"Von der Welt isoliert, dumm gehalten und mit Vorurteilen
beladen, waren wir als williges Kanonenfutter aufgewachsen; aber fanatische
Nazis waren wir wider Erwarten nicht geworden . ....... ".
Trotz aller Ausschaltung
von Alternativen und rücksichtslosem Einsatz der nationalsozialistischen
Verfügungsgewalt über Kinder und Jugendliche gelang es nicht,
eine "Generation im Gleichschritt" heranzuziehen. Die aus
der "HitlerJugend" bekannt gewordenen Beispiele gelungener
Fanatisierung - Denunziation von Familienangehörigen oder eine
todessüchtige Einlösung der Treueverpflichtung gegenüber
dem "Führer" können nicht die Tatsache verdecken,
daß es viel mißmutiges Mitmachen, pfiffige oder auch aufsässige
Verweigerung und teilweise sogar organisierte Opposition unter den Jugendlichen
gegeben hat. Dabei waren verständlicherweise das Desinteresse am
"stumpfsinnigen Dienst" und ein bockiges "Widerstreben,
im allgemeinen Trott mitzulaufen", die verbreitetsten Formen der
Distanzierung.
Der Trend,
im schwer zu kontrollierenden Abseits nach eigenen Wegen zu suchen,
verstärkte sich seit 1941, als die Kriegsbelastungen innerhalb
des Reichs deutlicher spürbar wurden und die NS-Propaganda sich
mit ihren Siegesmeldungen immer schwerer tat. Besonders in den Städten
wurden nun die Auswirkungen des Luftkrieges, die zunehmenden Versorgungsmängel,
die häufigen Ausnahmeregelungen in Schulen und Ausbildungsstätten
und die wachsende Beanspruchung durch Dienstverpflichtungen von immer
mehr Jugendlichen als lästige Beeinträchtigung wahrgenommen
- aber auch als Herausforderung, sich in Eigeninitiative Gegenmilieus
zu schaffen, in denen man auf ideologische Konformität und zuweilen
auch auf Legalität keinen besonderen Wert legte.
Interne
Analysen stellten als Ursachen sicher zutreffend fest, daß die
"häusliche Zucht" nachlasse, "da viele Väter
und erwachsene Erzieher an der Front stehen und viele Frauen wieder
berufstätig sind. Das steigerte das "Selbstgefühl"
der Jugendlichen und entfremdete sie in eben dem Maße der Gemeinschaftserziehung
der HitlerJugend." Man ergriff Gegenmaßnahmen, etwa den Erlaß
einer "Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend" vom 9. 3.
1940, die Einführung von "Jugendarrest" und verschärfte
Vorschriften zur Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplin. Aber man konnte
nicht verhindern, daß die Cliquenbildung unter den Jugendlichen
anhielt und diese sich teilweise in "wilden" Gruppen "Swing-Jugend",
"Edelweißpiraten" u. a.) formierten. Dort gingen Mädchen
und Jungen gemeinsam auf unerlaubte Fahrt, sangen aufmüpfige Lieder
oder hörten die verpönte "Negermusik" und ließen
sich gelegentlich auch auf eine Schlägerei mit dem "Streifendienst"
der HJ ein.
Wenn man
zu jener vorwiegend von Nonkonformismus und Dienstverweigerung geprägten
Jugendoppositon noch solche Jugendliche hinzurechnet, die aufgrund ihrer
Elternhäuser oder anderer politischer und religiöser Beeinflussungen
in subversiver Gegnerschaft zum NS-Regime standen, und wenn man zudem,
weil die Reichshauptstadt seit 1940 immer mehr zum Ziel alliierter Luftangriffe
wurde, die wachsende Strapazierung der Großstadtbevölkerung
veranschlagt, so kann man sich eine nicht ganz unerhebliche Menge von
Unzufriedenen zusammenaddieren. Allerdings waren deren Verhaltensweisen
entschieden mehr von defaitistischer Resignation als von politisch bewußtem
Widerstandswillen bestimmt. Wie immer das auch genauer einzuschätzen
wäre, spätestens an dieser Stelle ließe sich einwenden,
jedwede Distanzierung vom Nationalsozialismus habe ebenso wenig wie
jede engagierte Identifikation mit Führerprinzip und "Volksgemeinschaft"
irgendetwas mit den Kindern zu tun, die auf den hier gezeigten Photographien
abgebildet sind.
Gemach, gemach! - es ist sicher zutreffend, daß
nahezu alles, was hier bisher aufgeführt wurde, nur die älteren
Geschwister der seit 1930 geborenen Kinder betreffen konnte. Aber zum
einen sollte niemand verkennen, daß ältere Geschwister immer
schon eine durchaus einflußreiche Sozialisationsinstanz waren,
zum anderen zeigt sich an den Erfahrungen, die gewissermaßen im
Vorgang - ältere Schwestern und Brüder sowie in deren Probleme
verstrickte Eltern mit dem NS-Regime machten, daß die Indoktrinationsmechanismen
und Anpassungszwänge, denen dann auch die nachwachsenden Geschwister
ausgesetzt wurden, nicht mehr ganz reibungslos und widerspruchsfrei
funktionierten. Nicht, daß nun allerorten in der Stadt - am Abendbrottisch,
im Luftschutzkeller, auf dem Schulhof - darüber geredet und getuschelt
wurde, wie man unangemessene oder gar unsinnige Forderungen und Gebote
des NS-Regimes am besten umgehen könnte. So viel trauten sich gewiß
nur die wenigsten. Aber es muß doch eine sich verschlechternde
Stimmung, einen zuweilen spürbaren Ärger und Mißmut
gegeben haben, der sich sehr wahrscheinlich auch jüngeren Kindern
mitteilte.
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