.
Der letzte Untertan inszeniert den politischen Umbruch als einen sexuellen. Darüber hinaus karikiert er den Wilhelminismus und das bürgerliche Schreckbild des Bolschewismus, der hier weniger als ideologisches denn als ästhetisches Problem erscheint. „Diese beißende und lebenswahre Groteske vom byzantinischen Gesinnungsschmock Lehmann, der sich vom alldeutschen Zeitungsverleger zum Herausgeber der Roten Handgranate wandelt, ist eine unerschrockene Attacke, die in einem derben, aber hürdensicheren Galopp geritten wird. Vor allem steckt Geist in dieser Arbeit und wird Geist durch sie geweckt. Sie bedeutet wirklich so etwas wie eine Politisierung der Leinwand.“ (B.Z. am Mittag, 8.12.1919).
Anna Müller-Lincke kandidiert wirbt für die aktive Teilnahme von Frauen an der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919, und auch in dieser saftigen Komödie treten alt und jung gegeneinander an. Ein Probespiel macht das Kino selbst zum Thema und persifliert lustvoll und sympathisch den „Flimmer-Fimmel“ einer jungen Frau, die unbedingt Filmstar werden will.
Das Programm wird eingeführt von Philipp Stiasny, Autor des Buches Das Kino und der Krieg. Deutschland 1914-1929 (2009).

Klavierbegleitung: Eunice Martins

Einführung: Philipp Stiasny

am 3.6.2009 um 20.00 Uhr

 

 

 

WEIMARER KINO
Das Blaue vom Himmel
D 1932, R: Victor Janson, B: Billie Wilder, D: Marta Eggert, Hermann Thimig, Fritz Kampers, Ernst Verebes, 77’

Von wegen Krise. Gerade noch arbeitslos, bekommt Anni Müller eine Stelle als Fahrkartenverkäuferin am U-Bahnhof Wallensteinplatz. Zum großen Glück fehlt ihr noch ein schöner Mann: sie verliebt sich in den Piloten Hans Meier. Doch Annis Liebe leidet, weil sie tagsüber arbeiten muss und Hans nachts für die Post unterwegs ist. Bis Hans am Ende des Films den Satz „Anni, ich liebe Dich!“ in den Berliner Himmel schreiben kann, müssen noch einige Hindernisse überwunden werden.
Das Drehbuch von Billie Wilder setzt nicht nur oben und unten, Tag und Nacht, Meier und Müller lustvoll gegeneinander, ihm gelingt auch das Kunststück, eine Operette im zeitgenössischen Berliner Alltag spielen zu lassen: Das ebenso heitere wie romantische, hervorragend besetzte Märchen findet in realistischen Kulissen statt. Schnell und witzig fliegen die Dialoge hin und her, der fröhliche Eskapismus wird durch den herausgehobenen Spielcharakter stets ironisch gebrochen. „Wenn es zuweilen auch etwas seltsam erscheinen mag, daß das U-Bahn-Personal im Operettenton durchs Leben girrt – das Ganze ist so vergnüglich, ist so sehr ein Sorgenbrecher, daß es die gegebene Kost für beladene Leute ist, die sich, ihre Nerven zu erholen und zu erquicken, ins Kino begeben.“ (Felix Henseleit, Reichsfilmblatt, 21.1.1933)

am 5.6.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 

WEIMARER KINO
Was ist die Welt?
D 1934, R/P/K: Svend Noldan, Fritz Brunsch, Franz Noak u.a., 71’

Vier Jahre lang arbeitet Svend Noldan an seinem Ziel, die Welt auf naturwissenschaftlicher Grundlage zu deuten: eine Welt, die sich in der Entstehungszeit dieses großen Kulturfilms auf dramatische Weise verändert. Als der Film Anfang 1934 uraufgeführt wird, bildet sich in ihm auch die gesellschaftliche und geistige Krise ab, die Ende der 20er Jahre akut wird und die in der politischen Radikalisierung, der Zerstörung der Republik und dem Beginn der Diktatur gipfelt. Das von Noldan entwickelte Szenario driftet hin und her zwischen der Erklär- und Berechenbarkeit von Naturvorgängen und der Ahnung des Weltuntergangs. Viel ist die Rede von der „Ewigkeit des Daseins“ und dem „Überlebenswillen einer starken Gemeinschaft“, was den Film wie eine philosophische Vor- oder Unterlage der nationalsozialistischen Ideologie erscheinen lässt. Mit Was ist die Welt? schafft Noldan ein faszinierendes Dokument des Zeitgeistes und ein Meisterwerk der Modell- und Zeichenanimation, das zum Schluss mit einem technischen Kabinettstückchen verblüfft – einer spektakulären Fahrtaufnahme vom Berliner Zentrum in den Kosmos. „Der kalte Blick naturwissenschaftlicher Sachlichkeit verbindet sich in diesem Film mit einem fast schon religiös wirkenden Pathos, das die Gefährdung und Fragilität der menschlichen Existenz beschwört. (...) Kälte-Metaphern und Feuersymbolik wirken in diesem Film ähnlich apokalyptisch wie die Leere der Zeit und des Weltraums, in denen sich der Mensch im Unendlichen verliert. Naturwissenschaft erscheint als säkularisierter Ersatz für Religion, die angesichts der sich ausbreitenden Leere dann doch wieder als Trost beschworen wird.“ (Peter Zimmermann, in: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, Bd. 3, 2005)
Was ist die Welt? wird eingeführt von Ralf Forster, Filmtechnikhistoriker am Filmmuseum Potsdam und Autor des Buches Ufa und Nordmark. Zwei Firmengeschichten und der deutsche Werbefilm 1919-1945 (2005).

Einführung: Ralf Forster

am 6.6.2009 um 19.00 Uhr

 

 

 

WEIMARER KINO
Asphalt
D 1928, R: Joe May, P: Erich Pommer, D: Gustav Fröhlich, Betty Amann, Albert Steinrück, Hans Albers, 93’

Ein braver Berliner Polizist lässt sich mit einer glamourösen Diebin ein und stolpert schnurstracks ins Verderben. Plötzlich steht er unter Mordverdacht, und alles hängt von der Aussage der Diebin ab. Unterstützt von seinen fabelhaften Hauptdarstellern Betty Amann und Gustav Fröhlich gestaltet Joe May diesen Groschenroman als ein düsteres Drama, das Anklänge eines Film Noir besitzt. May durchleuchtet die Psychologie seiner Figuren und erschafft im Studio eine eigene, komplexe Innenwelt. Kurz vor der Einführung des Tonfilms demonstriert Asphalt noch einmal die ganze Kunst des stummen Films mit elegant schwebender Kamera, wunderbarem Timing und klarem Stilwillen. „Wir wollen uns nicht verhehlen, daß dieser Film eine gefährliche Aufgabe für alle war. Gerade weil er in Spiel und Regie ein so hohes, künstlerisches Niveau hat, hieß es, sehr vorsichtig die Klippen der Trivialität zu umgehen: es hätte leicht ein Rührfilm werden können. Einem schlechten Film verzeiht man vieles, einem guten nichts. Hier gibt es nur Anerkennung. Asphalt? – Nun ja: eine Großstadtgeschichte – aber eine uralte, die erste Geschichte, die überhaupt passiert ist: die von Adam und der Schlange. Adam trägt einen Schupohelm, aber daß die berühmte Schlange eine so gute Schauspielerin gewesen ist, wie diese Betty Amann, das bezweifle ich.“ (Heinz von Lichberg, Berliner Lokal-Anzeiger, 12.3.1928).
Asphalt wird eingeführt von Noah Isenberg, der an der New School in New York Film und Literatur lehrt und Herausgeber des Buches Weimar Cinema (2009) ist.

Klavierbegleitung: Eunice Martins

Einführung: Noah Isenberg

am 6.6.2009 um 21.00 Uhr

 

 

 

WEIMARER KINO
Moritz macht sein Glück
D 1931, R: Jaap Speyer, D: Siegfried Arno, Anny Ann, Viktor Schwanneke, Willy Prager, 85’

Moritz Meier ist Lehrling in einem Berliner Modegeschäft und rettungslos in das Mannequin Lisa verliebt. Doch die schöne Frau würdigt ihn keines Blicks. Das ändert sich schlagartig mit dem Gerücht, dass Moritz der Sohn und Alleinerbe eines amerikanischen Millionärs sei. Was folgt, ist eine entfesselte Verwechslungskomödie mit schrägem jüdischen Humor und flotten Schlagern, ein Paradebeispiel für das vor 1933 enorm populäre Genre der Konfektionskomödie. Kino und Mode gehen hier eine wunderbare Verbindung ein. Die Hauptrolle spielt Siegfried Arno, einer der größten Komiker des Weimarer Kinos. Hyperaktiv, charmant und nie um einen Witz verlegen. Als Moritz macht sein Glück im März 1931 im Berliner Primus-Palast gezeigt wird, steht das Publikum Schlange, und das Kino verbucht Rekordeinnahmen. „Ein deutscher Tonfilm von einem holländischen Regisseur in Paris gedreht; herauskommt eine Jargonposse, in der nicht nur Siegfried Arno als Al Jolson-Parodist ein Grammophon auf den Rücken geschnallt trägt. Alle Mitspieler singen grundlos Lieder, wo sie sich gerade befinden. Die Welt ist eine einzige Operette, wo man geht und steht, ist ein Orchester. (...) Im ganzen, wie nach alldem nicht anders zu erwarten, ein Erfolg!“ (Berliner Börsen-Courier, 8.3.1931).
Moritz macht sein Glück wird eingeführt von Mila Ganeva, die an der Miami University in Oxford, Ohio Film und Literatur lehrt und Autorin des Buches Women in Weimar Fashion. Discourses and Displays in German Culture, 1918-1933 (2008) ist.

Einführung: Mila Ganeva

am 7.6.2009 um 19.00 Uhr

 

 

 

WEIMARER KINO
Allein im Urwald
Die Rache der Afrikanerin
D 1922, R: Ernst Wendt, P: John Hagenbeck, D: Carl de Vogt, Nora Swinburne, Lothar Mehnert, Claire Lotto, 105’

Heute sind sie vergessen, doch in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ziehen exotische Reise- und Abenteuerfilme die deutschen Zuschauer scharenweise an: Sie eröffnen ihnen fremde Welten, lassen sie von Afrika und Indien, China und Südamerika träumen. Stets reimt sich Exotik auf Erotik. In Allein im Urwald verlässt der Ingenieur Gyldendal seine Heimat Europa, nachdem seine Frau im Hause eines befreundeten Afrika-Liebhabers durch einen Schlangenbiss vergiftet wurde. Im afrikanischen Dschungel baut er sich eine Existenz als Tierfänger auf und holt Tochter und Schwägerin nach. Als Gyldendal die Liebesbekundungen seiner schwarzen Dienerin zurückweist, sinnt die beleidigte Frau auf Rache. Ein Kampf um Leben und Tod beginnt, in dem die Grenzen zwischen den Guten und Bösen keineswegs nur entlang der Rassenunterschiede verlaufen. Was heute wie ein bizarres Spiegelbild all jener auf Afrika bezogenen Wünsche und Ängste, Klischeevorstellungen, Rassenhierarchien und Sexualfantasien erscheint, wird 1922 als ein gelungener Sensationsfilm begrüßt. Für die Schauwerte sorgen Johannes Umlauff, der zuvor große Völkerschauen ausgestattet hatte, und sein Onkel, der Zoobetreiber und Filmproduzent John Hagenbeck: „Hagenbeck hat diesmal mit erheblich größeren Mitteln arbeiten lassen, die er vorzüglich auf den Ausbau der für seinen exotischen Film schwierigen Außenszenen verwendete. In dieser Hinsicht war der Film denn auch interessant, viele Dressur- und Tierkampfszenen wohl gelungen und geschickt photographiert. Die Flora im Bilde mutet aber trotz Verschleierns immer noch europäisch an.“ (Fritz Podehl, Der Film, 5.2.1922)
Der Film wird von Tobias Nagl eingeführt, der an der University of Western Ontario Filmgeschichte lehrt und Autor des Buches Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino (2009) ist.

Klavierbegleitung: Peter Gotthardt

Einführung: Tobias Nagl

am 7.6.2009 um 21.00

 

 

 

 
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