Der Traum von einer Zuflucht vor Antisemitismus, Freiheit von despotischer Willkür und einem Ort, wo jüdische Religion und Kultur sich entfalten könnten, wurde zuerst 1862 von dem Journalisten Moses Hess (1812-1875) in seiner Schrift „Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage” formuliert. Hess, 1812 in Bonn geboren, gilt als ein Vordenker des modernen Zionismus. Seine Hoffnungen aus dem Vormärz waren enttäuscht worden, die Idee eines europäischen Staatenbundes auf sozialistischer Grundlage in seiner Schrift „Die europäische Triarchie” (1841) erwies sich als nicht realistisch und fand keine Unterstützung, wie auch bereits einige Jahre vorher Hess‘ Appell an den Humanismus in seinem Werk „Die heilige Geschichte der Menschheit” (1837).
Anders als Karl Marx in seinem Aufsatz „Zur Judenfrage” (1843), der den Universalismus und die Auflösung des Judentums vorgeschlagen hatte, wandte sich Hess der Idee eines neuen Judentums auf politisch rationaler Ebene zu. Zu gleicher Zeit entstand die Schrift „Drischath Zion” des 1795 in Lissa (damals Posen) geborenen Rabbiners Zwi Hirsch Kalischer (1795-1874). Sie erschien 1862 zuerst auf Hebräisch, dann 1865 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Zions Herstellung”. Seine Idee landwirtschaftlicher Ansiedelungen in Palästina basierte auf dem Studium biblischer und talmudischer Quellen. Dieses Konzept gewann zunehmende Popularität im späten 19. Jahrhundert. Eine erste Konferenz fand im November 1884 in Kattowitz statt. An ihr nahmen 32 Delegierte der aus verschiedenen Lokalvereinen entstandenen Bewegung „Chowewe-Zion“ (Zionsfreunde) teil. Unter den Delegierten waren neben 22 russischen Teilnehmern auch sechs Personen aus Deutschland vertreten.
Materielle Unterstützung für die zionistische Bewegung kam zu großen Teilen von den sogenannten assimilierten Jüdinnen und Juden in den mitteleuropäischen Zentren wie Wien und Berlin. Dort war es der jüdischen Minderheit gelungen, bislang einzigartige Rechte und Wohlstand zu erringen. Doch angesichts ihrer eigenen Position konnten und wollten ihre Vertreter*innen die Augen nicht vor dem Leid der osteuropäischen Glaubensgeschwister verschließen. Der 1901 in Berlin gegründete „Hilfsverein der deutschen Juden“ unternahm große Anstrengungen, dem abzuhelfen. Allerdings nicht mit dezidiert zionistischen Zielsetzungen, sondern vor allem im Rahmen der Unterstützung lokaler Initiativen in Osteuropa und einer Auswanderungshilfe vorwiegend nach Amerika.
Die organisatorischen und finanziellen Mittel der frühen zionistischen Bewegung hatten ihre Wurzeln im deutschsprachigen Raum. Bei den ersten internationalen Treffen der Zionistinnen und Zionisten war Deutsch die gemeinsame Sprache für Diskussionen über die Zukunft des jüdischen Volkes. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte Theodor Herzl 1896 seine Schrift „Der Judenstaat: Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage”, die in 18 Sprachen und in 80 verschiedenen Ausgaben erschien. Ende August 1897 fand der erste Zionistenkongress in Basel statt. Während dort unterschiedliche Ideen eines jüdischen Heimatlandes von Vertretern aus Mittel- und Osteuropa diskutiert wurden, wurde in Deutschland das Zugehörigkeitsgefühl zu Kaiser und Vaterland von vielen Jüdinnen und Juden nicht als Gegensatz zu ihrem Judentum gesehen. Im Vorwort der 1899 erschienenen zweiten Auflage von Hess’ „Rom und Jerusalem” schrieb Max Bodenheimer (1865-1940), der erste Präsident der Zionistischen Vereinigung für Deutschland (ZVfD): „In der Zwischenzeit ist der zionistische Gedanke siegreich durch die Welt gezogen und hat hunderttausende begeisterter Anhänger geworben. Wir haben auf zwei Congressen der staunenden Menschheit gezeigt, dass noch Mark im jüdischen Volke steckt. Noch aber halten sich, wie Hess so richtig vorausgesehen, vorzüglich in Deutschland viele unserer Brüder in scheuer Furcht zurück, man möchte am Ende an den eben erworbenen verbrieften Rechten ihres Staatsbürgertums rühren.”
Die ersten Jahrzehnte des 20. jahrhunderts
Der Philosoph Hermann Cohen (1842-1918) argumentierte, dass die Juden zwar ein Volk seien, aber keine Nation darstellten. Der 1893 gegründete „Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens” (C.V.) war Ausdruck und stärkste zivilgesellschaftliche Vertretung der Mehrheit der deutschen Jüdinnen und Juden. Die Mitgliedszahlen der ZVfD Anfang der 1920er Jahre waren ein Bruchteil (20.000) derer des C.V. (60.000).
Der Erste Weltkrieg stellte schließlich einen entscheidenden Wendepunkt dar. Mit dem Ende der kontinentaleuropäischen Imperien und dem Versprechen der Balfour-Erklärung von 1917, worin die britische Regierung die Schaffung einer „nationalen Heimstätte“ für das jüdische Volk in Palästina unterstützte, wandelten sich die politischen Konstellationen und so auch die zionistische Bewegung. Die Konferenz in San Remo im April 1920 stellte das Territorium Palästina unter britisches Mandat. Die Führung der Bewegung war nicht mehr vorwiegend deutschsprachig, sondern setzte sich zunehmend aus Vertretern zusammen, die aus Osteuropa stammten. So wurde Chaim Weizmann (1874-1952) 1921 zum Präsidenten der Zionistischen Organisation (ZO) gewählt, ein englischer Staatsbürger, dessen Geburtsland das heutige Belarus war. 1916 gründete Martin Buber die Zeitschrift „Der Jude” mit einem weitreichenden Themenspektrum auch jenseits von Zionismus. Buber war auch einer der Initiatoren der in Prag gegründeten Vereinigung „Brith Shalom“. Diese setzte sich für eine friedliche Kooperation zwischen der jüdischen und arabischen Bevölkerung in Palästina ein, was allerdings nie über den Status einer Idee hinauswuchs. Die anfänglich alljährlichen und später zweijährlich stattfindenden Zionistenkongresse verdeutlichten die Spannungen zwischen den verschiedenen Fraktionen. Der Streit fand unter anderem zwischen religiösen und sozialistischen Fraktionen statt. Darin ging es um wirtschaftliche und politische Probleme, um kulturelle und geistige Fragen und das Verhältnis zur jüdischen Diaspora. Immer unter der Annahme, dass ein jüdischer Staat wie jeder andere Staat ein Machtgebilde darstellte, das sich zu anderen Staaten und insbesondere zu seinen Nachbarn verhalten musste.
In Deutschland wirkten in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zahlreiche Organisationen und Einrichtungen, die den Zielen der zionistischen Bewegung dienten. Zu ihnen gehörten Jugendgruppen unter dem Namen „Blau-Weiss”, die sich ähnlich anderer zu der Zeit entstandener Gruppen wie dem „Wandervogel“ strukturierten. Die in Osteuropa gegründete Pionierbewegung „Hechalutz“ organisierte landwirtschaftliche Ausbildungen, die nach 1933 neue Bedeutung als Auswanderungshilfe für junge deutsche Jüdinnen und Juden erlangte. Die zionistische Frauenorganisation WIZO wurde von der Ärztin Rahel Strauss geleitet. Der 1903 gegründete Dachverband der Sportgruppen „Makkabi“ vereinte die „Jüdische Turnerschaft“, darunter auch den ersten jüdischen Turnverein Deutschlands „Bar Kochba“ (initiiert von Berliner Zionisten im Jahre 1898 und benannt nach dem Anführer des Aufstands gegen die römische Besatzung). Der 1909 in Wien gegründete Sportclub „Hakoah Wien“ war vor allem für seine Fußballmannschaft bekannt und fand Nachahmer in Berlin, Graz und Czernowitz. Des Weiteren zu nennen, sind der deutsche Zweig des „Jüdischen Sozialistischen Arbeiterverbandes PoaleZion“ sowie die zionistische Föderation des „Misrachi“, der das gesetzestreue Judentum in der ZO vertrat.
Der Zionismus fand durch die wachsende Bedrohung, der sich Jüdinnen und Juden nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland ausgesetzt sahen, am Ende der Weimarer Republik immer mehr Zulauf. Die Ende Januar 1933 von der Lehrerin und Dichterin Recha Freier (1892-1984) in Berlin gegründete Organisation „Jugend-Alijah“ brachte 5.000 vorwiegend orthodoxe Jugendliche aus Deutschland in Sicherheit nach Palästina. Von den rund 135.000 bis Ende 1937 aus Deutschland ausgewanderten Jüdinnen und Juden gelang es ungefähr 50.000, sich nach Palästina zu retten, bevor mit der Besetzung Österreichs im März 1938 und den Novemberpogromen die Flüchtlingspolitik weltweit zunehmend restriktiver wurde.