WIEDERENTDECKT
Wiederentdeckt – so heißt unsere filmhistorische Reihe, kuratiert von CineGraph Babelsberg, die einmal im Monat vergessene Schätze der deutschen Filmgeschichte vorstellt. Zu sehen sind Werke, die oftmals im Schatten jener Filme stehen, die den deutschen Filmruhm begründet haben. Sie sind Zeugnisse einer wirtschaftlich leistungsfähigen und handwerklich ambitionierten Filmindustrie. Erstaunlich viele dieser Filme „aus der zweiten Reihe“ sind erhalten. In enger Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv recherchieren die Mitarbeiter von CineGraph Babelsberg diese Filme und analysieren sie im historischen Kontext. Sie erstellen Begleitblätter für das Publikum, führen in die Filme ein und dokumentieren ihre Forschungsergebnisse im Filmblatt, der Zeitschrift von CineGraph Babelsberg.
Eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv
WIEDERENTDECKT
Die Frühreifen
BRD 1957, R: Josef von Baky, D: Heidi Brühl, Christian Doermer, Christian Wolff, Peter Kraus, 91'
Die Jugend begehrt auf. Seit den frühen 50er Jahren sorgen in deutschen Großstädten immer wieder fünfzehn- bis zwanzigjährige, meist männliche Jugendliche aus der Arbeiterschicht für öffentliche Aufregung, weil sie sich abends zu Banden zusammenschließen, randalieren und Passanten belästigen. Diese "Halbstarken" kleiden sich exzentrisch und hören Rock'n'Roll, sind laut, ruppig und aggressiv. Zu ihren Vorbildern zählen amerikanische Stars wie Bill Haley und Elvis Presley, Marlon Brando in The Wild One (1953) und James Dean, der Rebel without a Cause (1955). Auch das deutsche Kino reagiert auf dieses heiße Thema, wobei der Erfolg von Die Halbstarken (1956) mit Horst Buchholz wie ein Startschuss wirkt. In seinem Fahrwasser entsteht auch Die Frühreifen.
Erzählt wird von zwei gegensätzlichen sozialen Milieus im Ruhrgebiet: den strebsamen jungen Arbeitern und Angestellten einerseits und den dekadenten Sprösslingen einer reichen Oberschicht andererseits, die Autos stehlen, Partys feiern, Rockmusik spielen und Mädchen verführen. Der Konflikt spitzt sich melodramatisch zu, als die beiden Milieus aufeinander treffen und eine junge Ausreißerin aus der Arbeiterschicht von Schönheit und Konsum geblendet wird. "Die Jugend von heute hat inzwischen schon so manchem Streifen als Vorlage gedient. Daß aber das Thema noch nicht abgegrast ist, beweist dieser Film. (...) Die gesellschaftskritischen Streiflichter sitzen akkurat, und die Jugendlichen reden so keß und unbekümmert, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. (...) Regisseur Josef von Baky hat sich nämlich diesmal dem unsentimentalen Realismus verschrieben. Nicht zu seinem Nachteil wohlgemerkt! Denn die imposante Kulisse des Ruhrgebiets (...) verschafft seinem Film ein bestechend echtes Milieu, das wiederum der Glaubwürdigkeit der unzimperlichen Handlung sehr zustatten kommt." (Filmwoche, 26.10.1957)
Einführung: Philipp Stiasny
am 4.1.2008 um 19.00 Uhr
WIEDERENTDECKT
Warum sind sie gegen uns?
BRD 1958, R: Bernhard Wicki, D: Ingrid Rech, Thomas Braut, Kurt Reichmann, Anja Böckmann, 64'
Bernhard Wickis Regiedebüt Warum sind sie gegen uns? war Teil einer filmpädagogischen Initiative des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Der Film wendet sich der bundesrepublikanischen Gegenwart der 50er Jahre zu. Er erzählt von Günter, einem jungen Hilfsarbeiter und Anführer einer Jugendclique, und von Gisela, der Tochter eines Prokuristen. Für sie löst sich Günter aus der Sicherheit der Gruppe, stößt aber in ihrer Familie auf heftige Vorurteile. Als "dokumentarischer Filmbericht" angekündigt, bemüht sich der Film, die Klischees der damals populären Halbstarkenfilme zu vermeiden und ein anderes Bild der Jugend zu zeichnen. So orientiert sich Warum sind sie gegen uns? zwar an Filmen wie Faust im Nacken (USA 1954) mit Marlon Brando, aber in erster Linie will er die Perspektive der Jugendlichen einnehmen. Hier sollen nicht "das Kriminelle und Sexuelle in den Vordergrund" geschoben werden, sondern die "wirklichen Sorgen der Jugend, wie die Frage nach dem Beruf, dem Streben nach Freiheit und der Suche nach erstrebenswerten Idealen" (Deutsche Woche, 5.11.1958).
Auf dem 10. Internationalen Filmclubtreffen in Bad Ems wurde Warum sind sie gegen uns? mit einem Preis ausgezeichnet. Die Kritik attestierte dem Debütanten Wicki "unvermutete Regisseurqualitäten". Einige Rezensenten lobten, der Film stelle die Jugend dar, wie sie sei, handele von den "wirklichen Nöten und Problemen jener als ,Halbstarke' schnell und geringschätzig eingestuften Jugendlichen" (Stuttgarter Zeitung, 22.1.1959). Andere sprachen hingegen von zuviel "Mache" und zuwenig Tatsachenbericht. So fragt denn auch die Zeitschrift Film der Jugend des Jugendamts Aachen in einem Sonderheft zu einer Vorführung von Warum sind sie gegen uns? im Januar 1959 ihre Leser: "Ist dieser Film ein Bild von uns?"
Einführung: Tobias Ebbrecht
am 1.2.2008 um 19.00 Uhr
WIEDERENTDECKT
Die Spur führt nach Berlin
BRD 1952, R: Franz Cap, D: Gordon Howard, Irina Garden, Kurt Meisel, Barbara Rütting, Wolfgang Neuß, 89'
Mit Die Spur führt nach Berlin produziert Artur Brauner 1952 einen packenden, vorzüglich fotografierten Krimi voller Spannung und Atmosphäre. Zwischen den modernen Neubauten Westberlins und den Trümmerbergen an der Sektorengrenze sucht ein junger amerikanischer Anwalt nach dem verschollenen Erben eines reichen Klienten. Er findet dessen Tochter und gerät in Konflikt mit einer im Untergrund arbeitenden Bande von Geldfälschern, die vor Entführung und Mord nicht zurückschrecken. Auch die Sowjets, die ihn für einen Agenten halten, sind ihm auf den Füßen.
An sein britisches Vorbild The Third Man (1949) kommt Die Spur führt nach Berlin nicht ganz heran, doch beweist die Inszenierung viel Gefühl für die Topographie der zerrissenen Stadt. Und wenn Kurt Meisel auch kein Orson Welles ist, so brilliert er in der Rolle des schmierigen Gangsterchefs und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Unter den auffallend guten Nebendarstellern befinden sich Barbara Rütting und Wolfgang Neuß, der an Peter Lorre erinnert. "Das rasante Finale des Films bildet die gemeinsame Jagd Westberliner, alliierter und sogar Ostberliner Polizei durch die gruselig verstaubten und verlassenen Katakomben zwischen dem alten Reichstag und der Reichskanzlei, hart an der Sektorengrenze. - Das ist ein Stoff, den der ideenreiche Produzent Artur Brauner tatsächlich ,von der Straße' aufgelesen hat, ein aktueller, ein interessierender Stoff. (...) Alles in allem: Ein neuer Wurf der CCC-Produktion, der weit über dem Durchschnitt unserer Filme liegt." (Filmblätter, 5.12.1952) Das Programm wird von der Filmwissenschaftlerin Brigitta Wagner, die an der Harvard University über das Berlin-Bild in den historischen Filmreihen und neuen Produktionen nach der Wende forscht, eingeführt.
Einführung: Brigitta Wagner
am 7.3.2008 um 21.00 Uhr |