WIEDERENTDECKT
Zum Hundertsten
Wiederentdeckt – so heißt unsere filmwissenschaftliche Reihe, kuratiert von CineGraph Babelsberg, die einmal im Monat vergessene Schätze der deutschen Filmgeschichte vorstellt. Zu sehen sind Werke, die oftmals im Schatten jener Filme stehen, die den deutschen Filmruhm begründet haben. Sie sind Zeugnisse einer wirtschaftlich leistungsfähigen und handwerklich hoch stehenden Filmindustrie. Erstaunlich viele dieser Filme „aus der zweiten Reihe“ sind erhalten. In enger Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv recherchieren die Mitarbeiter von CineGraph Babelsberg diese Filme und analysieren sie im historischen Kontext. Sie erstellen Begleitblätter für das Publikum, führen in die Filme ein und dokumentieren ihre Forschungsergebnisse im Filmblatt, der Zeitschrift von CineGraph Babelsberg.
Wiederentdeckt widmet sich schwerpunktmäßig dem unbekannten deutschen Spielfilm. Daneben wird versucht, mit Kurzfilmen und Wochenschauen an die Tradition des Vorprogramms anzuknüpfen. Ergänzend veranstaltet CineGraph Babelsberg eine zweite Filmreihe im Kino Arsenal, FilmDokument, die dokumentarische Filme des deutschen Filmerbes vorstellt. Beide Reihen sind in dieser Form einzigartig und fungieren als Ersatz für ein in Berlin fehlendes Archivkino.
Im Dezember steht die 100. Ausgabe von Wiederentdeckt auf dem Programm des Zeughauskinos. Seit Juni 1992 zeigen wir zumeist abendfüllende Spielfilme, deren Entdeckung unbedingt lohnend ist. CineGraph Babelsberg und das Zeughauskino bedanken sich ganz herzlich beim Bundesarchiv-Filmarchiv für die großzügige Unterstützung der Filmrecherchen. Ein besonderer Dank gilt unseren Besuchern: Ihrem stets wachen Interesse an den wiederentdeckten alten und noch nicht ganz so alten deutschen Filmen verdankt die Reihe in Wirklichkeit ihre Daseinsberechtigung. Ihnen, unserem Publikum, rufen wir zu: Bleiben Sie neugierig!
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit CineGraph Babelsberg und dem Bundesarchiv-Filmarchiv.
Wiederentdeckt - Zum Hundertsten
Wien, Du Stadt der Lieder
D 1930, R: Richard Oswald, D: Max Ehrlich, Siegfried Arno, Max Hansen, Paul Graetz, Sigi Hofer, Charlotte Ander, 95’
Unverhohlen buhlt dieser Film um den Beifall des breiten Publikums. 55 Filmkopien waren Mitte 1930 im Einsatz, um die große Nachfrage zu befriedigen. Richard Oswald verzichtet darauf, einen weiblichen Star in Szene zu setzen, wie der zeitgleich herausgekommene Blaue Engel der Ufa. Mit Siegfried Arno, Max Ehrlich, Paul Graetz, Max Hansen, Sigi Hofer und Paul Morgan setzt er vielmehr auf die Größen des berühmten Berliner „Kabaretts der Komiker“. Unterstützt werden sie von dem Schallplattenstar Luigi Bernauer als Heurigensänger. „Sie kamen, sprachen, sangen und siegten“ – so ein Kritiker. Die Filmhandlung dreht sich um Liebe und Losglück. Sie ist Vorwand für eine turbulente Szenenfolge voll derb-komischen Humors; keine noch so plumpe Pointe wird ausgelassen. Die schrulligen, aber liebenswerten Kleinbürger öffnen nur beim Heurigen ihr Herz: „Wien, Du Stadt der Lieder / Blüht im Lenz der Flieder / Zieht mein Herz mich immer wieder zu dir hin / du mein Wien, mein liebes Wien.“ Gegen die Wiener Gemütlichkeit setzt Paul Graetz eine schnoddrige Liebeserklärung an Berlin.
Ein früher Tonfilm, der durch sein ungeniertes Schielen auf jeden Lacher mit dazu beitrug, dass auch das Massenpublikum den Tonfilm als neues Medium akzeptierte.
Einführung : Jeanpaul Goergen
am 01.09.2006 um 19.00 Uhr
Wiederentdeckt - Zum Hundertsten
Die Liebschaften des Hektor Dalmore
D 1921, R: Richard Oswald, D: Conrad Veidt, Erna Morena, Hans Junkermann, Lya de Putti, Sascha Gura, Aenne Ullstein, Henry Sze, ca. 76’
Dass Richard Oswald innerhalb seines Programms konsequenter Publikumsbezogenheit auch das Genre der spritzigen Komödie bedient hat, ist der Filmgeschichte bisher noch kaum geläufig. Die Liebschaften des Hektor Dalmore ist auf den ersten Blick eine Don-Juan-Geschichte, erzählt halb als Posse und halb als augenzwinkerndes Melodram. Conrad Veidt spielt den höchst attraktiven Mann, der so viele Liebschaften hat, dass er einen Doppelgänger beschäftigen muss, der ihn bei den unausweichlichen Duellen mit gehörnten Ehemännern und gelegentlich auch bei den Damen vertritt. Zur Organisation seines anstrengenden Liebeslebens benötigt er zudem einen verschmitzten chinesischen Butler. Oswald zeigt den modernen Don Juan im Leistungsstress. Trotzdem bleibt Veidt überaus gelassen, charmant und behält stets seine überlegene Eleganz. Eine einzige Frau scheint ihm widerstehen zu können, und natürlich begehrt er die wie keine andere. Mit ihrem ebenso ehrpusseligen wie bornierten Mann geht er eine Wette ein, dass auch sie ihm untreu werden wird. Doch was sich als possenhafte Verwicklung wie aus der "Fledermaus" anbahnt, nimmt einen überraschenden Ausgang. Oswald mischt der erotischen Komödie urplötzlich Momente des tragischen Melodrams bei. Nach fünf Akten wirbelnder Drolerien, die trotz gelegentlicher Abschweifungen die grazile Leichtigkeit einer französischen Salonkomödie Sardous oder Feydeaus aufweisen, kommt es zu einem gebrochenen, bittersüßen Schlussakkord. Selten starb ein schöner Mann anmutiger.
Klavierbegleitung: Peter Gotthardt
Einführung: Jürgen Kasten
am 06.10.2006 um 19.00 Uhr
Wiederentdeckt - Zum Hundertsten
1914. Die letzten Tage vor dem Weltbrand
D 1930, R: Richard Oswald, D: Reinhold Schünzel, Albert Bassermann, Heinrich George, Alfred Abel, Eugen Klöpfer, Alexander Granach, 100’
Keiner anderer Regisseur und Produzent des Weimarer Kinos war so umtriebig und fleißig wie Richard Oswald. Sein legendärer Ruf basierte auch darauf, dass er in seinen Filmen heiklen, gesellschaftlich und politisch umstrittenen Themen nicht aus dem Weg ging. Im Gegenteil, der liberal eingestellte Oswald griff solche Themen gezielt auf, darunter den Homosexuellen-Paragraphen (Anders als die Andern, 1919), die Gefahr rechtsradikaler Verschwörungen (Feme, 1927) und den Antisemitismus (Dreyfus, 1930).
In 1914. Die letzten Tage vor dem Weltbrand beschäftigte sich Oswald mit dem Thema, das in der Öffentlichkeit der Weimarer Republik für die größten Emotionen sorgte: dem verlorenen Weltkrieg, der Frage nach der Kriegsschuld und der Revision des Versailler Vertrages. In der Form einer historischen Reportage beleuchtet Oswald die Hintergründe des Kriegsausbruchs auf der Ebene der Kabinette und diplomatischen Beziehungen und setzt ein Schauspielerensemble an die Stelle des Einzelhelden. Die mosaikartig angeordneten Szenen des Films richten den Blick auf die psychologische Dynamik, die das Handeln der Akteure in Berlin, Moskau, Paris und London im Juli 1914 bestimmt.
Einführung: Philipp Stiasny
am 03.11.2006 um 19.00 Uhr
Wiederentdeckt - Zum Hundertsten - Die Hundertste
Im weißen Rössl
D 1926, R: Richard Oswald, D: Liane Haid, Max Hansen, Henry Bender, Livio Pavanelli, Maly Delschaft, Kurt Gerron, ca. 95’ Im Vorprogramm: Ufa-Wochenschau 38/1926, ca. 10'
Im weißen Rössl ist ein weiterer Beleg für den Spürsinn, den der Regisseur und Produzent Richard Oswald immer dann an den Tag legt, wenn es um publikumswirksame und dem Zeitgeist gemäße Unterhaltungsware geht: Vier Jahre bevor der Komponist Ralph Benatzky aus dem Bühnenschwank von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg einen Klassiker der Operette formt, bereitet Oswald den Stoff bereits mit durchschlagendem Erfolg für den Stummfilm auf. Dabei setzt die filmische Inszenierung, wie so oft bei Oswald, auf eine allen Sinnen schmeichelnde Umsetzung der literarischen Vorlage. Den Ausgangskonflikt der Handlung um den Berliner "Glühstrumpffabrikanten" Giesecke (Henry Bender) und den Justizrat Dr. Siedler (Livio Pavanelli), die sich zunächst im Rahmen eines Patentstreits vor Gericht, anschließend als Österreich-Urlauber im legendären Hotel begegnen, entwickelt sich der Film von Szene zu Szene zu einem Stakkato der Irrungen und komischen Knalleffekte. Unter der Ägide der - beruflich wie privat nicht minder kompliziert miteinander verbandelten - Wirtin Josefa Voglhuber (Liane Haid) und ihres Oberkellners Leopold (Max Hansen) werden die vielfältig verwickelten Gefühls- und Geschäftsinteressen vor der malerisch ins Bild gerückten Kulisse des Salzkammerguts temperamentvoll ausgefochten, bis schließlich durch die Heirat des Juristen mit der Tochter des Unternehmers die Versöhnung besiegelt werden kann.
Der immense Publikumszuspruch zu dieser ersten Filmversion von Im weißen Rössl veranlasste Oswald, noch im selben Jahr eine Fortsetzung unter dem Titel Als ich wiederkam in die Kinos zu bringen. Ganz ohne Musik war ein solcher Erfolg jedoch auch schon 1926 kaum möglich: Das Begleitarrangement zu Im weißen Rössl stammte von niemand geringerem als Werner Richard Heymann, dessen Melodien und Schlager für Tonfilm-Operetten wie Die Drei von der Tankstelle oder Der Kongress tanzt wenig später zu Weltruhm gelangen.
Klavierbegleitung: Peter Gotthardt
Einführung: Michael Wedel
Im Anschluss an den Film lädt das Zeughauskino zu einem Glas Wein
am 01.12.2006 um 21.00 Uhr
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