> Alfred Försterling: Ankunft in Berlin

Alfred Försterling: Ankunft in Berlin

Dieser Eintrag stammt von Alfred Försterling (*1925) aus Hamburg, November 2007:

 

Am frühen Nachmittag des 28. Mai 1948 erreichen wir Berlin. 12 Tage dauerte die Rückfahrt vom Ural nach Berlin. Als ich endlich wieder bei meinen Eltern zu Hause bin, schreibe ich meine Eindrücke von der Ankunft in Berlin auf. Hier ein Auszug:

"Ja, und dann kam ich nach Hause. Der Zug näherte sich langsam Berlin. Wir standen an den Fenstern. Vorüber glitten bekannte Stationen: Erkner, Kaulsdorf, vorbei an der Schule, die ich sechs Jahre besuchte. Alte Erinnerungen wurden wach.

Ostkreuz. Die S-Bahnzüge fuhren noch genau so wie früher. Nur zeigte alles den vergangenen Krieg. Die Fenster waren zum größten Teil mit Pappe vernagelt. Auch Bahnhöfe waren anders geworden. Mauerreste, abgebrannte Dächer. Das alles konnte mich nicht mehr erschüttern. Wir sollten ja frei sein. Genau so frei, wie diese Menschen, die jetzt in den vorbeifahrenden Zügen dicht gedrängt standen. Zum ersten Mal nach unendlich langer Zeit hörte ich wieder das Geräusch des anfahrenden S-Bahnzuges. Um ein Haar wären mir die Tränen gekommen.

Nebeneinander fuhren die Züge dahin, bis es plötzlich finster war und wir im Schlesischen Bahnhof standen. Die Zeit verging rasend. Man hatte ja kaum Zeit nach Luft zu schnappen. Ja, der Zug hielt auf dem Schlesischen Bahnhof. Atemlos, ungläubig nahmen wir es auf. Es war alles so, als sei es das natürlichste von der Welt. Vor 10 Tagen noch über die Wolga, heute auf dem Schlesischen Bahnhof. Als müsse alles so sein.

Es standen einige Menschen auf dem Bahnsteig. Meine Eltern waren nicht dabei. Ich stehe am Fenster und starre ungläubig den Bahnhof entlang. Denken tue ich noch nichts. Resigniert nehme ich meine Holzkiste, die ich nun schon zwei Jahre mit mir herumschleppe, und meinen Beutel mit den Fusslappen, Brot und Krimskrams durcheinander und gehe zur Tür um auszusteigen. Ich stehe auf dem Bahnsteig. Ein Blick zur Treppe und da steht sie: "Mutter". Viel zu schnell ging dieser Augenblick vorüber. Drei Jahre lang, Tag für Tag, immer hat man für diesen Augeblick gelebt.

Dann kam Vater die Treppe herauf. Ein Blick, ein Händedruck - gesagt haben wir nicht viel. Das ging erst später los. So klapperten wir, ich mit meinen Holzpantinen zur Plaza, um uns das halbe Brot nicht entgehen zu lassen und die drei Zigaretten. Brot stand bei mir noch immer hoch im Kurs.

Mit der S-Bahn fuhren wir nach Hause. Komisch, die Leute sahen einem alle ein wenig mitleidig an. Ich sah aber auch aus in meiner Russenkleidung. Zu Hause angekommen, flogen erst einmal die Holzpantinen in die Ecke und ich zog einen menschenwürdigen Anzug an. So, jetzt war ich zu Hause. Jetzt ging das Staunen, Wundern, Anschauen los. Die neue Wohnung, die Sachen alle, die Gute Stube. Das schöne Radio war weg. Dafür zwei andere alte Kästen. Schade. Und als ich tief Luft geholt hatte, wurde erst einmal gegessen. Es war noch so, dass ich andauernd essen konnte. Und ich habe gegessen. Jeden Tag mehr und besser. Ich ging auf wie ein Pfannkuchen

Als Geschenk bekam ich zu meiner Wiedergeburt von meinen Eltern Anzugstoff, Futter und 100 Mark. Ich hab mich gefreut."

Die Gefangenschaft ist glücklich überstanden. Abgesehen von der Unterernährung bin ich gesundheitlich fit. Ein normales Leben kann nun wieder beginnen.

lo