Vorwort
Das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 50 Jahren gab
in diesem Jahr weltweit Anlaß zum Erinnern. Alle Medien beteiligten
sich am Rückblick auf das Ende der Hitlerdiktatur und den alliierten
Sieg über das nationalsozialistische Deutschland. Weitaus mehr
als in den Jahrzehnten zuvor gab der glückhafte Friedensvertrag
von 1990 mit den ehemaligen Siegern diesem epochalen Ereignis von 1945
seinen denkwürdigen aktuellen Zeitbezug. Die Erinnerungen im wiedervereinten
Deutschland richteten sich auf das Jahr 1945 und damit auf den Endpunkt
einer bis dahin weitgehend gemeinsamen Geschichte. Ob skeptischer Neubeginn
oder euphorischer Aufbruch nach der legendären "Stunde Null",
die Geschichte der Deutschen war in den nachfolgenden Jahrzehnten auch
eine Geschichte der Teilung.
Davon war in den Jahren 1945 und 1946 noch nicht allzuviel
zu spüren, am wenigsten in der von den vier Siegermächten
noch gemeinsam verwalteten Reichshauptstadt Berlin. So gegensätzlich
die Fernziele auch waren, westliche Demokratie hier, Sowjetisierung
dort - zunächst mühten sich die Sieger gleichermaßen,
das öffentliche Leben wieder in Gang zu setzen, Verwaltungen einzurichten,
Straßen zu räumen, die Ernährung zu sichern und den
Schulbetrieb wieder aufzunehmen. Gerade den Kindern und Jugendlichen
galt in West wie Ost besondere Fürsorge, setzte man doch große
Erwartungen in einen politischen Neubeginn mit der jungen Generation.
Aber bevor die Schulbücher neugeschrieben, die "Neulehrer"
berufen und die Klassenräume wiederhergestellt waren, nahmen die
Kinder zunächst teil am alltäglichen Überlebenskampf
der Familien -soweit diese noch bestanden. Überwiegend waren es
die Frauen, die den Rest der Familie irgendwie durchbringen mußten.
Diese extremen Lebenssituationen festzuhalten, war ein großes
Thema der Fotografie in den ersten Nachkriegsjahren.
Ob dokumentarisch oder mit künstlerischem Anspruch,
das Leben zwischen den Trümmern ist auf unzählige Filme gebannt
- so auch von den Mitarbeitern der Agentur " Puck", die 1945
von dem Fotografen Werner Kornetzky gegründet wurde. Aus der Bilderflut
dieser Agentur, deren Negative sich heute bei der Bundesbildstelle in
Bonn befinden*, ist eine kleine Ausstellung entstanden. Sie will den
Blick auf die Kinder und Jugendlichen lenken, die im Dritten Reich aufgewachsen,
die Bombennächte Berlins miterlebt und das Kriegsende überlebt
haben. Auf die seelischen Erschütterungen und die Vorgeschichte
dieser Halb - oder Vollwaisen, teils obdachlosen Jugendlichen und hungrigen
"Höhlenbewohner von Berlin" weist der einführende
Essay hin und fragt von heute aus mit einer gewissen Skepsis nach den
Erfolgen der damals schlagwortartig formulierten und von den Alliierten
geforderten "geistigen Enttrümmerung" der vom Nationalsozialismus
geprägten Jugend.
Das Deutsche Historische Museum dankt dem Presse -
und Informationsamt der Bundesregierung, daß es sein bisher der
Öffentlichkeit unbekanntes historisches Material für die Ausstellung
zur Verfügung gestellt hat. Es verbindet damit die Hoffnung, daß
sich in der Zukunft zwischen den aktuellen Nutzern der dokumentarischen
Fotografie und dem Museum ein selbstverständliches Zusammenwirken
einspielen möge.
Christoph Stölzl
(* Ein großer Teil der Negative liegt seit
1996 als Depositum im DHM)
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