Kino im Zeughaus

 

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  WIEDERENTDECKT

 

WIEDERENTDECKT

Wiederentdeckt – so heißt unsere filmhistorische Reihe, kuratiert von CineGraph Babelsberg, die einmal im Monat vergessene Schätze der deutschen Filmgeschichte vorstellt. Zu sehen sind Werke, die oftmals im Schatten jener Filme stehen, die den deutschen Filmruhm begründet haben. Sie sind Zeugnisse einer wirtschaftlich leistungsfähigen und handwerklich ambitionierten Filmindustrie. Erstaunlich viele dieser Filme „aus der zweiten Reihe“ sind erhalten. In enger Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv recherchieren die Mitarbeiter von CineGraph Babelsberg diese Filme und analysieren sie im historischen Kontext. Sie erstellen Begleitblätter für das Publikum, führen in die Filme ein und dokumentieren ihre Forschungsergebnisse im Filmblatt, der Zeitschrift von CineGraph Babelsberg.

Eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv

 

WIEDERENTDECKT
Zwischengleis
BRD 1978, R: Wolfgang Staudte, D: Hannelore Schroth, Volkert Kraeft, Mel Ferrer, Pola Kinski, Martin Lüttge, 110‘

An einem Wintertag des Jahres 1961 nimmt sich die 31jährige Anna Eichmayr in München das Leben. Auf der Suche nach den Ursachen für diesen Suizid führt der Film ins Jahr 1945, erzählt von der panischen Flucht aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, vom Tod des kleinen Bruders, von der Ankunft in Bayern, der Liebe zu einem amerikanischen Besatzungsoffizier. Doch dann heiratet Anna, voller Sehnsucht nach Geborgenheit und finanzieller Sicherheit, einen spießigen deutschen Beamten. Die neunjährige Ehe wird immer mehr zum Martyrium...
In seinem letzten Kinofilm kehrte Wolfgang Staudte noch einmal in die Zeit und zum Themenkanon seiner berühmtesten Werke wie Die Mörder sind unter uns, Rotation, Rosen für den Staatsanwalt, Kirmes oder Herrenpartie zurück: die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, die deutsche Schuld, die Verstrickung des Einzelnen in die Netze der Geschichte. „Es war für mich wichtig, statt der wirklichen Ruinen die inneren Ruinenlandschaften zu zeigen“, erklärte der Regisseur nach der Premiere. Zwischengleis lief während der Berlinale und auf anderen internationalen Filmfestivals, so in Moskau und Montreal. Dennoch erreichte er im Kino nur wenige Zuschauer. Zwischengleis wurde zu einer der großen unbekannten Arbeiten Staudtes.

Einführung: Ralf Schenk

am 07.09.2007 um 18.30 Uhr

 

 

 

WIEDERENTDECKT: DOPPELPROGRAMM
Die große Versuchung
BRD 1952, R: Rolf Hansen, D: Dieter Borsche, Ruth Leuwerik, Erich Ponto, Renate Mannhardt, Heinrich Gretler, 97’

am 05.10.2007 um 18.30 Uhr

Genesung
DDR 1956, R: Konrad Wolf, D: Karla Runkehl, Wolfgang Kieling, Wilhelm Koch-Hooge, Wolfgang Langhoff, Eduard von Winterstein, 105’

am 05.10.2007 um 21.00 Uhr

Eine Einmaligkeit in der deutsch-deutschen Nachkriegsfilmgeschichte: ein authentischer Stoff wird nahezu zeitgleich in einem bundes- und ostdeutschen Spielfilm künstlerisch gestaltet. Ein Medizinstudent wird während des Zweiten Weltkrieges zur Wehrmacht eingezogen und im Lazarett eingesetzt. Er muss als Sanitäter bei den Verwundeten Aufgaben erfüllen, die weit über seinen Studienstand hinausgehen. So lernt er auch zu operieren. Seine Patienten – ein unaufhörlicher Strom von Verwundeten – sehen in ihm nur den Arzt, der helfen kann, helfen will und der auch hilft. Die unfreiwillige Täuschung, die für andere jedoch Lebensrettung bedeutet, setzt sich in der Kriegsgefangenschaft nahtlos fort. Nach Hause und in die Normalität heimgekehrt, muss sich der Arzt, der eigentlich noch Student ist, entscheiden – die schicksalhaften Verstrickungen offen legen, um damit Verwechslungen und Schuld zu bekennen und daraus einen Neuanfang zu suchen, der ihn nicht das Gesicht verlieren lässt. Oder alles beim Status Quo belassen und mit der moralischen Bürde weiterleben.
Der bundesdeutsche Film Die große Versuchung, der auf die Stars Dieter Borsche und Ruth Leuweriksetzt, bettet die Lösung des Konflikts in ein Geflecht privater Protektionen und lokaler Intrigen ein. Dagegen verknüpft der DEFA-Film Genesung den Helden und seine Konflikte mit den Schicksalen des antifaschistischen Kampfes und mit dem Grundgestus eines sozial und menschlich gerechten Neuanfangs. Nachweislich haben beide Filmteams nichts vom Projekt des anderen gewusst. Erst durch die Nominierung von Wolfs Film für die Filmfestspiele in Cannes kam es zu einem Plagiatsstreit. Aber der Autor der DEFA-Produktion, Karl-Georg Egel, konnte nachweisen, dass er seine eigene Geschichte erzählt hatte. Die Öffentlichkeiten beider deutschen Staaten erfuhren davon nichts. Die beiden Filme führten jeweils ihr Eigenleben und erlebten ihre eigene Zuschauerrezeption.

Einführung: Günter Agde

am 05.10.2007 um 21.00 Uhr

 

 

 

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Das zweite Leben
BRD/F 1954, R: Victor Vicas, D: Michel Auclair, Barbara Rütting, Simone Simon, Bernhard Wicki, 88'

Die Geschichte eines Identitätsverlusts im Zweiten Weltkrieg, die den Nationalismus als Ideologie ad absurdum führt und stattdessen zur Völkerverständigung aufruft. Mitten im Krieg verwandelt sich ein Franzose, der sich aufgrund einer Verwundung an nichts erinnern kann, in einen Deutschen. Er schlüpft in die Haut seines Feindes. Die Fabel wirkt zunächst verworren und sperrig. Was aber an der deutsch-französischen Koproduktion fasziniert, ist neben ihrer sorgfältigen Inszenierung und der vorzüglichen Leistung der Schauspieler die Ernsthaftigkeit, mit der der Regisseur Victor Vicas die Geschichte erzählt. Vicas selbst war ein Heimatloser: Geboren 1918 in Russland als Kind jüdischer Eltern, emigriert er 1925 nach Deutschland und 1933 nach Frankreich. Im Zweiten Weltkrieg kämpft er zuerst in der französischen und später in der amerikanischen Armee gegen den Faschismus. Nach dem Krieg dreht er Dokumentar- und Spielfilme in Israel, Amerika, Deutschland und Frankreich, wo er 1985 stirbt. Vicas fast vergessene Filme kreisen immer wieder um dieselben Themen: Politik und Gewalt, Grenzen und Widerstand.
Das zweite Leben hat Vicas mit symbolischer Bedeutung aufgeladen. Das irritiert und packt zugleich: "Ein wunderlicher und äußerst persönlicher Film, frei nach Giraudoux' Siegfried von 1928. Mühelos geht Vicas von den Unterströmungen des Zweiten Weltkriegs zum Intim-Problematischen über, indem er den kriegsversehrten Helden, ein waschechter Franzose und Maler, von einer deutschen Rot-Kreuz-Schwester im Rheinland gesund pflegen und Deutsch lernen läßt, wonach der träumerische Bohemien sich fortan für einen strammen Deutschen hält, da er das Gedächtnis verloren hat. ,Potz Wotan' rief Gunter Groll seinerzeit in der SZ aus angesichts der Seltsamkeit, daß dem urfranzösischen jungen Malergenie nunmehr vor allem an der Reinerhaltung der deutschen Kunst von jeglichen fremden Einflüssen gelegen ist." (Peter Nau, Süddeutsche Zeitung, 4.3.1999)

Einführung: Philipp Stiasny

am 02.11.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

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... wie einst Lili Marleen
BRD 1956, R: Paul Verhoeven, D: Marianne Hold, Adrian Hoven, Hannelore Schroth, Käthe Haack, Peter Carsten, Lucie English, 90'

Schon während der Dreharbeiten 1956 zieht Verhoevens ... wie einst Lili Marleen öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Mit den Worten "Seid ihr schon wieder da?" stürzt sich ein Passant am Berliner U-Bahnhof Heidelberger Platz auf einen Statisten in brauner Uniform (Der neue Film, 25.6.1956). Der Regisseur versichert: "Ich drehe auf keinen Fall einen Kriegsfilm." (Filmrevue, 24.7.1956) Wie der Filmtitel - eine Textzeile des bekannten, von Lale Andersen gesungenen Kriegsschlagers - erwarten lässt, geht es um jenes Lied, das seit August 1941 allabendlich vom deutschen Soldatensender Belgrad gespielt und das - wie die Legende erzählt - von Soldaten aller Kriegsparteien gehört wurde. Es soll sogar in 42 Sprachen übersetzt worden sein.
"... wie einst Lili Marleen" singt Lale Andersen bei einem Gastauftritt. Die Sängerin beschreibt ihren Schlager als ein Lied, das "von zwei Liebenden erzählt, die aneinander glauben und aufeinander warten, was auch in der Welt um sie herum geschieht." Das ist auch die Geschichte von Verhoevens Film. Er handelt von einem deutschen Landser und einer deutschen Kriegsverpflichteten, die sich in den Wirren des Krieges begegnen, aus den Augen verlieren und erst nach Kriegsende im letzten Moment wiederfinden. Der Krieg ist aber in ... wie einst Lili Marleen bloßer Hintergrund für die Liebesgeschichte. Diese Tendenz zur Verharmlosung ruft bereits 1956 die Kritiker auf den Plan. Die Freiwillige Selbstkontrolle gibt den Film nicht für Jugendliche unter 16 Jahren frei, da hier "eine völlig falsche Vorstellung und Begriffsbildung über die Zeit der größten Katastrophe vermittelt wird." Und die Filmwoche schreibt: "Das hätten sowohl die Autoren als auch Regisseur Paul Verhoeven noch wissen müssen. Denn wenn man schon vor dem bitteren Hintergrund des Krieges ein zartes Liebesidyll entwickelt, dann kann man auf den zwangsläufig erforderlichen harten Realismus nicht verzichten und ihn schon gar nicht durch verniedlichte Rückblicke, rosarot gefärbten Optimismus und süßliche Rührung ersetzen." (6.10.1956) Das Publikum wollte ... wie einst Lili Marleen trotzdem oder vielleicht gerade deswegen sehen.

Einführung: Tobias Ebbrecht

am 07.12.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

WIEDERENTDECKT
Die Frühreifen
BRD 1957, R: Josef von Baky, D: Heidi Brühl, Christian Doermer, Christian Wolff, Peter Kraus, 91'

Die Jugend begehrt auf. Seit den frühen 50er Jahren sorgen in deutschen Großstädten immer wieder fünfzehn- bis zwanzigjährige, meist männliche Jugendliche aus der Arbeiterschicht für öffentliche Aufregung, weil sie sich abends zu Banden zusammenschließen, randalieren und Passanten belästigen. Diese "Halbstarken" kleiden sich exzentrisch und hören Rock'n'Roll, sind laut, ruppig und aggressiv. Zu ihren Vorbildern zählen amerikanische Stars wie Bill Haley und Elvis Presley, Marlon Brando in The Wild One (1953) und James Dean, der Rebel without a Cause (1955). Auch das deutsche Kino reagiert auf dieses heiße Thema, wobei der Erfolg von Die Halbstarken (1956) mit Horst Buchholz wie ein Startschuss wirkt. In seinem Fahrwasser entsteht auch Die Frühreifen.
Erzählt wird von zwei gegensätzlichen sozialen Milieus im Ruhrgebiet: den strebsamen jungen Arbeitern und Angestellten einerseits und den dekadenten Sprösslingen einer reichen Oberschicht andererseits, die Autos stehlen, Partys feiern, Rockmusik spielen und Mädchen verführen. Der Konflikt spitzt sich melodramatisch zu, als die beiden Milieus aufeinander treffen und eine junge Ausreißerin aus der Arbeiterschicht von Schönheit und Konsum geblendet wird. "Die Jugend von heute hat inzwischen schon so manchem Streifen als Vorlage gedient. Daß aber das Thema noch nicht abgegrast ist, beweist dieser Film. (...) Die gesellschaftskritischen Streiflichter sitzen akkurat, und die Jugendlichen reden so keß und unbekümmert, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. (...) Regisseur Josef von Baky hat sich nämlich diesmal dem unsentimentalen Realismus verschrieben. Nicht zu seinem Nachteil wohlgemerkt! Denn die imposante Kulisse des Ruhrgebiets (...) verschafft seinem Film ein bestechend echtes Milieu, das wiederum der Glaubwürdigkeit der unzimperlichen Handlung sehr zustatten kommt." (Filmwoche, 26.10.1957)

Einführung: Philipp Stiasny

am 4.1.2008 um 19.00 Uhr

 

 

 

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Warum sind sie gegen uns?
BRD 1958, R: Bernhard Wicki, D: Ingrid Rech, Thomas Braut, Kurt Reichmann, Anja Böckmann, 64'

Bernhard Wickis Regiedebüt Warum sind sie gegen uns? war Teil einer filmpädagogischen Initiative des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Der Film wendet sich der bundesrepublikanischen Gegenwart der 50er Jahre zu. Er erzählt von Günter, einem jungen Hilfsarbeiter und Anführer einer Jugendclique, und von Gisela, der Tochter eines Prokuristen. Für sie löst sich Günter aus der Sicherheit der Gruppe, stößt aber in ihrer Familie auf heftige Vorurteile. Als "dokumentarischer Filmbericht" angekündigt, bemüht sich der Film, die Klischees der damals populären Halbstarkenfilme zu vermeiden und ein anderes Bild der Jugend zu zeichnen. So orientiert sich Warum sind sie gegen uns? zwar an Filmen wie Faust im Nacken (USA 1954) mit Marlon Brando, aber in erster Linie will er die Perspektive der Jugendlichen einnehmen. Hier sollen nicht "das Kriminelle und Sexuelle in den Vordergrund" geschoben werden, sondern die "wirklichen Sorgen der Jugend, wie die Frage nach dem Beruf, dem Streben nach Freiheit und der Suche nach erstrebenswerten Idealen" (Deutsche Woche, 5.11.1958).
Auf dem 10. Internationalen Filmclubtreffen in Bad Ems wurde Warum sind sie gegen uns? mit einem Preis ausgezeichnet. Die Kritik attestierte dem Debütanten Wicki "unvermutete Regisseurqualitäten". Einige Rezensenten lobten, der Film stelle die Jugend dar, wie sie sei, handele von den "wirklichen Nöten und Problemen jener als ,Halbstarke' schnell und geringschätzig eingestuften Jugendlichen" (Stuttgarter Zeitung, 22.1.1959). Andere sprachen hingegen von zuviel "Mache" und zuwenig Tatsachenbericht. So fragt denn auch die Zeitschrift Film der Jugend des Jugendamts Aachen in einem Sonderheft zu einer Vorführung von Warum sind sie gegen uns? im Januar 1959 ihre Leser: "Ist dieser Film ein Bild von uns?"

Einführung: Tobias Ebbrecht

am 1.2.2008 um 19.00 Uhr

 

 

 

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Die Spur führt nach Berlin
BRD 1952, R: Franz Cap, D: Gordon Howard, Irina Garden, Kurt Meisel, Barbara Rütting, Wolfgang Neuß, 89'

Mit Die Spur führt nach Berlin produziert Artur Brauner 1952 einen packenden, vorzüglich fotografierten Krimi voller Spannung und Atmosphäre. Zwischen den modernen Neubauten Westberlins und den Trümmerbergen an der Sektorengrenze sucht ein junger amerikanischer Anwalt nach dem verschollenen Erben eines reichen Klienten. Er findet dessen Tochter und gerät in Konflikt mit einer im Untergrund arbeitenden Bande von Geldfälschern, die vor Entführung und Mord nicht zurückschrecken. Auch die Sowjets, die ihn für einen Agenten halten, sind ihm auf den Füßen.
An sein britisches Vorbild The Third Man (1949) kommt Die Spur führt nach Berlin nicht ganz heran, doch beweist die Inszenierung viel Gefühl für die Topographie der zerrissenen Stadt. Und wenn Kurt Meisel auch kein Orson Welles ist, so brilliert er in der Rolle des schmierigen Gangsterchefs und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Unter den auffallend guten Nebendarstellern befinden sich Barbara Rütting und Wolfgang Neuß, der an Peter Lorre erinnert. "Das rasante Finale des Films bildet die gemeinsame Jagd Westberliner, alliierter und sogar Ostberliner Polizei durch die gruselig verstaubten und verlassenen Katakomben zwischen dem alten Reichstag und der Reichskanzlei, hart an der Sektorengrenze. - Das ist ein Stoff, den der ideenreiche Produzent Artur Brauner tatsächlich ,von der Straße' aufgelesen hat, ein aktueller, ein interessierender Stoff. (...) Alles in allem: Ein neuer Wurf der CCC-Produktion, der weit über dem Durchschnitt unserer Filme liegt." (Filmblätter, 5.12.1952) Das Programm wird von der Filmwissenschaftlerin Brigitta Wagner, die an der Harvard University über das Berlin-Bild in den historischen Filmreihen und neuen Produktionen nach der Wende forscht, eingeführt.

Einführung: Brigitta Wagner

am 7.3.2008 um 21.00 Uhr

 

 
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