Aus der Sammlung des Deutschen Historischen Museums Deutschsprachiger Erstdruck der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung
vom 4.Juli 1776
|
||
Willi Paul Adams
Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika (Teil 5) |
|||||
V. Der Inhalt der Unabhängigkeitserklärung Die Unabhängigkeitserklärung kopiert nicht ein bestimmtes Vorbild. Die Aufkündigung von Herrschaftsverhältnissen nach den ständischen Rechtstraditionen Kontinentaleuropas - z. B. die Unabhängigkeitserklärung der Niederlande vom spanischen König Philipp II. aus dem Jahr 1581 -waren logisch vergleichbar, aber von der Situation der Angloamerikaner, die sich als Kolonisten vom Mutterland lossagten, inhaltlich weit entfernt. Im Bewusstsein der Amerikaner gegenwärtig war jedoch die Beendigung der Glorreichen Revolution der Whigs mit der sogenannten Bill of Rights von 1689, in der Oberhaus und Unterhaus festlegten, unter welchen Bedingungen sie Wilhelm von Oranien und seiner Frau Mary die Krone übertrugen. Diese als Gesetz verabschiedete Bill of Rights zählte Verstöße des Königs gegen die Gesetze und Freiheiten des Königreichs auf, konstatierte seine (von ihm nie ausgesprochene) Abdankung und listete dann als Teil der "alten Rechte und Freiheiten" dreizehn Rechtsansprüche der Untertanen auf, darunter die freie Wahl und das häufige Zusammentreten des Parlaments. Ein ideologisches Manifest der Whig-Doktrin oder der konstitutionellen Monarchie mit Parlamentssouveränität war dieser nüchterne Katalog von Missetaten und Untertanenrechten nicht. Die bereits zitierten Grundsatzerklärungen des Kontinentalkongresses von 1774 und 1775 und die Grundrechteerklärung von Virginia enthielten hingegen mehrere Elemente, die Jefferson für die Gestaltung von Inhalt und Form der Unabhängigkeitserklärung nutzen konnte. Jeffersons intellektuelle und rhetorische Leistung als Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung ist deshalb nicht geringer einzuschätzen. Im Gegenteil. Seine Aufgabe war es ja nicht, mit einem möglichst originellen Essay, den Wettbewerb einer gelehrten Akademie zu gewinnen. Er sollte die politische Theorie der amerikanischen Aufklärung anwenden und die Entscheidung einer ganzen Nation rechtfertigen, eine Entscheidung mit Folgen historischen Ausmaßes und Konsequenzen für Leben und Vermögen derjenigen, die sich mit ihrer Unterschrift zu einer Tat bekannten, die auf der einen Seite als Hochverrat verfolgt und auf der anderen als Staatsgründung gerühmt wurde. Die Erklärung richtete sich deshalb sowohl an den König und die Parlamentsmitglieder (auch wenn sie nicht namentlich erwähnt werden), als auch an die Widerstand leistenden Kolonisten, insbesondere an die Soldaten, die in den Milizen ihrer Kolonien und in improvisierten Uniformen in Washingtons Armee kämpften und Klarheit haben mussten über Freund und Feind, patriot und tory. Keine Rücksicht nehmen konnte die Erklärung auf den dritten Adressaten, den absoluten Monarchen Frankreichs, dessen Militärhilfe sie beschleunigen sollte, dessen Herrschaftssystem sie jedoch völlig widersprach. Wie überzeugend Jefferson für die anderen mit formuliert hatte, zeigen die inhaltlich geringfügigen Änderungen. Die vier anderen Ausschussmitglieder machten, soweit dieses Entwurfsstadium nachvollziehbar ist, nur redaktionelle Änderungen. Das Plenum strich 630 Wörter und fügte 146 hinzu, so dass der Text schließlich 1322 Wörter umfasste. Inhaltlich bedeutsam war nur die Streichung eines Anklagepunktes: der Duldung des Sklavenhandels. Die anderen 84 Änderungen des Plenums waren im wesentlichen stilistische Verbesserungen und Straffungen der Argumentation. Die Überschrift vermied den vielleicht als unnötig provozierend empfundenen Begriff Unabhängigkeit. Die neue Formel von den Vereinigten Staaten betonte die Gemeinsamkeit und Geschlossenheit des Vorgehens der aufständischen Kolonien. Die einzelnen Kolonien erklärten nicht hintereinander, je nach dem Zeitpunkt der Machtübernahme der Rebellen in der jeweiligen Hauptstadt ihre Unabhängigkeit. Die revolutionären Einzelstaatskonvente beauftragten vielmehr, sobald der für die radikale Lösung optierende Flügel die Mehrheit gewonnen hatte, ihre Delegierten im Kontinentalkongress, für eine gemeinsame Unabhängigkeitserklärung zu stimmen. Die Interessenvertreter der Kolonisten wussten seit dem erfolgreichen Widerstand gegen die Stempelsteuer 1765/66, dass sie nur gemeinsam stark waren. Die Präambel benennt in einem Satz den Zweck der Erklärung, so wie die Präambel eines englischen Gesetzestextes die Aufgabe des Gesetzes ankündigte. Der geniale Auftakt enthält bereits als stillschweigend gemachte Voraussetzungen, was eigentlich bewiesen werden müsste: dass die Amerikaner "ein Volk" sind und dass sie nach dem Willen Gottes und der Natur ranggleich sind mit anderen Staaten, wie etwa Großbritannien. Als Fundament dieses Anspruchs werden nun nicht mehr alte englische Rechte beschworen, sondern die höchste Legitimationsquelle der Aufklärer, "die Gesetze der Natur". Locke hatte die Vorstellung der englischen Whigs um 1689 im Second Treatise of Government artikuliert: "Der Naturzustand wird durch ein Gesetz regiert, das Naturrecht; es bindet jeden, und die Vernunft, die dieses Naturgesetz ist, lehrt alle Menschen, wenn sie nur die Vernunft befragen, dass keiner einem anderen Schaden zufügen soll an Leben, Gesundheit, Freiheit oder Besitz, weil sie gleich und unabhängig sind." Die dieser Whig-Idee gegenüberstehende und in Kontinentaleuropa dominante Tory-Rechtfertigung der Monarchie als gottgewollt und durch die geschichtliche Entwicklung legitimiert versuchten Jefferson und der Kongress zu neutralisieren durch die deistische Definition Gottes als sich durch die Natur offenbarend, so dass es keinen Widerspruch geben konnte zwischen den Naturgesetzen und dem Willen "des Gottes der Natur". Der zweite Teil des Textes erklärt die Grundrechte der Bürger eines freien Staates. Diese beiden Sätze schufen kein gerichtlich einklagbares Recht. Sie wurden dennoch das politische Glaubensbekenntnis der amerikanischen Republik, weil sie die Normen legitimer Herrschaft benannten, die die britische Kolonialherrschaft verletzt hatte und deren Schutz Aufgabe der neuen politischen Ordnung sein sollte. "Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit" waren das Herzstück des liberalen Individualismus und des Vertragsdenkens der politischen Philosophie der angloamerikanischen Whigs seit 1688. Mit happiness war Wohlergehen und Zufriedenheit gemeint. Ein gesichertes Leben in Freiheit, das war unstrittiger Bestandteil der Gesellschaftstheorie aller Whigs, war ohne den Erwerb und die Unantastbarkeit von Eigentum nicht möglich. Die Virginia Bill of Rights hatte die Selbstverständlichkeit drei Wochen zuvor klar ausgesprochen, als sie in ihrem bereits zitierten ersten Artikel den Genuss von Leben und Freiheit verknüpfte mit "den Mitteln Eigentum zu erwerben und zu behalten und happiness und Sicherheit zu erlangen." Die Beschreibung dieser Rechte als "unveräußerlich" bedeutete im Sprachgebrauch der Whigs, dass keinerlei Lebensumstände die Missachtung dieser Rechte rechtfertigten, auch nicht die Auswanderung aus England in eine Kolonie. Das Gedankenexperiment des Gesellschaftsvertrags überließ nach Locke dem freiwillig aus dem Naturzustand in den Zustand der Gesellschaft Eintretenden diese Grundrechte als Fundament seiner Ansprüche an die Regierungsgewalt, deren Gewaltmonopol er durch den Verzicht auf eigene Gewaltanwendung mit schuf. Nur Gesetz und Recht, nicht bloße Regierungsgewalt, konnten diese Grundrechte zum Wohl des Ganzen einschränken. "Die Würde des Menschen ist unantastbar," ist eine spätere Ausdrucksweise dieses Grundgedankens des auf der Gesellschaftsvertragslehre und dem Individualismus fußenden Liberalismus des 17. und 18. Jahrhunderts. Das Gleichheitspostulat in der Unabhängigkeitserklärung bezog sich auf das gleiche Mitwirkungsrecht aller Bürger ohne Rücksicht auf ihren Aufenthaltsort im Mutterland oder in den Kolonien. Ohne das Gleichheitspostulat hätte eine Grundannahme der politischen Theorie der Amerikanischen Revolution gefehlt: alle Bürger mussten gleich frei sein. Umstritten war nur, wer zum Kreis der zur Mitbestimmung berechtigten Bürger gehören sollte. Als Jefferson schrieb, "alle Menschen sind gleich und frei geschaffen", besaß er 175 Sklaven. Dennoch ist sein Verhalten und das der anderen Politiker der Gründungsperiode nicht als Heuchelei abzutun. Der Widerspruch zwischen Versklavung der meisten Afrikaner und Befreiung der Euro-Amerikaner war Jefferson und vielen seiner Zeitgenossen bewusst, und die öffentliche Diskussion über die Freilassung der Sklaven brach seit 1776 nicht mehr ab. Auch die Ungleichbehandlung der Frauen kam - zuerst privat und ohne Aussicht auf öffentliche Diskussion - schon 1776 zur Sprache, als der Delegierte John Adams noch vor seiner Abreise aus Philadelphia von seiner Frau Abigail aufgefordert wurde, " daß Ihr an die Frauen denkt und sie großzügiger behandelt als Eure Vorfahren es getan haben, wenn Ihr demnächst neue Gesetze machen müsst. Gebt den Ehemännern nicht derart schrankenlose Macht über die Frauen! " In der jahrzehntelangen öffentlichen Diskussion über gerechte Regierung war the consent of the governed, die "Einwilligung der Regierten," die wahrscheinlich am häufigsten gebrauchte Formel. Jeder wußte, daß damit nicht griechische Marktplatzdemokratie gemeint war, sondern die Beteiligung an der Wahl von Repräsentanten. Dieser zentrale und bekannte Begriff machte die Verwendung von democratic und republican in der Unabhängigkeitserklärung überflüssig. Im Falle des nachhaltigen Verstoßes gegen ihre Aufgaben kann die Regierung oder die Regierungsform government bedeutet hier beides und die Übersetzung nur mit "Regierung" führt irre - abgeschafft oder verändert werden, jedoch nur vom "Volk". Ein individuelles Recht auf Widerstand verkündete die Unabhängigkeitserklärung nicht. Den dritten und umfangreichsten Teil des Textes bilden die 18 Punkte der Anklage gegen den König, deren jeder eine oder mehrere Handlungen benennt und rhetorisch wirkungsvoll beginnt mit "Er hat . ..". Die insgesamt 28 Vergehen kennzeichnen keinen mörderischen Gewaltherrscher, sondern einen pflichtvergessenen und wortbrüchigen Treuhänder. Ein "Tyrann" im Sprachgebrauch der Whigs war ein Monarch, der seine verfassungsmäßigen Aufgaben nicht erfüllte, dem Wohlergehen seiner Untertanen schadete und die Kompetenzen anderer Verfassungsorgane missachtete. Deshalb enthielt das Sündenregister Anklagepunkte, die auch in der Rückschau nicht gravierend erscheinen, wie die Einberufung des Abgeordnetenhauses von Massachusetts durch den königlichen Gouverneur "an ungewöhnlichen, unbequemen und von ... öffentlichen Archiven entfernten Plätzen". Die Klage über das Quebec-Gesetz von 1774 richtete sich lediglich gegen zwei den Yankees nachteilige Entscheidungen des Kronrats über die Größe und Selbstregierungskompetenzen dieser gar nicht zur Widerstandskoalition gehörenden Kolonie. Das Grenzgesetz von 1763 hatte die Südgrenze Quebecs westlich der Appalachen bis zum Ohio ausgedehnt. Die Empörung galt dem bereits erwähnten Schachzug des Kronrats, den katholischen Frankokanadiern ihre Kultur, Kirche und Rechtsprechung zu lassen, oder anders ausgedrückt, ihnen "das freye System Englischer Gesetze" vorzuenthalten - was die Betroffenen sicher nicht als tyrannische Unterdrückung bewerteten. Den vorletzten Anklagepunkt in Jeffersons Entwurf, die Duldung des Sklavenhandels, strich der Kongress. Franklin, Adams und die anderen Ausschussmitglieder hatten ihn gebilligt. Die beiden gestrichenen Sätze und der stark geraffte folgende markieren die Grenze zur Propagandasprache, die das Plenum nicht überschreiten wollte, Jefferson hatte vorgeschlagen; Er hat einen grausamen Krieg gegen die menschliche Natur selbst geführt und die heiligsten Rechte auf Leben und Freiheit der Angehörigen eines fernen Volkes verletzt, die ihn nie beleidigt haben, indem er sie gefangengenommen und als Sklaven in eine andere Hemisphäre verschleppt oder sie auf dem Transport dorthin einen elenden Tod hat sterben lassen. Diese seeräuberische Kriegführung, die Schmach und Schande heidnischer Mächte, ist die Kriegführung des christlichen Königs von Großbritannien. In seiner Entschlossenheit, einen Markt zu betreiben, auf dem Menschen gekauft und verkauft werden, hat er sein Veto missbraucht, um jeden Versuch zu unterdrücken, diesen schändlichen Handel durch Gesetz zu verbieten oder einzuschränken. Es gibt kein Protokoll der Debatte über die Unabhängigkeitserklärung, sondern nur Jeffersons nachträgliche Notizen, die besagen, dass den Plantagenbesitzern der Südstaaten, insbesondere South Carolinas und Georgias, die im Unterschied zu Virginia noch mehr versklavte Arbeiter möglichst billig importieren wollten, und den am Sklaventransport verdienenden Schiffseignern der Nordstaaten die Erwähnung des Thema unangenehm war. Vielleicht ging ihnen auch die propagandistische Verdrehung der eigenen Verantwortung für die Entwicklung der Sklaverei in den englischen Festlandskolonien seit 1619 zu weit. Den zweiten Teil des Sklaverei-Vorwurfs übernahm der Kongress in Kurzform. Jefferson wollte dem König vorwerfen: "Er hetzt jetzt diese Menschen [d.h. die Sklaven] dazu auf, die Waffen gegen uns zu ergreifen und sich die Freiheit, die er ihnen geraubt hat, mit der Ermordung derjenigen zu erkaufen, denen er sie aufgedrängt hat; so will er frühere Verbrechen gegen die Freiheiten eines Volkes begleichen mit Verbrechen, die gegen ein anderes zu begehen er sie anfeuert." Diese gequälte Formulierung bezog sich auf die Ausrufung des Kriegsrechtes durch den Militärgouverneur von Virginia, Lord Dunmore, vom 7. November 1775, mit der den Sklaven, die sich der Königlichen Armee anschlossen, die Freiheit versprochen wurde. Der Kongress übernahm den Vorwurf in der ehrlicheren Kurzfassung: "Er hat unter uns zu inneren Unruhen und Aufständen aufgerufen," und verknüpfte ihn mit der Empörung über den Einsatz von Indianertruppen. Der Kongress konstruierte auch ein Abdanken des Königs, so wie Oberhaus und Unterhaus es in der englischen Bill of Rights 1689 getan hatten. Er interpretierte die Proklamation des Zustands der Rebellion am 23. August 1775 als den Verzicht des Königs auf sein Amt in den aufständischen Kolonien. Im vierten Teil des Textes beteuert der Kongress, dass die ehemaligen Kolonisten als treue Untertanen zunächst Abhilfe durch Petitionen gesucht haben. Statt einer anti-monarchischen, pro-republikanischen Grundsatzerklärung im Geiste Thomas Paines folgt auf die Anklage nur das Urteil über George III.: " Ein Fürst, dessen Character so sehr jedes einen Tyrannen unterscheidendes Merkmal trägt, ist unfähig, der Regierer eines freyen Volks zu seyn." Die britischen Untertanen, "unsere Brittische Brüder", werden zugleich an ihre Mitverantwortung für den angemaßten Herrschaftsanspruch ihres Parlaments über die Kolonien erinnert. Der fünfte Teil zieht den Schluss und wiederholt den Kernsatz des Unabhängigkeitsbeschlusses vom 2. Juli, mit dem Zusatz: "daß als Freye und unabhängige Staaten sie volle Macht und Gewalt haben, Krieg zu führen, Frieden zu machen, Allianzen zu schliessen, Handlung zu errichten [d.h. Handel zu treiben], und alles und jedes andere zu thun, was Unabhängige Staaten von Rechtswegen zukömmt." Im letzten Satz schließen die Delegierten eine Art Gesellschaftsvertrag zur Gründung der Nation ab: "Zur Behauptung und Unterstützung dieser Erklärung verpfänden wir, mit vestem Vertrauen auf den Schutz der Göttlichen Vorsehung, uns unter einander unser Leben, unser Vermögen und unser geheiligtes Ehrenwort." |
|||||
WILLI PAUL ADAMS, Professor der Geschichte Nordamerikas am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin, ist u. a. Herausgeber des Fischer Weltgeschichtsbandes Die Vereinigten Staaten von Amerika (1977), des dtv-Bandes Die Amerikanische Revolution und die Verfassung (1987) und, zusammen mit Angela Adams, Übersetzer des UTB-Bandes Die Federalist-Artikel von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay (1994). |
|||||
|
|