zur Startseite des Deutschen Historischen Museums
Ausstellung: Teil 8 von 10
Erfolg auf dem Schwarzmarkt
Mit einem Mausklick auf die
Bilder gelangen Sie zu einer
Vergrößerung.
Vor der "Laube" im Tiergarten wächst Gemüse
 
Brennholz für den Winter
 
 
Start
Sitemap




"Gebt mir zehn Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!"

 

Als das Schlimmste vorüber war, rumorte das Erlebte weiter. Nun galt es, auch noch mit den Trümmern einer zerbrochenen Weltanschauung aufzuräumen, die von Tag zu Tag deutlicher als zynisch und menschenverachtend entlarvt wurde. Da konnten sich die Kinder und Jugendlichen nur wundern, wie schnell die Erwachsenen aus ihrer Mitläufervergangenheit desertierten. Für gläubige Hitlerjungen und BDM-Mädel war es schon schwer genug zu begreifen, daß sich der "Führer" und die meisten seiner Reichs-, Gau- und sonstigen Parteileiter in letzter Stunde bedenkenlos aus der Affaire gezogen hatten. Nun sahen sie sich plötzlich umgeben von Leuten, die schon seit 1933 gewußt hatten, daß es schief gehen würde. Und weil Kindern die Stilmittel von Ironie und Sarkasmus nur sehr begrenzt zugänglich sind, konnten sie auch keinen Spaß haben an der häufigen Wiederholung jenes Hitler-Wortes: "Gebt mir zehn Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!" Auch sie erkannten das Deutschland, als dessen Zukunft sie sich geglaubt hatten, nicht mehr, aber sie konnten nur schwer verstehen, daß all ihre Hoffnungen und Ideale nun nichts mehr gelten sollten.

Viele sehen bis heute einen Vorteil darin, daß die mit der Kapitulation nur wenig veränderten miserablen Lebensbedingungen den Menschen kaum Zeit zum Nachdenken ließen. Die sowjetische Besatzungsmacht und drei Monate später erst ihre westlichen Alliierten sorgten zwar dafür, daß die städtische Infrastruktur bald wieder notdürftig funktionierte, doch half das den Frauen und Kinder zunächst nur wenig. Da mit den Männern, die das Kriegsende als Soldaten erlebten, vorerst nicht zu rechnen war, mußten sie weiterhin fürs schiere Überleben "organisieren", improvisieren, hamstern und tauschen; zudem hatten sie sich um neue Papiere zu kümmern, um Meldebescheinigungen und Lebensmittelkarten.

Nach der neuen Einteilung in Versorgungsgruppen stand den Hausfrauen nur die Karte V für die niedrigste Zuteilungskategorie zu - man sprach von "Hungerkarten" oder "Himmelfahrtskarten". Deshalb sahen diese sich vielfach gezwungen, die Schwerarbeit der Trümmerfrauen zu leisten, um Anspruch auf bessere Versorgung zu erhalten. Obwohl die Hausfrauenregelung in Berlin heftig kritisiert wurde, wurde sie erst zum 1. März 1947 geändert, indem den Hausfrauen nun die Versorgungsgruppe III zugestanden wurde. Infolge dieser Regelung lag die Quote der erwerbstätigen Frauen in Berlin wesentlich höher als in den großen Städten der Westzonen; im September 1945 waren in Berlin schon 371.409 weibliche Erwerbstätige (knapp 50 Prozent) registriert; ein Jahr später gingen 705.397 Frauen einem amtlich anerkannten Broterwerb nach, rund 60 000 davon als Trümmerfrauen.

Die Versorgung auf Lebensmittelkarte reichte selten für das Nötigste; also mußte man alle Überlebenstechniken, die man sich schon in den letzten Kriegsjahren angeeignet hatte, weiterhin anwenden. Man fuhr ins Umland, um in den Wäldern Holz und Kienäppel zu sammeln oder bei den Bauern Lebensmittel zu hamstern; man baute wie schon seit 1943 - auf öffentlichem Stadtgrund Gemüse an, beteiligte sich an Holzauktionen in den Alleen und quälte sich in Stadtparks beim Ausgraben von Stubben. Wenn es immer noch nicht reichte, begaben sich die vormals so ordnungsverliebten Bürgerinnen und "Volksgenossen" in die Grauzone der Beschaffungskriminalität: Sie handelten auf dem schwarzen Markt, gruben verschüttete Keller aus oder gingen nächtens Kohlen klauen.

weiter / next