WIEDERENTDECKT
Wiederentdeckt – so heißt unsere filmhistorische Reihe, kuratiert von CineGraph Babelsberg, die einmal im Monat vergessene Schätze der deutschen Filmgeschichte vorstellt. Zu sehen sind Werke, die oftmals im Schatten jener Filme stehen, die den deutschen Filmruhm begründet haben. Sie sind Zeugnisse einer wirtschaftlich leistungsfähigen und handwerklich ambitionierten Filmindustrie. Erstaunlich viele dieser Filme „aus der zweiten Reihe“ sind erhalten. In enger Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv und der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen recherchieren die Mitarbeiter von CineGraph Babelsberg diese Filme und analysieren sie im historischen Kontext. Sie erstellen Begleitblätter für das Publikum, führen in die Filme ein und dokumentieren ihre Forschungsergebnisse im Filmblatt, der Zeitschrift von CineGraph Babelsberg.
Eine Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit CineGraph Babelsberg, dem Bundesarchiv-Filmarchiv und der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen
WIEDERENTDECKT
Hundert Tage
Campo di maggio
I/D 1935, R: Franz Wenzler, B: Karl Vollmoeller, nach dem Theaterstück von Giovacchino Forzano und Benito Mussolini, D: Werner Krauß, Gustaf Gründgens, Kurt Junker, Eduard von Winterstein, 90’ 35 mm, DF
26. Februar 1815: Napoleon schifft sich mit 1000 Mann ein und verlässt das ihm auferlegte Exil auf Elba – der Beginn der „Herrschaft der Hundert Tage“. Mit seinem Marsch auf Paris lehnt sich Frankreichs ehemaliger Kaiser gegen die Auflagen des Wiener Kongresses auf. Der Kampf eines aufrechten Mannes (Werner Krauß) gegen das endlose Debattieren der verschlagenen Diplomaten um Fouché (Gustaf Gründgens in einer Paraderolle): So inszeniert Franz Wenzler die Bühnenvorlage aus der Feder des italienischen Opernlibrettisten Giovacchino Forzano und des Staatschefs Benito Mussolini. Hundert Tage und die von Forzano gleichzeitig realisierte italienische Version Campo di maggio sind das interessante Beispiel einer Zusammenarbeit zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland. In beiden Filmen liegen die Parallelen zwischen inszenierter Geschichte und aktuellem Geschehen auf der Hand: vom Marsch auf Paris, der in die Nähe von Mussolinis Marsch auf Rom im Oktober 1922 gesetzt wird, über die Verachtung des Wiener Kongresses und das Ignorieren des Völkerbundes durch Italien beim Angriff auf Äthiopien im selben Jahr bis zu Napoleon, der in der deutschen und italienischen Version als die Führerpersönlichkeit schlechthin erscheint. Die Verkörperung Napoleons durch Werner Krauß schlägt dabei den Bogen zu Preußenfilmen der Weimarer Republik wie Napoleon auf St. Helena (1929) von Lupu Pick oder Yorck (1931) von Gustav Ucicky. Hundert Tage steht somit in einer Linie mit früheren und späteren Filmen über heroische Einzelgänger, die den Führerkult zurück in die Vergangenheit spiegeln, um einer gegenwärtigen Politik Legitimität zu verschaffen.
Einführung: Fabian Tietke
am 2.4.2010 um 19.00 Uhr
WIEDERENTDECKT
Der Lude
DDR 1984, R: Horst E. Brandt, B: Claus Küchenmeister, Wera Küchenmeister, D: Peer-Uwe Teska, Michèle Marian, Franziska Troegner, Erwin Berner, 92’ 35 mm
Vor achtzig Jahren starb in Berlin der 22 Jahre alte Student Horst Wessel eines gewaltsamen Todes. Die Nazis machten den Friedrichshainer SA-Führer und Dichter ihrer Parteihymne zum Nationalheiligen und „Christussozialisten“, die Kommunisten hingegen schmähten den Toten als Zuhälter, der bei einer Streitigkeit im „Milieu“ umgekommen sei. Dass die preußische Polizei die Wessel-Attentäter bald darauf im Umfeld der KPD ermittelte, galt der Partei als Beispiel „bürgerlicher Klassenjustiz“.
Der DEFA-Spielfilm Der Lude steht ganz in dieser Tradition. Er erzählt – in Teilen verfremdet – die Geschichte des Wessel-Mordes als „politische Intrige“. Der Film vermittelt den Eindruck, den Kommunisten, moralisch integer und „ungeheuer sympathisch“, sei die Tat fälschlich angelastet worden – mit schrecklichen Folgen für die Beschuldigten. Der Lude ist ein spätes Beispiel des antifaschistischen Spielfilms in der DDR und sollte vor allem junge Leute in die Kinos locken. Vielleicht auch deshalb setzte er verstärkt auf „Sex and Crime“: Die „authentische Geschichte um kleine Leute und große Gangster“ – wie es auf einem Filmplakat hieß – warb mit Spannung und Sinnlichkeit. Dennoch kam der Film bei den Zuschauern nicht an: Eine Zeitung sprach von einem „blässlichen Provinzstück“, das bloße Hintertreppenkonstruktion bleibe.
Das Filmprogramm stellt der Historiker Daniel Siemens vor, Autor des Buches Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten (München 2009).
Einführung: Daniel Siemens
am 7.5.2010 um 19.00 Uhr
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