Seit Jahrtausenden versuchen Menschen fehlende Gliedmaßen durch Prothesen oder andere technischen Hilfsmittel zu ersetzen und zu bewältigen. Besonders während und nach kriegerischen Auseinandersetzungen war der Bedarf an Körperersatzstücken für Versehrte besonders hoch. Zu einem erhöhten Bedarf an Ersatzgliedern und zu einer gewissen Entwicklung auf dem Gebiet des Prothesenbaus führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die drei Einigungskriege – nachhaltig beeinflussten sie das Interesse der am Prothesenbau beteiligten Experten allerdings nicht, dafür war die Zahl der Verletzten letztlich zu gering.
Das sollte der Erste Weltkrieg ändern. Militär, Mediziner sowie die Bevölkerung unterschätzten die Zerstörungsgewalt der neuen Waffen und die daraus resultierende Vielzahl an Amputierten, Gesichtsverletzten, Blinden sowie psychisch traumatisierten Soldaten. Schon zu Beginn des Jahres 1915 schätzte der Berliner Orthopäde und Leiter des Oskar-Helene-Heims, Konrad Biesalski (1868-1930), die Zahl der bereits „verstümmelten“ Soldaten auf bis zu 30.000 auf deutscher Seite. Nach Kriegsende bezifferte der Sanitätsbericht über das Deutsche Heer die sogenannten „dienstunbrauchbaren“ Soldaten auf eine Zahl von 702.778. Darunter befanden sich 89.760 „Verstümmelte“, dazu zählten 15.503 Arm- und 24.145 Beinamputierte. Andere Zählungen gingen von bis zu 2,7 Millionen dauernd kriegsbeschädigten Soldaten aus.
Die Ausstattung der Kriegsversehrten mit Prothesen
Die steigende Zahl an Versehrten führte zur Problematik der Wiedereingliederung in Gesellschaft und Beruf. Der Verlust von Armen oder Beinen war für die Kriegsversehrten selbstverständlich weit mehr als nur ein medizinisches Problem. Die soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederung leitete eine Revolution in der Prothesentechnik ein und schuf die moderne Orthopädie. Es folgten unzählige angemeldete Patente für künstliche Arme und Beine, Fortbewegungsmittel und Körperersatzstoffe zur Herstellung von Ersatzgliedern und Gesichtsprothesen.
Der anhaltende Krieg schuf einen Mangel an Arbeitskräften in der deutschen Wirtschaft. Eine Antwort darauf war das „Wiederverwendbarmachen“ der beschädigten Kriegsheimkehrer. Besondere Aufmerksamkeit galt den sogenannten Arbeitsarmen. Die Versehrten benötigten für die Erwerbsarbeit nun weit mehr als nur hölzerne Schmuckarme, die schon vor dem Krieg zur Verfügung standen. Auf die Nachahmung der äußeren Form des natürlichen Armes wurde verzichtet. Seine Funktion bestand ausschließlich darin, ein Arbeitsgerät für verschiedene Tätigkeiten und Berufe zu schaffen sei es im Handwerk, in der Industrie oder der Landwirtschaft.
Aufgrund der Vielfalt an neuen Körperersatzstücken wurde ab November 1915 die „Prüfstelle für Ersatzglieder“ in den Räumen der Ständigen Ausstellung für Arbeiter-Wohlfahrt in Charlottenburg eingerichtet. In den Gebäuden der Fraunhofer Straße 11 und 12 des späteren Berliner Stadtteils entstand die Prüfstelle Charlottenburg mit dem Ziel, Herstellung und Verwendung der künstlichen Glieder zu verbessern. Anhand wissenschaftlicher Untersuchungen wurden hier für unterschiedliche Berufsarten verschiedene „Arbeitsansätze“ für Arbeitsarme entwickelt. Diese Arme waren so konstruiert, dass an einem Grundgerät, der Stumpfhülse, verschiedene Ansatzstücke wie Haken, Klauen, eine Zange oder ein Ring befestigt werden konnten. In enger Zusammenarbeit mit Ärzten, Orthopäden und Orthopädiemechanikern sowie Amputierten sollten die technische Eignung und vor allem die Nützlichkeit für das tägliche Leben erforscht und geprüft werden. Weitere Prototypen des modernen Prothesenbaus wurden in den orthopädischen Werkstätten des Berliner „Oskar-Helene-Heims für Heilung und Erziehung gebrechlicher Kinder“ entwickelt. Noch während des Krieges entstanden dort ein Lazarett und ab 1918 eine Sonderabteilung für Kriegsversehrte. Hier legte Konrad Biesalski einen wichtigen Grundstein zur Nachbehandlung der versehrten Kriegsheimkehrer. Ziel der Einrichtung im Krieg war, die Erfahrungen der schulischen und beruflichen Eingliederung behinderter Kinder und Jugendlicher für die medizinische Weiterversorgung der Kriegsversehrten sowie deren rasche Wiedereingliederung in das Berufsleben zu nutzen.
Kaum praktischer Nutzen
Während man vorhandene Kunstglieder auf den Körper aufgesteckte und zu ihrer Einstellung stets auf die Hilfe der gesunden Hand angewiesen war, zielte allem voran der in Zürich tätige Chirurg Ferdinand Sauerbruch darauf ab, prothetische Technik direkt in den Körper zu implementieren. Er entwickelte während des Ersten Weltkrieges eine Operationsmethode, bei der die verbliebene Muskelkraft des Stumpfes auf eine Prothese übertragen wurde. Für diesen von ihm konstruierten „Sauerbruch-Arm“ lieferte ein gelernter Uhrmacher, Jakob Hüfner (1875-1968), ein geeignetes Hand-Modell – die sogenannte „Hüfner-Hand“, die seither zu der Grundausstattung einer Sauerbruch-Armprothese gehörte.
Der hohe Bedarf an Kunstgliedern bewirkte zwar eine immense Steigerung der Konstruktionstätigkeit, doch in ihrem praktischen Nutzen wurden diese von ihren Herstellern meist überschätzt. Für die zuständigen Experten stellte die Vielzahl der Amputierten ein Experimentierfeld für ihren Fortschrittsglauben und einen Gegenstand der Ingenieurswissenschaften dar. Der Körper war somit konkrete Materie für die Wissenschaft. Die beteiligten Mediziner sahen ihr Handeln als Kriegsfolgebewältigung und von unschätzbarem Wert für das Vaterland. Ihr Ziel war es, die körperliche Beschädigung zu beseitigen und für die Umwelt unsichtbar zu machen.
Einen „eisernen Willen“ sowie den Glauben an die Macht des medizinisch-technischen Fortschritts müsse jeder Versehrte aufbringen, um die Behinderung zu bekämpfen. Damit wurden eine Verharmlosung der Behinderung und die Tabuisierung des blutigen Teils des Krieges bezweckt. Chirurgen, Techniker und Orthopäden verfolgten dabei eigene berufliche Interessen, suchten nach Anerkennung und sahen ihre Chancen zur Profilierung und Professionalisierung. Ziel war es, dem Invaliden schnell zu geeigneten Prothesen zu verhelfen, damit er seinen alten Beruf wieder aufnehmen oder einen neuen Beruf erlernen konnte. Trotz dieser Bemühungen hatten unzählige Versehrte durch ihre schweren körperlichen und seelischen Verletzungen keine Möglichkeit mehr, ihren Beruf wieder auszuüben, auch Umschulungen endeten oft ohne Erfolg. Hinzu kam, je mehr die Prothese menschliche Bewegungsabläufe nachahmen konnte, desto eher bestand ihr Innenleben aus einem komplizierten und reparaturanfälligen System aus Hebeln, Federn, Zahnrädern und Kurbeln. Darüber hinaus verursachten die unterschiedlichen Materialien der Ersatzstücke bei Aufeinandertreffen auffällige und unangenehme Geräusche. Quietschende Spiralfedern, das Reiben von Leder oder das Knarren und Klappern der hölzernen Knie- und Fußgelenke wirkten negativ auf das Körperempfinden der Versehrten. Die Ersatzglieder genügten allein den technischen und medizinischen Erfordernissen, erwiesen sich jedoch für die weiteren Lebensumstände und Alltagsbedürfnisse der Träger als unnütz.
Am Ende des Krieges nutzten nur sehr wenige Arbeiter dauerhaft ihre mühsam angepassten und hochartifiziellen Arm- oder Handprothesen, da sie diese als Fremdkörper empfanden. Auch bei Beinamputierten wurden ähnliche Verhaltensweisen beobachtet. Die Beinprothese galt für Männer aller Schichten und Berufsgruppen als unentbehrliche Voraussetzung für Mobilität und eine erfolgreiche Integration. Doch aufgrund des Gewichts der modernen Kunstbeine griffen viele Versehrte auf das althergebrachte Stelzbein zurück. Diese einfache Holzprothese stellte eine Art Standardversorgung für Unter- und Oberschenkelamputierte dar, die trotz ihrer schlichten Konstruktion einen sicheren Gang bot und bis nach dem Krieg weit verbreitet blieb.